Hätte man sich das Ende der Kirk-Cousins-Ära in Washington mit ein wenig zynisch getränkter Feder ausdenken dürfen, es hätte kaum treffender sein können. "Es war eine Überraschung", gab Cousins ganz offen zu, nachdem er den Trade der Redskins für Alex Smith ein wenig verdaut hatte. Man könnte auch sagen: Es war die zum bisherigen Vorgehen passende Art, um Cousins klar zu machen, dass seine Zukunft nicht in der Hauptstadt liegt.
Der hatte eben noch in seinem Hotel in Minnesota am Rande des Super Bowls trainiert, als er auf sein Handy schaute und die Nachricht sah: Washington hatte gerade einen neuen Starting-Quarterback verpflichtet. Head Coach Jay Gruden sollte ihn erst am nächsten Tag kontaktieren; Cousins' Umgang mit der Situation zeugte von Klasse. Statt zu kritisieren oder nachzutreten erklärte er: "Jeder Spieler freut sich auf die Free Agency. Es sieht so aus, als werde ich am 14. März ein Free Agent. Das sollte ein spannender Prozess werden."
Keine Frage, das sollte es. Und das ist noch milde ausgedrückt, denn Cousins betritt gewissermaßen Neuland: Ein 29-jähriger Franchise-Quarterback ohne Verletzungsbedenken und ohne Fehltritte abseits des Platzes kommt in der NFL eigentlich nicht auf den Markt. Diese Position ist so immens wichtig, dass Teams hier alle Hebel in Bewegung setzen, um einen überdurchschnittlichen Quarterback zu halten und das auch schaffen - normalerweise jedenfalls. Die 49ers und Jimmy Garoppolo sind das jüngste Beispiel dafür.
Washington dagegen hat diese Situation sukzessive gegen die Wand gefahren und sich zwar mit Smith eine gute Übergangslösung geholt, unter dem Strich aber nicht nur dennoch viel Geld für zwei Jahre Cousins und anschließend für Smith und dessen neuen Deal bezahlt, sondern auch einen Draft-Pick und einen talentierten Cornerback in Kendall Fuller, der noch unter seinem Rookie-Vertrag spielte, abgegeben. Und die Redskins haben die Bühne bereitet für ein Free-Agency-Spektakel der besonderen, womöglich richtungsweisenden Art.
Washington: Schlechte Verhandlungen - schlechtere Manieren
Will man an den Punkt zurückgehen, an dem das Tischtuch zwischen Cousins und dem Team aus der Hauptstadt zerschnitten wurde - der Sommer des vergangenen Jahres wäre eine gute Wahl. Kaum jemand kritisierte Washington, als er vor der 2016er Saison den Franchise Tag erhielt: Der einst als Backup für Robert Griffin III. im gleichen Draft verpflichtete Cousins hatte gerade seine erste volle Saison als Starter absolviert und noch war man sich bei seiner Einschätzung nicht wirklich sicher.
Auch wenn schon damals Spannungen ob des geringen Angebots zu spüren waren war Washingtons Entscheidung grundsätzlich verständlich: Der Franchise Tag - also die Team-Option, einen Spieler für eine Saison zu binden - kann für genau solche Situationen sinnvoll sein. So lange man sich anschließend auf einen Vertrag einigt, denn bei weiteren Tags eskaliert die vorgeschriebene Gehaltssumme schnell.
Sportlich ging der Trend 2016 klar nach oben: Eine sehr gute Saison unter Sean McVay in einer tollen Offense ließ Cousins endgültig in der Riege der Top-15-Quarterbacks ankommen - und das Drama nahm seinen Lauf. Die Redskins boten Cousins nicht nur einen durch die Umstände bedingt knausrigen Vertrag an; sie gingen damit auch noch an die Öffentlichkeit, um sich selbst in einem besseren Licht darzustellen.
Man habe Cousins Anfang Mai "die höchste voll garantierte Summe zur Unterschrift in der Geschichte der NFL (53 Millionen Dollar) und insgesamt 72 Millionen Dollar garantiert für den Verletzungsfall angeboten. Der Deal hätte ihn mindestens zum zweitbestbezahlten Spieler aller Zeiten, was durchschnittliches Gehalt pro Jahr angeht, gemacht", teilte Team-Präsident Bruce Allen in einer Video-Botschaft Mitte Juli mit. Cousins aber habe klar gemacht, "dass er lieber auf einer Jahr-zu-Jahr-Basis spielen will."
Es war ein überraschender Angriff aus dem Nichts, der die ohnehin schon frostige Beziehung endgültig in die Eiszeit katapultierte. Und der das Team auch aus finanzieller Sicht wenig gut aussehen ließ: Cousins stand zu dem Zeitpunkt bereits unter seinem zweiten Franchise Tag in Folge, hatte also 23,9 Millionen Dollar für 2017 garantiert. Hätte Washington ihm den Tag 2018 ein drittes Mal gegeben, wären knapp 35 Millionen Dollar fällig gewesen - die von Washington angebotenen Garantien hätten die Summe dieser beider Tags nicht einmal erreicht.
Anders formuliert: Cousins kontrollierte die Verhandlungen zu diesem Zeitpunkt - eine weitere absolute Ausnahme in der NFL - mehr oder weniger komplett. Und Washington tat nichts, um ihm dabei auch nur einen Grund zu geben, über ihre Offerte nachzudenken.
Kirk Cousins: "Keine Chance auf einen Deal"
So kam es - wenig überraschend - zu keiner Einigung und Cousins spielte auch die vergangene Saison unter dem Franchise Tag. Washington hatte Cousins letztlich also für zwei Spielzeiten 43,8 Millionen Dollar gezahlt; ein 2016 langfristig abgeschlossener Deal hätte wohl nicht mehr Garantien umfassen müssen, um Cousins zur Unterschrift zu bewegen.
"Nach der 2015er Saison war ich bereit, einen langfristigen Vertrag zu unterschreiben. Damals hat das Team mehr Zeit gebraucht, das haben wir verstanden. Nach der 2016er Saison ging Sean McVay nach Los Angeles. Da hatte ich das Gefühl, dass ich mehr Zeit brauchte", fasste Cousins selbst die Situation bei ESPN zusammen und fügte hinzu: "Zu diesem Zeitpunkt gab es wirklich keine Chance auf einen Deal."
Und das "Problem" für die Redskins, wenn man so will: Cousins spielte 2017 abermals sehr gut. Auch ohne McVay, auch ohne Pierre Garcon und DeSean Jackson, auch weitestgehend ohne Jordan Reed. Im Deep-Passing-Game gehört er noch immer zu den besten seiner Zunft, auch das Play-Action-Spiel beherrscht Cousins sehr gut. In dieser Saison glänzte er zudem gegen den Blitz, außerdem ist er einer der akkurateren Passer der Liga.
Der für alle, inklusive Cousins selbst, zu diesem Zeitpunkt überraschende Trade für Smith darf in der Folge als klares Statement der Redskins gesehen werden: Entgegen der Aussagen ihres Quarterbacks schien die Team-Führung überzeugt, dass man sich mit Cousins nicht einigen würde - und schlug via Trade zu, ehe mit Smith die mutmaßlich beste verfügbare Alternativlösung vergriffen ist. Mehrere Teams waren bereits im Rennen, was auch den hohen Preis erklärt. Die Redskins wollten Fuller wohl kaum von Anfang an abgeben.
Broncos und Cardinals: Cousins schon jetzt umworben
"Ich wollte mir Zeit nehmen und das hat Washington in eine schwierige Position gebracht. Sie wollten nicht warten, also haben sie den Trade vollzogen", verteidigte Cousins sein baldiges Ex-Team sogar und konnte noch etwas Positives daraus ziehen: "Ich wusste, dass es eine schwierige Entscheidung werden würde. Die Tatsache, dass die Entscheidung letztlich für mich getroffen wurde, hat mich erleichtert. Auch wenn es emotional natürlich schwierig ist, die Stadt zu verlassen, mit der ich jetzt so viele Erinnerungen verbinde. Aber ich habe es verstanden."
Cousins ist nicht der nächste Aaron Rodgers und Kritiker weisen vor allem auf einige schlechte Auftritte in wichtigen Spielen hin. Die gab es zweifellos, aber er ist trotzdem ein überdurchschnittlicher NFL-Quarterback und muss sich etwa vor einem Derek Carr - um einen Quarterback zu nennen, der eine vorzeitige Vertragsverlängerung erhalten hat - definitiv nicht verstecken. Man kann mit Cousins langfristig ganz oben angreifen, das ist der Punkt.
Und viele Teams lecken sich die Finger nach der Quarterback-Qualität, die Cousins mitbringt: Denver, Arizona, Cleveland, Jacksonville, die Jets, Buffalo, womöglich auch Minnesota - viele werden bei dieser unglaublich seltenen Gelegenheit mit der Chance auf eine Art Stabilitäts-Garantie auf der wichtigsten Position mitbieten. Viele Teams sehnen sich nach einem Quarterback wie Cousins.
Von Miller rekrutiert Cousins nach Denver
Das machen sie auch deutlich. "Ich habe schon mal mit ihm darüber geredet. Er weiß genau, wie ich darüber denke", sagte Denvers Star-Pass-Rusher Von Miller in der The Dan Patrick Show. "Ich habe ihm gesagt, was er uns bedeuten würde und welchen Wert er für viele Teams hätte." Cardinals-Cornerback Patrick Peterson erklärte: "Ich glaube, dass Kirk uns definitiv auf ein ganz hohes Level bringen würde. Er würde hier im warmen Wetter auf einem der besten Felder der NFL spielen. Und er hätte großartiges Talent um sich herum."
Der Vertrag des 29-Jährigen, wo er ihn letztlich auch unterschreibt, wird neue Maßstäbe setzen. Er könnte als erster Quarterback pro Jahr die 30-Millionen-Marke knacken und dürfte in puncto Garantien eine neue Bestmarke aufstellen. Er könnte Prozente am jährlichen Salary Cap verlangen, um von dem starken Wachstum hier zu profitieren.
Unter anderem Ben Roethlisberger, Aaron Rodgers, Dak Prescott und Russell Wilson gehen 2019 in die jeweils letzte Saison ihrer aktuellen Verträge, sie dürften genau beobachten, wie der Markt auf einen verfügbaren Franchise-Quarterback reagiert und was Cousins fordern kann.
Cousins: "Man weiß nie, was passieren könnte"
"Es ehrt mich, wenn ein Spieler mit Vons Klasse so von mir spricht. Es ist immer schön, wenn man begehrt ist", gab Cousins jüngst bei TMZ den Gerüchten über einen Wechsel nach Denver zusätzliche Nahrung. "Ich würde gerne mehr Informationen sammeln, mit ihm sprechen und mehr über Denver lernen, genau wie über die anderen Teams da draußen."
Und seinen durch den Smith-Trade verkündeten Abschied aus Washington? "Ich nehme es nicht persönlich", wird Cousins nicht müde zu betonen. "Es ist ein Geschäft. Ich versuche, mir nie zu große Hoffnungen zu machen. Und ich erwarte nicht allzu viel von den Leuten in dieser Liga - denn man weiß nie, was passieren könnte."
Der letzte Teilsatz ist in gewisser Weise auch die Überschrift über Cousins' bevorstehender Free-Agency-Erfahrung. Es wird die spannendste seit einigen Jahren sein. Und möglicherweise auch eine richtungsweisende für die Zukunft.