In rund drei Wochen steigen die Teams ins Training Camp ein, doch auch nach Free Agency und Draft gibt es noch große Baustellen. Wer etwa soll in San Francisco Bälle fangen? Wer wird Drew Brees beschützen? Wer sorgt in Washingtons Offense für Balance? Und wer blockt für Russell Wilson? SPOX blickt auf die zehn größten Baustellen und zeigt, wo im Training Camp Rookies und Underdogs hervorstechen - und wo noch Deals gemacht werden könnten.
San Francisco 49ers - Wide Receiver/Tight End
Top-Optionen: Torrey Smith, Bruce Ellington, Vance McDonald
Es dauerte bis in die sechste Runde. 24 Receiver hatten bereits ein neues Team gefunden, ehe die San Francisco 49ers im vergangenen Draft schließlich auch einen Passfänger wählten: Aaron Burbridge von Michigan State. Bruce Ellington und Quinton Patton sind damit die ersten Optionen hinter Torrey Smith, anders gesagt: Es ist ein Receiving-Corps, dem jegliche Feuerkraft fehlt. Defenses werden sich, wie schon im Vorjahr, auf Smith fokussieren, da die restlichen Receiver daraus mutmaßlich kein Kapital schlagen können.
Smith gelangen dadurch nur 33 Receptions und 663 Yards, beides persönliche Karriere-Tiefstwerte. Das ist für San Francisco aus gleich mehreren Gründen ein großes Problem: Zunächst erschwert es dem Quarterback, egal ob Blaine Gabbert oder Colin Kaepernick (eine weitere Baustelle) das Leben enorm. Gleichzeitig ist die O-Line weit von ihren Glanzzeiten entfernt, in denen über das Run Game dominiert wurde.
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Zu guter Letzt hat der neue Niners-Coach Chip Kelly jüngst in Philadelphia am eigenen Leib erfahren, dass auch eine durchschnittliche QB-Saison durch schlechte Receiver-Auftritte ganz schnell nach unten gezogen wird. Die Abgänge von Jeremy Maclin und DeSean Jackson konnten die Eagles unter Kelly jedenfalls nie auffangen.
Cleveland Browns - Inside Linebacker (u.a.)
Top-Optionen: Christian Kirksey, Demario Davis
Seit Jahren haben die Browns - unter anderem - Probleme in der Run-Defense. Im Vorjahr ließen nur New Orleans, San Diego und Washington mehr Yards pro Run zu als Cleveland (4,5), 2014 standen lediglich die Giants, die Saints und die Chiefs schlechter da als die Browns (4,5).
Mit dem erfahrenen Karlos Dansby musste der beste Inside Linebacker im Frühjahr im Zuge der großen Browns-Aufräum-Aktion gehen, so dass Cleveland von langjährigen Backups und Ergänzungsspielern viel fordern wird.
Dabei gilt es allerdings festzuhalten, dass Cleveland zweifellos noch mehr Baustellen hat. Das Wide-Receiver-Corps besteht nur aus Rookies, mit Right Tackle Mitchell Schwartz und Center Alex Mack haben zwei Starter in der O-Line die Browns verlassen. Und der Quarterback? Ganz Cleveland hofft auf das Mega-Comeback von Robert Griffin III.
Dallas Cowboys - Edge-Rusher/Front Seven
Top-Optionen: DeMarcus Lawrence, Randy Gregory (beide für die ersten 4 Spiele gesperrt) - Benson Mayowa, David Irving
Man könnte auch einfach die komplette Front Seven auflisten: Das Experiment mit Greg Hardy ist gescheitert, der Defensive End hat nach wie vor große Probleme abseits des Platzes und kämpft um seine Rückkehr in die NFL. Dallas jedenfalls wird Hardy nicht zurückholen und so ist die große Frage: Wie kann Dallas' Defense, die bevorzugt mit einer 4-Mann-Front ihren Pass-Rush betreibt, Druck auf den gegnerischen Quarterback bekommen?
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Demarcus Lawrence und Randy Gregory stehen erst ab Week 5 zur Verfügung, zumindest Gregory muss auch noch beweisen, dass er die erhoffte dominante Waffe sein kann. Der High-Risk-High-Reward-Pick von Jaylon Smith in der zweiten Runde machte es für Dallas unmöglich, einen der guten Zweitrunden-Pass-Rusher im vergangenen Draft abzugreifen. Somit müssten Stand heute wohl Mayowa und Irving ran, die bisher wenn dann als Spezialist von der Bank überzeugen konnten.
Dazu kam jüngst die Hiobsbotschaft, dass Linebacker und der für die Defense so wichtige Leistungsträger Rolando McClain zehn Spiele gesperrt verpassen wird: Man muss davon ausgehen, dass sich Dallas notgedrungen intensiver auf das Blitzing verlässt, als es Defensive Coordinator Rod Marinelli sowie der eigenen Secondary lieb sein kann.
New Orleans Saints - Guard
Top-Optionen: Senio Kelemete, Andrus Peat, Tim Lelito
Was die Interior Offensive Line angeht, waren die Saints dem defensiven Trend der Liga lange Zeit einen Schritt voraus. Heute wird immer mehr Fokus auf Druck über die Mitte gelegt, New Orleans allerdings hatte schon seit Jahren viele Ressourcen in beide Guard-Positionen gesteckt (Jahri Evans, Ben Grubbs und Carl Nicks stechen dabei hervor).
Für die Pass-intensive Offense um den eher klein gewachsenen Drew Brees war und ist es entscheidend, dass die Interior Pocket geschützt ist - doch von der Guard-Elite ist im Big Easy nicht mehr viel zu sehen. Kelemete ist ein ehemaliger Fünftrunden-Pick der Cardinals, Tim Lelito mauserte sich im Vorjahr immerhin zum Starter. Der dünne Kader könnte dazu führen, dass Tackle Andrus Peat nach innen rückt: In der Vorsaison sowie in den ersten Trainingseinheiten dieses Jahres war das jetzt vereinzelt zu beobachten.
Ähnlich wie bei Cleveland hat aber auch New Orleans mehr als nur eine Baustelle. Die Run-Defense ist seit Jahren ein Problem, gleiches gilt für den Pass-Rush. Immerhin: Die D-Line wurde mit Erstrunden-Draft-Pick Sheldon Rankins verstärkt.
Indianapolis Colts - Pass-Rusher
Top-Optionen: Trent Cole, Erik Walden, Robert Mathis, Kendall Langford
Cole und Mathis erinnern zunehmend stärker an Rotations-Spieler und hätten in einer Teilzeit-Rolle, wie sie etwa Dwight Freeney in der vergangenen Saison bei den Cardinals hatte, womöglich noch einige gute Jahre vor sich. Als Starting-Defensive-End allerdings dürfte das deutlich schwieriger werden.
Björn Werner wurde entlassen, im Draft kam kein Edge-Rusher vor der siebten Runde und im Vorjahr gelangen Indianapolis lediglich 35 Sacks. Die Colts ließen zudem 4,3 Yards pro Run und 122 Rushing-Yards pro Spiel zu, es ist offensichtlich, dass die defensive Front dringend Verbesserungen benötigt.
"Keine Frage: Wir spielen da mit einigen Routiniers", gab auch Team-Besitzer Jim Irsay laut Stampedeblue nach dem Draft zu. "Aber wir glauben, dass wir Pass-Rush kreieren können. Wir wissen, dass das eine Baustelle ist. Aber wir wissen auch, dass wir nicht jede Baustelle mit einem Draft schließen konnten." Der Fokus lag stattdessen offensichtlich auf der Offensive Line - was ebenfalls dringend nötig war. Defensiv wird Indianapolis stattdessen kreativ werden müssen.
New York Jets - Offensive Tackle
Die 2015er Verpflichtung von Guard James Carpenter hat sich voll ausgezahlt, doch die O-Line von Gang Green steht 2016 einmal mehr vor Problemen. Der langjährige Jets-Tackle D'Brickashaw Ferguson hat seine Karriere beendet, Right Tackle Breno Giacomini hatte 2015 enorme Schwierigkeiten: Giacomini ließ in der Vorsaison 54 Pressures zu.
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Ryan Clady kam aus Denver, ist bestenfalls aber eine Kurzzeitlösung und hatte in den vergangenen Jahren große Verletzungsprobleme. Im Draft holten die Jets erst in der fünften Runde einen Tackle, dabei gilt es nicht zu vergessen: New York hat nach wie vor keinen Quarterback und im "Idealfall" die Wahl zwischen Ryan Fitzpatrick und Geno Smith - beide sind nicht gerade als Meister gegen Pressure bekannt.
Washington Redskins - Running Back
Top-Optionen: Matt Jones, Chris Thompson
"Man sieht einen deutlich reiferen Spieler. Seine Protection, seine Beständigkeit - ich bin sehr ermutigt", schwärmte Washingtons Offensive Coordinator Sean McVay mit Blick auf Matt Jones und Head Coach Jay Gruden fügte hinzu: "Wir sind natürlich sehr froh über seinen Fortschritt. Wir haben ein gutes Gefühl mit Blick darauf, wo er als Spieler ist und wie er das Spiel versteht. Er fühlt sich in dem System wohl und ist für einen jungen Spieler extrem clever und selbstbewusst."
Vergleichbare Aussagen über Jones hört man seit Wochen aus der Hauptstadt - doch den Beweis auf dem Platz ist Jones noch schuldig. In der vergangenen Saison gelangen ihm unterirdische 3,4 Yards pro Run, lediglich 21 Tackles konnte er durchbrechen. Dazu kamen vier Fumbles bei 490 Carries.
Allerdings haben die Redskins seit dem Abgang von Alfred Morris zu Division-Rivale Dallas keine großen Alternativen. Thompson ist ein Pass-Catching-Back, der als 3-Down-Starter nicht in Frage kommt und mehrere Rookies streiten sich um den dritten RB-Platz. So gut Washingtons Receiving-Corps auch besetzt ist: Vom Running Game sollte Kirk Cousins in seinem Vertragsjahr nicht allzu viel verlangen.
New York Giants - Offensive Tackle
Top-Optionen: Ereck Flowers, Marshall Newhouse
Die Giants haben noch nie einen kompletten Draft verbracht, ohne wenigstens einen Lineman zu ziehen - bis zum vergangenen Draft. Das Ende dieser Serie ist, insbesondere hinsichtlich der Offensive Line, umso verwunderlicher, wenn man sieht, wie groß die Probleme von Flowers, der ins kalte Wasser geworfen wurde, und Newhouse im Vorjahr waren.
Der verletzungsanfällige Will Beatty wurde abgegeben, so dass die Giants offensichtlich auf ein Breakout-Jahr des talentierten Flowers hoffen und darauf bauen, dass Newhouse als Starter standhalten kann. Immerhin: Die Interior Line ist deutlich besser aufgestellt als die Enden.
Los Angeles Rams - Secondary
Top-Optionen: Trumaine Johnson, Cody Davis, TJ McDonald, EJ Gaines
Die Rams mussten sich entscheiden: Trumaine Johnson erhielt den Franchise Tag, dafür wurde sein stets riskant und aggressiv spielender Cornerback-Kollege Janoris Jenkins ziehen gelassen. Doch der Aderlass in der eigenen Secondary war damit nicht beendet: Auch Safety Rodney McLeod, gelegentlich noch unterbewertet, verließ die Rams.
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Somit muss Los Angeles einen Play-Making-Cornerback genau wie einen Free Safety mit jeder Menge Reichweite und Spielintelligenz finden, und das zumindest 2016 wohl in den eigenen Reihen: Lamarcus Joyner, EJ Gaines und Cody Davis dürfen sich beweisen - vielmehr, müssen sich beweisen: Das aggressive Scheme von Defensive Coordinator Gregg Williams setzt auf Druck und Blitze. Das verlangt viel von den Cornerbacks und insbesondere dem Free Safety in der Mitte des Feldes.
Seattle Seahawks - Offensive Line
Top-Optionen: Garry Gilliam, Mark Glowinski, Justin Britt, Germain Ifedi, J'Marcus Webb
J.R. Sweezy und vor allem Left Tackle Russell Okung verließen Seattle via Free Agency und so würde die Offensive Line Stand jetzt mutmaßlich wie folgt aussehen: Garry Gilliam, Mark Glowinski, Justin Britt, Germain Ifedi, J'Marcus Webb. Right Tackle Britt wird offenbar, das hat die bisherige Offseason durchblicken lassen, zum Center umgeschult, Coach Pete Carroll bestätigte: "Justin kennt uns am besten und kann die Infos am ehesten weitergeben. Wir werden schauen, wie es auf Center klappt."
Es ist, das kann man Seattle zugute halten, immerhin eine flexible Line - die meisten Spieler können mehrere Positionen bekleiden - es könnte durchaus sein, dass die Seahawks mit einer O-Line in die neue Saison gehen, die im Vergleich zum Vorjahr auf jeder Position umgestellt wurde. Schon vor der 2015er Saison ließen die Hawks Center Max Unger und Guard James Carpenter ziehen.
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Seattle war insgesamt auf dem O-Line-Markt extrem ruhig, was darauf hindeutet, dass O-Line-Coach Tom Cable wie schon während der vergangenen Saison mit wenig Qualität eine solide Line zusammenstellen soll: Die Hawks stecken aktuell acht Prozent ihres Cap Spaces in die Offensive Line, der niedrigste Wert in der NFL.
Neben Cable setzt Seattle zweifellos auch auf die Beweglichkeit von Russell Wilson. Doch in einer Division mit den Rams und ihrer herausragenden Defensive Line sowie dem verbesserten Pass-Rush der 49ers (DeForest Buckner) und der Cardinals (Chandler Jones, Robert Nkemdiche) werden die Seahawks früher oder später wieder mehr Ressourcen in die eigene Protection investieren müssen. Das gilt umso mehr, wenn die Offense tatsächlich auf einen Pass-intensiveren Ansatz umgestellt wird.