Am Donnerstagabend erschütterte diese Nachricht ganz Boston: Rob Gronkowski muss infolge seiner Bandscheibenverletzung operiert werden, der Tight End dürfte den Rest der Saison verpassen. Doch was bedeutet das für die New England Patriots? Und welche Auswirkungen hat der Gronk-Ausfall für die gesamte AFC und somit auch die Playoffs? SPOX blickt auf die wichtigsten Fragen.
1. Was bedeutet die Verletzung für die New England Patriots?
New Englands Passing Game wird ohne Gronkowski fundamental umgestellt werden - zumindest was das präferierte Scheme angeht. Zieht man die letzten beiden Spiele, in denen Gronk gar nicht beziehungsweise nur sehr bedingt spielte, ab, so hatten die Pats bis einschließlich Week 10 laut ESPN Stats die zweitmeisten Aufstellungen mit mindestens zwei Tight Ends gespielt (245) sowie die meisten Tight-End-Receiving-Yards (1.044) und die zweitmeisten Tight-End-Receiving-Touchdowns (7) erzielt.
Und nicht nur das: Kein Tight-End-Duo hat gemäß der Zahlen von PFF jeweils über 35 Targets (Gronk 36, Martellus Bennett 48), darüber hinaus liegen Gronk (3,18 Yards pro gelaufener Route) und Bennett (2,25) auf dem ersten respektive dritten Platz was Yards pro Route für Tight Ends angeht.
Erlebe ausgewählte NFL-Spiele Live auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat
Doch was bedeuten all diese Zahlen? Zweierlei: Zunächst einmal unterstreicht es die enorme Bedeutung beider Tight Ends in der Offense der Patriots. New England setzt extrem stark auf Gronkowski und Bennett, um das Kurzpassspiel zu erleichtern, gleichzeitig aber auch um für Defenses schwerer ausrechenbar zu sein. Denn zusätzlich lässt sich vor allem das daraus schließen: New England ist, wie kaum ein anderes Team in der NFL, aus seiner Base-Formation heraus unglaublich vielseitig und somit schwer einschätzbar.
Weil sowohl Gronk, als auch Bennett kurze Routes genau wie lange Routes problemlos in ihrem Arsenal haben, während sie beide gleichzeitig auch gute Run-Blocker sind - man könnte argumentieren, dass New England die beiden komplettesten Tight Ends der Liga hat - weiß eine Defense schlicht nicht, was sie erwartet. Die Patriots können drei Mal hintereinander mit den gleichen Spielern in der gleichen Aufstellung raus kommen, und drei Mal komplett unterschiedliche Dinge tun.
All das bricht jetzt nicht auf einen Schlag komplett weg, doch werden die Möglichkeiten für New England signifikant eingeschränkt. Mit Gronkowski und Bennett auf dem Platz ist es eine kaum ausrechenbare Offense, die mit ihrem Scheme und ihrem Personal für jede Defense große Matchup-Probleme präsentieren kann. Dass New England dazu auch ohne seinen nach Tom Brady wichtigsten Spieler in der Lage ist, muss sich erst zeigen. Stand jetzt stehen die Pats in 21 Spielen (inklusive Playoffs) ohne Gronkowski bei 15 Siegen und sechs Niederlagen.
"Es hilft natürlich nicht, großartige Spieler zu verlieren", brachte es Brady am späten Donnerstagabend bei Westwood One Radio Network so treffend auf den Punkt. "Das macht die Sache schwieriger für uns. Aber so ist die NFL-Saison nun mal. Jeder will, dass Gronk in jedem Play auf dem Platz steht. Aber die Realität ist eine andere."
2. Wie reagiert die Offense - und gibt es das Gronk-Comeback 2016?
Einen zweiten Tight End Marke Rob Gronkowski gibt es nicht, folgerichtig werden Bill Belichick und die Patriots das machen, was sie ohnehin am besten können - sich an die äußeren Umstände anpassen.
Das bedeutet auf der einen Seite, dass 3-Receiver-Sets eine wichtigere Rolle erhalten dürften. Da kommt es gerade recht, dass Rookie-Receiver Malcolm Mitchell über die letzten beiden Spiele zwölf Targets hatte (seine beste Ausbeute über zwei Spiele in dieser Saison), auch seine drei Touchdowns in dieser Spielzeit kamen allesamt in den letzten beiden Spielen zustande - zwei davon zuletzt gegen die Jets, als er Darrelle Revis riesige Probleme bereitete.
Spielte er gegen Gang Green noch 47 Prozent der Snaps, ist ein Anstieg hier über die kommenden Wochen also mehr als wahrscheinlich: Patriots-Fans dürften ohne Gronk mehrfach Formationen mit Mitchell, Julian Edelman und Chris Hogan gleichzeitig auf dem Platz sehen. Mitchell sollte New England auch zumindest eine Präsenz im Deep-Passing-Game geben, etwas, das durch die Verletzung von Gronkowski ebenfalls zu einer Baustelle wird. Seit 30 Jahren hatte niemand so viele Yards wie Gronk (540) mit so wenigen Receptions (25).
Sebastian Vollmer im Interview: Brady? "Normale Regeln gelten nicht"
Gut ist das Timing auch im Running-Back-Corps, wo Dion Lewis seit zwei Wochen wieder spielt. Gegen die Jets erhielt er bereits sechs Runs und sieben Targets, Lewis zeigt in Ansätzen schon wieder seine sensationelle Beweglichkeit. Hier könnte eine Alternative zu 3-Receiver-Sets liegen: Formationen mit zwei Running Backs im Backfield - etwa auch mit Lewis und LeGarrette Blount, um so eine stärkere Unberechenbarkeit zu wahren. Denn Gronkowskis Ausfall wird auch im Run-Blocking merklich schmerzen.
Ein weiterer Lichtblick aus Sicht der Pats jedoch: Die Offensive Line hat insgesamt ein gutes Jahr und rangiert im oberen Mittelfeld. Vor allem beide Tackles spielen solide, weshalb Marcus Cannon jüngst auch einen neuen Fünfjahresvertrag erhalten hat. Das sollte New England Stabilität geben, während sich die Offense umstellt.
Und Gronk selbst? Berichten zufolge hätte Gronkowski auch versuchen können, die Verletzung ohne Operation ausheilen zu lassen, um potentiell früher wieder spielen zu können. Gleichzeitig hätte er damit aber womöglich einen Nerven-Schaden riskiert, der seine gesamte weitere Karriere in Gefahr gebracht hätte.
Man darf nicht vergessen, dass es bereits die dritte Rücken-Operation für den Tight End sein wird - somit gilt es, jegliche Prognosen über den möglichen Comeback-Termin mit Vorsicht zu genießen. Generell ist mit Rücken-Verletzungen mitnichten zu spaßen, bedenkt man Gronkowskis physische Spielweise sowie seine Blocking-Aufgaben in den Trenches, gilt das umso mehr.
Das bestätigten Team und die Gronkowski-Familie in einem gemeinsamen Statement am Donnerstagabend. "Wir erwarten nicht, dass er im Laufe der 2016er Saison nochmals spielen kann. Aber wir warten auf die Ergebnisse der morgigen Operation, ehe wir ein finales Urteil abgeben", heißt es da unter anderem.
Die Entscheidung für den Eingriff scheint somit der absolut richtige Schritt zu sein. Die Pats dürften es mit Gronks Rückkehr nicht überstürzen, alleine schon, um mögliche langfristige Schäden zu verhindern. Die infolge der erneuten Verletzung leise kursierenden Trade-Gerüchte dürften selbst mit Blick auf die knallharten Patriots-Standards zu diesem Zeitpunkt äußerst unwahrscheinlich sein.
3. Was bedeutet das Gronk-Aus für das AFC-Playoff-Bild?
Aktuell liegen die Patriots und die Raiders noch gleichauf - kann der Gronk-Ausfall das Playoff-Bild in der AFC also nachhaltig beeinflussen? Jein. Lediglich, falls New England die Division tatsächlich noch an Miami verliert, scheint das eine ernsthafte Option zu sein. Denn weder der AFC-North-Sieger (aktuell Baltimore), noch der AFC-South-Sieger (aktuell Houston) sollte die Patriots bis zum Saisonende einholen können.
Cardinals, Panthers, Bengals und Co.: Wie konnte es so weit kommen...?
Und der Blick auf die ausstehenden Spiele verrät: Allzu wahrscheinlich ist es nicht, dass Miami den AFC-East-Abo-Sieger in der verbleibenden Zeit verdrängt: New England trifft noch auf Los Angeles, Baltimore und die Jets sowie auswärts auf Denver - und eben auf die Dolphins.
Miami, nach wie vor seinerseits mit Verletzungssorgen in der für die Dolphins-Offense so wichtigen Offensive Line, muss derweil noch nach Baltimore, zu den Jets und zu den Bills sowie zuhause gegen Arizona und gegen die Pats ran.
Vor allem aber die Raiders, mutmaßlich New Englands einziger ernsthafter Konkurrent um den Top-Seed, haben ein knallhartes Restprogramm. Gegen Buffalo und Indianapolis - sowie in Kansas City, in San Diego und in Denver. Oakland könnte, mit drei Division-Auswärtsspielen, also durchaus seinerseits noch abrutschen. In jedem Fall scheinen zwei Pleiten für die Raiders alles andere als aggressiv geschätzt.
Fazit: Auf das Seeding sollte die Gronkowski-Verletzung keine allzu großen Auswirkungen haben - doch was passiert danach? Der Tight End kann wie kaum ein zweiter Spieler in der NFL den Unterschied ausmachen, man denke nur an die furiose Aufholjagd in Denver im Vorjahr, als Brady in den Schlusssminuten immer wieder den von mehreren Gegenspielern verzweifelt gedeckten Gronk suchte, und New England beinahe spät zurückgekommen wäre.
Die Patriots haben in dieser Saison keine Defense, die Spiele in den Playoffs entscheiden oder gar bestimmen wird. Der Pass-Rush ist merklich zu zahnlos, die Front Seven insgesamt durchaus schlagbar. Somit wird diese Aufgabe erneut der Offense zufallen, ob in einem Shootout gegen Oakland oder einer knallharten Schlacht gegen Denver. In beiden Fällen sind die Chancen für die Patriots ohne Gronkowski um ein Vielfaches geringer.
Unter dem Strich bleibt aber auch festzuhalten: Es gibt in dieser Saison in der AFC keinen klaren Favoriten - New England kam dem mit Gronk noch am nächsten. So aber haben die Raiders und die Steelers jeweils noch immer viel zu anfällige Defenses, die Broncos und die Ravens auf der anderen Seite je bestenfalls inkonstante Offenses. Die Chiefs sind offensiv noch immer zu konservativ, Houston Stand jetzt nur rechnerisch ein Playoff-Team.
Will man also irgendein Fazit mit Blick auf die Postseason ziehen, so wäre es das: Die AFC-Playoffs sind ohne Gronk nochmals ein gutes Stück weiter offen, als sie es ohnehin schon waren.