Die Opfer des O-Line-Virus

Pascal De Marco
27. September 201711:23
Die Seattle Seahawks haben bislang große Probleme in der Offensive Line - so wie mehrere Teamsgetty
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Die Saison ist drei Wochen alt und für einige Teams verläuft die Spielzeit alles andere als den Erwartungen entsprechend. Zu den frühen Problemkindern der Saison gehören unter anderem die New York Giants, die Seattle Seahawks, die Cincinnati Bengals und die Arizona Cardinals. SPOX erklärt, woran es bislang hakt - Spoiler: ein Muster ist erkennbar.

New York Giants (Bilanz: 0-3)

Giants-Problem 1: Die Selbstsabotage

Als Brandon Marshall in der Offseason die New Yorker Teams gewechselt hatte, sprach er von der Motivation, den Super Bowl zu gewinnen. Nach Week 3 stehen die Giants bei 0-3. Eine Bilanz, bei der seit dem NFL-Zusammenschluss 1970 später nur fünf Teams die Playoffs noch erreichen konnten. So wird es für Marshall also schon schwer genug, erstmals in seiner zwölfjährigen NFL-Karriere überhaupt in der Postseason zu spielen.

Die überschwängliche Erwartungshaltung sowie fragwürdige Aktionen auf und abseits des Feldes scheinen die Giants auch in dieser Saison zu begleiten. So spielte die Offensive bis zur 24-Punkte-Explosion gegen die Eagles im vierten Viertel wieder einmal überhaupt keine Rolle und blieb weit hinter den hohen Erwartungen von vor der Saison. Dies hinderte Highlight-Maschine Odell Beckham aber nicht daran, seinen ersten Touchdown mit einer derart obszönen Geste zu bejubeln, dass es dafür eine 15-Yard-Penalty gab.

Beckham mag daraufhin zwar erklärt haben, sich dessen nicht bewusst zu sein, "ob die Regeln besagen, dass man sein Bein nicht wie ein Hund [zur Erleichterung - Anm. d. Red.] heben darf", doch zeugt die Geste auch nicht gerade von der in New York erhofften gestiegenen Maturität.

Dies kommt nach einer Playoff-Teilnahme, in der man sich vor dem das Aus besiegelnden Spiel durch einen Boot-Trip eine mediale Zielscheibe aufgeladen hatte. Dies kommt nach einer Woche, in der der Head Coach trotz oftmals zweifelhaftem Play-Calling lieber auf einer Pressekonferenz seinen eigenen Quarterback angeht. Bei allen Problemen, die die Giants gerade begleiten, scheint man sich einige der größten Bürden selbst aufzuerlegen.

Giants-Problem 2: Die Offensive Line

Blickt man auf die herzzerreißende 24:27-Niederlage gegen die Eagles, so sticht als Hauptgrund in erster Linie 193 zugelassene Rushing-Yards einer Run-Defense heraus, die eigentlich zum Non-Plus-Ultra der Liga gehören sollte. Dass das Bodenspiel der Eagles eigentlich nicht zu den Stärken des Teams gehört und die schwere Verletzung von Darren Sproles im ersten Viertel daran nicht wirklich etwas geändert hat, macht diese Zahl nur besorgniserregender.

All das soll allerdings nicht von dem Fakt ablenken, dass das große Sorgenkind im Team immer noch die Offensive Line ist. Nach katastrophalen ersten beiden Spielen, in denen die Riege um den ständig in der Kritik stehenden Ereck Flowers schon acht Sacks gegen Eli Manning zugelassen hatte, sah auch die ersten Halbzeit gegen Philly fatal aus.

Unter dem andauernden Druck warf Manning zwei Picks. Das Running Game zählte nach 30 Spielminuten magere sieben Yards. Zwar konnte sich die Line im zweiten Durchgang etwas rehabilitieren, dennoch ist das Konstrukt eine enorm wacklige Basis, auf der sich Manning und die gesamte Giants-Offense auch in den nächsten Woche bewegen werden.

Ausblick

Der Kalender könnte den Giants in den nächsten zwei Wochen durchaus zu Gute kommen. Zunächst spielt man gegen die Tampa Bay Buccaneers, die auf der defensiven Seite nach dem Vikings-Spiel ein prominent besetztes Lazarett vorfinden sowie jegliche Art von Pass-Rush vermissen haben lassen. In Week 5 folgt dann ein Spiel gegen die bislang sieglosen Chargers.

Seattle Seahawks (Bilanz: 1-2)

Seahawks-Problem 1: Die offensive Identität

Pete Carroll wird wissen, wie er die 27:33-Niederlage gegen Tennessee handhaben muss. Er wird wissen, dass die 420 erlaubten Yards, wovon 195 auf dem Boden zugelassen wurden, keine plötzliche Schwäche seiner überaus talentierten Defense bedeuten. Die Unit stand bei knapp 38 Grad Bodentemperatur in Nashville schlichtweg zu lange auf dem Feld und wurde hier von einem explosiven Back-Duo überrannt, welches schon der Seattle nicht unähnlichen Jaguars-D in Week 2 gehörigen Schaden zugefügt hatte.

Ebenso wird Carroll aber wissen, dass die Offense trotz 27 erzielten Punkten und 373 Yards nicht plötzlich keine Problemzone mehr ist. Vielmehr basiert der Output vom Sonntag auf den herausragenden Improvisationskünsten von Russell Wilson. Dieselbe Offense, die den Titans im Schlussviertel nämlich einige Probleme bereitete, gab den Ball bei den ersten sechs Drives nach nicht mehr als sechs Plays wieder ab. Ein Grund für die lange Spielzeit der Defense.

Der Offense Seattles fehlt eine klare Identität. Diese fehlt ihr seit den Abgängen von Max Unger, Russell Okung und allen voran Marshawn Lynch. Das Run Game kann das Team bisher nicht wie erhofft wieder häufiger tragen, zwar mag Wilson der beste mobile Quarterback der Liga sein, doch geht ihm die Präsenz in der Pocket schlicht ein wenig ab. Aufgrund seiner großartigen athletischen Fähigkeiten tendiert er schnell dazu die Pocket aufzulösen und vor dem Pass-Rush zu flüchten.

Für viele Spieler ist diese Tendenz problematisch, für Wilson funktioniert sie allerdings ungewöhnlich häufig. Unabhängig von dem Erfolg dieses Konzepts sind die Seahawks jedoch auch deshalb nicht in der Lage, ein gesamtheitliches Dropback-Passing-System um ihren Quarterback herum aufzubauen. Will diese Offense langfristig erfolgreich sein, so scheint es sehr fraglich, dass sie dies mit einem ständig flüchtenden Quarterback sein kann. Auch wenn diese Spielweise seine Stärken hervorheben und seine Schwächen kaschieren mag.

Seahawks-Problem 2: Die O-Line und das Run Game

Vielleicht würde es, und das ist ein zentraler Punkt, noch nicht mal eine Rolle spielen, wenn Wilson ein traditioneller Pocket-Passer wäre. Blickt man auf die Art und Weise, wie seine Line performt, so existiert diese Pocket meistens nicht einmal. Diese große Problematik hat sich auch nach den leicht verbesserten Auftritten gegen die 49ers und Titans nicht geändert. Die Wahrscheinlichkeit einer signifikanten und langfristigen Verbesserung sollten als sehr gering eingestuft werden. Grund dafür sind alleine limitierte Voraussetzungen des Personals.

LT Rees Odhiambo lässt sich zu häufig auf physischer Ebene überrumpeln. LG Luke Jockel kommt von einer schweren Knieverletzung. C Justin Britt muss sich neben seinen eigenen Aufgaben auch auf die Probleme rechts neben ihm konzentrieren. Hier war Mark Glowinski schlicht zu langsam und wurde fürs erste durch den ehemaligen Jets- und Texans-Backup Oday Aboushi ersetzt, der gegen Tennessee ebenfalls wackelte. Auf RT spielt Germain Ifedi mit eklatanten Schwächen in der Pass-Protection. Er ist hier allerdings auch eher als Langzeitprojekt anzusehen.

Will man die Schwächen der O-Line überwinden, so muss man um sie herum navigieren. Wilsons Skill-Set passt in erster Linie zu einer Run-First Offense, so basieren seine effektivsten Pass-Spielzüge - Play-Action, Rollouts und Bootlegs - auf dem Running Game. Das hilft zwar auch jetzt der Line, doch die Seahawks haben seit dem letzten "gesunden" Jahr von Marshawn Lynch kein erfolgreiches Running Game mehr gehabt. Beastmode machte zu dieser Zeit alleine aufgrund seiner Fähigkeiten nach Kontakt und gegen Tackling-Versuche einige Defizite der Line wett.

Offensive Coordinator Darrell Bevell wirft gerade Chris Carson in diese Bresche. Der konnte bislang einen guten Eindruck hinterlassen, jedoch ist auch seine Produktion vom Blocking abhängig. Kann sich die O-Line also auch weiterhin nicht rehabilitieren, so müssen die Seahawks weiter stark auf ihr Passspiel vertrauen. Auf ihr Passspiel und die Improvisationskünste von Wilson.

Ausblick

Die Seahawks empfangen in Week 4 die Indianapolis Colts und sind hier beinahe schon unter Zugzwang. Zwar geht man als Favorit in die Aufgabe, doch sollte die Offense ihre Produktion aus dem Titans-Spiel lieber bestätigen. Zieht Seattle in einem weiteren Field-Goal-lastigen Spiel tatsächlich den Kürzeren, so steht in Week 5 bereits ein potentiell Playoff-richtungsweisendes Divisional-Matchup bei den aufstrebenden Rams an.

Cincinnati Bengals (Bilanz: 0-3)

Bengals-Problem 1: Das Personalmanagement

Die 50. Saison der Cincinnati Bengals begann mit Bannern und Feierlichkeiten zu Ehren der erfolgreichsten Spieler in der Team-Geschichte. Nur drei Wochen später erinnert man sich bereits daran, dass die zweite Hälfte in der Franchise-Historie aber alles andere als erfolgreich war. Die Bengals bleiben nach der 24:27-Overtime-Pleite gegen Green Bay bei 0-3. Und dies zum 14. Mal in der Franchise-Geschichte. Auf einen Playoff-Sieg wartet man bekanntermaßen seit 1990.

Daran wird sich auch in dieser Saison nichts ändern, dafür sprechen zumindest die Zahlen, aber auch die bisherigen Leistungen auf dem Platz. Das beste Resultat, welches die Bengals nämlich nach einem 0-3-Start jemals erzielen konnten, war eine Bilanz von 8-8. Dies gelang 1984 und 2003, dem ersten Jahr unter Head Coach Marvin Lewis. Lewis ist 2017 in seinem letzten Vertragsjahr, ein weiterer Grund warum der Saisonstart doppelt schwer wiegt.

Während dies nämlich die letzte Saison von Lewis bei den Bengals werden könnte, bewies die Franchise bei Offensive Coordinator Ken Zampese bereits einen sehr dünnen Geduldsfaden und trennte sich nach Week 2. Und wo die Offense unter Nachfolger Bill Lazor gleich mit dem ersten Drive in Green Bay eine Serie von 25 Drives ohne Touchdown beendete, so blieb dieselbe Offense im zweiten Durchgang schon wieder bei der Ausbeute von einem Field Goal.

Neben den Coaching-Problematiken gibt es selbstverständlich auch auf dem Feld personelle Ungereimtheiten. So stand Andy Dalton nach Week 2 mindestens genauso in der Schusslinie der medialen Kritik wie Zampese. Dalton warf bei 54,5 Prozent Completions für keinen Touchdown aber vier Interceptions. Freilich litt Dalton unter der fragilen Offensive Line, doch war schlechtes Quarterback-Play ein nicht zu übersehender Faktor im holprigen Saisonstart.

Dalton jedoch konnte sich mit einer soliden Partie in Green Bay zumindest ein wenig rehabilitieren. Eine Chance, die andere nicht bekommen haben. First-Round-Pick John Ross beispielsweise fumbelte bei seinem Debüt in Week 2 und wurde daraufhin sofort auf die Bank verbannt.

Running Back Joe Mixon derweil erhielt über die ersten zwei Wochen kaum Gelegenheiten das stockende Running-Game zu vitalisieren. Im Hinblick auf den problematischen Offense-Output ist es nur schwer nachzuvollziehen warum den ersten beiden Picks des Bengals-Draft 2017 in ihren jeweils ersten beiden Spielen kein Vertrauen geschenkt wurde. Zumindest bei Mixon könnte Green Bay den Wendepunkt markiert haben.

Bengals-Problem 2: Die Offensive Line

Apropos Draft. Trotz der offensichtlichen Probleme, die die Bengals schon mit in die Offseason genommen haben, wartete man in diesem Jahr bis in die fünfte Runde, um in J.J. Dielman den ersten Lineman auszuwählen. Die Bengals verloren in der Free Agency Andrew Whitworth und Kevin Zeitler, diese Lücken konnten nicht - wie geplant - intern gefüllt werden.

Dalton wurde in Week 1 fünfmal gesackt. In Week 2 und 3 waren es jeweils dreimal. Dalton hat Probleme unter Druck und ist kein Quarterback der seine Stärken in der Mobilität hat. Eher kann er glänzen, wenn er nach den Dropbacks in einem bestimmten Spot bleibt. Der andauernde Zwang zum Lauf bringt den offensiven Game Plan durcheinander. Lichtblick in der O-Line ist nach Sonntag immerhin Andre Smith, der ins Lineup rotiert ist und sowohl auf Left als auch auf Right Tackle eingesetzt wurde.

Ausblick

Die Bengals haben die große Chance, ihre Saison gegen die Cleveland Browns auf den richtigen Weg zu bekommen. Die Defense wird dabei durch die Rückkehr von Vontaze Burfict Unterstützung bekommen und das Run Game sah gegen Green Bay besser aus. Tight End Tyler Eifert wird hingegen wegen andauernder Rückenprobleme mehrere Wochen ausfallen. Vor der Bye Week geht es für Cincinnati außerdem noch zu Hause gegen die Buffalo Bills.

Arizona Cardinals (Bilanz: 1-2)

Cardinals-Problem 1: Running Back

Den besten Spieler seines Teams zu verlieren ist niemals einfach. Wie gut ein Spieler aber eigentlich ist, zeigt sich dann so richtig, wenn er nicht auf dem Feld steht. Das Arizonas Run Game funktioniert ohne David Johnson nicht. So viel scheint nach Week 3 klar. So viel scheint nach 177 Rushing-Yards in drei Spielen und durchschnittlich 2,8 Yards pro Run klar.

Bruce Arians deutete an, dass Andre Ellington in Week 4 bereits der vierte Starter auf Running Back sein könnte. Der Head Coach erklärte, dass wenn jemand Johnson als Pass-Catcher ersetzen würde, es Ellington wäre. Gegen die Cowboys schien aber es so, als das die Cards den Power Run von Johnson durch kurze Routen von Fitzgerald ersetzen würden. Kein Running Back in Arizona kann das Run Blocking so überspielen, wie Johnson.

Fitzgerald war bei der 17:28-Niederlage gegen Dallas 15 Mal das Target von Palmer. Ellington fing fünf Pässe für 59 Yards. Gerade im ersten Durchgang waren die Underneath Routen des Veterans ein Erfolgsrezept, mit dem die Cardinals einiges an unsauberer O-Line-Arbeit wettmachen konnten. Die Langlebigkeit dieser Art der Kompensation des nicht-existierenden Running Games konnte man allerdings in den zweiten 30 Minuten eindrucksvoll beobachten.

Cardinals-Problem 2: Die Offensive Line

DAS frühe Thema der Saison ist auch in Arizona ein großer Troublemaker. Der zuletzt heftig in die Kritik geratene Carson Palmer zeigte am Montagabend anfangs eindrucksvoll, dass er den Ball durchaus noch genau über das Feld werfen kann, wenn er denn die Zeit dazu bekommt. Diese allerdings gab es bislang in dieser Saison viel zu selten, und das setzte sich auch gegen Dallas fort.

Palmer wurde gleich sechsmal zu Boden gerissen. Arians sagte nach dem Spiel, dass die größte Baustelle "besseres Blocking" sei. "Wir hatten die Jungs im Feld weit offen, konnten sie aber nicht erreichen weil wir den Ball nicht werfen konnten", so Arians weiter. Dies war vor allem in den kritischen Situationen entscheidend. Arizona musste dreimal innerhalb der eigenen 10-Yard-Linie starten. Dreimal gab es ein Three-and-Out und bei allen drei Malen konnten die Cowboys die daraus resultierende Feldposition in Punkte umwandeln.

Alleine DeMarcus Lawrence war in der Lage, den Game Plan der Cardinals zu zerreißen. Nach 3,5 Sacks von ihm liegt die große Schwachstelle der Cards-Line schon auf der Hand. Jared Veldheer kommt mit der Umpositionierung von Left auf Right Tackle schlicht gar nicht klar. Veldheer verursachte außerdem noch eine Holding-Penalty, die eine mögliche 14:0-Führung zunichte gemacht hat. Arizona hatte mitunter Probleme, den 3-Men-Rush der Cowboys mit sechs Spielern zu stoppen - so ist eine Offense schlicht nicht funktional.

Einige mögliche Lichtblicke: Arizona musste auf Guard Mike Iupati und Left Tackle D.J. Humphries verzichten, beide sollten bald wieder zurückkehren. Dafür fällt jetzt aber wohl Alex Boone aus. Ohne Run Game muss Arizona über die Luft funktionieren. Dies gestaltet sich allerdings schwierig, wenn Palmer auf dem Rücken liegt. Für die Cardinals kann Johnsons voraussichtliche Rückkehr im November gar nicht früh genug kommen.

Ausblick

Eine große Hoffnung ist für die Cardinals ist die eigene Division, hier läuft nämlich glücklicherweise niemand davon. Die Seahawks wurden bereits angesprochen. Die Rams und Niners befinden sich momentan in einer Umstrukturierung, auch wenn L.A. klare Fortschritte zeigt. Die 49ers kommen am Sonntag in die Wüste, zudem gibt es vor der Bye Week in Week 8 ein weiteres Divisional-Game in L.A. In der NFC West scheint die Türe für jeden offen. Selbst für Teams ohne O-Line.