In den Playoffs werden Legenden geformt. Ob Aaron Rodgers' unfassbarer Auftritt in der Divisional Round 2010, als die Packers den Top-Seed Atlanta schockten, Kurt Warners Gala für die Rams gegen Minnesota in den 1999er Playoffs oder Peyton Manning, der 2003 im Wildcard-Spiel gegen die Broncos alle Kritiker Lügen strafte: Große Spieler können und müssen auf der großen Bühne große Leistungen abrufen.
Einen solchen Moment erlebten auchdie zunehmend unruhigen Cardinals-Fans am Samstagabend. Green Bays Defense störte schon seit einer ganzen Weile den Rhythmus der an sich so explosiven Cardinals-Offense empfindlich. Quarterback Carson Palmer, seit Saisonbeginn ein Fels in der Brandung und in der besten Saison seiner Karriere, zeigte Nerven. Mehr noch: Er leistete sich einige Würfe, die dieses Spiel endgültig hätten kippen lassen können.
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Doch Palmer und das komplette Cardinals-Team konnten sich an jenem Abend auf ihren Leader verlassen. Larry Fitzgerald riss das Spiel an sich. Er trug die Offense, als das Stadion bedenklich ruhig wurde. Er hielt Drives mit wichtigen Catches am Leben. Er lief den ersten Pass in der Overtime an die 4-Yard-Line der Packers. Er entschied dieses Spiel.
Um die große Bühne wusste er dabei nur zu gut. In den Playoffs zu spielen, so Fitz, "ist das aufregendste, was du machen kannst. Aus dem Tunnel zu kommen und zu sehen, wie die Fans einfach ausrasten, ob für oder gegen dich - nichts ist damit vergleichbar. Du bekommst eine Gänsehaut und hoffst, dass dir ein First-Down-Catch oder ein Touchdown gelingt, der dein Team in Führung bringt. Davon träumst du als Kind."
Nur der Titel fehlt
Es ist ein Traum, den sich Fitzgerald bewahrt hat. Einer, der dieser Tage wieder besonders präsent ist. Andere Ambitionen dagegen ließ er hinter sich: "Wenn du jünger bist, willst du deinen nächsten Vertrag und willst in den Pro Bowl. Es geht viel mehr um dich selbst, du willst dein Resümee ausbauen. Du willst den Ball, du willst Touchdowns. Aber ich habe meine Statistiken. Ich habe Geld. Ich habe alles, abgesehen von dem, wofür wir alle spielen: Einen Titel."
Der schien in den Jahren nach Kurt Warner - der Quarterback trat nach der 2009er Saison zurück - ganz weit weg. Mit einem verheerenden Quarterback-Karussell, bestehend unter anderem aus Kevin Kolb, John Skelton und Derek Anderson, war wenig zu holen - auch wenn Fitz selbst in dieser Zeit zwei Mal die 1.100-Receiving-Yard-Marke durchbrach. Aber er wusste, dass es ein aussichtsloser Kampf war. Umso offener präsentierte sich der Routinier, als Head Coach Bruce Arians und Quarterback Carson Palmer 2013 in die Wüste Arizonas kamen.
Arians funktionierte ihm vom Outside-Receiver zum Slot-Receiver um, ähnlich wie er es schon mit Hines Ward in Pittsburgh gemacht hatte. Fitzgerald war erst nicht sonderlich begeistert, nahm die neue Rolle aber an. Inzwischen liebt er sie. "Ich glaube, kein Receiver blockt besser als Larry. Das ist ein Grund dafür, dass unser Running Game so viel besser geworden ist", erklärte Arians jüngst: "Er übernimmt viel von der Drecksarbeit, bekommt aber viele Catches und viele Touchdowns. Wenn dein Superstar blockt, sollte der Rest der Jungs besser auch blocken."
"Es braucht einen gewissen Charakter"
Arians behielt mit seiner Prognose Recht. Fitzgeralds 109 Receptions in der gerade beendeten Regular Season brachen den Franchise-Rekord, den er selbst vor zehn Jahren aufgestellt hatte, um sechs Catches. Zum ersten Mal seit drei Jahren kam er wieder über 1.000 Receiving-Yards. Darüber hinaus merken die jungen Spieler, wie er sich in den Dienst des Teams stellt - und dafür belohnt wird.
"Jeder will dieser Receiver sein, der den langen Pass an der Seitenlinie bekommt, und den Big Catch hinlegt. Es braucht einen gewissen Charakter, um in der Mitte zu agieren. Larry hilft uns nicht nur im Run Game, er hatte eine seiner produktivsten Spielzeiten als Receiver", brachte es Cardinals-Center Lyle Sendlein auf den Punkt.
Dabei schien noch vor gerade einmal einem Jahr ein komplett anderes Szenario denkbar.
Keine persönlichen Gefühle
Angesichts des enormen Gehalts, das Fitz noch immer kassiert, hielten sich die Wechselgerüchte hartnäckig. Der Mann, der seine komplette Karriere in Arizona verbracht hatte, war plötzlich ein heißer Kandidat für einen Transfer. Aber er wollte nicht weg. Er wollte bei den Cardinals bleiben, er wollte mit diesem Team Erfolg haben.
So stimmte er einer Umstrukturierung seines Vertrags zu - und das ganz ohne Illusionen. "Ich sehe das so: Vor gar nicht allzu langer Zeit war ich noch Balljunge für die Vikings. Damals verehrte ich Cris Carter. Dann haben die Vikings Randy Moss gedraftet. Ich hab gelernt, dass man im Football weitermachen muss. Die Spieler werden jünger und günstiger, das darf man nicht persönlich nehmen. Cris hat das nicht getan und ich habe dabei zugesehen. Er wusste es", blickte Fitzgerald im Sommer beim MMQB zurück.
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Stattdessen stehen für den Receiver, der ein begeisterter Schachspieler ist, längst das Team und das große Bild im Fokus. Eine Lektion, die Warner ihm einst mit deutlichen Vorträgen an der Seitenlinie beibrachte: "Wenn man Coach Arians über die vergangenen Jahre sieht, hatte er immer einige Jungs, die eine Defense tief schlagen können. Emmanuel Sanders, Mike Wallace und Antonio Brown in Pittsburgh, T.Y. Hilton in Indianapolis und jetzt John Brown und J.J. Nelson hier. Das hilft uns allen."
Die Arbeit hört niemals auf
Umgekehrt hilft Fitz seinerseits den jungen Receivern und schließt so den Kreis. Michael Floyd, der wie Fitzgerald aus Minnesota kommt, nahm er sofort unter seine Fittiche, als ihn die Cardinals im 2012er Draft wählten. Floyd war in Fitzgeralds privaten Trainingslagern, der Routinier kritisierte den Youngster bewusst öffentlich, als er einige Tage ausfallen ließ. "Das war meine erste Lektion, wenn es darum geht, ein echter Profi zu sein. Du musst immer härter arbeiten als der Typ neben dir", so Floyd in der Players Tribune.
Für Fitzgerald fing das schon früh an: Schon sein Opa ließ ihn Übungen machen, um seine Augen und damit sein Reaktionsvermögen zu stärken. Bereits als Sechsjähriger arbeitete Fitz an seiner Hand-Auge-Koordination. "Oh, es ist wirklich cool, Larry als Mitspieler zu haben", schwärmte David Johnson, der explosive Rookie-Running-Back der Cardinals: "Vor allem wenn du weißt, dass er mit dir auf dem Platz steht. Viele Gegner richten sich noch immer auf ihn aus und denken nicht so stark über uns Running Backs nach. Das hilft enorm."
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Auch mit 32 Jahren geht Fitzgerald noch immer mit eigenem Beispiel voran. Er arbeitet detailversessen und überlässt nichts dem Zufall. Ob es nun darum geht, den Mitspielern im Training zu zeigen, wie eine Route in Perfektion zu laufen ist, wie man sich einen Cornerback vom Leib hält oder worauf es beim Gegenspieler zu achten gilt. Er ist - und das wurde nicht nur gegen Green Bay am vergangenen Samstagabend mehr als deutlich - der unumstrittene Leader des Teams.
Höflichkeit schlägt Trash Talk
Auf dem Platz fügt er dann noch eine Qualität hinzu, die man im Football nicht aller Tage findet: Larry Fitzgerald ist der vielleicht netteste Spieler in der NFL. "Ich bin niemand, der große Reden schwingt. Wenn mich jemand auf professionelle, höfliche Art anspricht, dann unterhalte ich mich vielleicht kurz mit ihm. Aber wenn jemand eine Schlammschlacht starten will, dann halte ich mich da raus. Das ist nicht meine Art", erklärt er selbst.
Fitzgerald verschickt Geschenke auch an Spieler anderer Teams, er fragt, wie es den Brüdern oder Eltern geht -und verpackt all das nicht als Trash Talk. Cornerbacks wissen bereits, was sie erwartet, wenn es gegen die Cardinals geht. Ex-Steelers-CB Ike Taylor erklärte im Wall Street Journal: "Er ist einfach ein ehrlicher, netter Mensch. Man kann da nicht mit Trash Talk dagegenhalten."
Die Zeit läuft davon
Allerdings sollten Gegenspieler nicht den Fehler machen, diese Höflichkeit mit Nachlässigkeit oder gar Schwäche zu verwechseln. Fitzgerald spielt noch immer mit Feuer und Leidenschaft - und er weiß, dass sein Zeitfenster schrumpft. Er selbst hat die 30 schon geknackt, Palmer ist bereit 36: "Mir ist klar, dass ich keine fünf Jahre mehr habe, um in den Super Bowl zu kommen."
Vor sieben Jahren war es bereits soweit. Fitzgerald reihte Playoff-Rekord an Playoff-Rekord, als er und Warner Underdog Arizona in den Super Bowl führten. Seine Receiving-Yards (546), Receptions (30) und Touchdowns (7) waren allesamt neue Bestmarken in einer Postseason. Er selbst denkt gern daran zurück: "Auch wenn wir ihn am Ende nicht gewonnen haben: Auf der größten Bühne im Super Bowl zu spielen und der Weg dahin mit all diesen Jungs - das hat es wirklich besonders gemacht. Hoffentlich können wir in diesem Jahr einige neue Erinnerungen schaffen."
Gegen Pittsburgh waren die Cards damals klarer Underdog. Zweieinhalb Minuten vor dem Ende brachte Fitzgerald Arizona mit einem 64-Yard-Touchdown in Führung, doch Ben Roethlisberger und sein damaliger Offensive Coordinator Bruce Arians durften an jenem Abend in Tampa Bay als letztes lachen. Gegen die Panthers kann Arizona am Sonntag im NFC-Championship-Game erneut in das ganz große Spiel einziehen. Und Fitzgerald könnte seine ganz eigene Legende mit zwei weiteren Siegen vollenden.