SPOX: Herr Hodgson, ich muss natürlich mit Moritz Böhringer anfangen. Sie haben ihn in Florida während seiner Workouts über einen längeren Zeitraum persönlich vor Ort beobachten können, was war Ihr Eindruck? Haben Sie etwas Vergleichbares schon einmal gesehen: Ein Spieler, der es ohne College- oder High-School-Erfahrung in die NFL schafft?
Henry Hodgson: Nein, das ist wirklich, wirklich selten. Was bei mir extrem hängen geblieben ist: Er war nicht einmal in den USA, als die Combine stattgefunden hat! Und jetzt gilt er nicht nur als mögliches Draft-Prospect, sondern als ein Spieler, an dem Teams großes Interesse haben, mit dem sie sich treffen wollen und den sie genauestens unter die Lupe nehmen.
SPOX: Ich habe vor einigen Tagen mit Björn Werner über das gleiche Thema gesprochen und er sagte, dass Moritz Böhringer eine Tür für viele europäische Football-Spieler öffnen könnte, sollte er den Sprung direkt in die NFL schaffen. Sehen Sie das ähnlich?
Hodgson: Moritz ist, was natürlich hervorragend zu dem Namen seines ehemaligen Teams passt (die Schwäbisch Hall Unicorns, d. Red.), selbst eine Art Einhorn: Er ist ein besonderer Athlet, wie es sie schlicht nicht an jeder Straßenecke gibt. Aber ich glaube, dass die NFL ihren Horizont erweitern wird, was das Scouting generell angeht, aber auch hinsichtlich der Frage, wo man potentielle Spieler finden kann. Vielleicht auch gar nicht zwangsläufig nur indem man bei den Football-Spielern schaut: Ich bin mir sicher, dass es einige Basketball-Spieler in Europa gibt, die die Athletik haben, welche NFL-Teams sehen wollen. Das muss sich also gar nicht auf die GFL beschränken.
SPOX: Spieler wie Böhringer haben also langfristig die Chance, dafür zu sorgen, dass die NFL feste Scouting-Abteilungen auch in Europa hat?
Hodgson: Ich denke, man kann das auf zwei Arten sehen: Es besteht die Chance, dass die NFL beginnt, sich intensiver mit diesen Spielern auseinander zu setzen und sie dann in die USA bringt, damit sie ihr Talent unter Beweis stellen können - wie jetzt bei Moritz. Andererseits werden sich aber vielleicht auch einige der proaktiven Teams auf eigene Faust in Europa umschauen und auf Talentsuche gehen.
SPOX: Könnte das dann mittelfristig vielleicht auch Auswirkungen darauf haben, dass ein festes NFL-Team nach Europa kommt? Gerade London ist da ja immer wieder in der Diskussion...
Hodgson: ...ja, das Thema hält sich hartnäckig und die NFL hat da in meinen Augen wirklich Interesse. Aber ich glaube noch interessanter sind im Moment die einzelnen Personalien, wie Jarryd Hayne (der australische Rugby-Star wagte im Vorjahr den Schritt in die NFL, d. Red.) und jetzt eben Moritz: Wenn sich ein Spieler aus einem anderen Land in der NFL durchsetzt, kann das auch Leute erreichen, die noch keine Football-Fans sind, weil sie sich damit identifizieren können. Bevor also ein festes europäisches Team ein Thema wird, steht das im Moment meiner Meinung nach im Vordergrund.
SPOX: War das auch der Grund dafür, dass NFL Network Böhringers Pro Day begleitet hat? Das macht das Network ja nicht bei jedem Prospect und er war vorher doch ziemlich unbekannt.
Hodgson: Ich glaube, wir suchen einfach immer nach guten Geschichten. Dieser Draft ist wirklich interessant, schon jetzt gab es mehrere Trades und einige der Spieler haben einen wirklich spannenden Hintergrund. Aber es gibt kaum eine faszinierendere Geschichte, als dieses Märchen, das Moritz im Moment lebt.
SPOX: Gleichzeitig hätte ja auch alles schnell vorbei sein können.
Hodgson: Absolut, es hätte mit dem Pro Day enden können. Allerdings hat er diese unglaublichen Zahlen aufgelegt und so ist das Interesse extrem gewachsen. Die Story hätte auch einfach sein können: Dieser deutsche Receiver hat seinen Pro Day - fertig. Dass wir jetzt an diesen Punkt kommen, macht eine wirklich unglaubliche Geschichte daraus. Umso mehr, falls er tatsächlich gedraftet wird.
Moritz Böhringer im Interview: "Ist alles nicht meine Welt"
SPOX: Wie schätzen Sie seine Chancen darauf ein? Sechste, siebte Runde vielleicht?
Hodgson: Ich glaube er hat eine sehr gute Chance! Einige Teams sind wirklich begeistert aufgrund seines puren physischen Talents und haben sich mit ihm getroffen. Ich weiß, dass er es unbedingt schaffen will und er ist lernbereit. Das wurde über die sechs, sieben Wochen, die er hier verbracht hat, mehr als deutlich: Moritz ist ein Spieler, der das Coaching annimmt und anwendet. Ich glaube, er könnte mit den richtigen Coaches ein wirklich, wirklich guter NFL-Spieler werden.