NFL

Musterprofi, Revolutionär, Abrissbirne

Von Philipp Böhl
Lawrence Taylor war der letzte Defensivspieler, der es zum MVP brachte
© getty
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Lawrence Taylor, 1986

Es ist eine der legendärsten und gleichzeitig schockierendsten Szenen der Football-Geschichte. Monday Night Football, November 1985: Star-Quarterback Joe Theismann bewegt sich im Spiel seiner Redskins gegen die Giants in der Pocket, sucht nach Anspielstationen. Was folgt ist ein harter, aber legaler Hit der Nummer 56 im blauen Trikot. Der 1,91-Meter-Koloss landet auf dem rechten Bein des Quarterbacks, welches unter der Last wie ein maroder Stock zerbricht.

Es ist auch die Eröffnunsgszene des Filmes "The Blind Side" und gleichbedeutend mit dem Ende der Karriere des Joe Theismann. Lawrence Taylor heißt der Mann, der den damals 36-Jährigen mit einem seiner vielen Sacks heimsuchte und der Football-Welt den Atem stocken ließ.Taylor ist nach Page der zweite Defensivspieler, der die MVP-Trophäe gewinnen konnte.

Viel mehr vereint die beiden nicht. Während Page als Vorbild und später als juristischer Vertreter des Staates agierte, fiel Taylor häufig durch Gesetzeswidrigkeiten auf. Seine MVP-Auszeichnung ist dagegen unumstritten: Schließlich gibt es Spieler, die innerhalb des festen Schemas der Verteidigung durch außergewöhnliche Leistungen auffallen - und es gibt Lawrence Taylor, den Verteidiger, der das Spiel wie wohl kein anderer Defensivspezialist revolutionierte.

Taylor, der Linebacker 2.0

Der Linebacker, der 1981 an zweiter Stelle gedraftet wurde, definierte seine Position neu. Seine pfeilschnellen und kraftvollen Angriffe über jene Blind Side des Quarterbacks trieben etliche Offensive Lines zur Verzweiflung und zeigten sich letztlich sogar dafür verantwortlich, dass der damalige Redskins-Coach Joe Gibbs eine neue Position ins Leben rief. Der H-Back war geboren, ein zusätzlicher Tight End, der durch seine Variabilität in der Lage sein sollte, einen Linebacker wie Taylor zu stoppen. Ein normaler Fullback hatte im Mismatch gegen Taylor nämlich keine Chance.

Auch Theismann gab Jahre nach seinem Karriereende ein Interview, in dem er auf diese spezielle Aufgabe, Taylor zu stoppen, hinwies. Darin beschrieb er die Grundaufstellungen seines Teams und des Gegners, deren Spieler mit ganz normalen Buchstaben beschrieben wurden - mit einer Ausnahme: "Wir hatten C's für Cornerbacks, S's für Safeties und auch alle anderen Positionen mit Buchstaben markiert. Bis auf eine. Das war die 56." Lawrence Taylor.

Nach fünf Jahren alles erreicht

LT war der erste Spieler, der in seiner Rookie-Saison als Defensive Player of the Year ausgezeichnet wurde. Er nahm an zehn Pro Bowls teil und darf zwei Super-Bowl-Ringe sein Eigen nennen. Und bereits nach fünf Jahren in der Liga hatte er alles erreicht: Er habe bereits seine "beste Saison gespielt, zuletzt den Super Bowl gewonnen. Ich war an der Spitze, also was konnte noch kommen? Nichts."

Diese "beste Saison" war tatsächlich bahnbrechend. Im Jahr 1986 zeigte sich Taylor für 20.5 Sacks verantwortlich. Damit liegt er heute noch auf dem sechsten Platz in der NFL-Geschichte - zusammen mit J.J. Watt. Zudem gelangen Taylor zwei verursachte Fumbles sowie insgesamt 105 Tackles. Und: Kein Team hat eine bessere Bilanz vorzuweise als die Cowboys (14-2).

Bei gegnerischen Quarterbacks war LT gefürchtet - und angesichts seiner Leistungen in der Liga gefeiert. So lobte ihn auch sein langjähriger Trainer, Bill Parcells, nach einem Spiel gegen die New Orleans Saints im Jahr 1988: "Das war das Beste, was ich je gesehen habe." Die Rede war dabei von einem Spiel mit sieben Tackles, drei Sacks und zwei Fumbles - statistisch gesehen nicht Taylors bestes Spiel, angesichts eines gerissenen Brustmuskels aber wohl das Bemerkenswerteste.

"Ein-Mann-Abrissbirne"

Mit dem Ruhm kam er allerdings schlechter zurecht, wie er in einem Interview selbst konstatierte: "So leicht wie der Football für mich ist, so schwer ist das Leben für mich." Mit diesen Worten beginnt auch eine Doku mit dem Titel "Life and Times", die viel Aufschluss über die Abgründe des NFL-Profis gibt, der lange mit seiner Kokain-Abhängigkeit zu kämpfen.

Nach zwölf Jahren im Giants-Jersey endete die Karriere von Taylor in der NFL. Dem Showbusiness blieb die "Ein-Mann-Abrissbirne", wie Theismann ihn nannte, aber weiter erhalten. Nach eher erfolglosen Auftritten als TV-Analyst und einer durchlebten Scheidung trat LT sogar bei der "WrestleMania XI" auf. Doch erst Jahre später kommt sein Leben in wirklich geordnetere Bahnen. So "tauscht" Taylor seine Abhängigkeiten aus und schlägt im wahrsten Sinne des Wortes einen neuen Weg ein. Er ersetzt die Drogen in seinem Leben durch die "Sucht" nach dem Golfsport.

Was Taylor letzten Endes hinterlässt, ist ein großes Erbe. Die NFL sattelt wegen Taylor auf größere Left Tackles um und verdankt einem der umstrittensten Spieler der Geschichte auch eine defensive Revolution. Das passende Schlusswort findet Taylor dann treffend am Ende seiner Doku selbst: "LT was a bad Motherfucker."

Fazit

Insgesamt gewannen also zwei Defender, die unterschiedlicher kaum sein könnten und ein Kicker den MVP-Award. Was die Vergangenheit aber lehrt: Um aus der Defense MVP zu werden, braucht man mehr als nur eine überragende Saison. Man muss das Spiel in einer entscheidenden Art verändern, Spiele im Alleingang entscheiden oder eine Saison dominieren - als Verteidiger in der heutigen Zeit eine sehr schwere Aufgabe.

Watt schafft es zwar, als der wohl dominanteste Verteidiger der Liga aufzutreten und auch in der Offense Akzente zu setzen. Angesichts des Erfolgs der Texans, der in eine MVP-Wahl immer mit einfließt, stehen die Chancen für den 25-Jährigen auf die MVP-Trophäe aber nicht sonderlich gut.

Dass Taylors Auszeichnung als der letzte Verteidiger als Most Valuable Player fast 30 Jahre zurückliegt, lässt wohl nur ein Fazit zu: Die Defense gewinnt zwar Championships - aber eher keine MVP-Trophäen.

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