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Aaron Rodgers und die Green Bay Packers: Im Stich gelassen

Aaron Rodgers bekam von den Green Bay Packers nicht die Unterstützung, die er sich gewünscht hätte.
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Die Green Bay Packers taten herzlich wenig in dieser Offseason, um das Personal um Quarterback Aaron Rodgers herum zu verbessern. Stattdessen planten sie für eine zumindest fragwürdige Zukunft. Gefährden sie damit das Titelfenster ihres Star-QBs?

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Eine beliebte Frage in einer jeden NFL-Offseason ist die Frage danach, wie man mit der Tatsache umgeht, einen formidablen Franchise-Quarterback zu haben. Unterstützt man ihn nach Kräften und umgibt ihn mit so vielen Top-Spielern wie möglich, um sein eigenes Titelfenster aufzustoßen, offen zu halten oder zu vergrößern? Oder ignoriert man diesen Aspekt scheinbar und konzentriert sich eher darauf, buchstäblich alle anderen Baustellen des eigenen Kaders zu beackern, selbst wenn die gar nicht mal so groß erscheinen?

Die Green Bay Packers zeigten in dieser Offseason, dass der letztere Ansatz ihr präferierter Modus operandi sein soll. Anstatt Aaron Rodgers, der sicherlich eines Tages eine Büste in der Hall of Fame bekommen wird, mit einer Top-Anspielstation zu unterstützen, stürzten sich die Packers regelrecht auf Spieler, die Rodgers eher gar nicht helfen werden.

Zur Erinnerung: Im Draft tradeten sie in Runde 1 sogar hoch, um Rodgers' perspektivischen Nachfolger Jordan Love zu ziehen, der noch extrem roh ist und sicherlich in den kommenden zwei - oder mehr - Jahren kein Faktor in der NFL sein wird.

Anschließend wählten sie einen eher eindimensionalen Running Back in A.J. Dillon sowie Tight End Josiah Deguara, der in der NFL eher als Fullback-Tight-End-Hybrid herhalten wird. Alles unter dem Motto: Stärkung des Run Games, schließlich ist das Head Coach Matt LaFleurs offensichtliches Wunschszenario; was im Jahr 2020, nachdem die Kansas City Chiefs gerade mit extremstem Passspiel bis zum Super-Bowl-Triumph alles zerstörten, ein recht origineller Ansatz zu sein scheint.

Das hatte sich Rodgers schlicht anders vorgestellt. Vor dem Draft sagte er in der Pat McAfee Show: "Wir haben seit 15 Jahren keinen Skill-Player mehr in der ersten Runde gezogen. das wäre also ziemlich cool." Eine Aufforderung, einen Receiver zu draften, war das nicht - dass es Rodgers nicht gefallen wird, als Alternative seinen Nachfolger mit dem Top-Pick bekommen zu haben, dürfte dennoch klar sein.

2020 allerdings ist keineswegs eine Anomalie in Wisconsin. Diese betonte Nicht-Unterstützung von Rodgers hat vielmehr gute Tradition bei den Packers.

Green Bay Packers: Kaum Draft-Kapital für die Offense

Wie The Ringer kürzlich anmerkte, belegen die Packers auf dem "Jimmy Johnson Draft Value Chart" nach offensiven Skill-Position-Spielern (ohne Quarterbacks) Rang 28 seit Aaron Rodgers im Draft 2006 gezogen wurde. Zählt man auch noch Offensive Linemen dazu, sind die Packers auf 31 zu finden.

Zur Erklärung: Der "Jimmy Johnson Draft Value Chart" basiert auf einem Modell, das Hall-of-Fame-Coach Johnson einst erstellte, um den Wert von Draftpicks zu quantifizieren. Erstrundenpicks erhalten dabei freilich einen weitaus höheren Wert als die in späteren Runden, und so weiter.

Diese Bewertung ist mittlerweile etwas veraltet, umfasst keine Compensatory Picks, weil man diese seinerzeit nicht traden konnte und beinhaltet auch keine Spieler, die man in einem Trade für einen Draftpick erhält. Aber dieser Chart sagt zumindest mal im Liga-Vergleich deutlich aus, wie wenig Draft-Kapital die Packers in ihre Offense seit Rodgers' Ankunft investiert haben.

Das wird schon deutlich im aktuellen Kader. Die einzigen voraussichtlichen offensiven Starter für die kommende Saison, die früher als Runde 4 von den Packers gedraftet wurden - mit Ausnahme von Erstrundenpick Rodgers - sind Wide Receiver Davante Adams, der 2014 in Runde 2 gezogen wurde, sowie O-Liner Elgton Jenkins (2. Runde 2019).

In Runde 4 zogen die Packers 2013 zudem Left Tackle David Bakhtiari, der immer noch zu den besten seines Fachs gehört, also ebenfalls ein Glücksgriff war. Ansonsten aber investierte die Franchise kaum großes Draft-Kapital in die aktuelle Offense. Und Dillon (2. Runde 2020) ist hinter Pro-Bowler Aaron Jones eigentlich nur ein Backup.

Green Bay Packers: Voraussichtliche Offensiv-Starter 2020

PositionSpielerDraft-Runde
QuarterbackAaron Rodgers1. Runde 2005
Wide ReceiverDavante Adams2. Runde 2014
Wide ReceiverDevin Funchess2. Runde 2015 (Panthers)
Tight EndMarcedes Lewis1. Runde 2006 (Jaguars)
Running BackAaron Jones5. Runde 2017
FullbackJosiah Deguara3. Runde 2020
Left TackleDavid Bakhtiari4. Runde 2013
Left GuardElgton Jenkins2. Runde 2019
CenterCorey Linsley5. Runde 2014
Right GuardBilly Turner3. Runde 2014 (Dolphins)
Right TackleRicky Wagner5. Runde 2013 (Ravens)

Natürlich muss den Packers zugutegehalten werden, dass sie gerade in der O-Line generell gutes Gespür gezeigt haben mit späteren Picks - die aber eben mehr für nicht planbare einzelne Treffer im Draft als für eine Strategie stehen, und genau das ist ja Kern der Diskussion - sowie Free Agents. Obgleich sie den früheren Erstrundenpick Offensive Tackle Bryan Bulaga ziehen ließen und dafür mit Ricky Wagner eine schlechtere Alternative aus Detroit holten.

Ein klares Bekenntnis zur Offense und zum Quarterback sieht anders aus. Das bleibt auch die Erkenntnis bei der Betrachtung des Receiving Corps.

Außer Adams (2. Runde 2014) finden sich hier nur No-Names, die entsprechend schwankende Leistungen gezeigt und damit zu sichtlichen Frustrationen bei Rodgers geführt haben. Dass die Packers in diesem Jahr nun Devin Funchess als Free Agent verpflichtet haben, ändert daran wenig, denn auch er ist eigentlich keine Top-Anspielstation und war lange Zeit verletzt.

Green Bay Packers lassen Chance auf Receiver verstreichen

Die Packers änderten zwar zuletzt ihre Kaderbau-Strategie durch die Beförderung von Brian Gutekunst zum General Manager, nachdem Vorgänger Ted Thompson die Free Agency wie der Teufel das Weihwasser gemieden hatte. Doch Gutekunst nutzte sein Draftkapital sowie die Free Agency in seiner Anfangszeit hauptsächlich zum Wiederaufbau der Defense. Hochpreisige Free-Agency-Deals für Za'Darius und Preston Smith sowie Adrian Amos kamen letztes Jahr, auch beide Erstrunden-Picks wurden in die Defense gesteckt.

Als aber im diesjährigen Draft verheißungsvolle Wide Receiver in Reichweite gewesen wären, ließ er jegliche Chance darauf verstreichen und konzentrierte sich lieber auf Nebenkriegsschauplätze. Mit anschließendem Verweis darauf, dass man jeweils bei den eigenen Spots keinen Receiver als ausreichenden Value im Draft gesehen hatte.

In Thompsons Zeit als GM ließen sich bereits die Investitionen in offensive Free Agents an einer Hand abzählen: Zu nennen sind eigentlich nur Center Jeff Saturday, der 2012 für ein Jahr von den Colts kam und anschließend die Karriere beendete.

Zudem half sicherlich Tight End Jared Cook, der 2016 für einen spektakulären Seitenlinien-Catch nach großartigem Scramble von Rodgers in den Playoffs in Dallas sorgte. Ihn jedoch ließen die Packers schon nach nur einem Jahr wieder ziehen.

Rodgers: Favre-Vergleiche nur bedingt gegeben

Gutekunst wiederum begann seine Zeit als GM mit einer Verpflichtung von Tight End Jimmy Graham, der - mit Verlaub - auch 2018 schon nicht mehr der Alte war. Ein Umstand, der allerdings auch den heutigen Chicago Bears entgangen zu sein schien, als sie ihm nun einen Zweijahresvertrag samt No-Trade-Klausel (rund 10 Millionen Dollar garantiert) gaben. Mehr aber steht auch hier nicht auf der Habenseite.

Die Entscheidung für Jordan Love, der potenziell eines Tages, aber frühestens wohl 2022, Nachfolger von Rodgers werden könnte, ließ Erinnerungen wach werden an die einstige Trennung von Teamikone Brett Favre, der seinerzeit von Rodgers ersetzt wurde. Genauer betrachtet ist die Situation dieses Mal aber eine ganz andere.

Zum einen sorgte Favre mit seinen zahlreichen Beinahe-Rücktritten für Unruhe in Green Bay - etwas, was Rodgers bislang nicht im Ansatz tat und vielmehr betonte, noch einige Jahre spielen zu wollen. Auch galt Rodgers im Draft als ein Top-Talent, das überraschend abrutschte und den Packers in den Schoß fiel; Love dagegen war von Anfang an das Projekt, bei dem letztlich niemand geschockt gewesen wäre, wenn ihn kein Team in der ersten Runde gedraftet hätte. Die Packers tradeten für ihn hoch.

Zum anderen übernahm Rodgers damals mit einem ganz anderen Gerüst von Legende Favre.

Packers: Rodgers übernahm von Favre mit etabliertem Gerüst

Rodgers begann seine NFL-Karriere als Starter 2008 mit einigen etablierten Teamkollegen wie den Receivern Donald Driver und Greg Jennings sowie James Jones und dem gerade gedrafteten Jordy Nelson, der sich zu Rodgers' Go-To-Guy über mehrere Jahre entwickelte. Ein Kern, mit dem die Packers schließlich den Super Bowl nach der Saison 2010 gewannen.

Sollte Love nun tatsächlich in Kürze übernehmen, wäre außer Adams eigentlich keiner da, der annähernd an diesen Supporting-Cast vergangener Tage heranreichte. Natürlich kann in den kommenden ein, zwei Drafts noch einiges passieren, aber die Richtung, die Green Bay seit spätestens 2019 eingeschlagen hat, deutet auf einen ganz anderen Weg hin.

Weg von Rodgers und weg vom Passspiel samt dominantem Quarterback - Jason LaCanfora von CBS berichtete kürzlich, dass es das Ziel von LaFleur sei, lediglich rund 20 Pässe pro Spiel zu werfen - und überzugehen auf eine starke Defense samt Laufspiel als Basis.

Seahawks mit mehr Investitionen im Passspiel

20 Pässe pro Spiel als Ausgangspunkt gerechnet wären auf eine Saison gerechnet 320 Pässe im Jahr. Rodgers wiederum hat in einer Saison ohne Verletzung als Starter nie weniger als 520 Pässe geworfen. Und Rodgers wird in den kommenden paar Jahren im Durchschnitt 33,5 Millionen Dollar verdienen - über seinen kompletten aktuellen Vertrag, bei dem die Verlängerung erst 2020 greift, sind fast 100 Millionen garantiert (von 134 Millionen insgesamt).

Die Packers zahlen ihrem QB in diesem Idealszenario also knapp 100 Millionen Dollar dafür, dass er eben nicht den Ball wirft. Selbst die Seattle Seahawks, die Russell Wilson noch ein klein wenig mehr bezahlen als Rodgers und die ebenfalls eher dem altmodischen Laufspiel zugetan sind, haben mehr dafür getan, ihre Offense mit Top-Wide-Receivern zu bestücken als die Packers.

Und wenn dann Laufspiel und Defense die Zukunft für diese Franchise sein sollen, stellt sich unweigerlich die Frage, warum denn dann ausgerechnet Love und noch dazu so hoch (26. Pick insgesamt) gedraftet wurde.

Wer so spielen will wie die Packers, braucht eigentlich einen Quarterback, der das Spiel managt, der sichere Pässe wirft und kaum Fehler macht. Love dagegen ist jemand, der dem Risiko zugeneigt ist und der das Potenzial hat, spektakuläre Dinge zu machen - oder eben eine Katastrophe zu werden, das Spektrum ist hier sehr breit. Warum gehen die Packers ohne Not dieses Risiko, wenn sie buchstäblich das Risiko in ihrer Offense verringern wollen? Und warum lassen sie dafür die Chance verstreichen, das aktuelle Team zu verbessern?

Aaron Rodgers bekam von den Green Bay Packers nicht die Unterstützung, die er sich gewünscht hätte.
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Aaron Rodgers bekam von den Green Bay Packers nicht die Unterstützung, die er sich gewünscht hätte.

Green Bay Packers: Wackliges Fundament für die Zukunft

Im Vorjahr stellten die Packers bereits die vierteffizienteste Lauf-Offense der Liga laut Football Outsiders, im Passspiel belegten sie Platz elf. Oberflächlich betrachtet waren Verstärkungen im Laufspiel daher eher unnötig.

Anhänger der Packers werden nun einwerfen, dass Dillon doch der Nachfolger für Jones, den man ansonsten 2021 bezahlen müsste, sein solle. Aber auch das wäre wohl wieder ein Downgrade, war doch Jones durch ein positiver Faktor im Passspiel für Rodgers. Eine Rolle, für die Dillon eher nicht geeignet ist.

Die Idee, das Titelfenster zu vergrößern, scheint bei den Packers trotz Rodgers' kostspieligem Vertrag nicht im Vordergrund zu stehen. Währenddessen steht das offensive Fundament für die Zukunft auf wackligen Beinen. Die Packers spielen ein gefährliches Spiel mit ihrem derzeitigen Vorgehen. Sie geben Rodgers nicht die Unterstützung, die er braucht, und holen stattdessen Spieler, die wohl kaum die aktuelle Situation und nur bedingt die langfristige verbessern wird.

Für Rodgers ist dies unbefriedigend, für die Titel-Chancen der Packers, gerade mit Blick auf die mächtige Konkurrenz allein schon in der eigenen Conference - die Saints, Bucs, Cowboys und auch Eagles haben mächtig aufgerüstet, die 49ers waren ohnehin schon klar besser als die Packers, wie im NFC Championship Game klar dargelegt wurde - sogar abträglich.

Die Packers begeben sich damit schon jetzt, einige Jahre früher als durch Rodgers' recht hohes Alter (er wird Ende des Jahres 37) nötig gewesen wäre, auf einen Scheideweg, der zumindest nur bedingt vielversprechend erscheint.

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