Jared Allen saß auf seinem Pferd im verschneiten Minnesota, seiner Wahlheimat. Keine Tränen, keine Pressekonferenz, keine seichte Ansprache. Ein kurzes "Danke" und kurz darauf war er auch schon weg - davon geritten, in den buchstäblichen Sonnenuntergang.
Die Saints am Scheideweg: Wieder ins Unbekannte?
Allen hatte gerade das Ende seiner bemerkenswerten Profi-Laufbahn verkündet, und die Art und Weise ähnelte beeindruckend der Herangehensweise an seine gesamte Karriere. Ohne künstliche Emotionen und stets mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Football war und ist für ihn ein Spiel, und genau so ging er damit um.
Deshalb entschied er sich etwa 2010, damals als einer der besten Verteidiger der Liga, im "Jackass"-Film mitzuspielen - und Johnny Knoxville einen ordentlichen Blind-Side-Hit mitzugeben. "Ich wollte eigentlich, dass der Hit über die Mitte kommt. Dann haben wir das gemacht, aber Jared hat gesagt: 'Ich bin ein Defensive End, die Blind Side ist meine Spezialität.' Und dann haben wir es so gemacht", berichtete ein sichtlich gezeichneter Knoxville anschließend.
Madden-Cover mit Vokuhila?
Mit der gleichen Ironie verteidigte er für mehr als ein Jahrzehnt seinen Vokuhila, selbst als er 2011 einer von drei Finalisten für das Madden-Cover war. "Wenn ich gewählt werde, dann glätte ich meine Matte und sorge dafür, dass sie so trashig wie möglich aussieht. Du musst die Dinge, die dich so weit gebracht haben, hervorheben", grinste Allen.
Der NFL-Offseason-Fahrplan: Draft, Free Agency und Co.
Und so schloss er mit seinem Twitter-Video einen Kreis - denn genauso bodenständig und ohne große Fanfaren war Allen 2004 in die NFL gekommen. Zwar dominierte der Pass-Rusher im College (41,5 Sacks, 13 Forced Fumbles), allerdings tat er das bei Idaho State: Ein College in einer kleinen Division, mit physisch klar unterlegenen Gegenspielern.
"Er wollte immer gewinnen, mehr, als jeder Mensch den ich kenne", berichtete College-Mitbewohner Patrick Henry: "Jared ist ein toller Freund, der gerne Spaß hat, aber auch so aufrichtig ist, wie man es sich nur vorstellen kann." Dennoch dauerte es letztlich bis in die vierte Runde, ehe ihn die Kansas City Chiefs im Draft wählten. Sie wurden nicht enttäuscht: Allen gelangen in vier Jahren 42 Sacks, er wurde blitzartig zum besten Chiefs-Pass-Rusher.
Goldener Ausweg Minnesota
Trotzdem sollte es keine Ehe auf Dauer werden. Kansas City zögerte, als nach vier Jahren die Vertragsverhandlungen anstanden, Allen wollte einen langfristigen Deal - und nicht unter dem ungeliebten Franchise Tag spielen. Der Ausweg hieß Minnesota: Die Vikings boten ihren Erstrunden-Draft-Pick, um Allen aus dem Tag raus zu kaufen, und gaben ihm einen Sechsjahresvertrag über 72,3 Millionen Dollar. Es war damals der höchstdotierte Vertrag für einen Verteidiger.
Das NFL-Grundlagen-Archiv: Offense, Defense uvm. erklärt
Nicht selten folgt nach einem solchen Mega-Deal in der Free Agency die Enttäuschung, Albert Haynesworth (unterschrieb 2009 für 100 Millionen Dollar und sieben Jahre in Washington) gilt bis heute als das warnende Exempel schlechthin. Aber Allen darf vielmehr als Gegenbeispiel herhalten. Er erfüllte seinen Vertrag in Minnesota nicht nur, in den sechs Jahren verzeichnete er 85,5 Sacks sowie eine Auszeichnung zum Defensivspieler des Jahres (2011).
So wurde für Allen sogar eine einmalige Ausnahme im berühmten Donut-Klub der Vikings gemacht. Seit 2008, als Starting Quarterback Gus Frerotte anfing, Samstags Donuts mitzubringen, wurde dieser zur Tradition: An jedem Samstag um 7.50 Uhr morgens verteilt Minnesotas berühmter Athletiktrainer (und Donut-Klub-Präsident) Eric Sugarman das Gebäck im ausgewählten Kreis der Klubmitglieder. Nur Allen durfte auch später kommen.
"Ich habe mich immer geweigert, so früh zu kommen, wenn wir eigentlich erst um neun oder zehn Uhr da sein mussten", so Allens einfache Begründung. Als eine Art Ehrenmitglied (bedeutet: Allen zahlte häufig) wurde ihm ein einfacher, glasierter Donut beiseite gelegt. Mehr als eine Glasur durfte nicht drauf sein: "Der glasierte Donut ist zeitlos. Ich bin ein Mann, der klassische Dinge mag. Ohne großartige Extras obendrauf. Wenn etwas gut ist, dann musst du nicht dran rum pfuschen."
Markenzeichen: Brutale Ehrlichkeit
Genau das machte Allen stets aus: Er erlaubte es sich auch im knallharten NFL-Geschäft, die Dinge einfach zu betrachten - und sie ehrlich zu analysieren. So scheute er sich nach seinem Wechsel zu den Chicago Bears 2014 etwa nicht, infolge der 23:48-Pleite gegen Arizona im Vorjahr öffentlich zu resümieren: "Es ist einfach: Wir müssen aufhören, dumme Sachen zu machen und die Fehler korrigieren. Ihr kennt doch euren Job. Und dann macht einfach Plays."
Seine erste Saison mit den Bears war prompt die schlechteste seiner Karriere (Allen: "Es war scheiße"), als der Routinier infolge einer Lungenentzündung mehrere Kilos verlor und sich in der Bears-Defense lange nicht zurecht fand. Allens Fazit: "Du bekommst nur für das Anerkennung, was du in jüngster Vergangenheit geleistet hast. Keiner erinnert sich an die ersten zehn Jahre meiner Karriere, jeder redet nur über die letzte Saison. Und genau so will ich es auch."
Frischkäse, Jalapenos und Götterspeise drauf!
Deshalb schaut auch Allen selbst nur höchst selten mal zurück. So hätte er etwa 2014 auch bei den Seahawks unterschreiben und dann in der gleichen Saison im Super Bowl spielen können, entschied sich damals aber für Chicago: "Nachträglich zurückzublicken ist ja leicht. Aber es gibt einen Grund, warum manche Dinge passieren. Ich bereue es nicht, auch wenn ich es vielleicht nicht verstehe."
Lediglich die 2009er Saison, die schwirrt ihm manchmal noch im Kopf herum. Mit Brett Favre, Adrian Pederson und Sidney Rice spielte Minnesota damals eine herausragende Saison, verlor erst "im NFC Championship Game, in Overtime gegen die Saints. Damals haben wir einige Spiele verloren, die wir hätten gewinnen müssen. Das hat uns den Heimvorteil in den Playoffs gekostet. So hätte alles anders verlaufen können."
Braucht Allen dann doch mal Zerstreuung, ist es kein Geheimnis, wo man ihn finden kann - der Pass-Rusher ist ein begeisterter Jäger. Dabei hat er von seinem Vater und seinem Großvater gelernt, dass man nicht für Trophäen jagt. Alles wird auch gegessen: "Das komischste, was ich je gegessen habe, war ein Berglöwe. Aber wenn man Frischkäse, Jalapenos und Götterspeise drauf macht, dann schmeckt alles einfach geil."
Vielleicht, fügte Allen grinsend hinzu, gibt es doch eine Ausnahme von der Regel: "Man kann Truthahn-Hoden essen - das habe ich auch schon gemacht. Allerdings wusste ich es erst nicht, ich dachte, das wären einfach Nuggets. Irgendwann hat mein Kumpel mich aufgeklärt. Aber da hatte ich schon zehn oder zwölf gegessen."
"Ein einzigartiger Typ"
Bei all dem Spaß, den sich Allen gönnt, darf man allerdings zwei Dinge nicht vergessen: Da wären einerseits die zahlreichen wohltätigen Projekte, die er so leidenschaftlich unterstützt. Vor allem wenn es darum geht, aus dem Einsatz zurückkehrenden Soldaten zu helfen ist Allen nach wie vor regelmäßig ganz vorne zu finden. Er sammelt Spenden, um Diabetes bei Jugendlichen zu verhindern und baut Häuser für Bedürftige.
Andererseits war er der vielleicht beste Pass-Rusher seiner Generation und beendet seine Karriere nicht nur mit 136 Sacks, sondern auch mit dem NFL-Bestwert für Spiele in Folge mit einem Sack (11) und dem geteilten ersten Platz für die meisten Karriere-Safeties (4). Auch wenn ihm, trotz des Wechsels zu den Carolina Panthers während der vergangenen Saison, der Super-Bowl-Ring verwehrt blieb (Allen spielte gegen Denver im Super Bowl trotz eines Fußbruchs): Über mehr als ein Jahrzehnt lieferte er eine Hall-of-Fame-Karriere ab.
Belohnt wurde er dafür mit einer Seltenheit: Als NFL-Spieler in seinen Mitt-Dreißigern konnte er selbst den Zeitpunkt seines Karriereendes bestimmen. Ganz ohne Tränen und ohne eine große Pressekonferenz, sondern so, wie er eben war.
"Er ist ein einzigartiger Typ", attestierte auch Vikings-Geschäftsführer Rick Spielman: "Er war ein großartiger Spieler für sowie ein toller Einfluss bei uns und einer der besten Spieler in der Geschichte unserer Franchise. Ich freue mich, dass er jetzt Schluss macht. Dann müssen wir nicht mehr gegen ihn spielen."