Das Leben des Lawrence "LT" Taylor bietet den Stoff, aus dem Hollywood-Blockbuster gestrickt sind. Der Oscar-prämierte Spielfilm "The Blind Side" um den Offensive Tackle Michael Oher zeigt im Prolog deshalb auch eine Originalszene des Spiels der Giants gegen die Washington Redskins aus dem Jahr 1985. Diese trug zur Legendenbildung von Taylor bei - und stand symptomatisch für das meist faire, aber extrem harte Spiel des Outside Linebackers.
Ballbesitz Washington: Skins-Quarterback Joe Theisman probiert es mit einem Trick Play gegen die Giants-Defensive. Der Veteran bekommt den Ball von seinem Running Back zurück, wartet auf den richtigen Moment zum Wurf. Plötzlich schlägt es auf der linken Seite ein - der "Blind Side" eines mit rechts werfenden QBs. Taylor reißt Theisman zu Boden. Es ist ein Bild, das an einen Autounfall erinnert.
"Wie stoppt man diesen Kerl? Gar nicht!"
Mit der Kraft eines Löwen und der Schnelligkeit eines Geparden verspeiste LT die Quarterbacks der 80er und frühen 90er Jahre zuhauf. Oft kamen die mit dem Schrecken oder Prellungen davon. Theisman nicht. Seine Karriere war vorbei - der 36-Jährige brach sich beim Tackle das Bein.
Nicht erst seit diesem denkwürdigen Abend beschäftigten sich die Defensive Coordinator der NFL mit der Frage, wie die Hits des 1,93 Meter und 109 Kilogramm schweren Monsters zu bremsen waren. Ron Jaworski, QB der Philadelphia Eagles, hatte 1993 rückblickend eine wenig hoffnungsvolle Antwort parat: "Wie stoppt man diesen Kerl? Gar nicht!" Noch martialischer brachte es QB Terry Bradshaw nach seinen unfreiwilligen Bekanntschaften mit dem Pass Rusher zum Ausdruck. "Dieser Kerl hätte mich verdammt nochmal beinahe umgebracht. Wer ist der Typ? Er kam immer über meine Blind Side und hat meine Rippen in Einzelteile zerlegt", so der viermalige Super-Bowl-Champion der Pittsburgh Steelers.
"Er war ein Draufgänger"
Doch bevor aus Lawrence Taylor der unaufhaltsame Grenzgänger LT wurde, wuchs "Loonie" - so nannten ihn seine Eltern und Freunde - im Universitätsstädtchen Williamsburg in Virginia auf. Sein Vater verdiente sein Geld am Hafen von Newport News, seine Mutter war als Lehrerin tätig. Der am 4. Februar 1959 geborene Taylor war ein neugieriger und willensstarker Junge. "Er konnte nicht akzeptieren, wenn er etwas nicht tun konnte, sondern wollte alles unbedingt ausprobieren. Das gab Ärger, mehr als einmal", verriet seine Mutter in der Showtime-Doku "LT - Life and Times" 2013.
Trotz Ärger auf dem Schulhof wusste der Rabauke die Eltern stets mit seiner sonnigen Art zu beruhigen und versprach schließlich, ein Football-Stipendium zu ergattern. Gesagt, getan: Obwohl er erst in der 11. Klasse mit dem Football anfing, nahm ihn die University of Northern Carolina at Chapel Hill 1977 in ihr Athleten-Programm auf. Dort holte er 1980 als Team-Captain die NCAA-Meisterschaft und wurde zum besten Spieler der Atlantic Coast Division gewählt.
Gegenüber ESPN äußerste sich College-Trainer Bobby Cale fast schon ehrfürchtig über die aggressive Spielweise seine Schützlings: "Er war ein Draufgänger, waghalsig und rücksichtslos. Schon als Freshman sprang er bis zu zwei Meter hoch, um einen Punt zu blocken - selbst wenn er danach mit dem Nacken voran auf den Boden prallte."
Taylor weckt die Riesen
Diese aggressive und extravagante Lebensweise setzte sich auf dem College fort. Taylors erste Frau Linda, die an der Uni kennen lernte, sprach von Trinkgelagen und Frauenbekanntschaften - tatsächlich erwartete sogar eine andere Kommillitonin ein Kind vom Uni-Star. Doch obwohl die Giants von seinen Privataktionen wussten, wählte ihn General Manager George Young an zweiter Stelle - er war einfach zu gut. Spieler und Presse sahen diesem Draft allerdings argwöhnisch entgegen. Sie hätten einen Offensiv-Akteur, der die 18-jährige Playoff-Durststrecke der Franchise beenden sollte, bevorzugt.
Sie sollten sich täuschen: Taylor strafte seine Kritiker Lügen, der Big Apple hatte wieder eine Siegertruppe. Die Nummer 56 zeigte sofort seine physischen und mentalen Fähigkeiten auf dem Spielfeld. In seinem Rookie-Jahr ging er reihenweise auf QB-Hatz und machte sich als Defensive Player of the Year und späterer Pro-Bowler einen Namen in der Liga. In den darauffolgenden Jahren wurde klar: Taylor würde das Spiel verändern.
Vom H-Back zum Left Tackle
Der erste, der seine Defense umstellte, um die kolossalen Attacken des Giants-Stars zu kontern, war Redskins-Trainer Joe Gibbs. Um seine Signal Caller vor Ballverlusten und Verletzungen zu schützen, machte er die Position des H-Backs populär: Ein zusätzlicher Tight End, der an Stelle eines gewöhnlichen Backs - normal waren Halfback und Fullback - ins Spiel kam und das Missmatch gegen Pass Rusher ausgleichen sollte. Deshalb war der H-Back in der Regel schwerer und größer als die Running Backs.
In den 1990er Jahren gewann dann die Position des Left Tackles - die meisten QBs werfen mit rechts und brauchen somit zwei weitere Augen auf ihrer linken Seite - taktisch und gehaltstechnisch immer mehr an Bedeutung. Ihre Aufgabe besteht im Passing Game ausschließlich darin, den Outside Rusher zu blocken. Heute übernehmen NFL-Champions wie Sebastian Vollmer und der genannte Michael Oher die Aufgabe des QB-Bodyguards.
Von LT zum MVP
Wie Gibbs bei den Skins bereiteten sich die Teams in der Folge bei direkten Aufeinandertreffen fast ausschließlich auf Taylor und seine "Big Blue Wrecking Crew" vor. Meist ohne Erfolg. Nach regelmäßigen Postseason-Auftritten gelang den Giants 1986 mit Coach Bill Parcells und Defensive Coordinator Bill Belichick der große Wurf - trotz des tragischen Krebstodes von Running Back John Tuggle. Nach einer 14-2 Regular Season, bei der die Defense um LT die eher durchschnittliche Offense von Playmaker Phil Simms wettmachte, erreichten die Giants durch deutliche Siege über die 49ers (49:3) und die Washington Redskins (17:0) Super Bowl XXI.
Da hatte CBS-Kommentator und NFL-Ikone John Madden die Stärken der Franchise längst erkannt: "Ich dachte, die Bears hätten die beste Defense. Aber nach den letzten zwei Wochen habe ich das Gefühl, dass die Giants wohl über die beste Abwehr verfügen, die je in der NFL gespielt hat." Im Rose Bowl von Pasadena führten LT und die wiedererstarkte Offense von QB Phil Simms die G-Men zu einem 39:20-Erfolg über John Elway und die Denver Broncos.
Gleichzeitig wurde Taylor mit 20,5 Sacks zum MVP der Regular Season gewählt. Eine Ehrung, die kein weitererer Defensivspieler in den folgenden 30 Jahren einheimsen sollte. Er war auf dem absoluten Höhepunkt angekommen.