Nein, sie waren nicht einfach, die letzten Jahre als Bears-Fan. Dafür reicht schon ein Blick in die eigene Division: Erzrivale Green Bay dominiert die Bears seit Jahren (zwölf der letzten 14 Duelle gingen an die Packers), die Vikings bauen sich in der Post-Adrian-Peterson-Ära aktuell eine Top-Defense auf und die Lions haben es über die letzten Jahre immer wieder einmal in die Playoffs geschafft.
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Chicago dagegen? Eine Playoff-Teilnahme in den letzten zehn Jahren. Und die endete - wie könnte es anders sein - mit einer Heimpleite gegen die Packers. Über das letzte Jahrzehnt gesehen gelangen Chicago nur drei Spielzeiten mit positiver Sieg-Niederlagen-Bilanz, während Bears-Quarterback Jay Cutler regelmäßig im Mittelpunkt von Spöttereien stand.
Cutler ist nach acht Jahren im Bears-Trikot inzwischen nicht mehr da. Zieht man aber ein Zwischenfazit über die letzten Wochen, dürfte das im Gefühlsleben der meisten Bears-Fans wenig geändert haben. Wer sich mit Chicago-Anhängern befasst, dem wird schnell klar: Der Pessimismus regiert in der Windy City in diesem Jahr bereits Ende Mai.
Der Draft als PR-Alptraum
Dabei herrscht seit dem Draft vor allem eine gehörige Portion Unverständnis. Erst im März, gleich zu Beginn der Free Agency, hatten sich die Bears mit Mike Glennon den vermeintlichen Quarterback der Zukunft geholt. Für drei Jahre und bis zu 45 Millionen Dollar unterschrieb der 27-Jährige, wenngleich sich der Vertrag ultimativ nach einem Jahr und Zahlungen über 18,5 Millionen Dollar für Chicago vergleichsweise günstig beenden lässt.
Auch das allerdings dürfte Glennon nicht auf einen wahrlich unangenehmen Draft-Abend vorbereitet haben: Die Bears hatten ihren neuen Quarterback nämlich zur großen Fan-Draftparty im Stadion eingeladen, wo er live miterleben musste, wie Chicago teuer vom dritten auf den zweiten Spot tradete - und dort Mitchell Trubisky, also Glennons Ablöse, draftete. Ein Schritt, den niemand im Vorfeld so hatte kommen sehen. Keiner der großen Draft-Experten, kein Bears-Fan und ganz besonders nicht Mike Glennon.
Die Gerüchteküche brodelte nach dem Draft sogar so weit, dass Head Coach John Fox erst wenige Stunden vor dem Draft von den Plänen der Team-Bosse um Geschäftsführer Ryan Pace erfahren haben soll, für Trubisky All-In zu gehen.
Diese Gerüchte wurden zwar nicht bestätigt, ein anonymer Team-Boss der Konkurrenz stellte aber bei CBS klar: "Wir haben keine Ahnung, was zum Teufel sie da gemacht haben. Alle sprechen darüber. Zwischen Pace und Fox läuft es wirklich schlecht. Fox ist sauer darüber, dass er über den Trubisky-Trade nicht früher informiert wurde. Ich kenne niemanden, der ihren Draft mochte. Wen auch immer man in der Liga fragt: Die Leute sind geschockt."
Teure Deals - wenige Antworten
Die Gefühlslage wurde wohl vom Großteil der Fans geteilt, und es wurde in den Tagen nach dem Draft nicht wirklich besser. Nachdem bereits die 18,5 Millionen Dollar für Glennon nicht wenige überrascht und den Eindruck erweckt hatten, dass Chicago einen höheren Preis als notwendig gezahlt hatte, war der Trubisky-Deal nochmals eine ganz andere Dimension.
Neben dem Pick-Tausch (zweiter gegen dritter Pick) erhielt San Francisco von den Bears die Picks Nummer 67 und 111 sowie Chicagos Drittrunden-Pick 2018. Betrachtet man die Pick-Value-Charts, die den durschnittlichen Wert der Draft Picks vergleichen, ist es per se kein Katastrophen-Trade. Allerdings hatten sich die Bears allem Anschein nach von den 49ers zu dem Trade in dieser Form überreden lassen, unter dem Eindruck, dass ein anderes Team ebenfalls auf den zweiten Spot traden wollte.
Steals, Quarterbacks, große Fragezeichen: Draft-Grades für alle 32 Teams
Eine laut vielen Insidern zumindest fragwürdige Theorie, und so kommt unweigerlich der Eindruck auf, dass die Bears innerhalb von rund vier Wochen gleich zwei Mal unnötig teure Ressourcen in Quarterbacks gesteckt haben - ohne unter dem Strich eine klare Antwort auf der wichtigsten Position zu haben. Trubisky mag viel Potential mitbringen, sein College-Tape zeigt jedoch auch, dass er in der NFL noch eine Weile brauchen wird. Ohne größeres Aufsehen verlief lediglich die Verpflichtung des neuen dritten QBs Mark Sanchez.
Darüber hinaus wäre da noch die Frage, zu wem Glennon - und eventuell auch bald schon Trubisky - den Ball werfen wird. Chicagos Nummer-1-Receiver Alshon Jeffery wechselte als Free Agent nach Philadelphia, Eddie Royal wurde entlassen. Im Gegenzug verpflichteten die Bears durchschnittliche Spieler wie Rueben Randle, Markus Wheaton und Kendall Wright, während ganz Chicago nach wie vor hoffen muss, dass Kevin White (siebter Pick von 2015) endlich fit bleibt und dann den einstigen Vorschuss-Lorbeeren auch gerecht wird. Cameron Meredith dürfte zum jetzigen Zeitpunkt die sicherste Wide-Receiver-Option in Chicago sein.
Defense gibt Grund zum Optimismus
All das erklärt den Gefühlszustand rund um die Windy City. Der Rückstand auf die Konkurrenz wurde in den vergangenen Wochen zumindest für 2017 nicht gerade kleiner. Doch gleichzeitig gilt: Es ist nicht alles schlecht!
Da fällt einerseits die Secondary auf: Chicago rangierte in der vergangenen Saison in puncto gegnerische Completion Percentage, Yards pro Passversuch und Passer Rating und der unteren Tabellenhälfte, die Secondary war ein riesiges Problem. Zwar gelang es nicht, hier einen der ganz dicken Free-Agency-Fische an Land zu ziehen, die neu verpflichteten Prince Amukamara, Marcus Cooper und Quintin Demps stellen dennoch deutliche Upgrades dar.
Dann wäre da die Front Seven, insbesondere im Pass-Rush unterschätzt. In der vergangenen Saison fielen unter anderem Pernell McPhee und Eddie Goldman länger aus, Linebacker Danny Trevathan zog sich Ende November einen Patellasehnenriss zu und wird womöglich auch den Start des Training Camps verpassen und Lamarr Houston verpasste nahezu die komplette Saison. Trotzdem brachten die Bears immerhin noch 37 Sacks zustande, unter anderem zeigte Leonard Floyd (sieben Sacks) positive Ansätze.
Das Run Game als Problemlöser?
Für Hoffnung darf allerdings ganz besonders das Run Game sorgen. Jordan Howard war in der Vorsaison eine der großen Positiv-Überraschungen: Der Fünftrunden-Pick stürmte direkt zu 5,2 Yards pro Run, drei Yards pro Run nach Gegnerkontakt, durchbrach 40 Tackles und lieferte laut Pro Football Focus die meisten Yards bei Run zwischen den Tackles ab (966).
Um die Interior-O-Line weiter zu stärken, soll Kyle Long auf den Left-Guard-Posten versetzt werden, sodass Josh Sitton auf die ihm eigentlich angestammte Right-Guard-Position wechseln kann. Bereits in der vergangenen Saison hatte Chicago bei den Statistikern von Football Outsiders immerhin die achtbeste Run-Blocking- sowie die siebtbeste Pass-Protecting-Line.
Und selbst Glennon sorgte nach dem Draft für einige positive Schwingungen. Nur einen Tag nach dem Draftparty-Debakel war er wieder in den Bears-Einrichtungen und studierte Protection-Schemes. "Er hat das so professionell aufgenommen, wie es nur geht", lobte Quarterback-Coach Dave Ragone bei CSN Chicago. Die Bears-Verantwortlichen haben Glennon nach dem Draft unisono als Starter deklariert, jetzt geht es für Ragone nur noch darum, ihn so schnell wie möglich in Topform zu bringen.
Hört auf Jay Cutler
Trotz dieser Mutmacher aber erwartet Bears-Fans ab September womöglich eine harte Prüfung. Chicago eröffnet die Saison gegen Atlanta, in Tampa Bay, gegen Pittsburgh und in Green Bay, gefolgt von Duellen mit den Vikings, den Ravens und den Panthers. Ein angenehmer Saisonstart geht sicher anders, und John Fox wäre nicht der erste Coach, der seinen Kopf dadurch retten will, dass er den jungen Quarterback der Zukunft vorschnell ins kalte Wasser wirft.
Das SPOX-Power-Ranking nach Draft und Free Agency
Sollte es tatsächlich früh schlecht laufen, täten die Bears gut daran, auf niemand anderen als Jay Cutler zu hören. Der stellte nämlich jüngst bei CSN Chicago klar: "Wenn das Team abstürzt, sehe ich keinen Grund, den Rookie aufzustellen. Garantiert werden die Leute ihn dann fordern, man hat ihn schließlich mit dem zweiten Pick gedraftet. Aber in dieser Liga ist es als Quarterback nicht leicht, Spiele zu gewinnen, wenn es an Unterstützung mangelt."
Trubisky könne in dieser Situation nur verlieren: "Warum sollte man ihn dann einsetzen? Damit er da draußen verprügelt wird und gleich einen schwierigen Einstand als NFL-Quarterback hat? Ich würde ihn auf keinen Fall bringen, wenn es während der Saison schlecht läuft."
Damit haben Bears-Fans über die letzten Jahre bekanntermaßen so ihre Erfahrungen gemacht. Doch Cutler hat Recht: Trubisky zu verheizen wäre das schlimmste Resultat der kommenden Saison. Denn eines ist trotz fragwürdiger Entscheidungen in der laufenden Offseason klar: In diesem Team steckt mehr Talent, als es aktuell den Anschein hat. Womöglich werden Bears-Fans schon früher wieder optimistisch in einen NFL-Herbst gehen, als sie sich aktuell vorstellen können.
Und eines ist auch klar: Wird Trubisky tatsächlich zu Chicagos Franchise-Quarterback, erstrahlt die aktuell noch holprige Offseason in einem ganz anderen Licht. Das war bekanntermaßen schon immer so in der NFL.