Wenn Peyton Manning seinen kleinen Bruder mal so richtig ärgern wollte, dann forderte er ihn zu einem Duell heraus. Dessen Regeln sahen es vor, dass Eli mit beiden Schultern fest auf den Boden gedrückt und mit leichten Schlägen auf den Brustkorb malträtiert werden musste. So lange, bis er die ihm gestellten Fragen beantworten konnte.
Meist ging es dabei natürlich um Sport. Um College Football. Um die NFL. Manchmal aber auch um Zigaretten-Marken. Eigentlich war das Thema aber auch egal. Denn das Ergebnis dieser Duelle stand ohnehin von Beginn an fest: Peyton gewinnt immer. So war das nun mal, damals in New Orleans.
Mehr als zwanzig Jahre sind seitdem vergangen. Und wenn man die Beteiligten heute danach fragt, so versichern sie einem, dass es im Hause Manning mittlerweile deutlich entspannter zugeht. "Wir kommen alle sehr gut miteinander aus. Ehrlich", erklärt Cooper Manning, der älteste der drei Brüder, im Gespräch mit SPOX.
"Prepare for Manning-Mania"
Und das ist vermutlich auch gut so. Denn wenn man aktuell nach der größten Geschichte vor dem anstehenden Super Bowl sucht, dann bekommt man häufig dieselbe Antwort: Eli gegen Peyton.
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"Prepare for Manning-Mania", schreibt die "Sporting News", "Peyton-Buzz trotz Eli-Bowl" titelt "USA Today". Es drehe sich alles darum, ob Eli endlich aus Peytons Schatten treten könne, bringt es die Nachrichtenagentur "Reuters" auf den Punkt. Bei so viel Eli vs. Peyton ist es wirklich gut, dass dieses Duell mittlerweile ganz ohne Brustkorb-Kloppe auskommt.
Tom Brady, der Langweiler
Warum Tom Brady und die Patriots in diesen Schlagzeilen fehlen? Ganz einfach: Weil sie zur Randnotiz degradiert wurden. Brady sei ja immer noch ein Football-Wunder, schreibt "New York Times"-Kolumnist Mike Tainer, aber ihm nach dem triumphalen Sieg dabei zuhören zu müssen, wie er sich selbst kritisiert, sei ungefähr so aufregend, wie sich auf einer wilden Party alleine in die Ecke zu setzen, um einen düsteren Film zu gucken. Brady, der Party-Schreck.
"Der Typ ist so sehr auf Super-Bowl-Entzug, dass er sich nicht mal über einen Sieg mit 35 Punkten Vorsprung freuen kann", frotzelt Tainer. Seine Diagnose: sportlich top, ansonsten aber leider vollkommen langweilig. Und das gelte leider für den gesamten Super Bowl.
Mit einer Ausnahme: Eli vs. Peyton. Das indirekte Duell der Manning-Brüder als letzte Hoffnung vieler Zuschauer - und vor allem Medienvertreter - auf ein bisschen Action. Ein bisschen verbales Schultern-auf-den-Boden-Gedrücke zweier Brüder, die ein Jahr hinter sich haben, wie es unterschiedlicher nicht sein könnte.
Die Leiden des Peyton M.
Auf der einen Seite: Peyton Manning. Das Gesicht der Indianapolis Colts. Nummer-eins-Pick im Draft 1998, seither knapp 400 Touchdowns, elf Pro-Bowl-Selections, ein Super-Bowl-Titel - und laut diversen Experten einer der besten Quarterbacks aller Zeiten.
Sein Problem: Mit 35 Jahren und einer schweren Nackenverletzung in der Krankenakte verbrachte er die abgelaufene Saison an der Seitenlinie. Viele sagen, er habe seinen Zenit überschritten und stünde nicht nur bei den Colts vor dem Aus.
Auf der anderen Seite: Eli Manning. Der fast schon chronische kleine Bruder. Auch er ein Nummer eins Pick (2004). Auch er ein Pro Bowler (2008, 2011). Auch er ein Super-Bowl-Sieger. Aber dabei trotzdem ständig im Schatten des großen Bruders.
Jedenfalls bis jetzt. Denn Eli lieferte 2011 das vermeintlich beste Jahr seiner Karriere ab, übernahm Verantwortung, als es bei den Giants kriselte - und führte New York mit eiskalten Last-Minute-Comebacks in den Super Bowl.
Neid? Frust? Hass? Irgendwas?
Deshalb müsse es eine regelrechte Qual für Peyton sein, hilflos mit ansehen zu müssen, wie Eli nach seinem zweiten Titel greift. Es müsse Peyton in den Wahnsinn treiben, wie er von seinem kleinen Bruder ausgerechnet in der eigenen Stadt überholt wird.
Wie Eli, der von vielen als Weichei und Günstling des gut funktionierenden Giants-Systems beschimpft wurde, plötzlich bei der breiten Masse der Fans als Macher dasteht. Da müsse doch selbst der ruhige Peyton mal aus der Haut fahren und vor Frust ins Sofakissen beißen, hoffen jedenfalls seine Kritiker.
Von Frust ist die Rede. Vielleicht sogar von Neid. Auf jeden Fall aber davon, dass irgendeiner der Beiden doch endlich mal etwas Negatives über den anderen sagen müsse. Ein bisschen Feuer. Eine kleine Explosion. Irgendwas. Aber es passiert nichts.
Manning: Bruder-Krieg? Alles Quatsch
"Kein Wunder", sagt Cooper, dessen eigene Football-Karriere wegen einer Verengung des Wirbelkanals noch vor dem ersten College-Spiel endete. "Dieses Gerede von einem vermeintlichen Bruder-Krieg ist doch Quatsch." Das Gegenteil sei der Fall. "Peyton ist ein hervorragender großer Bruder und vermutlich Elis größter Fan", erklärt Cooper. "Die beiden kommen extrem gut miteinander aus."
Mehr noch. Peyton würde Eli sogar bei der Vorbereitung auf die Spiele helfen: Als Taktik-Berater. So habe Peyton, der als einer der taktisch klügsten Quarterbacks und einer der besten In-Game-Coaches der NFL-Geschichte gilt, diverse Game-Tapes kommender Giants-Gegner analysiert und seine Erkenntnisse dann mit Eli geteilt.
Während er im Kraftraum der Colts für sein eigenes Comeback schwitzte, entschlüsselte er die Verteidigungs-Spielzüge von New Yorks nächstem Gegner. So habe Peyton unter anderem genau den Spielzug unter die Lupe genommen, der den Giants beim Sieg über die San Francisco 49ers zum Einzug in den Super Bowl verhalf: Elis Fourth-Quarter-Touchdown zu Mario Manningham.
Der Turnaround des Eli
Welchen Anteil Peyton tatsächlich an Elis Leistungssteigerung hat, bleibt allerdings ein Geheimnis. Keiner der Brüder würde verraten, ob Elis verbesserter Bewegungsablauf in der Pocket, seine gesteigerte Fähigkeit, herannahenden Verteidigern erst im letzten Moment auszuweichen und dennoch die Augen nicht von den eigenen tief stehenden Receivern zu nehmen, nicht vielleicht auch ein bisschen auf Peytons Coaching zurückgeht. "Dazu kann ich leider nichts sagen", wiegelt Cooper ab. Das sei so etwas wie ein Familiengeheimnis.
Es könne ja schließlich auch am Lockout liegen. Der habe Eli immerhin die Möglichkeit gegeben, sich als unangefochtener Leader des Teams zu etablieren. Sich bei den von ihm organisierten Workouts an einer New Yorker High School ganz ohne Coaches und strikte Trainingspläne mit den Stärken und Schwächen seiner Receiver zu beschäftigen, Vertrauen aufzubauen, sich zu kümmern. Und genau das würde sich jetzt in Elis verbessertem Pass-Spiel niederschlagen.
Doch egal, ob nun Peytons Coaching oder Lockout-Workouts: Feststeht, dass Eli spätestens seit dem Turnaround gegen Ende der Saison, als die Giants nach sechs Niederlagen aus sieben Spielen mit Siegen gegen die Jets und Cowboys noch den Einzug in die Playoffs schafften, ein ganz anderes Selbstverständnis an den Tag legen. "Eli ist seitdem unglaublich cool. Auf und neben dem Spielfeld", bestätigt Cooper.
On third Down, Eli goes deep!
Wie sich diese Coolness auf dem Feld bemerkbar macht, spiegelt besonders eine Statistik wieder. Sind beim dritten Down noch mehr als elf Yards zu überbrücken, bringt Eli knapp 72 Prozent seiner Pässe an. Zum Vergleich: Packers-Quarterback Aaron Rodgers kommt dabei auf 61 Prozent, Tom Brady auf 55 und Peyton Manning sogar nur auf 45 Prozent. Nur wenige NFL-Größen können mithalten.
Den Giants ermöglicht Elis Coolness zudem, deutlich aggressiver zu spielen. Sie werfen den Ball häufiger Downfield und spekulieren auf Big Plays der Receiver Hakeem Nicks und Victor Cruz. Das Ergebnis: Nur die Pässe eines Quarterbacks haben mehr Strecke in der Luft zurückgelegt als die von Eli Manning: die von Drew Brees.
"Peyton ist unglaublich stolz auf Eli", sagt Cooper am Ende. Und wenn man ihm so zuhört, könnte man tatsächlich denken, dass Peyton seinen Bruder bei diesem Duell tatsächlich sogar freiwillig gewinnen lassen würde.
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