"No love lost" ist ein Ausdruck, den die US-Experten routinemäßig aus dem Ärmel schütteln, wenn es um die Rivalität zwischen den Steelers und den Bengals geht. Nein, mit der Liebe ist es zwischen den AFC-North-Konkurrenten nicht sonderlich weit her. Im Gegenteil: Eine hitzigere Rivalry muss man in der NFL derzeit mit der Lupe suchen. Und die geht am Sonntag in Pittsburgh in die nächste Runde.
Zuvor muss allerdings ein Rückblick sein. 10. Januar, Playoffs, Wildcard-Runde. Die letzte Runde dieser beiden AFC-Schwergewichte ging als absolutes Skandalspiel in die NFL-Historie ein. Ben Roethlisbergers Verletzung. Vontaze Burficts mieser Hit gegen Antonio Brown. Pacman Jones gegen die Steelers-Trainer. Viel fehlte nicht zu einer Massenschlägerei. "Das war wie ein Boxkampf", erinnert sich Bengals-Tackle Andrew Whitworth. "Die Leute haben es wie einen UFC-Fight behandelt, statt wie ein Footballspiel."
Und an Football-Highlights fehlte es ebenfalls nicht. Das sensationelle Comeback der Bengals im Schlussviertel zum Beispiel. Oder Martavis Bryants Touchdown-Catch - den man sich bis heute gar nicht oft genug anschauen kann.
Verbaler Waffenstillstand?
Ist das Aufeinandertreffen am Sonntag also ein "Hochrisikospiel", wie man im Fußball so schön sagt? Eskaliert die Stimmung auf dem Feld, an der Seitenlinie, auf den Rängen? Die NFL wird sicher ganz genau hinschauen - ein Chaos wie in den Playoffs will Roger Goodell ganz sicher nicht noch einmal sehen.
Kein Wunder, dass auch die Spieler verbal deutlich abgerüstet haben und sich im Vorfeld Mühe gaben, das Feuer aus dem Spiel zu nehmen. "Wir haben eine Zielscheibe auf dem Rücken", sagte etwa Bengals-Cornerback Dre Kirkpatrick. "Wir wissen, dass uns die Refs von Anfang bis Ende beobachten werden." Es werde immer noch ein hart umkämpftes Spiel werden, aber "wir werden versuchen, uns von all den Dingen fernzuhalten, die in der letzten Saison passiert sind."
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Auf der anderen Seite klingt es ganz ähnlich. Brown etwa, der von Burfict aus dem Spiel geknockt worden war und die nächste Playoff-Runde daraufhin mit einer Gehirnerschütterung verpasste, geht einer Fehde ebenfalls aus dem Weg. Für Cornerback Adam "Packman" Jones, der ihn nach Burficts Hit als Simulant beschimpft hatte, hat er sogar nur lobende Worte übrig: "Er ist ein großartiger Spieler, ich habe großen Respekt vor ihm. [...] Es macht immer viel Spaß, gegen ihn anzutreten." Den Streit der letzten Saison habe man aus der Welt geschafft, dementsprechend gäbe es auch keine zusätzliche Motivation: "Ich freue mich in diesem Jahr auf jedes Spiel. Für mich sind sie alle gleich."
Duell um die AFC-North-Krone
Nanu? Ringelreigen und Blumenketten statt knallhartem Football? Schließlich ist Übeltäter Burfict aufgrund der Attacke weiterhin immer noch gesperrt. Ganz so schlimm wird es dann doch nicht werden. Gibt es doch einige Aspekte, die es zu einem extrem reizvollen Aufeinandertreffen machen.
Da wäre einmal ganz profan die sportliche Situation. Denn schon zu diesem frühen Zeitpunkt in der Saison ist das Duell im Hinblick auf die Division-Krone enorm wichtig. Cincy fuhr diese 2015 mit zwölf Siegen souverän ein, einen allzu großen personellen Aderlass musste man nicht hinnehmen. Dennoch war vor Saisonbeginn plötzlich Pittsburgh Everybody's Darling und ein ganz heißer Tipp auf den Super Bowl. So einfach wollen sich die Tiger aber nicht vom Thron stoßen lassen.
Analyse Starke Steelers zerlegen Washington
Klar, es liegt auch an den alljährlichen Januar-Fehlschlägen - fünfmal in Serie hat man nun schon in den Playoffs verloren - dass man die Bengals trotz all ihrem Talent nicht so richtig zu den Contendern zählt. Aber das für die Postseason nötige Selbstvertrauen holt man sich am besten schon in der regulären Saison. Und die Bye-Week noch dazu. Sehr wahrscheinlich, dass Pittsburgh und Cincinatti den Division-Sieger - und vielleicht sogar den Favoriten in der AFC - in den beiden direkten Duellen ermitteln. Verlieren ist deshalb strengstens verboten.
Big Ben gegen die Red Rifle
Es ist auch ein Quarterback-Duell, das nach dem Ende der Brady-Manning-Dynastie zu den besten QB-Rivalries in der NFL gezählt werden muss. Vielleicht sogar das Duell schlechthin, zieht man Aspekte wie Team-Stärke, Langlebigkeit, individuelles Niveau und die Tatsache in Betracht, das es mindestens zwei Aufeinandertreffen pro Saison gibt.
Aufgrund seiner zwei Championships hat Big Ben in dieser Hinsicht klar die Nase vorn, aber auch Andy Dalton hat sich in den letzten Jahren zu einem Spitzenquarterback und Führungsspieler gemausert und fand sich 2015 einige Zeit sogar in der MVP-Diskussion wieder. Ein "Game Manager" ist die Red Rifle schon lange nicht mehr, das beweisen auch seine 366 Passing Yards aus Week 1 gegen die Jets, als er sich auch von einem brutalen Pass Rush (7 Sacks) nicht aus der Fassung bringen ließ.
Und auch er bringt womöglich ein kleines bisschen zusätzliche Motivation mit: Gegen die Steelers hatte er sich im letzten Jahr in der Regular Season den Daumen gebrochen und so das Playoff-Spiel verpasst.
Grün oder Braun - das ist die Frage
Roethlisberger gegen Dalton. Gut möglich, dass beide ein Wörtchen um die MVP-Trophäe mitreden. Umso erstaunlicher, dass beide derzeit aber von ihren Teamkollegen überschattet werden. Und das ist kein Seitenhieb, sondern vielmehr der Tatsache geschuldet, dass Pittsburgh und Cincy gleichzeitig die vielleicht besten Wide Receiver der NFL aufbieten. A.J. Green vs. Antonio Brown.
"Downtown" Antonio Brown hat in den letzten beiden Jahren Erinnerungen an Jerry Rice wach werden lassen. Outside, Slot, egal wo: Brown ist trotz seiner eher geringen Größe von 1,78 Meter überall einsetzbar, pfeilschnell und der perfekte Route Runner. Er hat einfach keine Schwäche - und schafft es auch durch sein extravagantes Auftreten immer wieder in die Schlagzeilen.
Green dagegen macht hauptsächlich durch sein Spiel auf sich aufmerksam und ist seit Jahren die Primärwaffe von Andy Dalton. Eine Waffe, die unglaublich konstant liefert (über 6300 Yards in fünf Jahren), obwohl sich sämtliche Defenses auf sie konzentrieren. Eine Waffe, die Gegenspieler vernichten kann: Mit 12 Catches für 180 Yards ließ er den großen Darrelle Revis zum Saisonauftakt so alt aussehen, dass den böse Zungen bereits zum Abdecker schicken wollten.
Die Steelers, die 2015 eine der schlechtesten Passing Defenses der Liga aufboten, haben nicht einmal einen alternden Revis. Und auch Brown weiß, was seinen Teamkollegen bevorsteht: "Er hat so lange Arme, fast bis zu den Knien. Es gibt keinen Pass, den er nicht fangen kann. Mit seinen Fähigkeiten als Playmaker entscheidet er das Spiel." Ein "Top-5-Receiver" in der NFL sei Green - und mit dieser Aussage befindet sich Brown noch auf der sicheren Seite.
Williams: "Professioneller Hass"
Im Schatten ihrer jeweiligen Super-Duos müssen die Head Coaches Mike Tomlin und Marvin Lewis die jeweiligen Schwachstellen im Kader stopfen. Während Lewis auf Seiten der Steelers an der O-Line schrauben muss, um Dalton aufrecht und die Running Lanes für Jeremy Hill frei zu halten, sucht Tomlin noch nach einem Pass Rush: Gegen die Redskins blieb man ohne Sack. Während man gegen Washington gut gegen den Run stand, könnte es mit einer angeschlagenen Secondary gegen Green sehr schwer werden, lässt man Dalton zu viel Zeit in der Pocket.
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Während der aber weiter auf Tight End Tyler Eifert wartet, könnte bei den Gastgebern Wide Receiver Markus Wheaton (Schulter) ins Team zurückkehren und weitere Optionen im Passing Game liefern. Am Boden muss DeAngelo Williams weiter den gesperrten Le'Veon Bell vertreten - gegen die bärenstarken Defensive Tackles Geno Atkins und Domata Peko sollte das aber diese Woche ungleich schwerer werden.
Williams scheint von dem verbalen Waffenstillstand übrigens nichts mitbekommen zu haben. "Der professionelle Hass, den wir für die Cincinnati Bengals und sie für uns hegen, ist doch allgemein bekannt", so der 33-Jährige. "Alle haben doch die Twitter-Streitereien und so in der Offseason mitbekommen." Am Sonntag werde endlich abgerechnet: "Unser Wille gegen ihren Willen. Wir werden sehen, wer zuerst schlappmacht."
Und wenn es doch nicht krachen sollte: Es gibt ja noch ein Duell. Mindestens.