Während die Offense in Baltimore geradezu bemitleidend beäugt werden muss, zeigt sich in der Defense ein gänzlich anderes Bild. Bereits in der vergangenen Saison gelang Defensive Coordinator Dean Pees der Turnaround, in fast allen signifikanten Statistiken rangierten die Ravens in den Top-10. Doch damit gab man sich nicht zufrieden: Newsome hatte bereits unmittelbar nach dem Saisonende angekündigt, die Secondary verstärken zu wollen und im Gegensatz zu den Versprechen in der Offense lieferte der GM - und wie.
Den größten Namen präsentierte er gleich zu Beginn der Free Agency: Mit Tony Jefferson wurde der wohl begehrteste Safety auf dem Markt nach Baltimore gelockt. Mit Jefferson und Eric Weddle, der im vergangenen Sommer ebenfalls als Free Agent den Weg nach Maryland fand, verfügt das Team nun plötzlich über ein Safety-Duo, das sich ligaweit vor niemandem verstecken muss.
Beide sind flexibel einsetzbar, zählten zu den stärksten Verteidigern gegen den Run, sind aber ebenso in der Lage, in Coverage standzuhalten. Weddle wird seine Rolle zwar ein wenig verändern und vermehrt den Deep Safety geben müssen, sollte das Duo auf dem Feld allerdings nur annähernd so gut harmonieren wie sie es jetzt bereits auf Twitter tun, dürfte sich so mancher Quarterback auf einige ungemütliche Abende einstellen.
Das Ende der Cornerback-Suche?
Noch wichtiger als das Upgrade in der Mitte des Feldes dürften jedoch die Verpflichtungen auf der Cornerback-Position sein. Bereits seit Jahren suchen die Ravens vergeblich nach einem Gegenpart zu Nummer-1-Corner Jimmy Smith. Dessen immer wieder auftretende Verletzungsanfälligkeit trug zur Lösung dieses Problems obendrein nur bedingt bei.
In der Folge ließ Baltimore in der vergangenen Saison 28 Receiving-Touchdowns zu. Vor allem spät im Spiel mangelte es den Ravens immer wieder an Qualität, um die gegnerischen Wideouts zu stoppen. Der brutale Last-Minute-Touchdown-Catch von Antonio Brown in Week 16 steht beispielhaft dafür.
Dieses Problem wurde aggressiv angegangen. Brandon Carr, der aus Dallas kam, liefert vor allem eins: Beständigkeit. Kein Cornerback spielte seit dem Draft 2008 auch nur annähernd so viele Snaps wie der 31-Jährige, der so nicht nur den Komplementär-Back zu Smith geben soll, sondern gleichzeitig eine Art Versicherung für diesen darstellt. Mit Erstrunden-Pick Marlon Humphrey sowie der positiven Überraschung der Vorsaison Tavon Young im Slot verfügt Pees plötzlich über eine lange nicht mehr da gewesene Tiefe in der Secondary.
Neu gewonnene Variabilität
Die neu hinzugewonnene Qualität wie Quantität eröffnet den Ravens plötzlich auch ganz neue Möglichkeiten im Gestalten des Playbooks. Es darf davon ausgegangen werden, dass das relativ simple Zone-Coverage-Scheme der Vorsaisons etwas abgeändert werden, mehr Man Coverage gespielt und womöglich auch mehr geblitzt werden wird - womit auch dem kränkelnden Pass Rush geholfen werden könnte.
Dass man mit dem athletischen Jefferson einen Safety hinzugewonnen hat, der in der Lage ist, Tight Ends alleine zu decken, hilft dabei ungemein. Jefferson wird es Baltimore erlauben, mehr auf Nickel- und Dime-Sets zu setzen - und so die eigene Pass-Defense zusätzlich zu unterstützen.
Pass-Rush dringend benötigt
Auch der Pass-Rush soll von der verstärkten Secondary profitieren. Mit gerade mal 31 Sacks rangierten die Ravens in der vergangenen Saison im unteren Viertel der Tabelle. Terrell Suggs ist zwar trotz zweier Achillessehnenrisse immer noch produktiv, im Alter von 34 Jahren jedoch kein One-Man-Pass-Rush mehr.
Hilfe soll er dabei in der kommenden Saison vor allem von einigen Youngstern bekommen. Da Kamalei Correia aller Voraussicht nach seine Transformation zum Inside Linebacker neben C.J. Mosley fortsetzen wird, wird die Jagd nach dem Quarterback auf den Schultern eines Trios verteilt werden: Matthew Judon, Tyus Bowser und Tim Williams bringen zweifelsohne die erforderliche Athletik und Qualität mit, wie schnell sie diese auf dem NFL-Level abrufen können, bleibt allerdings noch abzuwarten.
Defensive Line als neue Problemzone?
Bei all dem (berechtigten) Lob über die Verbesserungen innerhalb der Ravens-Defense muss man sich jedoch gleichzeitig fragen, ob sich Baltimore mit der Fokussierung auf die Pass-Defense nicht womöglich gleich wieder eine neue Baustelle selbst aufgemacht hat.
Die Run-Defense stellte in der vergangenen Saison lange Zeit die große Stärke des Teams dar und mit Brandon Williams wurde der Anker in der Mitte der D-Line auch tatsächlich kostspielig gehalten. In Zachary Orr, Timmy Jernigan und Lawrence Guy verlor man aber dennoch gleich drei (vor allem gegen den Run) wichtige Bestandteile der Front Seven.
Dass die Ravens sich proaktiv dazu entschieden, Jernigan für einen relativ geringen Gegenwert in Richtung Philadelphia zu verschiffen, deutet darauf hin, dass man durchaus Vertrauen in die Qualitäten seiner Young Guns in der Front hat. Ob dieses tatsächlich gerechtfertigt ist, muss sich jedoch erst noch zeigen. Stand jetzt stehen hinter allen Kandidaten, Michael Pierce (eigentlich ein zweiter Nose Tackle), Bronson Kaufusi, Brent Urban (beide Verletzungsprobleme) und Chris Wormley (Rookie), noch klare Fragezeichen.
Endlich wieder Playoffs
Über Qualität verfügt die Ravens-Defense dennoch allemal. Mit Weddle, Jefferson, Mosley, Williams und Co. stehen zahlreiche Spieler mit Pro-Bowl-Potential zur Verfügung. Newsome hat auf dieser Seite des Balls geliefert, nun wird Pees zeigen müssen, dass er die Puzzleteile auch zusammensetzen kann - Fragezeichen in der Front Seven hin oder her.
Der Druck in Baltimore ist schließlich nicht nur aufgrund der ungewöhnlich aggressiven Offseason groß. Eine vierte Saison ohne Playoffs innerhalb von fünf Jahren wäre für die eigentlich chronisch erfolgsverwöhnte Franchise nicht hinnehmbar. Bei einem erneuten Misserfolg würden sich auch Harbaugh und Flacco, die Gesichter der Franchise, erstmals ernsthaft öffentlicher Kritik stellen müssen.
Noch haben die beiden allerdings die Trümpfe selbst in der Hand. Talent ist in Baltimore - vor allem defensiv - zweifelsohne vorhanden. Der Weg, der verfolgt werden soll, ist klar definiert und altbekannt. Ob dieser allerdings erneut zu Erfolg führen kann, steht noch auf einem anderen Blatt.