Es ist mehr als der erste Primetime-Auftritt in dieser Saison. Es ist mehr als ein Duell um die Führung in der AFC West. Es ist mehr als ein weiterer Schritt in Richtung Playoff-Spot. Es ist mehr als ein Kräftemessen mit dem amtierenden Super-Bowl-Champion.
Es ist das wichtigste Spiel für die Raiders seit fast 14 Jahren.
So lange ist es mittlerweile her, dass Oakland im Endspiel um die ganz große Trophäe stand. Am 26. Januar 2003 gab es im Super Bowl XXXVII eine 21:48-Schlappe gegen die Tampa Bay Buccaneers. Es war die letzte Playoff-Teilnahme von Silver & Black. Es war die letzte Saison mit positiver Bilanz.
Legendenserie: Al Davis - A Pirate in Silver and Black
"Just win, Baby!" Das Mantra des 2011 verstorbenen Besitzers Al Davis. Über ein Jahrzehnt lang war es nicht mehr als ein hohles Lippenbekenntnis. Doch die Raiders der Saison 2016 scheinen sich dieses Bekenntnis zum unbedingten Erfolg endlich wieder auf die Fahnen geschrieben zu haben: Gewinnen um jeden Preis. Das Ergebnis: Begeisternder Offensiv-Fußball mit Big Plays, Spektakel, Game-Winning Drives. Und polternde, disziplinlose Defensive der Marke "Lasst sie einfach scoren, dann haben wir umso schneller wieder den Ball."
Sagen wir es mal so: Die Raiders sind ganz sicher nicht daran schuld, dass die NFL-Einschaltquoten der letzten Monate leicht schwächelten. Und die Hipster-Snapbacks mit der Augenklappe und den zwei gekreuzten Säbeln haben plötzlich auch wieder sportlichen Wert.
Raiders vs. Broncos: Duell der Gegensätze
Sechs Siege und zwei Niederlagen hat dieser Raiders-Football bisher hervorgebracht, nur die Patriots haben in der AFC eine bessere Bilanz. Und nun kommt es endlich zum Duell mit den Denver Broncos - das wichtigste Spiel seit fast 14 Jahren. Keine Hyperbel übrigens. Die Broncos, fünffacher Titelverteidiger in der AFC West, eignen sich hervorragend als Standortbestimmung: Haben die Raiders wirklich das Zeug dazu, mit einem Team dieses Kalibers mitzuhalten? Das Zeug dazu, um die Playoffs mitzureden, vielleicht sogar um den Einzug in den Super Bowl?
Oder handelt es sich doch nur um leicht verdauliches, substanzloses Spektakel? Um Fast-Food-Football? Ganz nett zu konsumieren vor dem heimischen Fernseher, aber eben doch noch eine ganze Ecke entfernt vom "Just win, Baby"?
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Besonders faszinierend dürfte das Duell deshalb ausfallen, weil die Broncos in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenstück zu den Raiders darstellen. Hier eine Offense, die fast 402 Yards pro Partie auflegt, Platz fünf in der Liga. Dort nur rund 326 Yards, Rang 27. Hier eine Defense, die man mit 410,4 zugelassenen Yards pro Spiel als enorm großzügigen Selbstbedienungsladen bezeichnen muss (6,5 Yards pro Play bedeuten die Rote Laterne). Dort nur 301,3 Yards pro Partie, mit der besten Passing Defense in der Liga.
Hier ein Team, das nur elf Sacks gesammelt hat - aber auch nur neun zugelassen hat. Dort mit 26 Sacks der beste Pass Rush der Liga - aber eine O-Line, die auch schon 18 Mal "hinter sich greifen musste". Hier ein junger Quarterback mit 17 Touchdown-Pässen (AFC-Spitze) und nur drei Picks, der sich in die MVP-Diskussion gespielt hat. Dort ein junger QB mit acht TDs und vier Picks, der die Game-Manager-Tradition von Peyton Manning aus dem Vorjahr fortführt. Hier ein Team, das gegen die Buccaneers in Week 8 mit 23 Penalties für 200 Yards einen neuen NFL-Rekord aufstellte. Dort ein Team gespickt mit Super-Bowl-Veteranen, dass nach gegnerischen Turnovern schon 80 Punkte erzielt hat.
"Der Weg zum Super Bowl führt nur über sie"
Was kann dieses Raiders-Team zeigen, wenn es wirklich darauf ankommt? Im Sunday Night Game, ohne World-Series-Konkurrenz, vor den Augen so vieler Fans, die Derek Carr und seine Offense nur aus RedZone-Highlights kennen. "Wir lernen immer noch dazu", betonte der 25-Jährige, der gegen Tampa Bay mit 513 Passing Yards einen 52 Jahre alten Franchise-Rekord brechen konnte. "Wo wir gerade stehen? Ich weiß nicht genau, aber wir stehen nicht schlecht da. Wir sind auf einem guten Weg, haben als Team aber immer noch ein gutes Stück vor uns."
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Besonders dann, wenn man bedenkt, dass die Raiders trotz aller Heldentaten und Last-Second-Erfolgen gegen die Saints, Ravens oder Bucs noch keinen Sieg über ein Team mit positiver Bilanz eingefahren haben. Gegen Atlanta verlor man in Week 2, von den Chiefs wurde man im Oktober mit 10:26 abgestraft, vor eigenem Publikum noch dazu. Auch deshalb wäre ein Sieg über die Broncos so wichtig: Nicht nur im Hinblick auf die Division, die Wildcard oder das Rematch im Mile High Stadium am 1. Januar: Endlich einen der "Großen" zu schlagen, wäre für das Selbstverständnis enorm wichtig. "Der Sieg in der Division führt nur über sie", so Carr. "Der Weg zum Super Bowl führt nur über sie. Sie stehen ganz oben."
"Gute, aber keine Elite-Receiver"
Doch auch die Broncos wissen um die Schwere der Aufgabe. "Das ist ein Championship Game", erklärte Cornerback Chris Harris Jr. "Um den Super Bowl zu gewinnen, müssen wir zuerst die AFC West gewinnen. Also ist das der erste Schritt."
Harris und sein kongenialer Partner Aqib Talib (Carr: "Sie sind eines der besten Duos, das es in der Liga jemals gegeben hat") gegen die Receiver Amari Cooper und Michael Crabtree - das wäre eines der Highlights am Sonntag gewesen. Aufgrund seiner anhaltenden Rückenprobleme fällt Talib jedoch aus. An seine Stelle wird Bradley Roby treten müssen, der schon gegen die Chargers einen Pick-Six verbuchte. "[Carr] hat so großes Vertrauen in seine Receiver, dass er oft einfach nur in ihre Richtung wirft. Wir werden eine Menge Chancen auf Interceptions bekommen", so Harris Jr. zuversichtlich. Und Safety T.J. Ward schickte bereits eine Kampfansage an Cooper (kämpft ebenfalls mit Rückenproblemen) und Crabtree: "Sie haben zwei gute Receiver, aber in meinen Augen keine Elite-Receiver."
Andere Broncos äußerten sich da schon vorsichtiger: "Niemand spielt derzeit besser als Derek", lobte Head Coach Gary Kubiak den gegnerischen Quarterback. "Wenn man so oft passt wie sie und er den Ball trotzdem so gut beschützt und nur neunmal gesackt worden ist, dann verrät das, wie große Fortschritte er gemacht hat." Auch Pass Rusher Von Miller weiß um die schwere Aufgabe, die gegnerische O-Line zu überwinden: "Sie haben wahrscheinlich die größte O-Line in der Liga."
Phillips ist zurück, Anderson fehlt
Immerhin kann Miller darauf bauen, dass Defensiv-Guru Wade Phillips nach seinem schlimmen Zusammenprall mit Melvin Gordon im Chargers-Spiel, bei dem er sich unter anderem einen Rippenbruch zuzog, wieder mit von der Partie ist. Wenn auch diesmal in der Coaches' Box und nicht an der Seitenlinie. Bei 41 Prozent aller gegnerischen Dropbacks hat seine Einheit bisher Druck erzeugt, kein Team ist in dieser Hinsicht besser. Gelingt das auch gegen Carr, sollten Harris und Co. tatsächlich ihre Chancen bekommen.
Dafür muss die D-Line aber erst einmal das gegnerische Running Game ausschalten - und in dieser Hinsicht schwächelten die Broncos zuletzt. Über 100 Yards gelingen dem Gegner pro Partie am Boden, dazu haben die Raiders mit Latavius Murray, Jalen Richard und DeAndre Washington gleich drei fähige Running Backs.
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Umgekehrt hofft Gary Kubiak, dass seine hin und wieder stotternde Offense gegen die schwache Raiders-D in Schwung kommt. Allerdings ist seine Rotation im Backfield durch den Ausfall von C.J. Anderson zusammengeschrumpft, und auch Ersatzmann Devontae Booker ging angeschlagen aus dem Chargers-Spiel - und leistete sich zudem mal wieder einen kostspieligen Fumble. Auch Trevor Siemian drohen in der Pocket unheimliche Begegnungen der unsanften Art, sollte es wiederholt zu Third-and-long-Situationen kommen: Khalil Mack sorgte im Vorjahr mit fünf Sacks gegen die Broncos für Aufsehen und kommt auch in dieser Saison immer mehr in Schwung (vier Sacks in den letzten drei Spielen).
Ein Sieg als MVP-Argument
Letzten Endes ist das entscheidende Matchup aber bereits vorgezeichnet: Kann Derek Carrs Passing Offense gegen die "No Fly Zone" der Broncos-Secondary bestehen, oder reiht er sich ein unter die Andrew Lucks, Cam Newtons und Andy Daltons dieser Welt, deren Attacken in dieser Saison bereits wirkungslos verpufften? Es wäre nicht nur ein großer Schritt für sein Team, sondern auch für seine MVP-Kampagne - denn noch gibt es einige Kritiker. "Er ist kein MVP. Gegen gute Teams finden sie immer einen Weg, um das Spiel doch aus der Hand zu geben", kritisierte etwa FOX-Experte Michael Lombardi.
Ein letztes Ass haben die Raiders in Person von Head Coach Jack del Rio im Ärmel. Wenn jemand die gegnerische Defensive kennt, dann er - schließlich war er vor einigen Jahren dort selbst noch Defensive Coordinator und Interims-Coach. Wie das Spiel auch ausgeht: Er hat bereits enorme Fortschritte in seinem Team ausgemacht. "Im letzten Jahr haben wir gelernt, dagegenzuhalten. Dieses Jahr lernen wir, wie wir den Sack zumachen und die entscheidenden Spielzüge hinlegen, um am Ende als Sieger vom Platz zu gehen." Oder, um es mit den Worten von Al Davis zu sagen: "Just win, Baby!"