Wenn am 14. März die Free Agency beginnt, ist Teddy Bridgewater unter allen verfügbaren Spielern die größte Wildcard. Der Quarterback der Minnesota Vikings könnte sich als der mit Abstand spektakulärste Steal der kommenden Free-Agent-Klasse entpuppen - seine Karriere könnte effektiv aber auch schon bald vorbei sein. Was macht Bridgewater eigentlich aus? Wo würde er hinpassen? SPOX nimmt den einstmals so vielversprechenden Youngster unter die Lupe.
Die Geschichte, die man sich in Cincinnati noch heute erzählt, geht so: Im Draft 1969 hatte sich Bengals-Coach Paul Brown in der ersten Runde Quarterback Greg Cook schnappen können. Die Kombination mit Offensive Coordinator Bill Walsh war mehr als vielversprechend, Cook galt als der physisch talentierteste Quarterback seiner Zeit - für manche hat er diesen Status bis heute inne. Er sollte die Bengals zu neuen Höhen führen und gemeinsam mit dem Genie von Walsh und den Innovationen von Brown einer der besten Quarterbacks aller Zeiten werden.
"Er war großartig. Ein großartiger Arm, athletisch. Ein Gunslinger, der aber akkurat war. Er konnte den Ball überall perfekt platzieren. Ein unfassbar guter Spieler", schwärmte sein College-Coach Homer Rice später noch. Ungeheuerliche 9,41 Yards verzeichnete Cook in seiner Rookie-Saison pro Passversuch, als ausgedehnte Downfield-Passing-Schemes eher nicht die Mode waren. Zum Vergleich: Brady kam 2017 auf 7,9 Yards pro Pass, Roethlisberger auf 7,6 und Brees auf 8,1. Matt Ryan hatte in der spektakulären 2016er Spielzeit 9,3 Yards pro Pass.
Umso beeindruckender ist es, dass er seine Sensations-Saison mit einer schweren Schulterverletzung bestritt. Bereits am dritten Spieltag hatte Kansas Citys Jim Lynch Cook so unglücklich erwischt, dass der prompt für vier Spiele ausfiel. Und schlimmer noch: Weil die Medizin schlicht noch nicht so weit war, wurde Cooks Riss der Rotatorenmanschette in der Schulter nicht korrekt diagnostiziert, geschweige denn korrekt behandelt.
"Ich habe Kortison-Spritzen erhalten und dann mit Schmerzen gespielt", berichtete das einstige Wunderkind lange nach jener Zeit gegenüber der Sports Illustrated. "Ich konnte zunächst noch spielen, hatte noch die Kraft. Ich habe mich verpflichtet gefühlt, die Saison zu beenden, nachdem ich einen so guten Start in die Saison hatte. Das wollte ich nicht aufgeben."
Cooks Verletzung: Die Geburt der West Coast Offense
Doch schnell war klar, dass Cooks Karriere vorschnell zu Ende gehen würde und die Auswirkung dieser Verletzung ist bis heute spürbar: Weil sich die Bengals auf der Quarterback-Position wieder neu aufstellen mussten und ein zweiter Greg Cook nicht verfügbar war, gingen Braun und Walsh in eine andere Richtung.
Ken Andersons Stärken nämlich lagen im Rhythmus- und Timing-Passing. Walsh baute darum eine neue Offense, die Jahre später als "West Coast Offense" ihren großen Siegeszug antreten sollte. "Greg Cook war der talentierteste Spieler, den wir jemals hatten", betonte Bengals-Besitzer und Team-Präsident Mike Brown vor einiger Zeit. "Aber nach seiner Verletzung konnte er nie wieder so spielen."
Wo diese kleine Anekdote endet, da beginnt die Geschichte der Weichenstellung eines anderen Quarterbacks. Teddy Bridgewater ist kein Greg Cook, er ist kein Generations-Ausnahme-Talent. Aber er war auf bestem Wege, ein sehr guter NFL-Quarterback zu werden und die Frage, die sich zahlreiche Teams jetzt stellen, lautet: Kann Bridgewater nach seiner schweren Verletzung wieder zu seinem einstigen Niveau zurückfinden und an seine einstige Entwicklung anknüpfen?
Oder wird man sich auch bei Bridgewater schon bald eher die Frage stellen, was hätte sein können, als zu fragen was sein wird?
Free Agency: Teddy Bridgewater als ultimative Wildcard
25 Jahre ist Bridgewater erst alt, Mitte der kommenden Saison wird er 26. Teams gehen für erhoffte Franchise-Quarterbacks allerhand Risiken ein, der enorme Bedarf nach einem zumindest kompetenten, verlässlichen Quarterback treibt die Kosten in die Höhe. Das konnte man gerade bei Jimmy Garoppolo beobachten und Kirk Cousins wird diesen Rahmen aller Voraussicht nach nochmals sprengen, während es kaum überraschen würde, wenn es auch im Draft wieder teure Trades für Quarterbacks gibt.
Zu wichtig ist diese Position, zu gering der Nachschub. Diese Kombination macht Bridgewater zur ultimativen Wildcard vor der kommenden Free Agency. Nachdem er sich unmittelbar vor dem Start der 2016er Saison schwer am Knie verletzt und unter anderem die Kniescheibe ausgerenkt und das Kreuzband sowie weitere Bänder gerissen hatte, konnte er sich zurückarbeiten und gab in der vergangenen Saison sein Comeback. Bridgewater trainierte mit dem Team und durfte sogar eine kurze Rückkehr auf den Platz feiern.
"Es gab 24 vergleichbare Verletzungen insgesamt im Sport. In der Hälfte dieser Fälle kam der Spieler nie zurück, und ich glaube keiner hat sein Comeback in weniger als 24 Monaten geschafft", stellte auch Coach Mike Zimmer nach dem Ende der vergangenen Saison noch immer merklich beeindruckt klar.
Dass es Bridgewater schaffte, "mitzutrainieren und sogar in einem Spiel dabei zu sein, spricht für ihn. Ich glaube, es geht ihm gut. Er ist an dem Punkt angelangt, an dem er spielen kann. Jetzt gilt es, herauszufinden, wo er sportlich steht, da wir ihn natürlich kaum in Spielsituationen bewerten konnten."
gettyWas macht Bridgewater sportlich aus?
Letztlich weiß also niemand, welche Version von Bridgewater gesundheitlich aber auch sportlich 2018 auf dem Platz stehen könnte. Auch nicht die Vikings und somit lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit: Welche Art Quarterback war Bridgewater, was machte sein Spiel vor der Verletzung aus? Und wie realistisch ist es, dass er dieses Level wieder erreicht?
Um diese Fragen zu beantworten empfiehlt es sich, zunächst auf die Rahmenbedingungen zu schauen. In Bridgewaters Rookie-Saison 2014 war Minnesotas Offense von einem unterdurchschnittlichen Receiving-Corps, einer wackligen Offensive Line und der Suspendierung von Adrian Peterson geprägt.
Bridgewater zeigte dennoch gute Ansätze, insbesondere was die Nuancen und den intellektuellen Part des Quarterback-Spiels anging: Früh schon konnte er komplexere Spielzüge umsetzen, Defenses vor und nach dem Snap analysieren und zeigte dabei sehr gutes Pocket-Verhalten sowie gute Bewegung innerhalb der Pocket gegen den Pass-Rush. All das sind elementare Säulen für einen Quarterback, Bridgewater zeigte sie beeindruckend früh und in einer alles andere als idealen Situation.
Die Situation wurde 2015 eher noch schwieriger.
Bridgewater und das Adrian-Peterson-Dilemma
Offensive Coordinator Norv Turner baute seine Offense in Bridgewaters zweiter Saison maßgeblich um Peterson statt um den Quarterback herum auf. Das machte Minnesota in vielerlei Hinsicht eindimensional und vorhersehbar: Peterson selbst ist einer der besten Runner der letzten 20 Jahre - als Receiver und in Pass-Protection allerdings nur sehr bedingt zu gebrauchen. Darüber hinaus muss er fast aus Under-Center-Formationen laufen um effektiv zu sein, was Minnesotas Passspiel und somit Bridgewater schematisch stark limitierte.
Minnesota nutzte die Shotgun-Formation in der 2015er Saison laut Football Outsiders in nur noch 45 Prozent der Fälle, was nicht nur den ligaweit 29. Platz bedeutete; es war auch ein Rückschritt von über 20 Prozent im Vergleich zur eigenen Marke 2014 (66 Prozent). Auch die Aufstellungen mit drei oder mehr Receivern gingen bei den Vikes von 2014 (59 Prozent) zu 2015 (48 Prozent) drastisch zurück.
Auf den ersten Blick mag man denken, dass Petersons Präsenz Bridgewater hätte entlasten und Türen für ihn öffnen müssen - Tape und Statistiken sprechen aber eine andere Sprache. Durch den Anstieg an Under-Center-Aufstellungen und den Rückgang von Spread-Formationen war das Passspiel für Bridgewater eingeschränkter und schwieriger, während er die Defense vor und nach dem Snap schlechter überblicken konnte, als aus Shotgun-Formationen heraus.
Dazu kamen die tiefen Dropbacks, die Turner trotz der anfälligen Line und trotz Bridgewaters Stärken (Präzision, Timing, Sezieren der Defense vor und nach dem Snap) auf der einen sowie seinen Schwächen (primär das Deep-Passing-Game) auf der anderen Seite von seinem jungen Quarterback forderte. Seine Sacks kassierte er nach durchschnittlich 3,75 Sekunden, Pro Football Focus lastete nur acht der 46 Sacks Bridgewater selbst an.
Kann Teddy Bridgewater an seine Leistungen anknüpfen?
Und was bedeutet das? All das zeichnet unter dem Strich ein vielversprechendes Bild für Bridgewaters Zukunft. Davon ausgehend, dass sein Knie funktional ist, besteht eine reelle Chance auf ein positives Comeback. Bridgewater spielt gewissermaßen viel mit dem Kopf und mit subtilen Bewegungen, er lebt nicht von seiner Athletik oder einem waghalsigen Verhalten in und außerhalb der Pocket.
Vielmehr ist er, wenn man auf den Anlagen, die er bereits gezeigt hat, aufbaut, der ideale Quarterback für die moderne NFL-Offense. Bridgewaters Spielverständnis und seine schnelle Auffassungsgabe sind wie gemacht für kurze und mittellange Pässe in Kombination mit Run-Pass-Options und vielseitigen, komplexen Passing-Schemes.
Bridgewater schien auf bestem Wege in Richtung des nächsten Schritts und jeder NFL-Coach und NFL-GM wird sich jetzt fragen, ob er auf diesen wieder kommen kann. Was klar ist: Wer sich Bridgewater auch holt bekommt einen Leader, wie ihn sich viele Coachs wünschen. Der 25-Jährige ist sicher nicht der lauteste Typ, doch genießt er intern bei seinen Mitspielern ein ungeheuer hohes Standing.
Er ist die Art Spieler, der sich intern um seine Mitspieler kümmert und sein eigenes Ego hinten anstellen kann, um sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Als "demütiger Diener" bezeichnete er sich selbst via Social Media nach dem Ende der vergangenen Saison.
Dazu passt auch sein eigenes, durchaus überraschendes Fazit für 2017, welches Bridgewater bei ESPN zog: "Es war wohl mit Abstand meine Lieblingssaison, auch wenn ich nicht viel spielen konnte. Diese Saison hat meine Einstellung herausgefordert, denn während ich einerseits unbedingt spielen und mit den Jungs auf dem Feld stehen wollte, musste ich eine andere Rolle akzeptieren. Ich musste mental für die Jungs da sein, und diese Rolle habe ich angenommen. Das war nicht leicht, aber ich würde dieses Jahr auf keinen Fall für irgendetwas eintauschen."
Wohin wechselt Teddy Bridgewater?
Während die halbe Liga in den kommenden Wochen auf Kirk Cousins schaut, der als Franchise-Quarterback auf dem Markt selbst die Art Free Agent ist, die es in der NFL eigentlich nicht gibt, könnte Bridgewater rückblickend als der große Steal dieser Free Agency dastehen. Er wird sich - so viel scheint klar - mit einem kurzen Vertrag begnügen müssen, mutmaßlich stark durch Bonus-Zahlungen geprägt. Die Vikings selbst gelten als heißer Kandidat auf Bridgewater, Zimmer ist ein großer Befürworter - Minnesota ist aber auch im Rennen um Cousins.
Welche Alternativen könnten für Bridgewater Sinn machen? Da wären die Arizona Cardinals, die gerade ihre Offense komplett umkrempeln und sie schematisch dementsprechend an Bridgewater anpassen könnten. Mit Larry Fitzgerald und David Johnson wären zwei Säulen um ihn herum vorhanden, die Offensive Line erhält mehrere Stammkräfte nach Verletzung zurück.
Auch ein Team wie Denver ist denkbar, die Bills könnten ebenfalls schnell an Bridgewater dran sein, falls sie für Tyrod Taylor einen Abnehmer finden - in die Offense, die Buffalo dem Vernehmen nach spielen will, passt Bridgewater perfekt. Klar scheint, dass Bridgewater zumindest eine reelle Chance haben will, 2018 zu spielen. Ein klar definierter Backup-Posten dürfte es eher nicht werden.
Aus der Ruhe bringen lässt er sich von alledem nicht: "Ich werde mich einfach darauf konzentrieren, ein besserer Spieler zu werden, die Offseason mit dem Ziel anzugehen, stärker zu werden und alles was in meiner Macht steht zu tun, um, wenn die Zeit kommt, zu zeigen, dass ich bereit bin. Der beste Aspekt daran: Mein Traum lebt weiter - mein Traum, dass ich nächstes Jahr Football spielen kann. Ich werde nächstes Jahr Football spielen."