Bortles' finale Stat-Line beim 10:3-Wildcard-Sieg über die Bills am vergangenen Sonntag war nicht nur völlig kurios - sie nahm sogar historische Dimensionen an: Seine 89 Rushing-Yards in einem Spiel bedeuteten einen neuen Franchise-Rekord für einen Jaguars-Quarterback, vor allem aber hatte er damit mehr Rushing- als Passing-Yards: Lediglich 87 Yards kamen über das Passspiel zustande.
In den letzten 25 Jahren hatte mit dieser Anomalie einer Statistik nur Michael Vick 2004 gegen die Rams ein Playoff-Spiel gewinnen können (119 Rushing-, 82 Passing-Yards). Nun hat auf dem Feld in diesem Jahrtausend wohl kein Spieler die Fans in der NFL mehr elektrisiert als Mike Vick, der mit einer unglaublichen Athletik und Explosivität die Quarterback-Position zu revolutionieren schien - bis ihm sein anderes, sein Schattendasein einen Strich durch die Rechnung machte.
Für elektrisierende Runs und eine auf der Position unbekannte Athletik ist Blake Bortles nicht unbedingt berühmt. Stattdessen kennt der durchschnittliche Fan ihn wohl am ehesten für seine Rolle als (Social-Media-)Punchline.
Vom stets ironischen "Blake Bortles Facts"-Twitter-Account - der mit Perlen aufwartet wie: "Blake Bortles hat noch nie gegen Jon Gruden verloren" - über Jadeveon Clowney und den Mülleimer-Kommentar (mit spektakulären Folgen für den Texans-Star) bis hin zu Titans-Defensive-Tackle Jurrell Casey, der Bortles vor dem Start der Playoffs prophezeite, dass er "versagen" wird: Bortles hat in der Öffentlichkeit alles andere als einen leichten Stand.
Bortles über Scherze: "Das ist Zeitverschwendung"
Im Ringer wurde Bortles' Umgang mit dem öffentlichen Spott jüngst genauer unter die Lupe genommen. Während sein Umfeld, seien es Mitspieler, Freunde oder Familie, durchaus damit zu kämpfen hat, scheint sich der Quarterback selbst von alledem kaum aus der Ruhe bringen zu lassen. In seinen Worten: "Wenn man Zeit sowie Gedanken aufwendet oder beziehungsweise Informationen über all diejenigen, die schlecht über dich sprechen, sammelt, ist das letztlich Zeitverschwendung."
Der Ansatz für den Umgang mit den Stimmen von außerhalb spricht klar für Bortles und zeigt in gewisser Weise genau die Art Scheuklappen, die ein NFL-Quarterback früher oder später in seiner Karriere auch braucht.
Gleichzeitig aber kommen die Scherze, wenngleich inzwischen oftmals auch ein Selbstläufer, nicht aus dem Nichts - vielmehr wurde Bortles aufgrund zu vieler desolater Auftritte in der öffentlichen Betrachtung eine Karikatur seiner selbst. Bortles lief gerade erst in der Preseason ernsthaft Gefahr, seinen Startplatz an Chad Henne zu verlieren.
Dieses Bild von Bortles als Verlierer lag zwischen Week 13 und Week 15 plötzlich auf Eis: Gegen die Colts, die Seahawks und die Texans zeigte Bortles großartige Leistungen. Seine oft so verheerende Wurfbewegung sah wie auf Knopfdruck besser aus, von 91 Pässen brachte er 65 für 903 Yards und sieben Touchdowns ohne Interception an. Und das bei durchschnittlich 9,9 Yards pro Pass, ein extrem hoher Wert. Gegen Houston kamen alle drei Pässe, die über 20 Yards weit flogen, an und brachten 114 Yards Raumgewinn.
Nur war dies mehr ein atypisches Hoch als ein konstanter Aufstieg. Bortles ließ anschließend nämlich mitunter grausame Auftritte gegen San Francisco sowie vor allem zum Abschluss der Regular Season gegen Tennessee folgen und spätestens mit dem Spiel gegen Buffalo konnte sich Bortles des Spotts ob seiner Fähigkeiten als Passer wieder einmal sicher sein.
Wie also haben die Jaguars dennoch eine Chance, in Pittsburgh zu bestehen?
Jaguars vs. Steelers: Die Stärken übernehmen
Während der angesprochenen 3-Spiele-Serie im Dezember war eine Sache unverkennbar: Bortles, der auch an der Line of Scrimmage und Pre-Snap Fortschritte gemacht hat, glänzte aus Play Action heraus. Dabei fand er schnell seine Receiver und profitierte in vielerlei Hinsicht von den Run-Fakes.
Kein anderes Team sah in der Regular Season so konstant 8-Men-Boxes, sowohl Chris Ivory (50,89 Prozent) als auch Leonard Fournette (48,51 Prozent) betrifft das. Prozentual haben die beiden von allen Running Backs mit den dritt- beziehungsweise fünftmeisten 8-Men-Boxes zu kämpfen.
Gegen Buffalo war das unverkennbar, beide Defenses fokussierten sich voll darauf, die Box zuzustellen. Die Folge daraus war, dass sich die Linebacker schnell dazu verleiten ließen, die Line of Scrimmage zu attackieren. Das macht Play Action extrem effizient: Bortles hat so klare Reads, Eins-gegen-Eins-Coverage in der Secondary und Räume für Underneath-Pässe. Auch das wurde gegen die Bills immer wieder deutlich. Die Jaguars haben dabei auch gute Route-Kombinationen, um einzelne Bereiche des Feldes anzugreifen.
Die Eins-gegen-Eins-Matchups gibt es auch ohne Play Action immer, zu wenig Angst haben gegnerische Defenses vor Jacksonvilles Passing Game. Dabei darf man einen elementaren Aspekt nicht vergessen: Die Steelers müssen ohne Linebacker Ryan Shazier auskommen, der mit seiner enormen Reichweite Lücken schnell schließen kann. Das macht Pittsburghs Front anfälliger gegen den Run, genau wie gegen ein gut aufgebautes Play-Action-Passspiel.
Und die Jaguars haben im ersten Duell dieser Saison, welches Jacksonville getragen von einer großartigen Defensiv-Leistung in Week 5 mit 30:9 für sich entschied, auch gezeigt, dass sie gegen eine zugestellte Box laufen können. Beim Sieg in Pittsburgh hatten die Jags in der Schlussphase 18 (!) Runs in Folge, die Steelers fanden keine Antwort.
Das galt auch für Fournettes 90-Yard-Touchdown, der dem Sieg die Krone aufsetzte: Ein Lead-Blocker, ein Double-Team auf der Play-Seite, ein Pull-Blocker - es war ein Power-Run-Play aus dem Lehrbuch. Entscheidend wird es sein, dass Jacksonville aus diesen und vergleichbaren Formationen im Run Game Erfolg hat - gleichzeitig aber müssen die Jaguars aus eben diesen und ähnlichen Aufstellungen auch gewillt sein, Play-Action-Pässe zu werfen.
Blake Bortles: Warum eigentlich nicht laufen?
Man kann den Gedanken schematisch noch weiter spinnen. Die Jaguars sollten aus Running-Formations und bei vermeintlichen Running-Downs nicht nur mit Play Action überraschen - sie sollten auch Bortles als Runner ins Spiel bringen.
Zehn Runs verzeichnete er insgesamt gegen Buffalo, davon waren einige Scrambles, andere geplante Zone Reads; also Spielzüge, bei denen der Quarterback einen vorher festgelegten Verteidiger, der nicht geblockt wird, liest und abhängig von dessen Reaktion den Ball an den Running Back übergibt oder selbst losläuft.
Jacksonville baute diese Zone Reads im Laufe der Saison immer wieder in den offensiven Game Plan auf - bei der 24:27-Pleite in Arizona etwa waren Bortles' Runs (6 ATT, 62 YDS, 2 TD) deutlich effizienter als seine Pässe (19/33, 160 YDS, INT).
Hier sah man unter anderem auch eindrucksvoll, welche Effekte die Kombination aus geplanten Quarterback-Runs mit Play-Action-Fakes haben kann, wenn sich eine Defense gegen die Jaguars auf den Run konzentriert. Und das fällt immer wieder auf: Defenses spielen gegen die Jags den Run noch eine Spur aggressiver, Pittsburghs explosive und aggressive Defensive Line sollte da keine Ausnahme sein. Diese Explosivität könnte Jacksonville gegen die Steelers verwenden.
Gegen Arizona zeichnete sich hierbei ein Muster ab - eines, das auch für das Steelers-Spiel erfolgsversprechend sein könnte: Jacksonville mixte dabei Play-Action-Fakes mit geplanten Quarterback-Runs und rundete das mit Pull-Blockern ab. Das Ergebnis war dann vor allem in und um die Red Zone eine brandgefährliche Offense.
Jacksonvilles Defense gegen Pittsburghs Offense - Playoff-Football!
Ultimativ brauchen die Jags von ihrer Offense eine ausreichend konstante Leistung, um die Linebacker-Schwachstellen der Steelers zu attackieren und gleichzeitig die Aggressivität der stark besetzten Defensive Line gegen Pittsburgh einzusetzen. All das aber wäre unter dem Strich nur der Versuch, der Defense die Chance zu geben, das Spiel zu gewinnen.
Hier nämlich darf man sich schon jetzt auf einen echten Schwergewichtskampf freuen: Antonio Brown ist übereinstimmenden Berichten zufolge tatsächlich bei 100 Prozent, unter der Woche trainierte er voll mit. Damit ist alles für das Kracher-Duell zwischen Antonio Brown, Martavis Bryant sowie JuJu Smith Schuster und den Jaguars-Cornerbacks Jalen Ramsey, A.J. Bouye und Aaron Colvin angerichtet.
Hier wird die Partie wohl maßgeblich entschieden. Bei aller Qualität, die Jacksonville fraglos im Pass-Rush durch Spieler wie Calais Campbell, Yannick Ngakoue und Dante Fowler besitzt, ist der Erfolg hier auch zu einem nicht unerheblichen Teil der herausragenden Coverage geschuldet. Das wird gegen eine längst sehr gute Steelers-Pass-Protection umso mehr zutreffen.
Roethlisbergers fünf Interceptions bei der Klatsche gegen Jacksonville in Week 5 sollte man nicht überbewerten, darunter waren mehrere abgefälschte Pässe und schlicht auch Pech. Aber die Jags-Defense ist fraglos in der Lage, jedem Quarterback das Leben schwer zu machen. Und kann Bortles dann genügend Plays machen - zumindest für ein paar Tage würden die Kritiker verstummen.