Im Licht und Schatten des Big Apple
Sein Alter Ego "LT" half dem Modellathlet, furchtlos und aggressiv die Reihen des Gegners zu sprengen. Die Zuschauer liebten sein spektakuläres Spiel, die Sprechchöre im Stadion waren kaum zu überhören. Nachdem in den 80ern weder die Yankees noch die Knicks in den All-American Sports einen Titel holen konnten, war der Big Apple wieder wer - und Taylor sein größter Star.
Doch abseits der Mannschaft konnte Lawrence Taylor diesen "LT", seine aggressive, überbordende, unbekümmerte Seite, nicht mehr abschalten. "Als Football-Spieler weiß ich alles über Football. Ich weiß jeden Spielzug auf dem Platz, weiß was jeder Spieler zu tun hat, ich weiß vorher schon was passiert. Im Spiel des Lebens habe ich allerdings meine Schwierigkeiten", musste er später zugeben.
Die ihm zu Füßen liegende Großstadt, die niemals schlief, tat ihr Übriges. "Von 8 bis 16 Uhr gehörte ich Bill Parcells, danach war meine Zeit. Eine problematische Zeit, in der ich machen konnte, was ich wollte. In New York gab es keine Grenzen, keine Disziplin. Dort habe ich mir die Nächte um die Ohren geschlagen", so Taylor, der in zwei Autobiographien später schonungslos auspacken sollte. Er blieb bis in die frühen Morgenstunden in den angesagten Klubs, traf Stars und Sternchen. Dann kamen Kokain, Crack und Alkohol dazu, er vernachlässigte seine Familie auf der anderen Seite des Hudson in New Jersey. Keine halben Sachen - diese Parole galt nicht nur für den Sport, sondern auch für Frauen und (il-)legale Drogen.
"Die Begeisterung sinkt"
Diese Facette seiner Persönlichkeit zeigte er nicht nur in der High Society, sondern auch bei Defensive Coach Bill Belichick. Der damals noch unerfahrene Coach hatte mit Taylors Art zu kämpfen. "Er schlief oft während meines Taktikunterrichts. Er meinte, er wüsste alles über die Defense, war gereizt", so der heutige Star-Trainer der New England Patriots. Auch Bill Parcells bekam Probleme mit seinem Superstar, nahm ihn aber stets in Schutz. "Wir hatten oft Meinungsverschiedenheiten bezüglich der taktischen Ausrichtung, aber bei der Nationalhymmne stand er immer neben mir."
Bereits nach dem Gewinn der Vince Lombardi Throphy 1986 hatte der psychische Zustand des MVPs Fragen aufgeworfen: "Alle waren glücklich, aber ich fühlte mich ausgelaugt. Ich habe jede Auszeichnung gewonnen, war MVP und habe den Super Bowl geholt. Ich war ganz oben, oder? Was kommt als nächstes? Nichts. Die Begeisterung sinkt, wenn die Jagd vorbei ist." Also holte er sich den Kick auf andere Art und Weise. Und auch sein Team und die NFL hatten schnell genug von ihm. Nach seinem zweiten positiven Drogentest wegen Kokain suspendierten die Giants ihren Franchise-Spieler 1988 für dreißig Tage, nachdem der erste Vorfall 1987 noch unter Verschluss gehalten worden war.
Der zweite Ring und das Karriereende
Nach einem Aufenthalt in einer Entzugsklinik kehrte LT auf den Platz zurück, als wäre nichts gewesen. Seine Sack-Statistik zeigte die gewohnte Marke von 15 pro Saison. 1988 und 1989 reichte es nicht zum großen Wurf, doch ein Jahr später war erneut die Defensive Garant für den 13-3-Run der Giants in die Postseason. Zum Vergleich: Die Offense um QB Jeff Hostetler hatte nur zweimal über 30 Punkte erzielt.
In der Postseason setzte sich das Spiel fort. Ein souveränger Sieg über die Bears, ein Thriller gegen die Niners - und dann krönten sich die Giants erneut zum Champion, weil Bills-Kicker Norwood Sekunden vor Schluss das Field Goal zum Sieg verfehlte. Verantwortlich für den Ring zeigte sich erneute die Defense, da die Offense zwar mit 40:33 Minuten einen neuen Ballbesitzrekord aufstellen, aber mit nur 20 Punkten das Spiel nicht frühzeitig entscheiden konnte.
Nach dem Herzschlagfinale legte Coach Parcells sein Amt nieder, was auch bei Taylor einen bleibenden Eindruck hinterließ. Die Lust ließ nach, die Leistungen ebenso. Nach einer 49:3-Schlappe gegen die 49ers beendete er 1993 mit 34 Jahren seine beispiellose Laufbahn. Er wurde von den Fans feierlich aus dem Giants-Stadium begleitet - und seine Nummer 56 nie mehr vergeben.
Von Dämonen verfolgt
Auf dem Platz war Taylor also keine Gefahr mehr für seine Gegner - doch privat blieb LT eine ständige Bedrohung. Seine Ehe zerbrach am erneuten Drogenrückfall, nur ein Entzug rettete ihn 1996 vor einer Gefängnisstrafe. Vom "Fall des Riesen" war zu lesen: Taylor, der vor Kameras mit einem breiten Grisen zu Höchstform auflief, sei in Wahrheit depressiv. Auch um seine finanziellen Probleme zu kaschieren, versuchte sich er sich in Hollywood und trat in Filmen wie "An jedem verdammten Sonntag" und "Waterboy" als Schauspieler in Erscheinung.
Um den Versuchungen zu widerstehen, zog er schließlich von New Jersey ins Privatier-Paradies Florida. Dort versuchte er mit seiner zweiten Frau in Ruhe seinen Adoptivsohn aufzuziehen, und widmete sich dem Golfen.
Mit Drogen und dem Partyleben hat er heute nach eigener Aussage nichts mehr am Hut: "Ich brauche keinen Alkohol mehr, um Spaß zu haben. Ich habe ihm abgeschworen, solange meine Gesundheit auf dem Spiel steht. Es war gar nicht so schwer." Die "Dämonen" der Drogensucht würden ihn jedoch für den Rest seines Lebens verfolgen.
Skandale folgten ihm ebenfalls: 2010 ließ er sich mit einer minderjährigen Prostituierten ein und kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Sein gleichnamiger Sohn musste nach der Vergewaltigung einer 13-Jährigen im Mai 2015 für zehn Jahre ins Gefängnis.
Ein "LT" für LT
Allen Skandalen und Verfehlungen zum Trotz: Als vielleicht bester Defensivspieler aller Zeiten bleibt Lawrence Taylor eine Legende. Als er am 7. November 1999 in die Hall of Fame aufgenommen wurde, blieb heftiger Gegenwind nicht aus - die "Hall of Shame" sei ein angemessenerer Platz für ihn, gifteten Kritiker. Den Fans war das egal. Sie feierten seinen schmallippigen Auftritt ("Ich danke ihnen, dass sie mir erlauben, hier zu sein.") mit stehenden Ovationen und skandierten seinen Spitznamen, den er stets als Ohrring trug. "LT! LT! LT!".
Den Respekt seiner Gegner hatte er ohnehin nie verloren. "LT war aggressiv und hat mich hart getroffen. Aber es war nie unter der Gürtelllinie", so sein Lieblingsopfer Ron Jaworski. Und New York Times-Autor Dave Anderson schrieb: "Die Essenz von Lawrence Taylor ist seine unbedingte Ehrlichkeit. Wenn du ihm eine Frage stellst, bekommst du eine Antwort. Nicht immer das, was Trainer und General Manager hören wollen, aber entwaffnend ehrlich."
Als Football-Spieler hat Taylor alles erreicht. Das Spiel des Lebens führte er mit der gleichen Härte und Rücksichtlosigkeit - und fügte dabei nicht nur sich selbst Schaden zu, sondern auch seinem Umfeld. LT, der selbsternannte "Bad Motherfucker", hätte wohl selbst einen "LT" gebraucht: Einen Left Tackle, der seine Schwachstellen, seine Blind Side im Auge behält. Mit seinem Alter Ego hat er abgesschlossen - doch gewonnen ist dieser Kampf noch lange nicht.
Seite 1: Taylor küsst die Riesen wach