Es ist eine kleine Bühne, die Case Keenum im Foyer des Lucas Oil Stadiums betritt. Vermutlich eine der Kleinsten, die er während seiner gesamten, Rekord-trächtigen Karriere als Quarterback der Houston Cougars betreten hat.
Nur eine Handvoll Menschen hat sich in diese ruhige Ecke des ansonsten überfüllten Korridors verirrt und kauert nun auf schwarzen Plastik-Klappstühlen vor einem Filz-bespannten Rednerpult.
Dennoch wirkt Keenum extrem angespannt. Wenn man den 24-Jährigen bei den Vorbereitungen für seinen Kurz-Auftritt beobachtet, gewinnt man den Eindruck, als würde er in wenigen Sekunden eines der wichtigsten Interviews seines Lebens geben. Eine präsidiale Ansprache an die Nation. Nur eben im Trainingsanzug.
Warten auf den Ausrutscher
Und irgendwie ist genau das der Fall. Denn im Publikum sitzen diesmal keine Journalisten. Jedenfalls nicht nur. Die Kameras, die heute auf ihn gerichtet sind, gehören den diversen NFL-Teams. Zehn Teams, um genau zu sein. Unter ihnen, die Denver Broncos und Arizona Cardinals - zwei seiner potenziellen Arbeitgeber. Sie verfolgen ihn bereits, seit er am Vorabend am Flughafen von Indianapolis angekommen ist.
"Sie wollen sehen, wie ich mit dem Druck umgehe. Ob ich mit der Verrücktheit des Geschäfts klarkomme", erklärt Keenum im Gespräch mit SPOX. "Und der Combine ist eine hervorragende Gelegenheit dazu, denn das hier ist absolut verrückt."
750 Journalisten, mindestens ebenso viele Team-Vertreter - und kaum eine Minute, in der sich die Spieler unbeobachtet fühlen könnten. "Man hat fast das Gefühl, als würde an jeder Ecke jemand nur auf einen Ausrutscher warten", sagt Keenum. Einen Ausrutscher, der eine Karriere ruinieren kann, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Charakter vs. Skills
Denn was die Teams vor dem Draft am meisten interessiert, ist nicht, dass Keenum den obligatorischen 40-Yard-Dash in 4,82 Sekunden hinter sich bringt oder dass er 18 Wiederholungen mit den 225-Pfund-Gewichten schafft.
Sie interessiert auch nur am Rande, wie viele seiner Show-Pässe heute einen Receiver finden. Denn das wissen sie bereits. Haben seine Game-Tapes stundenlang studiert. Was die Teams an diesem und den folgenden Tagen wirklich interessiert, ist, wie Keenum tickt.
"Das Können auf dem Platz ist nur einer der Aspekte, auf die wir achten", erklärt Ted Thompson, General Manager der Green Bay Packers, SPOX. "Was so kurz vor dem Draft noch mehr zählt, ist der Charakter. Denn damit lässt sich viel ausgleichen. Deshalb rate ich all unseren Scouts, weniger selbst zu reden und dafür mehr zuzuhören."
15 Minuten Charakter-Test
Der Charakter also. Doch wie können die Teams nach einem 15-minütigen Gespräch einschätzen, ob ein Spieler mit dem Druck, der in der NFL auf ihm lasten wird, klarkommt? Oder ob er ins Teamgefüge passt? "Natürlich ist die kurze Zeit, die uns vonseiten der NFL für Privat-Gespräche mit den Spielern gewährt wird, nicht genug, um sie wirklich kennenzulernen", räumt John Elway, Ex-Quarterback und aktueller Boss der Denver Broncos, ein. "Aber wenn wir die richtigen Fragen stellen, können wir den wahren Charakter der Spieler wenigstens kurz zum Vorschein bringen."
Wie genau diese Fragen lauten, will Elway nicht verraten. Keiner der Verantwortlichen will das. "Schließlich könnte einer unserer Konkurrenten diese Information gegen uns verwenden", erklärt Thompson. Auch Keenum sagt nur: "Die Teams werden sehr persönlich und schauen dann, wie du reagierst. Und sie testen deine Intelligenz. Nicht mit Mathematik oder so, sondern mit Fragen zum aktuellen Weltgeschehen. Sie wollen sehen, ob du dich informierst und dich ausdrücken kannst. Oder ob du das Team blamieren würdest, wenn dich später mal ein Journalist etwas fragt."
Und: Sie wollen wissen, ob sich die Spieler auf ihre Gesprächspartner vorbereitet haben. "Sie loten aus, wie gut du dich mit dem Spielsystem des Teams auskennst und wie du dich selbst darin siehst", erklärt Keenum. "Dabei kommt es nicht nur darauf an, wie gut du dich mit Taktik generell auskennst, sondern auch, ob du ins bestehende Team passt."
Interviews als Karriere-Sprungbrett?
Doch nicht nur für die Teams sind diese Frage-Antwort-Spiele eine Chance. Spieler, die während ihrer College-Karriere nicht sonderlich im Rampenlicht standen, können mit einem gelungenen Auftritt beim Combine ihre Draft-Aussichten deutlich verbessern.
So wie Michigan-State-Quarterback Kirk Cousins. Der 23-Jährige steht beim aktuellen Draft klar im Schatten seiner Quarterback-Kollegen Andrew Luck, Robert Griffin und Ryan Tannehill, die allesamt als sichere Top-10-Picks gelten. Um so wichtiger ist es für ihn, einen guten Eindruck bei den Teams zu hinterlassen.
"Ich will beweisen, dass ich das Zeug habe, mich in der NFL durchzusetzen", sagt er zu SPOX. "Und dabei geht es nicht nur darum, was ich auf dem Feld leisten kann. Da haben sie schon lange gesehen." Selbst intime Fragen seien für ihn dabei kein Problem.
"Es geht doch schließlich darum, dass sie mich kennenlernen", sagt Cousins. "Dass beide Seiten herausfinden, ob man zueinanderpasst. Das ist doch in beiderseitigem Interesse - denn nur so kann man später tatsächlich eine erfolgreiche Partnerschaft haben. Deshalb habe ich auch nichts zu verbergen. Ganz im Gegenteil. Ich bin davon überzeugt, dass die Teams so nur noch mehr positive Dinge über mich herausfinden."
Der Aufstieg des Kirk Cousins
Und im Fall von Cousins scheint das zu funktionieren. Galt er vor dem Combine und seinem anschließenden Pro Day noch als Fünftrunden-Pick, könnte er Experten zufolge nun bereits in der zweiten Runde ein Team finden.
"Kirk Cousins ist aktuell vermutlich der viertbegehrteste Quarterback im Draft", schreibt etwa Draft-Experte Len Pasquarelli für "CBS". Der vermeintliche Grund für den Aufstieg: Cousins professionelles Auftreten.
"Er nimmt seine Vorbereitung sehr ernst; ist fast schon ein Freak - und das gefällt einem als Coach", erklärt der ehemalige NFL-Coach Jon Gruden, der Cousins vor dem Combine privat traf. "Nach einem Treffen mit ihm weiß man einfach, dass er sich sehr gut informiert hat und weiß, wie er sich bei den einzelnen Teams einbringen kann. Und das kann er auch rüberbringen. Kommunikation kann eine sehr große Stärke sein."
"Ein schnelllebiges Geschäft"
Eine große Stärke, aber kein Allheilmittel. Das musste Case Keenum beim Combine erfahren. Der Mann mit den meisten Passing-Yards und Touchdowns in der Geschichte des College Football schleicht nach seinem Interview fast unbeachtet zurück in die Umkleidekabine, um sich für das anschließende öffentliche Training umzuziehen.Ganz ohne Kamerateams im Schlepptau. Die haben ihre Objektive mittlerweile auf jemand anderen gerichtet. "Es ist eben ein schnelllebiges Geschäft", sagt Keenum - und klingt dabei fast ein wenig erleichtert. Er will gleich seine Taten für sich sprechen lassen.
Wie sich herausstellen sollte, ohne Erfolg. Experten schätzen, dass er vermutlich erst gegen Ende des Drafts ausgewählt wird. Wenn überhaupt. Der Grund: Sein College-Stil ist nicht mit der NFL kompatibel. Und: Er habe bei einigen seiner Team-Interviews nicht den Eindruck hinterlassen, als ob er in diesem Punkt an sich arbeiten könne oder wolle.