Die New York Jets haben sich Stück für Stück von ihren besten und erfahrensten Kräften getrennt und damit eindeutig gezeigt, dass sie auf die Ergebnisse der kommenden Jahre nicht allzu großen Wert legen. Stattdessen werden die Blicke schon jetzt auf den kommenden Quarterback-Jahrgang gerichtet, bei dem die Jets möglichst früh zugreifen wollen. Das Wort "Tanking" wird dennoch tunlichst vermieden.
Pittsburgh im Januar 2010, East Rutherford im Januar 2017 - da gab es einige, nicht zu verkennende Ähnlichkeiten. Zum Beispiel eisige Temperaturen. Was die beiden Orte unterschied, waren einerseits knapp 600 Kilometer Luftlinie, andererseits die Ergebnistafeln in den örtlichen Football-Kathedralen.
In Pennsylvania gingen die New York Jets als Verlierer, in New Jersey sieben Jahre danach als Gewinner vom Feld. Gemeinsam hatten beide Orte dennoch das Ende der Jets-Saison - einmal früher, einmal sehr viel später: 2010 verpasste New York im AFC Championship Game durch eine 19:24-Niederlage bei den Steelers nur knapp den Super Bowl, 2017 trotz des deutlichen 30:10-Sieges gegen die Buffalo Bills mindestens genauso deutlich die Playoffs.
In der vergangenen Saison konnte der Kantersieg am Neujahrstag nämlich lediglich die Bilanz einer schwachen Saison auf 5-11 aufhübschen. 2010 hingegen war es ein starker Playoff-Run, der über Indianapolis mit Peyton Manning und Foxborough mit Tom Brady führte und schließlich in Pittsburgh endete.
Enden sollten da auch vorerst die Postseason-Träume der Gang Green.
In den sieben Jahren seit jenem AFC Championship Game hat sich im Klubgelände im Florham Park einiges bis alles zum Schlechten gewandt. Nur 2015 standen am Saisonende mehr Siege als Niederlagen zu Buche, ansonsten waren die Jets weit entfernt von jeglichen Postseason-Hoffnungen. In einer AFC East, in der hinter den alles dominierenden Patriots das jährliche Schneckenrennen gegen die Bills und Dolphins zumeist keinen Sieger fand - freuen durften sich da nur die anderen Divisions über weniger Konkurrenz im Rennen um die Wild Cards.
Maccagnan schmeißt die Gegenwart weg
Verbessern wird sich das auch im nächsten Jahr mit Garantie nicht. Das Gegenteil ist umso wahrscheinlicher, denn in den vergangenen Wochen haben die Jets ihre Gegenwart mehr oder weniger weggeworfen. Das Ziel: in naher Zukunft besser sein als nur Mittelmaß.
Angefangen hatte das bereits vor dem Draft im Februar mit der Entlassung von Veteran Nick Mangold. Weiter ging es im März mit Pro-Bowl-Wide-Receiver Brandon Marshall (inzwischen bei den Giants) und Pro-Bowl-Cornerback Darrelle Revis, dessen Abgang aufgrund seines enormen Gehalts für viel Cap Space sorgte. Die Lücke unter der Gehaltsobergrenze würde nach aktuellem Stand für das kommende Jahr enorme 66 Millionen Dollar betragen.
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Schon zum damaligen Zeitpunkt tauchten erste Gerüchte auf, wonach General Manager Mike Maccagnan mit seinen Personalentscheidungen absichtlich dafür sorge, dass die Jets in der nächsten Spielzeit nicht allzu gut dastünden. Was für Uneingeweihte bizarr klingt, ist die simple, wenn auch nicht gerade unumstrittene "Tanking"-Strategie. Siege stehen dabei nicht ganz oben auf der Agenda, dafür aber ein bestmöglicher Pick im kommenden Draft.
Maccagnan bestritt dies zwar vehement - und tut es noch -, doch nach den jüngsten Ereignissen braucht er es im Grunde nicht mehr auszusprechen: Die Jets-Fans haben die Zeichen der Zeit erkannt.
Anfang Juni nämlich trennte sich New York auch von Receiver Erik Decker und Linebacker David Harris. Beide waren prägende Gesichter der Franchise, Decker in jüngerer Vergangenheit, Harris über die vergangene Dekade. ESPN schickte umgehend schwarze Wolken nach East Rutherford und betitelte den ersten Dienstag des Monats als "Bloody Tuesday".
Wurde Coach Bowles hintergangen?
NFL-Insider Daniel Jeremiah ließ anschließend über Twitter verlauten, ein Präsident von einem Konkurrenten habe das Roster der Jets als "das Schlechteste, das ich im letzten Jahrzehnt gesehen habe" bezeichnet. Unrecht hat er womöglich nicht, auch wenn Cleveland sich diesbezüglich in jüngerer Vergangenheit viel Mühe gegeben hat.
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"Wir wollen Entscheidungen treffen, die unser Team voranbringen", begründete Maccagnan seine Personalrochade, die bei den Spielern zum Großteil auf verdutzte Gesichter stieß. "Ich habe es hingenommen", reagierte etwa Reciever Quincy Enunwa. "Natürlich ist keiner von uns sonderlich glücklich über diese Entscheidungen, aber so läuft das Geschäft eben. Wir spielen zwar Football, aber am Ende des Tages ist es ein Geschäft." Der Sechstrundenpick des Jahres 2014 könnte nominell als Receiver Nummer eins in die Saison gehen, auch wenn er darauf wenig Wert legt: "Ich will einfach nur mein Spiel spielen."
Head Coach Todd Bowles blies zwar ins gleiche Horn, doch war dem 53-Jährigen die Enttäuschung ebenso deutlich anzumerken. "Es waren gemeinsame Entscheidungen", versuchte er abzuwiegeln. "Es ist nicht so, dass hinter meinem Rücken gehandelt wurde."
Ein QB schwächer als der andere
Und dennoch könnte Bowles als womöglich größter Verlierer aus dem aktuellen Schlamassel hervorgehen. Nach einem guten ersten (10-6) und einem schwachen zweiten Jahr wartet ein in der Regel richtungsweisendes drittes Jahr, das ihn wenig erwartungsfroh stimmen kann. Durch den letzten Division-Platz im Vorjahr hat er den Druck auf seine Person erhöht - und kann jetzt nicht liefern.
Denn die Planungen der Jets sind auf die Zukunft und nicht die Gegenwart gerichtet. Auf der grünen Seite des Big Apples kann für die kommenden Jahre Stand jetzt nicht viel erwartet werden.
Dafür genügt auch ein Blick auf die Quarterback-Position, die nach den logischen Entlassungen von Ryan Fitzpatrick und Geno Smith nicht verstärkt wurde. Bryce Petty kam im vergangen Jahr sechsmal zum Einsatz, seine verheerende Bilanz von drei Touchdowns gegenüber sieben Interceptions macht wenig Hoffnung auf mehr. Selbiges gilt für Christian Hackenberg, der im letztjährigen Draft in Runde zwei gepickt wurde. Vor dem Draft noch angepriesen, rutschte der 22-Jährige durch unterdurchschnittliche Pre-Season-Darbietungen im internen Ranking an letzte Stelle. Seine fehlende Genauigkeit im Training ist schon jetzt fast legendär.
Alle Hoffnungen auf Twitter-Trend Darnold
Starten wird deshalb wohl der 37-jährige Josh McCown, für den New York bereits die zehnte Anlaufstelle in der NFL ist. Hohe Erwartungen hat man an den gebürtigen Texaner nicht, zumal er in seiner 15-jährigen Karriere eine Siegquote von knapp 30 Prozent aufweist. McCown gilt vielmehr als Lückenbüßer für den kommenden Franchise-Quarterback, den es so bei den Jets seit Marc Sanchez' kurzer Regentschaft zwischen 2009 und 2012 nicht mehr gegeben hat. Und der bald endlich wieder kommen soll.
Der Hashtag #ScamforSam ist bei der Gang Green schließlich schon seit einigen Monaten Twitter-Trend. Gemeint ist College-Quarterback Sam Darnold, der dank beeindruckender Leistungen für die USC Trojans als potenzieller First-Overall-Pick in den 2018er Draft gehen könnte und schon jetzt, viele Monate vor einer möglichen NFL-Karriere, die große Hoffnung der Jets-Fans ist.
Was bleibt sonst noch? Im Backfield ist Matt Forte die Starterrolle und auch eine weitere Beschäftigung in New York wohl vorerst sicher. Der 31-Jährige trug mit 813 Rushing Yards und sieben Touchdowns immerhin zu fünf Siegen in seiner ersten Jets-Saison bei. Lediglich im Running Game beendete New York die Saison nicht im unteren Drittel der Liga.
Das Power Ranking nach Draft und Free Agency
Im Receiving-Corps herrscht dagegen wie im restlichen Kader große Unerfahrenheit. Forte (31) und McCown (37) sowie Safety Tanner Purdum (32) und Nose Tackle Steve McLendon (31) sind die einzig verbliebenen Ü30-Profis. Eine Anfrage bei Steve Smith verlief erfolglos, der 38-jährige Receiver will aus seinem Ruhestand nicht zurückkehren.
Tanking? Einzig logische Option
Wer hat zumindest Potenzial? Viele Augen werden auf First-Round-Pick Jamal Adams gerichtet sein. Der LSU-Safety war an Position sechs ein No-Brainer und könnte direkt zum Anker der Defense werden, aus der sonst noch Lineman Muhammad Wilkerson oder DB Morris Claiborne herausstechen. In der Offense hingegen wird es dünn.
Nichtsdestotrotz machte Enunwa einen Faktor aus, der ihn für die kommende Saison positiv stimmt. "Wir haben keine Top-Leute", erklärte er und fügte an: "Wir haben viele Jungs, die ihn der sechsten und siebten Runde gedraftet wurden, so wie ich. Genau das macht uns aus: Wir möchten zeigen, was wir können. Und es liegt jetzt an uns, unsere Kritiker Lügen zu strafen."
Läuft es wie erwartet, können sie das erstmal nicht. Trotzdem sind die getroffenen Entscheidungen im Grunde durchaus sinnvoll - den Zeitpunkt mal ausgenommen. In der Brady-Ära werden die Patriots in der AFC kaum an Dominanz verlieren. Da ist es verständlich, die nächsten drei oder vier Jahre abzuwarten und im Hintergrund ein talentiertes Team aufzubauen. Spieler wie Decker und Harris wären dann ohnehin zu alt geworden, weshalb der Umbruch eben jetzt schon stattfindet.
Und so sehr der Jets-Fan auch im nächsten Jahr bluten könnte - zumindest die Hoffnung auf eine hellere Zukunft bleibt.