Brady? "Normale Regeln gelten nicht"

Von Adrian Franke
08. November 201612:35
Sebastian Vollmer spielt seit 2009 für die Patriotsimago
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Seit 2009 spielt er für die New England Patriots - und doch steht seine Zukunft nach dieser Saison in den Sternen: Im SPOX-Interview spricht Sebastian Vollmer über seine Reha, die Entwicklung von Tom Brady, das Arbeiten unter Bill Belichick und die Fortschritte von Jimmy Garoppolo. Außerdem: Wie hat das Team den Jamie-Collins-Trade aufgenommen - und was bekommt der 32-Jährige vom Football-Hype in Deutschland mit?

SPOX: Herr Vollmer, die offensichtliche Frage gleich zu Beginn: Wie geht es Ihnen? Was macht die Hüfte, wie läuft die Reha?

Sebastian Vollmer: Ich sage mal: Es läuft. Ich bin auf der Injured-Reserve-Liste und so ist es eben die tägliche Reha. Ich versuche, fit zu werden, um dann im weiteren Verlauf der Saison noch eingreifen zu können. Darüber hinaus gibt es eigentlich nicht viel Neues zu berichten.

SPOX: Also auch noch keine Prognose, keinen Termin für das Comeback im Hinterkopf?

Vollmer: Nein, den gibt es leider noch nicht. Ich schaue eher, dass es von Woche zu Woche besser wird und ich dann irgendwann wieder auf dem Platz stehen kann. Aber ich will mir keinen Zeitdruck machen, indem ich einen Termin festlege und den dann eventuell nicht einhalten kann. Ich versuche jetzt das Beste daraus zu machen.

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SPOX: Ihre Patriots sind derweil fest auf Playoff-Kurs, auch seitdem Tom Brady zurück ist. Der spielt schon wieder herausragend. Was für ein Typ ist er intern? Ist er so ehrgeizig, wie er rüberkommt?

Vollmer: Normale Regeln gelten für Tom irgendwie nicht. Im Moment spielt er wie ein 25-Jähriger, der gerade in die Liga gekommen ist. Er wirkt frisch, und auch wir als seine Mitspieler haben den Eindruck, dass er jedes Jahr besser wird. Das ist schon beeindruckend. Und er ist wirklich sehr ehrgeizig, er hat einen sehr hohen Standard für sich selbst und für seine Mitspieler. Das zeigt er auch im Training unter der Woche und während den Meetings. Er ist da schon so, wie man ihn als Fan sieht. Er verlangt das Beste von sich selbst.

SPOX: Er wirkt teilweise ja sogar fast besser, als noch vor ein paar Jahren - gerade was Dinge wie Pocket Movement und die allgemeine Beweglichkeit angeht.

Vollmer: Ich bin natürlich kein Quarterback-Experte, aber ich glaube wie viele andere Spieler auch schaut er immer, was er an seinem Spiel noch verbessern kann. Da gibt es bei Tom nicht viele Dinge, aber er findet jede Saison irgendetwas, mit dem er persönlich nicht zufrieden ist. Beispielsweise seine Bewegung in der Pocket: Ich glaube er hat vor zwei Jahren damit angefangen und wollte in diesem Bereich besser werden. Und das ist ihm gelungen. Wenn wir jetzt ein Third Down haben, muss man schon damit rechnen, dass er selbst auch mal mit dem Ball läuft. Das wäre vor fünf, sechs, sieben Jahren eben nicht passiert. Das stimmt schon. Er hebt sein Spiel auf das nächste Level.

SPOX: Die ersten vier Spiele hat er gesperrt verpasst, und auch wenn Sie selbst leider nicht mitwirken konnten: Was macht es mit dem Team, während der Woche und dann im Spiel, wenn Brady nicht dabei sein kann?
Vollmer:
Im Prinzip verändert sich für uns zunächst wenig. Als Offensive Line bekommen wir den Spielzug angesagt und müssen den bestmöglich ausführen, egal, welcher Quarterback hinter uns steht. Ich glaube, dass jeder im Team dem anderen vertraut, sonst wäre er nicht in der Mannschaft. Aber natürlich macht es irgendwo einen Unterschied, ob jemand in seinem dritten oder vierten Jahr auf dem Platz steht, oder ob da Tom, einer der Besten oder der Beste jemals auf der Position, in seinem 18. Jahr steht. Wahrscheinlich ist das aber noch interessanter für die Receiver und die Tight Ends, die den Ball fangen. Ich kann nicht viel dazu sagen, ob es für sie in der Hinsicht anders ist, doch ich gehe schon davon aus. Wir als Line müssen unsere Aufgaben erfüllen, aber wenn jemand anderes in diese Position gebracht wird, versucht vielleicht jeder, noch ein kleines bisschen mehr aus sich rauszuholen, um etwas Druck von seinen Schultern zu nehmen.

SPOX: Was für einen Eindruck macht Jimmy Garoppolo denn? Sie kennen ihn inzwischen ja doch einige Jahre, jetzt hatte er auch ein paar Spiele und dabei sehr gut ausgesehen, bis er sich leider verletzt hat. Wie wirkt er auf Sie, wie sehen Sie seine Entwicklung?

Vollmer: Ich würde sagen, er ist wirklich kompetent. Im Training sehen wir natürlich mehr als die Fans in den Spielen. Wir konnten seine Entwicklung über die letzten Jahre verfolgen und haben viele seiner Würfe gesehen: Er ist ein Riesentalent mit einem wirklich guten Wurfarm und hoher Spielintelligenz. Deshalb freut es uns sehr, dass er in den Spielen, die er absolvieren konnte, wirklich gut gespielt hat und sich ein wenig einen Namen machen konnte.

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SPOX: An die Quarterbacks anschließend, eine ähnliche Frage zu Bill Belichick: Nach außen wirkt er sehr knurrig, einige seiner Pressekonferenzen sind inzwischen fast legendär. Wie ist es denn, mit ihm täglich zu arbeiten?

Vollmer: Als Spieler hat man im täglichen Training mehr Kontakt mit den Position-Coaches. Er hat aber eine Wahrnehmung vom nächsten Gegner und eine Idee, wie man ihn schlagen kann. Und das implementieren die Position-Coaches dann während der Woche in ihre Spieler. Er gibt den Ton an, und die Coaches geben das weiter. Was man von ihm sieht und wie er in den Medien dargestellt wird, das entspricht wahrscheinlich nicht komplett der Realität. Er wirkt natürlich auf eine gewisse Art nach außen hin, aber wir sind alle froh, dass er unser Head Coach ist.

SPOX: Damit einher geht meine nächste Frage, etwas allgemeiner: Man hört immer wieder, dass die Patriots-Offense für die Spieler relativ kompliziert ist und dass es dauert, diese Offense zu lernen. Das ist auch jetzt wieder ein Thema, weil Bill O'Brien in Houston eine zumindest ähnliche Offense spielt, und Brock Osweiler noch große Probleme hat. Würden Sie sagen, dass die Patriots-Offense eine komplizierte Offense ist?

Vollmer: Das ist etwas schwierig für mich zu beantworten, weil es die einzige NFL-Offense ist, in der ich selbst gespielt habe. Aber was man von anderen Spielern hört, die von anderen Teams kommen, ist, dass die Offense irgendwie ... anders ist, beispielsweise von der Terminologie her, wie Spielzüge heißen. Dazu kommen die Option-Routes, also verschiedene Optionen, die die Receiver während eines Spielzuges haben, je nachdem was die Defense macht. Dafür müssen Receiver und Quarterback voll auf der gleichen Wellenlänge sein. Das kann kompliziert sein und das kann denke ich auch ein wenig Zeit sowie gemeinsames Training brauchen, und auch eine gewisse Spielintelligenz ist dafür vonnöten.

SPOX: Ebenfalls ein sehr aktuelles Thema ist der Trade von Jamie Collins zu den Browns: Wie reagiert das Team intern auf derartige Trades, wo es in der Berichterstattung gerne "typisch Patriots" und "Belichick weiß, was er macht" heißt?

Vollmer: Wir haben es als Team von dem Trade erst erfahren, als die Medien darüber berichtet haben - also es ist nicht so, dass da vorher jemand nach unserer Meinung fragt, wir erfahren es wie alle anderen Leute auch. Dann ist man schon ein wenig geschockt, keine Frage. Man rechnet irgendwie nicht damit. Gerade wenn es um einen Spieler vom Kaliber wie Jamie, einer der besten Defense-Spieler, die wir hatten, geht. Man ist also wie gesagt ein wenig geschockt, aber dann kehrt auch relativ schnell der Alltag wieder ein - vor allem eben, weil man als Spieler damit relativ wenig zu tun und wenig Einfluss darauf hat. Abgesehen davon, dass man seine beste Leistung abruft, um am Ende nicht einer der Spieler zu sein, die abgegeben werden.

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SPOX: Also wird in der Kabine noch ein paar Tage darüber gesprochen, aber dann ist es auch abgehakt und man schaut nach vorne?

Vollmer: Ja, im Prinzip ist es genau so. Trotzdem ist es schade und schwierig, einerseits war er ein Mitspieler und Kollege, der einem auf dem Platz hilft, andererseits aber auch ein Freund, mit dem man jahrelang zusammengearbeitet hat und der auf einmal weg ist - ohne, dass man die Chance hatte, sich irgendwie größer zu verabschieden. Das gilt auch für den Spieler selbst, der einen Anruf erhält und dann gesagt bekommt, dass er in zwei Stunden am Flughafen sein wird, um nach Cleveland zu fliegen. Aber das ist einfach alles so schnell passiert.

SPOX: Jetzt könnten Sie es irgendwann mit ihm als Gegner zu tun bekommen. Gibt es einen bestimmten Gegenspieler, an den Sie sich ganz speziell erinnern? Gegen wen war es am schwierigsten, zu blocken?

Vollmer: Ich glaube, da gibt es viele, die sehr schwer zu blocken sind. Von Miller, Cameron Wake, Freeney, Mathis - all die Leute, die in der AFC jahrelang wirklich gut waren. Und natürlich mit Miller der große neue Star.

SPOX: Dafür gab es auch in der Patriots-O-Line eine neue "Waffe": O-Line-Coach Dante Scarnecchia wurde im Frühjahr zurückgeholt. Was macht ihn aus? Bill Belichick lobt ja nicht häufig öffentlich, aber bei ihm hat man das Gefühl, dass Belichick nicht nur höchsten Respekt hat, sondern irgendwo fast auch ein Fan ist.

Vollmer: Ja, das trifft es eigentlich ganz gut. Ich glaube, dass alle hier großen Respekt vor dem Mann haben, aber gleichzeitig auch ein bisschen Fan sind. Er hat einen riesigen Erfahrungsschatz, macht das seit 30, 40 Jahren und es ist ihm gelungen, egal mit wem er gearbeitet hat, eine O-Line aufzubieten, die in der Lage war, eine gute Leistung abzuliefern. Für mich persönlich steht seine Detailverliebtheit besonders heraus, er lässt nichts durchgehen. Wenn ein Schritt nicht stimmt, die Hände falsch angelegt sind, oder man irgendeine Kleinigkeit falsch macht, dann wird das eben auch verbessert. Und über die Jahre hinweg weiß man, wie er es sehen möchte und das ist glaube ich ein sehr wichtiger Grund. Man hat fast keine Chance, als besser zu werden.

SPOX: Ein ganz anderes Thema: Football in Deutschland! Ich bekomme im Moment mit, dass die GFL im Aufwind ist, der German Bowl erfreut sich zunehmend großer Beliebtheit und auch die NFL wird hier immer populärer. Bekommen Sie das in den USA auch mit?

Vollmer: Auf jeden Fall, ja. Ich bin jetzt hier seit etwa zwölf Jahren, und als ich Deutschland verlassen habe, war es noch relativ gering. Sowohl von den Medien her, als auch was Zuschauerzahlen und dergleichen angeht. Daher bin ich froh, dass man jetzt eine Entwicklung sieht und dass sich die Öffentlichkeit dafür stärker interessiert. Ich will jetzt zusammen mit der NFL auch dabei helfen, Football in Deutschland etwas mehr zu verbreiten und eventuell bekommen wir dann bald auch mehr deutsche Spieler in die NFL. Statistisch gesehen ist Deutschland schon jetzt glaube ich der am schnellsten wachsende Markt für die NFL. Das bekommt man hier auf jeden Fall mit und das Interesse der NFL ist definitiv geweckt, um dort auch Spiele auszutragen und den Fans ein bisschen das zu geben, was sie wollen, gleichzeitig aber auch neue Fans zu gewinnen und das Spiel einfach voranzubringen und zu erklären.

SPOX: Haben Sie in der täglichen Arbeit eigentlich Kontakt mit den anderen deutschen Spielern in der NFL?

Vollmer: Schon, doch. Markus Kuhn war ja hier, da ist definitiv eine Freundschaft gewachsen. Mit Björn (Werner, d. Red) telefoniere ich ab und zu, wir kennen uns natürlich. Mo (Böhringer, d. Red.) habe ich noch nicht getroffen, aber im Moment sind ja glaube ich nur drei deutsche Spieler bei einem Team. Die Anzahl der deutschen Spieler in der Liga ist also noch sehr gering. Aber ich hoffe, dass weitere deutsche Spieler her kommen und hier in der NFL spielen können.

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SPOX: Vielleicht ein paar Worte noch zu Ihrer Zukunft: Es ist ja kein Geheimnis, dass Ihr Vertrag ausläuft - denken Sie darüber nach, beschäftigen Sie sich damit? Vielleicht umso mehr, weil Sie gerade nicht spielen können?

Vollmer: Die typische Antwort ist natürlich immer: Nein. (lacht) Aber selbstverständlich hat man das irgendwo immer im Hinterkopf. Im Moment kann ich an meiner Situation nichts ändern. Alles was ich machen kann, ist, gesund zu werden und weiter hart in der Reha zu schuften, um dann bald wieder auf dem Platz zu stehen. Letztlich hängt es aber ja auch nicht nur an mir - wir werden sehen, was passiert.

SPOX: Und die NFL ist nun mal letztlich extrem schnelllebig, wie wir gerade beim Collins-Trade wieder gesehen haben. Man weiß nie genau, was in vier Monaten sein wird ...

Vollmer: ... ganz genau.

SPOX: Zum Abschluss: Wo sehen Sie die stärksten Gegner für die Patriots in der AFC im Kampf um das Super-Bowl-Ticket?

Vollmer: Unsere persönliche Ausgangssituation mit 7-1 ist natürlich ganz gut, aber davon können wir uns auch nichts kaufen - mit sieben Siegen kommt man nicht in die Playoffs. Aber wir hoffen natürlich, dass wir unser Leistungsniveau halten und uns dann noch verbessern können. Was die Konkurrenz angeht: Das ist immer sehr schwer zu sagen. Nehmen wir mal die Giants als Beispiel, gegen die wir im Super Bowl 2011 verloren haben. Deren Regular Season war damals gar nicht so gut, aber dann kamen sie in die Playoffs, haben jedes Spiel gewonnen und sich den Titel geholt. Deshalb denke ich, dass es immer schwer ist, das vorherzusagen. Konkret ist Denver immer ein Kandidat, aber es geht darum, in der bestmöglichen Position in die Playoffs zu kommen - und da dann alles zu gewinnen. Wichtig ist es erst einmal, rein zu kommen. Jeder, der in die Playoffs kommt, ist irgendwo auch zu Recht da. Und dann spielt auch die Tagesform eine wichtige Rolle.

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