Die neue Saison rückt näher, die Diskussionen laufen längst auf Hochtouren - in der diesjährigen Offseason noch ein Stück weit mehr als in früheren Jahren. Das liegt an einem massiven Anstieg an statistischen Analysen unter anderem auf Twitter, die mehr und mehr etablierte Ideen hinterfragen und damit auch manchen Ex-Spieler zur Weißglut bringen. SPOX gibt Euch den Überblick über den aktuellen Diskurs und sagt Euch, was Ihr vor Saisonstart wissen solltet, wenn es an die Analyse von Spielen und Spielern geht.
Wirklich zum Stillstand kamen die Debatten in den sozialen Medien seit dem Super Bowl nie. Im Fokus stets: Wie wichtig ist das Run Game, und wie wichtig ist ein Running Back in der modernen NFL?
Hatte Todd Gurleys Ausfall nicht gezeigt, wie leicht er ersetzbar ist? Sollte ein Team in der ersten Runde überhaupt noch einen Running Back draften? Haben die Jets nicht viel zu viel für Le'Veon Bell bezahlt?
So richtig ins Rollen kamen die Gespräche dann vor einigen Tagen mit den Holdouts von Ezekiel Elliott in Dallas und Melvin Gordon bei den Chargers, kombiniert mit der Frage danach, ob die Cowboys und Chargers für ihre Star-Running-Backs wirklich tief in die Tasche greifen sollten.
Dabei konnte man klar zwei Fronten erkennen. Auf der einen Seite diejenigen, die vehement dafür argumentieren, dass die beiden elementare Rollen in ihren Offenses haben und unbedingt bezahlt werden müssen. Auf der anderen Seite diejenigen, die betonen, dass beide trotz enormer individueller Stats vergleichsweise einfach ersetzbar sind und dass die Total Stats über eine für viele schwer verdauliche Wahrheit hinwegtäuschen: Running Backs, zumindest was das Run Game angeht, sind austauschbar.
Cowboys: Jerry Jones - ein Analytics-Verfechter?
Die zweite Gruppe erhielt Anfang der Woche von unerwarteter Seite Unterstützung, als Cowboys-Besitzer Jerry Jones in einem Interview mit CBS11 Sports erklärte: "Man muss nicht den Rushing-Champion haben, um einen Super Bowl zu gewinnen. Das ist eines der Probleme auf der Position in der heutigen NFL: Die Liga weiß, dass man Super Bowls gewinnen kann, ohne einen Emmitt Smith oder Zeke im Backfield zu haben."
Natürlich ist diese Aussage mit dem massiven "Aber" zu versehen, dass Jones pokert und versucht, öffentlich Druck auf Elliott auszuüben. Ob er wirklich davon überzeugt ist, dass man Running Backs nicht teuer bezahlen sollte? Das werden die kommenden Wochen vermutlich zeigen.
Doch ob gewollt oder nicht, Jones hat mit seiner Aussage genau den Nerv der Zeit getroffen und das ausgedrückt, was Portale wie Pro Football Focus oder Football Outsiders bereits seit einer Weile betonen und noch ausbauen: Teure Ressourcen, sei es im Draft oder finanziell, in die Running-Back-Position zu stecken ist nicht nur nicht notwendig - es kann die eigenen Titelchancen sogar verkleinern, wenn dadurch andere, wichtigere Baustellen nicht adressiert werden können.
Zusammengefasst: Was müsst ihr für die kommende Saison wissen? Worauf gilt es zu achten, wenn man Spiele und Spieler analysiert? SPOX bringt euch auf den Stand.
Die analytischen Erkenntnisse des aktuellen Wissensstands im Überblick:
- Das Passing Game ist um ein Vielfaches effizienter als das Run Game.
- Teams werfen zu wenig bei First und Second Down.
- Play Action ist effizienter als das reguläre Passing Game.
- Ein (un)erfolgreiches Run Game hat keinerlei Auswirkungen auf den Erfolg des Play Action Passspiels.
- Ob ein Run Game gut ist oder nicht, hängt nur zu einem minimalen Faktor vom Running Back ab.
Erklärung: Was sind "Expected Points Added"?
Bevor es weiter in die Analyse geht, muss eine Statistik erklärt werden. Total Stats, wie schlicht die gesamten Rushing- oder Passing-Yards eines Spielers in einer Partie oder einer Saison, sind mit extremer Vorsicht zu genießen; insbesondere, da ihnen jeglicher Kontext fehlt. Kam ein Großteil der Yards spät in Spielen zustande, wenn man bereits sicher vorne oder deutlich hinten lag und die Partie entschieden war? Wie wertvoll ist der Beitrag eines Spielers oder eines Spielzugs?
Ein ganz konkretes Beispiel: Die Chiefs sind durch einen langen Pass von Patrick Mahomes bei Third Down bis an die gegnerische 2-Yard-Line gekommen. Von dort aus drückt Running Back Damien Williams den Ball dann zum Touchdown über die Goal Line. Die Total Stats geben Mahomes zwar die Yards, der (für Fantasy Football so wertvolle) Touchdown aber steht auf Williams' Konto.
Und diese Beispiele kann man beliebig fortsetzen. Eine 8-Yard-Completion bei Third-and-7 ist immens wertvoller als eine 18-Yard-Completion bei Third-and-20. In den Total Stats wird das nicht berücksichtigt.
"Expected Points Added" bringt Kontext in diese Statistiken. Basierend auf Play-by-Play-Statistiken, die mehrere Jahrzehnte umfassen, wurde eine Formel entwickelt, um jeder einzelnen Spielsituation einen Wert zu geben. Third-and-6 an der eigenen 24-Yard-Line hat einen komplett anderen Wert als First-and-Goal an der gegnerischen 7-Yard-Line, da im ersten Fall Punkte deutlich unwahrscheinlicher sind.
Eine jede Spielsituation hat also auf der Basis der historischen Daten "Expected Points" zugeschrieben bekommen. First-and-Goal an der gegnerischen 1-Yard-Line hat einen EP-Wert von fast sechs Punkten, der Touchdown ist ja beinahe schon erreicht. Wer den Ball hier also über die Goal Line befördert, erhält nur wenige zusätzliche Punkte - das sind die "Expected Points Added". Third-and-20 an der eigenen 1-Yard-Line dagegen hat einen EP-Wert von rund -2. Gelingt der Offense hieraus ein neues First Down, gibt es mehr "Expected Points Added" als für den 1-Yard-Touchdown.
So lässt sich besser herausfiltern, welcher Mannschaftsteil einen wie großen Einfluss auf die Punkte der Offense hatte. Die Kansas City Chiefs beispielsweise kamen 2018 auf 35,81 Expected Points Added ("EPA" im weiteren Verlauf) durch ihr Run Game, gleichbedeutend mit dem ligaweit vierten Platz. Ihr Passing Game dagegen? Hier belegten die Chiefs Platz 1 - mit 266,71 EPA.
1. Erkenntnis: Passing Game ist viel wichtiger als Run Game
Wenn man nur eine Erkenntnis aus diesem Artikel mitnehmen möchte, dann sollte es diese sein: Das Passing Game ist um ein Vielfaches effizienter, konstanter und wichtiger als das Run Game, und so etwas wie "Establish the Run" - also die Idee, dass man das Run Game manifestieren muss, damit es im weiteren Spielverlauf besser funktioniert und Räume für das Passspiel öffnet, gibt es nicht. Egal, wie häufig Coaches das betonen.
Und das tun sie.
Kurz nach dem Playoff-Aus gegen die Cowboys im Januar - das ich aus Seahawks-Sicht genau dahingehend damals ausführlich kritisiert hatte - war Seattles Offensive Coordinator Brian Schottenheimer bei ESPN zu Gast. Schottenheimer wurde natürlich nach der Run-lastigen Strategie in jenem Spiel gefragt. Seine Antwort: "Als Play-Caller muss man herausfinden, was man machen will. Wir wollen ein ausbalanciertes Team sein, und wir wollen den Run manifestieren."
Nicht gut.
Josh Hermsmeyer hat in seinen Studien herausgearbeitet, dass die Seahawks während der vergangenen Saison keine 3-Play-Sequenz häufiger gespielt haben als "Run-Run-Pass", also zwei Rushing- und dann einen Passing-Spielzug. In 26 Prozent der Fälle war das ihr Ansatz bei First Down, damit lagen sie zehn Prozent über dem Liga-Schnitt.
Erfolgreich waren sie dabei mit einer Success-Rate (Prozentsatz der Spielzüge mit positivem EPA-Wert) von 41,2 Prozent nicht. Begannen sie 3-Play-Sequenzen mit einem Pass, schoss dieser Wert auf bis zu 88,9 Prozent (Pass-Run-Run) hoch und war nie niedriger als 50 Prozent.
Das führt zu einem ganz eigenen Punkt, den man ebenfalls nicht häufig genug betonen kann: Passen bei First Down ist deutlich effizienter als Laufen bei First Down.
Für viele geht das komplett gegen den eigenen Football-Instinkt. First Down wird häufig als Möglichkeit gesehen, um in ein kürzeres Second und daraus in ein kürzeres Third Down zu kommen. Die Idee dahinter ist, lieber mit einem First-Down-Run drei Yards raus zu holen, statt zu riskieren, dass ein First-Down-Pass in einer Incompletion endet und man bei Second Down immer noch zehn Yards überbrücken muss.
15 der 32 Teams liefen 2018 bei First Down in mehr als 50 Prozent der Fälle. Der Liga-Schnitt bei First-Down-Runs lag bei 4,5 Yards pro Run. Bei First-Down-Pässen? 7,7 Yards. In 47 Prozent der Fälle erreichten Offenses mit Pässen bei First Down mindestens fünf Yards, die gleiche Marke wurde mit First-Down-Runs nur in 32,8 Prozent der Fälle geschafft. Kein Team hatte bei First-Down-Pässen weniger als 6,3 Yards pro Pass, kein Team hatte bei First-Down-Runs mehr als 5,3 Yards pro Run.
Der Ansatz, mit einem Run bei First Down also einen "sicheren" Raumgewinn zu erzielen, ist statistisch schlicht falsch. Hermsmeyers Auswertungen haben ergeben, dass von 2009 bis 2018 die erfolgreichsten 3-Play-Sequenzen "Pass-Run-Run" und "Pass-Pass-Run" sind.
Bei Early Downs zu werfen und bei Late Downs zu laufen, das ist der Schlüssel. Nicht umgekehrt, wenn man sich gegen eine Base-Front in lange Second und Third Downs gelaufen hat und dann die Defense weiß, dass ein Pass bei Third Down kommt.
Und fraglos werden einige mit dem erhöhten Turnover-Risiko eines Passes dagegenhalten. Allerdings wurden NFL-Teams über die letzten Jahre nicht nur Pass-lastiger, sie wurden dabei auch effizienter und warfen prozentual mehr Touchdowns und weniger Interceptions.
Passing-Stats der letzten 13 Jahre:
Jahr | Pässe | Completion Percentage | TD Percentage | INT Percentage | Adjusted Net Yards pro Pass |
2018 | 34,5 | 64,9% | 4,8% | 2,4% | 6,3 |
2017 | 34,2 | 62,1% | 4,2% | 2,5% | 5,9 |
2016 | 35,7 | 63% | 4,3% | 2,3% | 6,2 |
2015 | 35,7 | 63% | 4,6% | 2,4% | 6,3 |
2014 | 34,9 | 62,6% | 4,5% | 2,5% | 6,1 |
2013 | 35,4 | 61,2% | 4,4% | 2,8% | 5,9 |
2012 | 34,7 | 60,9% | 4,3% | 2,6% | 5,9 |
2011 | 34 | 60,1% | 4,3% | 2,9% | 5,9 |
2010 | 33,7 | 60,8% | 4,3% | 3% | 5,7 |
2009 | 33,3 | 60,9% | 4,2% | 3,1% | 5,6 |
2008 | 32,3 | 61% | 3,9% | 2,8% | 5,7 |
2007 | 33,3 | 61,2% | 4,2% | 3,1% | 5,5 |
2006 | 32 | 59,8% | 4% | 3,2% | 5,4 |
Zahlen von Pro Football Reference. Dargestellt ist der Durchschnitt pro Team pro Spiel. Die Formel für "Adjusted Net Yards" beinhaltet Yards, Touchdowns, Interceptions und Sacks.
Bei aller Kritik an den Early-Down-Strategien der meisten Teams ist gleichzeitig jedoch auch ein Umdenken festzustellen. Teams liefen 2018 nur noch 25,9 Mal pro Spiel, der niedrigste Wert aller Zeiten.
Mehrere NFL-Analysten wie etwa Warren Sharp hatten bereits vor Jahren herausgearbeitet, dass es keinerlei statistischen Zusammenhang zwischen einem guten Run Game und Siegen in der NFL gibt. Diesen Zusammenhang liefert das Passspiel. Dass erfolgreiche Teams häufiger mehr laufen, liegt meist daran, dass sie bei eigener Führung spät im Spiel auf das Run Game setzen, um möglichst viel Zeit verstreichen zu lassen.
Ein Grund für diese deutliche, wachsende Diskrepanz sind fraglos Regeländerungen, die das Passspiel über die letzten Jahre bevorzugt haben und etwa Receivern das sich Lösen vom Gegenspieler deutlich vereinfachen. Ein anderer sind Weiterentwicklungen im Passspiel rein aus schematischer Sicht sowie damit einhergehend der Trend zu mehr 3-Receiver-Sets.
Darüber hinaus erkennen Teams aber auch ganz schlicht und ergreifend zunehmend, dass das Passspiel erfolgsversprechender ist. Im Run Game müssen viel mehr einzelne Teile ineinander greifen, damit ein Spielzug ein Erfolg ist - und selbst dann wird man weniger Yards pro Spielzug und weniger EPA erzielen als mit einem durchschnittlichen Passing Game. Ganz zu schweigen von dem Vergleich, wenn auch im Passspiel alle Teile erfolgreich ineinander greifen.
In der vergangenen Saison kamen Teams auf 6,3 Adjusted Net Yards pro Pass, einen höheren Wert hat es noch nie gegeben. Auch der durchschnittliche Raumgewinn pro Run markierte den historischen Spitzenwert - mit 4,4 Yards pro Run. Selbst die desolate Cardinals-Offense im Vorjahr, die das abgeschlagene Schlusslicht bildete, lag mit 4,6 Net Yards pro Pass noch darüber.
2. Erkenntnis: "Establish the Run" existiert nicht
Sean Clement, der inzwischen als Analyst für die Baltimore Ravens arbeitet, hat bereits im vergangenen Jahr in einer Studie nachgewiesen, dass es keinen statistischen Zusammenhang zwischen erfolgreichen Runs früh im Spiel und erfolgreichen Runs spät im Spiel oder zwischen vielen Runs früh im Spiel und erfolgreichen Runs spät im Spiel gibt.
Schon 2008 hat Brian Burke ermittelt, dass die durchschnittlichen Yards pro Run im Laufe eines Spiels sogar tendenziell nach unten gehen, je häufiger ein Team läuft. Es gibt keinerlei statistischen Beweis dafür, dass man ein Run Game manifestieren kann, damit dann im vierten Viertel plötzlich die explosiven Runs folgen. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Und dennoch argumentieren vor allem ehemalige Offensive Linemen mit Nachdruck, dass sie es im Spiel anders erlebt haben. Dabei geht es um vermeintliche Football-Grundtugenden, wie das Aufzwingen des eigenen Willens, die physische Dominanz und das Austeilen von Körpertreffern, um Gegner - im zumindest teilweise übertragenen Sinne - weich zu klopfen.
Für ehemalige Spieler mag eine physische Dominanz im Laufe eines Spiels einen psychologischen Effekt haben, zumindest steht es niemandem zu, das einfach zu ignorieren. Aber kann dieser Effekt nicht auch über Dominanz im Pass-Blocking entstehen? Oder wenn die Offense generell durch die Luft dominiert? Ist Erfolg nicht der ultimative psychologische Boost?
Woher kommen diese erbitterten Debatten generell? Fantasy Football spielt sicher eine Rolle, hier sind Running Backs in den meisten gängigen Formaten nach wie vor die wichtigsten Spieler. Wer in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen ist, wurde zudem in einer NFL geprägt, in der das Run Game noch deutlich dominanter und Running Backs die Superstars waren. Bis heute hat die Position selbst sowie vor allem das Run Game insgesamt in der High School und im College einen ganz anderen Stellenwert als in der NFL.
Ist das Run Game in der NFL damit tot? Sollten Teams einfach nur noch werfen und die NFL in Arena Football verwandeln? Selbstverständlich nicht.
Es gibt sehr wohl auch in der modernen NFL Gelegenheiten, bei denen das Run Game statistisch effizienter ist und genutzt werden sollte. In der Red Zone - also innerhalb der gegnerischen 20-Yard-Line - ist das ganz besonders zutreffend: Sobald sich Offenses innerhalb der 30- und dann insbesondere innerhalb der 20-Yard-Line bewegen, geht die Passing-Effizienz nach unten. Auch das macht Sinn: Das Feld wird kleiner, es gibt weniger Platz, um Defenses durch die Luft zu attackieren und umgekehrt ist es einfacher, den Pass zu verteidigen.
Short-Yardage-Situationen generell sind mit dem Run Game häufiger besser zu lösen; bei keinem Down sind zudem die Yards pro Play zwischen dem Pass- und dem Laufspiel enger beieinander als bei Third Down. Auch ist es eine wichtige Qualität, bei eigener Führung spät im Spiel mit einem effizienten Run Game die Uhr runterspielen zu können. Das Run Game hat nach wie vor seine Daseinsberechtigung; entscheidend ist, wann man es einsetzt.
3. Erkenntnis: Play Action funktioniert - unabhängig vom Run Game
Zunächst einmal die Grundlage: Play Action - also die angetäuschte Ballübergabe an den Running Back mit anschließendem Pass - funktioniert, indem die Defense für einen kurzen Moment reingelegt wird.
Wenn insbesondere die Linebacker und gegebenenfalls die Safeties einen Laufspielzug vermuten und sich nur einige Schritte auf die Offensive Line zubewegen, reicht das, um in deren Rücken Fenster für einen Pass zu öffnen. Bis sich die Verteidiger wieder neu positioniert haben, ist es dann schon zu spät.
Das ermöglicht dem Quarterback einfache Reads - häufig muss er nur einen Verteidiger oder einen Bereich des Feldes lesen - und meist auch einfache Completions, da durch den angetäuschten Run Receiver nicht selten komplett offen sind.
Die zwei zentralen Erkenntnisse, die man hier mitnehmen sollte:
- Play Action funktioniert unabhängig davon, wie gut das Run Game ist oder wie häufig man läuft.
- Play Action macht das Passspiel generell effizienter.
Insbesondere Ersteres war und ist ein heißer Diskussionspunkt, weil die gegenteilige Wahrnehmung vermeintlich auf der Hand liegt. Die Theorie: Wenn ein Star-Running-Back auf dem Feld steht oder man gegen die gefährlichste Rushing-Offense der Liga spielt, wird der angetäuschte Run effektiver, weil die Defense einen Run erwartet.
Klingt logisch, keine Frage. Die Wahrheit aber ist, dass inzwischen zahlreiche Studien jeglichen Zusammenhang zwischen der Qualität sowie der Quantität des Run Games und dem (Miss-)Erfolg des Play Action Passspiels widerlegt haben.
Beispielhaft hierfür sind die Arbeiten von Ben Baldwin für Football Outsiders und von Steven Ruiz bei USA Today. Letzterer hat mittels der Daten der letzten vier Jahre auch mit Blick auf Expected Points Added herausgefunden, dass kein Zusammenhang zwischen dem Erfolg im Run Game und dem Erfolg im Play Action Passing Game besteht.
Und es gibt auch mehr als genug ganz praktische Beispiele, die das untermauern. Die 2017er Detroit Lions waren eines der ineffizientesten Rushing-Teams ligaweit - pro Play-Action-Pass legte Matt Stafford 10,2 Yards hin, der ligaweit dritthöchste Wert. Jacksonville lief 2015 in nur 31 Prozent der Fälle und lag in puncto Effizienz auf Rang 28; bei Play Action gelangen ihnen im Schnitt 1,7 Yards mehr Raumgewinn als im regulären Passspiel. Die Seahawks waren 2016 und 2017 im Play Action Passspiel besser als 2014 beziehungsweise 2015, obwohl sie in diesen beiden Jahren deutlich besser im Run Game waren. Diese Liste lässt sich meterweit fortsetzen.
Warum ist das so? All die einzelnen Kleinigkeiten, die während eines Spielzugs passieren, finden innerhalb von Sekundenbruchteilen statt. Ein Linebacker kann nach dem Snap nicht darüber nachdenken, ob Saquon Barkley oder Trent Richardson im Backfield steht. Er muss seine "Run-Keys" lesen, also primär die Bewegungen der Offensive Line oder einzelner Linemen.
Wenn die den angetäuschten Run gut verkaufen, besteht eine gute Chance, dass der Play-Action-Fake funktioniert. Das macht es so wichtig, dass sich die Play Designs im Run Game und im Passing Game möglichst ähnlich sehen; die Rams im Vorjahr waren dafür das Musterbeispiel. In der Folge wird das Play Action Passspiel auch noch effizienter, wenn es bei First und Second Down oder bei eigener Führung eingesetzt wird - also in Situationen, in denen die Defense eher einen Run erwarten würde.
Mehr Play Action!
Keinen Zweifel gibt es darüber, dass Play Action effizienter ist als das Standard Passing. In der vergangenen Saison erzielten Quarterbacks mit mindestens 100 Pässen im Schnitt 1,39 Yards mehr pro Play-Action-Pass als pro Standard-Pass. Ähnliche Trends sind seit Jahren feststellbar.
35 Quarterbacks warfen letztes Jahr mindestens 50 PA-Pässe; 24 davon hatten eine höhere Completion Quote als im regulären Passspiel, 29 davon hatten im Vergleich mehr Yards pro Pass und nur drei von ihnen - Flacco, Tannehill und Winston - warfen bei Play Action mehr Interceptions als Touchdowns.
Trotz dieses ligaweiten Erfolges sind zu viele Coaches noch immer zu zögerlich was Play Action angeht. Ligaweit kommen knapp über 20 Prozent der Pässe via Play Action, nur sieben Quarterback hatten letztes Jahr eine Quote von über 30 Prozent: Lamar Jackson, Jared Goff, Carson Wentz, Tom Brady, Marcus Mariota, Russell Wilson und Patrick Mahomes.
Eine Vermutung, die dabei gerne geäußert wird, geht in die Richtung, dass zu viel Einsatz von Play Action selbiges ineffizient machen könnte. Doch auch hier gibt es erste Studien, die das widerlegen. Josh Hermsmeyer hat anhand der Next Gen Stats Daten, die für die 2017er Saison veröffentlicht wurden, 1.235 Spielzüge ausgewertet; dabei fand er keinerlei Zusammenhang zwischen der Anzahl gespielter Play-Action-Spielzüge eines Teams und der Effizienz ebendieser.
Vielleicht gibt es einen Punkt, an dem zu viel Play Action ineffizient wird. Aktuell aber ist die NFL an diesem Punkt allem Anschein nach noch nicht angekommen.
4. Erkenntnis: Running Backs don't matter?
Was sagen uns all diese Erkenntnisse jetzt am Ende für die Position des Running Backs? Immer häufiger liest man in Analytics-Kreisen auf Social Media den Ausdruck "Running Backs don't matter", also die These, dass Running Backs komplett austauschbar sind. Und insbesondere die vergangene Saison war für Running-Back-Fans auch nicht einfach.
Todd Gurley dominierte bei den Rams, wurde als MVP-Kandidat ins Rennen geworfen und als Mittelpunkt der Rams-Offense bezeichnet. Dann verletzte er sich - und mit Backup C.J. Anderson lief das Run Game genauso gut wie vorher, wenn nicht sogar besser.
In Pittsburgh hatten die Steelers mit James Conner statt dem streikenden Le'Veon Bell mehr Yards pro Run und eine höhere Rushing Success Rate, während die Chiefs eine höhere Rushing Success Rate hatten, nachdem Kareem Hunt notgedrungen entlassen werden musste.
Bei den Giants derweil hatte Saquon Barkley eine fantastische Rookie-Saison mit über 90 durchbrochenen Tackling-Versuchen, 30 mehr als der Zweitplatzierte. Er machte seine Line im Run Game tatsächlich besser. Die Giants gewannen fünf Spiele. Natürlich schadet es nicht, Barkley zu haben. Die investierten Ressourcen stehen nur in keinem Verhältnis zum sportlichen Ertrag, den ein Running Back überhaupt leisten kann.
Das macht es schwer für Elliott und Gordon, wirklich Druck auf ihre Teams auszuüben. Die Cowboys haben jüngst Alfred Morris zurückgeholt, der Elliott bereits vorletztes Jahr während dessen Suspendierung vertreten hat; und sollten die Aussagen von Jerry Jones ernst gemeint sein, sind sie sich der Tatsache bewusst, dass sie eine sehr ähnliche Production zum Bruchteil des Preises erhalten können.
Die Offensive Line und die Anzahl der Verteidiger in der Box - also im Bereich direkt gegenüber der Offensive Line - sind die maßgeblich entscheidenden Faktoren dafür, ob ein Run Game funktioniert oder nicht. Ein letztes Mal kann ich dabei auf eine Arbeit von Hermsmeyer hinweisen, der Plays von 2009 bis 2018 ausgewertet hat, und herausfand, dass die Anzahl der Verteidiger in der Box sowie die Position auf dem Feld maßgeblich über Run-Erfolg entscheiden.
Running Backs matter - im Passspiel
Also sind Running Backs tatsächlich komplett austauschbar? Rein auf das Run Game betrachtet sind wir zumindest nahe dran. Barkleys absurde Anzahl an durchbrochenen Tackling-Versuchen gibt ihm einen gewissen Wert, genau wie wenn etwa Kareem Hunt im Schnitt über drei Yards nach erstem Gegnerkontakt erläuft. Doch sind die Auswirkungen daraus schlicht überschaubar.
Der Wert eines Running Backs definiert sich, wie der Wert von so vielem in der heutigen NFL, über das Passspiel. Scott Barrett von Pro Football Focushat herausgearbeitet, dass in der vergangenen Saison unter allen Tight Ends und Running Backs mit über 60 Targets beide Positionen exakt gleich viele Yards pro gelaufener Route (1,61) geliefert haben.
Kombiniert man beide Positionen und erstellt ein EPA-Ranking, sind in der Top-8 genauso viele Tight Ends (Kelce/Platz 1, Kittle/2, Andrews/4 und Ebron/7) wie Running Backs (Kamara/3, Gurley/5, McCaffrey/6, Hunt/8). Running Backs mit einer ausgeprägten Rolle im Passspiel können genauso gefährliche Matchup-Waffen sein wie Tight Ends. Entscheidend ist, dass sie auch dementsprechend eingesetzt werden, und hier haben die allermeisten Teams noch Nachholbedarf.
Zu häufig werden Running Backs lediglich bei Screens und anderen kurzen Dumpoff-Pässen eingesetzt. Dabei gibt es genügend Beispiele - letztes Jahr etwa Tarik Cohen, Duke Johnson und James White -, die zeigen, wie wertvoll Running Backs im Passspiel auch darüber hinaus sein können.
Ausblick: Wie geht es weiter?
Wie sehen die nächsten Schritte aus? Die 2019er Saison wird unter anderem mit Blick auf die Frage, ob Coverage wichtiger als der Pass-Rush ist, spannend. Pro Football Focus arbeitet seit einer Weile an dieser These und die Indizien legen diesen Schluss durchaus nahe.
Die New England Patriots agieren defensiv bereits seit Jahren nach diesem Motto, die Baltimore Ravens fallen inzwischen ebenfalls in diese Kategorie. Flexible Fronts basierend auf einer dominanten Secondary - entwickelt sich defensiver Football dahin? Ist das die Antwort auf die Passing-Dominanz?
Weitere Aspekte betreffen etwa die Effizienz im Passing Game mit der übergeordneten Frage, wo man Defenses am besten angreifen kann. Pro-Football-Focus-Analyst Timo Riske hat hierfür gerade einen spannenden Grundstein gelegt.
Effizienter Football ist auf dem Vormarsch. Das merkt man mehr und mehr in der Art und Weise, wie über Football berichtet wird, aber vor allem auch daran, dass viele Teams immer mehr in Analytics-Bereiche investieren. Und es liegt auf der Hand, dass die Teams, die sich davor verschließen, sehr bald schon massive Nachteile haben werden.