Bama im Herzen - und im Weg

Marcus Blumberg
11. Januar 201620:57
Dabo Swinney will gegen seine große Liebe den größten Triumph seiner Karriere feierngetty
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Vor dem National Championship Game des College Football Playoffs zwischen Alabama und Clemson (Di., 2.30 Uhr) stehen die Coaches im Mittelpunkt. Auf der einen Seite der erfahrene und extrem erfolgreiche Nick Saban, auf der anderen der stets fröhliche, aber noch recht unbeschriebene Dabo Swinney, der eine harte Zeit hinter sich hat und auf seine große Liebe trifft. SPOX vergleicht die Übungsleiter, die doch einiges gemeinsam haben.

"Ich glaube, ich muss es so deutlich sagen: Ich werde nicht Alabama-Coach!" Diese Worte sprach Nick Saban, seines Zeichens Head Coach der Miami Dolphins, am Ende der Saison 2006 nach wochenlangen Spekulationen. Damit war Ruhe - dachte man zumindest. Nur wenige Wochen später wurde Saban dann auf einer Pressekonferenz in Tuscaloosa offiziell vorgestellt - als Head Coach der University of Alabama!

Zu der Zeit war Dabo Swinney noch als Assistant Head Coach im 460 Kilometer nordöstlich entfernten Clemson tätig, nachdem der aus Alabama stammende glühende Verehrer und Alumnus Jahre zuvor als Positions-Coach der Crimson Tide entlassen wurde. Dennoch schlägt sein Herz noch heute für "Bama".

National Championship

Beide Coaches - der 46-jährige Swinney sowie der 64-jährige Saban - sind zwar oberflächlich betrachtet von Grund auf verschieden, jedoch eint sie der Erfolg, zumindest in dieser Saison. Beide haben den Weg ins National Championship Game des College Football Playoffs geschafft. Während die Tigers Oklahoma im Orange Bowl überzeugend besiegt hatten, ließ Alabama den überforderten Michigan State Spartans beim 38:0-Shutout keine Chance.

Während es für Swinney das größte Spiel seiner Karriere ist, geht Saban mit erheblich mehr Routine in die Partie in Glendale/Arizona. Er hat bereits vier nationale Meisterschaften auf dem Konto, drei davon mit Alabama und hat noch nie ein solches Finale verloren. Auch wenn Clemson, das 14-0 ist und somit als erstes Team überhaupt eine Saison mit 15-0 abschließen könnte, auf dem Papier als Favorit zu gelten hat, ist dennoch Bama das Team, dass es zu schlagen gilt. Basierend auf den letzten Jahren ist dies zwar kein klares Duell David gegen Goliath, aber es geht zumindest in diese Richtung.

Die bisher einzige nationale Meisterschaft für Clemson gelang in der ungeschlagenen Saison (12-0) 1982, seither wurde es eher still um die Tigers und erst Swinney brachte seit Amtsübernahme 2009 den Erfolg zurück.

Ganz anders Alabama, das insgesamt 15 Meisterschaften auf dem Konto hat und dazu mit Bear Bryant den bis dato erfolgreichsten College-Football-Coach (323 Siege, 5 Titel) überhaupt zu den Seinen zählen darf. Auch die Tide machte eine längere Durststrecke durch, gehört aber seit Sabans Amtsantritt wieder zu den besten Colleges im Lande.

"That Boy"

Die Geschichte von Dabo Swinney, der eigentlich William Christopher heißt und zu seinem Spitznamen kam, weil sein ältester Bruder ihn in frühster Kindheit nur "That Boy" nannte, was sich im typischen Alabama-Akzent eben wie "Dabo" anhört, blickt auf eine bewegte und nie einfache Jugend zurück. Im Grunde musste er sein ganzes Leben über Kämpfen - für alles.

Nachdem er von seinem Vater die Liebe zu Alabama quasi eingeimpft bekam, verlor er im Teenager-Alter den Kontakt zu Ervil Swinney, der dem Alkohol verfallen war. Es kam zur Scheidung und er blieb mit seiner Mutter zurück, die nicht mal die Miete für eine kleine Wohnung aufbringen konnte. Und so kam es, dass sich Dabo, als er anfing an der University of Alabama zu studieren, ein Zimmer mit seiner Mutter teilte.

SPOXspoxWas anfangs umständlich wirkte, wurde letztlich zu einer funktionierenden Zweckgemeinschaft, die auch seine Kommilitonen akzeptierten.Später dann gelang es ihm, als Walk-On, also als Student ohne Sportstipendium, den Sprung ins Team von Trainer Gene Stallings zu schaffen.

Den beeindruckte er dann so sehr, dass er trotz sportlicher Defizite am Ende doch ein Stipendium bekam. "Er war ein Durchschnittsspieler", gab Stallings später zu: "Er wollte ein großartiger Spieler sein, aber er war einfach nicht mit sonderlich viel Talent gesegnet. Er hatte viel Herz. Ich wusste, dass er extrem arm war und ich gab ihm ein Stipendium. Und ich bin froh, dass ich es getan hab, denn er brauchte eins."

Abschied auf größter Bühne

Swinneys Spielerkarriere endete schließlich mit seinem Abschluss und einem Master of Business Adminstration 1993. Sein letztes Spiel - er hatte kaum Einfluss - war schließlich der Sugar Bowl am Neujahrstag desselben Jahres. Bama gewann gegen Miami und wurde zum Abschluss der ungeschlagenen 13-0-Saison zum National Champion ernannt. Es sollte zugleich die letzte Meisterschaft der Crimson Tide bis Sabans erstem Titel 2009 sein.

Anschließend diente er sich hoch als Assistent von Stallings, bis dieser schließlich im Jahr 2000 samt komplettem Stab entlassen wurde. Nach kurzer Auszeit heuerte er schließlich bei Clemson an und arbeitete dort unter Coach Tommy Bowden bis zu dessen Entlassung 2008, bevor er dann selbst das Ruder übernahm.

Saban dient sich hoch

Was Nicholas Lou Saban Jr. angeht, war dessen Aufstieg zur gottesähnlichen Figur In Alabama eher konservativ, gewissermaßen unspektakulär. Nach unauffälliger Spielerkarriere diente auch er sich hoch als Assistenzcoach. Seine prägendste Stelle war dabei sicherlich die Zeit als Defensive Coordinator der Cleveland Browns in den 90er Jahren unter Head Coach Bill Belichick. Anschließend ging es zu Michigan State und 2000 schließlich zu LSU, seiner ersten richtig großen Station als Head Coach.

Der größte Erfolg dort war die nationale Meisterschaft 2003 durch einen Erfolg im Sugar Bowl über Oklahoma. Das wiederum ließ die NFL aufhorchen. Er landete schließlich bei den Miami Dolphins, mit der klaren Vorgabe, die damals schon vorherrschende Dominanz seines Mentors und Freundes Belichick in der AFC East zu durchbrechen. Mit mäßigem Erfolg. Zwar hatte das Team zeitweise gute Phasen, darunter auch ein Sieg über die Patriots, doch letztlich stand am Ende seiner zweiten Saison (2006) eine 6-10-Bilanz, was Sabans einzige "losing Season" in seiner Karriere bedeutete.

In der Zwischenzeit wurde in Alabama Head Coach Mike Shula, Sohn des berühmten Don Shula, der mit den Dolphins 1972 die einzige Perfect Season in der Geschichte der NFL hinlegte, entlassen. Die Nachfolgersuche führte schnell zu Saban, der aber davon nichts wissen wollte, jedenfalls nach außen hin. Es kam schließlich zum legendären Dementi, kurz darauf stand Saban als neuer Coach der Crimson Tide auf der Matte.

Swinney zum Anfassen

Kommt man nach Clemson im US-Bundesstaat South Carolina, dann wird man kaum jemanden finden, der ein böses Wort über den Coach verliert. Swinney ist weltoffen, geht selbst einkaufen und auf Leute zu. Auch hat er kein Problem damit, wenn er auf der Straße oder im Supermarkt angesprochen wird. Im Gegenteil: Im Grunde genießt er diese Nähe. Mehr noch: Seit er für Clemson tätig ist, veranstaltet er jährlich mit seiner Frau Kathleen eine Weihnachtsparty in seinem Haus.

Im letzten Jahr ließ er Santa Clause auf seinem Dach auftreten und diesen Süßigkeiten zu den unten wartenden Kindern über ein Transportrohr herunterbefördern. Durch ein Headset flüsterte Swinney dem Weihnachtsmann gar die Namen der Kinder, die entsprechend erfreut waren, dass Santa ihre Namen kannte.

Zudem hat der Coach auch kein Problem damit, seine Dance Moves zu zeigen oder sich selbige von seinen Spielern beibringen zu lassen. Nach Siegen stellt er sie dann in der Kabine unter Beweis - nach 14 Siegen in 14 Spielen hatte er in dieser Saison so einige Anlässe dafür.

Der grimmige Saban

Das komplette Gegenteil zum stets lächelnden Swinney ist der oft gequält und grimmig wirkende Saban, der damit ziemlich gut an Belichick erinnert. Zudem neigt er zur Medienschelte oder generell deutlichen Worten, wenn er damit auf Pressekonferenzen einen gewissen Zweck verfolgt, etwa um eine Nachricht zu senden an den Gegner, die Fans, die eigene Mannschaft oder das Etablissement selbst. Beobachter sprechen oftmals davon, dass Saban während der Saison nie Freude verspürt, geschweige denn versprüht.

Das scheint Methode zu sein: "Er liebt es einfach zu malochen", erklärte es sein Ex-Spieler Barret Jones: "Er genießt es, ins Büro zu kommen und Game-Film zu schauen. Er liebt Training. Er liebt es, sein Team vorzubereiten. Aber er ist nicht immer so drauf. Er macht Witze und liebt es, Leuten das Leben schwer zu machen. Er hat definitiv eine spaßige Seite, die vielleicht nicht jeder sieht."

Vor kurzem sogar lud er die Eltern von potenziellen College-Rekruten zu einer Party ein, dessen Höhepunkt eine Karaoke-Veranstaltung war. Davon berichtete der Ex-NFL-Spieler Corey Miller, dessen Sohn mittlerweile für die Tide spielt. "Er bringt die Karaoke-Maschine raus und alle drehen so richtig auf. Alle tanzten und sangen. Assistenzcoach Burton Burns machte den DJ und wir hatten alle Spaß. Und zehn Fuß neben mir war Coach Saban, der das auch machte", beschrieb Miller die verrückte Szenerie.

Recruiting-Genies

Rein von der Persönlichkeit her sind beide also oberflächlich recht verschieden: Swinney, der viel Leid in seinem Leben erfahren hat - unter anderem auch einen schweren Autounfall seines Bruders, der seither auch an Alkoholsucht litt oder die lange Funkstille zu seinem Vater, mit dem er sich allerdings später versöhnt und bis zu dessen Tod im letzten August sehr gut verstanden hatte - und dennoch immer einen fröhlichen Eindruck macht. Auf der anderen Seite Saban, der trotz seiner schroffen Art doch einen weichen Kern zu haben scheint.

Was ihre fachlichen Eigenschaften betrifft, sind sie jedoch gar nicht so weit auseinander. Beide verstehen es, große Talente zu rekrutieren, die es dann auch in die NFL schaffen. Swinney und Saban sind zwei von nur vier Coaches im College-Bereich, denen es gelungen ist, fünf Jahre in Serie mit ihren Programmen zu den Top-20-Recruiting-Klassen - nach Ansicht von ESPN - zu zählen. Die anderen beiden, denen dies gelang, sind Les Miles (LSU) und Bob Stoops (Oklahoma).

Zudem hing auch Swinney lange ein Zitat nach. Vor dem Orange Bowl 2011 gegen West Virginia proklamierte er die Hoffnung, dass "mehr über Clemsons Defense" gesprochen würde. Gesagt, getan - die Tigers bekamen eine deftige 37:70 Klatsche!

Energie an der Seitenlinie

An der Seitenlinie versprüht Swinney sehr viel Energie, redet viel auf Spieler und Coaches ein, springt mitunter hyperaktiv umher. Saban dagegen steht da und grummelt. Zudem steht Letzterer eher für ein routiniertes, konservatives Auftreten mit einem vom Lauf dominierten System, obwohl er schon diverse Top-Receiver, allen voran Julio Jones und Amari Cooper, hervorgebracht hat. Mit Mark Ingram vor ein paar Jahren und Derrick Henry jetzt hatte er aber eben auch zwei Heisman-Gewinner unter den Running Backs.

SPOXSwinney setzt hier eher auf die modernere Schule: QB Deshaun Watson schickt sich an, auch im im kommenden Jahr mit seinem Arm und seinen Beinen um die Heisman Trophy zu spielen. Und dann wäre da noch sein mutiges Play-Calling.

Im Orange Bowl gegen Oklahoma, man lag im zweiten Viertel 3:7 zurück, ließ er einen Fake-Punt spielen. Punter Andy Teasdall wurde zum Passgeber und bediente den massigen Defensive Tackle Christian Wilkins mit einem Pass für 31 Yards - bei 4th and 4.

"Ich hatte das Gefühl, wir stagnierten ein wenig, waren angespannt", so Swinney: "Ich wollte eine Message senden: 'Wir sind hier, um zu spielen. Lasst uns loslegen!'" Die Nachricht kam an, von da an schwang das Momentum vollends zugunsten von Clemson um.

Saban auf Bryants Spuren

Im Championship Game kreuzen sich nun die Wege dieser zwei eigentlich so verschiedenen, aber am Ende dann doch recht ähnlichen Typen. Ein Titelgewinn wäre für Saban historisch bedeutsam, würde er doch mit Bama-Legende Bear Bryant gleichziehen - beide hätten dann fünf nationale Meisterschaften nach Zählung der Associated Press, die meisten überhaupt. Der Titel würde also Sabans Standing als einer, wenn nicht den besten Coach seiner Generation, festigen.

Für Swinney wäre es natürlich der erste nationale Titel und größte Erfolg seiner noch jungen Head-Coaching-Laufbahn. Und es würde seine Serie fortsetzen, denn seine letzten drei Bowl-Siege kamen allesamt gegen Teams, die seit 2000 mindestens einmal National Champion waren.

Auch könnte durch einen solchen Erfolg die NFL auf ihn aufmerksam werden, wobei es unwahrscheinlich erscheint, dass er seine zweite Heimat - nach Alabama - so schnell verlassen würde. Dazu scheint er zu sehr in die Gesellschaft integriert und bis zur ersten Heimat ist ja auch nicht weit.