Eines kann man Colin Kaepernick definitiv nicht vorwerfen: Am Einsatz mangelt es nicht. Im vergangenen Sommer investierte er seine Freizeit, um mit Quarterback-Legende Kurt Warner an seinen Schwächen zu arbeiten. Es ging um Kaepernicks Fußarbeit, seine Wurftechnik und darum, wie man auch komplizierte Defenses noch besser liest und die richtigen Schlüsse daraus zieht. Es gab Theorie- und Praxis-Einheiten und erste Berichte ließen positive Schlüsse zu.
Und tatsächlich: Beim überraschend eindeutigen Auftaktsieg gegen die Minnesota Vikings zeigte Kaep vielversprechende Fortschritte. Er fühlte sich in der Pocket merklich wohler und ging durch seine Reads, statt sofort loszulaufen wenn sein erstes Ziel gedeckt war. Doch zum Leidwesen aller Niners-Fans war es keine Vorschau auf die Dinge, die folgen würden. Es sollte, zumindest bislang, vielmehr die Ausnahme bleiben.
Während der 27-Jährige gegen Pittsburgh zumindest noch ein statistisch akzeptables Spiel ablieferte - vor allem bedingt durch späte Punkte, als das Spiel längst entschieden war - demontierte er sein Team eine Woche später gegen Arizona: Gleich zwei Interceptions, die zum Touchdown zurückgetragen wurden, warf er im ersten Viertel. Am Ende stand er bei neun Completions für 67 Yards Raumgewinn. Und bei vier Picks.
Gegen Green Bay konnte er dann die herausragende Leistung der eigenen Defense nicht belohnen, weil es ihm schlicht nicht gelang, die Offense auch nur im Ansatz zu bewegen. 160 Passing Yards, kein Touchdown und eine Interception standen am Ende zu Buche, gemeinsam mit der Erkenntnis: San Franciscos Offense hat ein gewaltiges Problem.
Alles zu einfach?
Schon nach dem Duell mit den Cardinals war Besorgniserregendes durchgesickert. Arizonas Safety Tyrann Mathieu verriet, das Playbook der Niners-Offense sei derart vereinfacht gewesen, dass man als Defense die kommenden Spielzüge vorhersagen könne.
"Jeder weiß, welche Art Quarterback Colin Kaepernick ist", führte Mathieu weiter aus. "Er kann dich im Passing Game schlagen, wenn du das zulässt. Aber häufig sind ihre Pass-Konzepte so entworfen, dass er nach dem Snap zu seiner Rechten geht, um einen einfacheren Read zu haben. Aber im Prinzip teilst du damit das Feld in zwei Hälften auf. Das macht es für für den Quarterback zwar einfach, den Spielzug zu lesen - gleichzeitig erlaubt es aber auch der Defense zu antizipieren, wo der Pass hingeht."
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Das Resultat: Arizona konnte seinen aggressives Blitz-Stil aufs Feld bringen, was Kaepernick wie schon gegen Green Bay immer wieder Probleme bereitete und letztlich Turnover oder schnelle Punts erzwang. San Francisco ist seit dem Jahr 2000 erst das siebte Team, das in zwei seiner ersten vier Saisonspiele nicht über einen Touchdown hinaus kam.
Darüber hinaus, auch das kommt an dieser Stelle kaum überraschend, verzeichnet kein Team weniger Passing-Yards pro Spiel als die 49ers (158,8) und nur Detroit (6,2) steht bei den Yards pro Passversuch hinter San Francisco (6,3). Zugegeben: Die nackten Pass-Zahlen sind nie nur am Quarterback festzumachenund die Niners stellen in Bezug auf Pass Protection die statistisch viertschwächste O-Line. Doch freisprechen kann man Kaepernick deshalb längst nicht. Vielmehr bleibt die Frage: Wo gilt es anzusetzen?
"Etwas, das ich künftig korrigiere"
So fand zwischen den Spielen gegen Arizona und Green Bay eine Überkorrektur statt. Während Kaepernick gegen die Cardinals sichtlich das Risiko suchte, spielte er gegen die Packers viel zu konservativ. "Ich habe unser Team gegen Arizona in eine schlechte Ausgangslage gebracht. Das wollte ich nicht wieder zulassen. Gegen Green Bay hat uns das geschadet, ja. Aber das ist etwas, das ich künftig korrigiere", gelobte er anschließend.
Vor allem aber lassen die vergangenen Wochen darüber im Unklaren, was der neue Trainerstab in San Francisco mit Kaepernick vorhat. Offensichtlich soll das Running Game weiter ein wichtiges Element bleiben: In keinem Spiel hatte Kaep weniger als sieben Run-Versuche oder weniger als 5,7 Yards pro Run. Doch davon abgesehen herrschen vor allem Fragezeichen. Torrey Smith, als Deep-Pass-Receiver für viel Geld verpflichtet, um das Feld auch für das Laufspiel zu öffnen, ist bislang beispielsweise überhaupt kaum ein Faktor.
Ganze 17 (!) Bälle flogen bislang in seine Richtung, und damit weniger als etwa in die von Jets-RB Bilal Powell oder Dolphins-WR Greg Jennings. Gleichzeitig gibt es allem Anschein nach auch keinen auf kurze, schnelle Pässe ausgelegten Gameplan - wenn doch, wird dieser zumindest nicht konsequent umgesetzt. Die Tatsache, dass sich Tight End Vernon Davis angeschlagen durch die Saison kämpft und der als Passfänger profilierte Running Back Reggie Bush bislang weitestgehend ausfiel, hilft hierbei so oder so wenig.
Harter Wandel, harter Vertrag
Zusammengefasst: San Franciscos Offense fehlt die Identität - und Kaepernick, der im Alleingang längst noch kein Team tragen kann, leidet darunter. Die Niners schaffen es (noch) nicht, Kaep primär konstant in der Pocket zu halten und ihm die Waffen zu geben, die er daraus auch in Szene setzen kann. So muss sich der Mann, der vor einigen Jahren Alex Smith mit wehenden Fahnen verdrängte und die Liga im Sturm eroberte, an eine andere Spielweise gewöhnen - ohne, dass er dabei wirklich Unterstützung erhält.
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Der intensive Fokus auf Kaepernick als Runner funktioniert mittlerweile einfach nicht mehr. Die Liga hat sich seit der Rookie-Saison von Robert Griffin III 2012 auf die Read Option und die laufenden Quarterbacks generell deutlich besser eingestellt. Zwar betonte Kaep unter der Woche ausdrücklich, dass er keine Angst um seinen Job habe, doch die Realität sieht womöglich ganz anders aus.
Durch die Beschaffenheit seines bis zu 114 Millionen Dollar schweren Vertrages können die 49ers ihren Quarterback nach der Saison entlassen, ohne dabei finanzielle Einbußen schlucken zu müssen. Da Kaepernicks Backup Blaine Gabbert heißt und der selbst dem schärfsten Kaep-Kritiker nur bedingte Argumente gibt, ist ein Wechsel im Laufe der Saison unwahrscheinlich - zumal San Francisco die Zeit nutzen will, um im Frühjahr eine möglichst fundierte Entscheidung auf der Quarterback-Position treffen zu können.
Der Vorteil für die G-Men
Auch am Sonntagabend, wenn der Trip zu den New York Giants auf dem Programm steht, sollte sich Kaepernick mehr auf seinen Arm als auf seine Beine verlassen. Die Giants haben die Buffalo Bills in Week 4 überraschend souverän geschlagen und dabei Tyrod Taylor, ebenfalls einen mobilen QB, gut unter Kontrolle bekommen.
"Das ist schon gut für uns, denn wir haben uns in der vergangenen Woche auf einen sehr ähnlichen Spielertyp vorbereitet. Wir müssen einfach die gleichen Dinge weiter umsetzen", bestätigte Linebacker Mark Herzlich. Defensive Tackle Jay Bromley fügte hinzu: "Im Prinzip ist es der gleiche Game Plan. Es geht darum, den Quarterback in der Pocket zu halten."
Ähnlich wie Buffalo will auch San Francisco seine Offense über Running Back Carlos Hyde laufen lassen, was bislang aber nur gegen Minnesota funktionierte. Und die Giants-Defense war bislang auch ohne den nach wie vor verletzten Jason Pierre-Paul unerwartet stark gegen den Run: Kein Team lässt weniger Rushing Yards pro Spiel zu als New York (69,8), und auch bei Yards pro Run-Versuch (3,1) ist niemand stärker.
"Kaep wird seinen Rhythmus finden"
"Kaepernick ist ein gefährlicher Quarterback, auch im Passing Game", mahnte D-Liner Cullen Jenkins dennoch. "Es ist kein Geheimnis, dass er bisher die eigenen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Aber er ist dennoch ein guter Quarterback und stand bereits im Super Bowl. Ich bin mir sicher, dass er früher oder später seinen Rhythmus finden wird."
Doch die Giants haben in dieser Saison schon bewiesen, dass sie Offenses Probleme bereiten können, die deutlich besser in die Saison gestartet sind als die der Niners. Obwohl Receiver Victor Cruz weiterhin ausfällt, findet die eigene Offense darüber hinaus ebenfalls ihren Rhythmus. Trotz zweier unnötiger und selbstverschuldeter Pleiten zum Auftakt hat New York nach nunmehr zwei Siegen in Folge in der NFC East angesichts der Verletzungssorgen in Dallas und der Probleme der Eagles alle Chancen.
"Es tut gut, an diesem Punkt in der Saison zu wissen, dass man vorne mitmischt", gab Coach Tom Coughlin am Montag zu, allerdings nicht ohne prompt hinterher zu schieben: "Vor uns liegt noch ein langer Weg." Linebacker Jon Beason ist sich sicher: "Die Jungs erfüllen ihre Rollen immer besser. Wir haben verschiedene Aufstellungen, in denen verschiedene Spieler ihren Teil beitragen können. Die Coaches erkennen gut, wer was kann und übertragen das auf den Platz."
Die Aufgaben für Kaepernick und San Francisco, so viel ist klar, werden bei allem Einsatz also nicht leichter. Es wird Zeit, dass die Offense ihren Rhythmus findet. Andernfalls könnte das Kapitel der Nummer 7 in der Bay Area deutlich schneller beendet sein, als sich das vor zwei Jahren irgendwer hätte träumen lassen.