Samstag, 23. Januar. Noch einmal schlafen, dann treffen die Denver Broncos im AFC Championship Game auf die New England Patriots. Zwar ein Heimspiel für die an Nummer eins gesetzten Broncos, dennoch sind sie Außenseiter. Wie also kann Head Coach Gary Kubiak noch einmal die letzten Prozent aus seiner Truppe herauskitzeln? "Am Abend vor dem Spiel halte ich immer eine kleine Ansprache, aber dann darf auch noch ein Spieler zum Team sprechen, bevor wir Feierabend machen", erklärt er später.
Da würde sich natürlich Peyton Manning anbieten. Fünffacher MVP, so etwas wie der Grandseigneur seines Sports, wenn auch mit 39 schon längst im Zwielicht angelangt. Er könnte etwas sagen über seine langjährige Rivalität mit den Pats, mit Coach Belichick oder Quarterback Tom Brady, gegen den er zum 17. Mal spielen wird. Er könnte über seine drei Super-Bowl-Teilnahmen sprechen, eine Anekdote aus seiner Karriere erzählen. Oder über seine schwierige Saison, mit Verletzung, Comeback, nun Game-Manager.
"Der perfekte Spieler für diese Situation"
Stattdessen überlässt Kubiak, der am 7. Februar als erster Coach mit dem gleichen Team als Spieler und als Trainer Super-Bowl-Sieger werden könnte, DeMarcus Ware das Wort. Der 33-Jährige war erst vor zwei Jahren zum Team gestoßen, genießt als potenzieller Hall of Famer (134,5 Sacks sind Platz elf der ewigen Bestenliste) aber großen Respekt. "Ich dachte, dass er der perfekte Spieler für diese Situation wäre. Wenn man daran denkt, was er in seiner Karriere alles erlebt hat", so Kubiak.
Als Ware davon erfährt, geht er noch einmal in den Fitnessraum, um seine Gedanken zu sammeln. Was kann er seinen Teamkollegen mitgeben, fragt er sich zwischen den Gewichten und klobigen Geräten. Das Gym, so etwas wie das Allerheiligste für Footballer.
Sprüche 27, 17
Ware kennt es seit nun elf Jahren. Neun Jahre davon verbrachte er bei den Dallas Cowboys, wurde zum Defensivanker und Alptraum eines jeden Quarterbacks. Sammelte sieben Einladungen zum Pro Bowl, war bei den Fans wie Teamkollegen gleichermaßen beliebt. Doch nach einer von Verletzungen geplagten Spielzeit 2013 mit nur sechs Sacks geht das Geschäft vor. Die Cowboys cutten ihn, er ist zu teuer, ein zu großes Risiko. Also schlägt Broncos-GM John Elway zu, holt den Veteranen nach Denver. Für seine Leistungen auf dem Feld, natürlich. Aber vielleicht ein klein wenig auch für solche Momente, vor dem wichtigsten Spiel der Saison.
Coin Toss XXL: "20 Punkte aufs Scoreboard zaubern"
Der 1,93-Mann geht umher. Nicht mehr ganz so leichtfüßig wie noch vor einigen Jahren, als er die Schnelligkeit eines Wide Receivers mit der Power eines Linebackers verband. Er hat zwei starke Spielzeiten in Colorado abgeliefert, war nach dem ersten Saisonmonat mit 4,5 Sacks in vier Spielen sogar ein Kandidat für den Defensivspieler des Jahres. Dann kamen jedoch wieder Verletzungen dazu: Sein Rücken zwingt ihn zu fünf Spielen Pause, auch das linke Knie ist nicht schmerzfrei. Gegen die Steelers spielt er mit Bandage, aber er spielt gut. Jetzt wartet der Champion, mit einem Tom Brady, dem trotz einer löchrigen Offensive Line kaum beizukommen ist, so schnell verlässt der Ball seine Hand.
Dann fällt sein Blick auf ein Plakat an der Wand. "Eisen schärft Eisen", steht dort. Ein Zitat aus Sprüche 27, Vers 17. Vollständig heißt der Satz: "Eisen schärft Eisen, ebenso schärft ein Mensch einen anderen."
In diesem Moment weiß Ware, worüber er sprechen wird.
"Soll das ein Witz sein?"
All reden immer nur über Manning, sein vielleicht letztes Spiel, einen möglichen Abschied a la Elway, der sich 1997 und 1998 nach großer Karriere mit zwei Titeln verabschiedete. Aber das Team hat auch andere große Spieler zu bieten, in denen das Feuer mindestens genauso heiß brennt. "Ich glaube, dass viele Spieler das nicht realisieren", sagt Kubiak. "Sie schauen zu ihm auf, zu seiner Karriere, seinem Erfolg. Aber sie hatten keine Ahnung, dass er noch nie in einem Championship Game gespielt hatte."
Deshalb weiß DeMarcus Ware um den Moment - und wie selten er sich bietet. Dreimal hat er in neun Jahren in Dallas die Postseason erreicht, ein Spiel gewonnen. "[Meine Teamkollegen] haben mich tatsächlich einmal gefragt, ob ich bereit bin", verrät er. "Ich sagte: 'Soll das ein Witz sein?' Was soll das heißen: 'Bin ich bereit?' Ich habe [in den Playoffs] viermal verloren - und jetzt die Möglichkeit, etwas Großes zu erreichen."
Solchen Ansprachen haftet manchmal etwas übertrieben Dramatisches, fast schon Pathetisches an. Gerade im Rückblick und von außen. Doch an diesem 23. Januar zieht Ware das Team in seinen Bann, als er davon spricht, wie man in schwierigen Zeiten zusammengehalten habe, trotz der Verletzungen und Ausfälle. Wie andere in die Bresche gesprungen waren. Eisen schärft Eisen, ein Mitspieler schärft den anderen. Man hilft sich, reibt sich auch, aber macht sich so gegenseitig besser. "Wir haben über die gesamte Saison Charakterstärke gezeigt" betont er. "Wir haben dieses Eisen zerschlagen und eingeschmolzen, denn nur so kann es noch härter werden."
Einfach nur Gänsehaut
Und dann holt der elfte Pick des Drafts von 2005, ein Mann der leisen Töne, der sich in seiner Freizeit auch gerne mal mit einem Glas Wein und einer Gibson Les Paul in der Hand zurückzieht ("Musik war immer meine erste Liebe"), ein ganz besonderes Mitbringsel hervor und stellt es auf den Tisch. Ein Traum in Silber.
Es ist die Vince Lombardy Trophy von 1998.
"In diesem Moment wurde es sehr still", erinnert er sich Tage später. "Ich habe es in den Augen der Jungs gesehen. Gesehen, was sie fühlten - weil ich genau das Gleiche fühlte. Von da an wusste ich, dass es ihnen genauso viel bedeutet wie mir."
Aqib Talib zum Beispiel, dem Cornerback, der die Two-Point-Conversion von Brady entscheidend ablenken wird. "Das war wahrscheinlich eine der besten Ansprachen, die ich je gehört habe", staunte er. "Das hat uns alle nicht kalt gelassen. Einfach nur Gänsehaut." Ware hätte die Ansprache lieber direkt vor Kick-Off halten sollen, meinte er in Richtung T.J. Ward. Die Antwort des Linebackers: "Spielt keine Rolle. Ich werde sie morgen früh immer noch spüren."
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Für Peyton - und DeMarcus
Am Sonntag wird DeMarcus Ware wieder auf Quarterback-Jagd gehen. Die meiste Zeit auf der rechten Seite der Defensive Line, gegen Left Tackle Michael Oher, der seine eigene Geschichte zu erzählen hat. Ihm gegenüber wird Von Miller versuchen, Cam Newton irgendwie zu erwischen - für Ware eine "Hasenjagd". Der hochtalentierte, aber oft durch Disziplinlosigkeiten auffallende Pass Rusher Miller war der Erste, den Ware nach seiner Ankunft unter seine Fittiche nahm. Spricht man Miller heute auf sein "Idol" an, findet der kaum Worte. "DeMarcus.... er ist einfach... ich weiß nicht. Er kam einfach zur richtigen Zeit. Ich bin jetzt ein anderer Mensch, und er hat einen großen Anteil daran."
Peyton mag im Rampenlicht stehen, wenn es in die letzten 60 oder mehr Minuten der Saison geht. Aber die Nummer 94 in orange sollte man nicht vergessen. "Wir wollen es für DeMarcus schaffen", beteuert Miller. Und Receiver Demaryius Thomas, der mit Ware ja nie das Feld teilt, weiß ebenfalls, was die Stunde geschlagen hat. "Das Motto ist: Ein Titel für Peyton, ein Titel für DeMarcus."
Ist das alles? "Naja, ein Titel für alle anderen wäre auch nicht schlecht."