Quarterback-Platoon: Kaum positive Präzedenzfälle
Wirklich überzeugende Präzedenzfälle gibt es dafür in der NFL oder generell im Football jedoch kaum. Anfang der 70er Jahre etwa ließ Tom Landry zwei Quarterbacks abwechselnd bei den Dallas Cowboys starten - Craig Morton und einen Naval-Academy-Absolventen namens Roger Staubach.
Bevor sich dann der spätere Hall-of-Famer durchsetzte, trieb Landry den damaligen "Quarterback Shuttle" in einem Spiel gegen Chicago 1971 auf die Spitze und ließ beide QBs abwechselnd pro Play ran. Das führte zu heillosem Chaos und 4 Interceptions. Das Spiel verloren sie 19:23. Danach übernahm Staubach und führte die Cowboys zu deren erstem Super-Bowl-Sieg.
Im College-Bereich versuchten es unter anderem die Michigan Wolverines unter Head Coach Lloyd Carr bis Saisonmitte 1999 mit einem QB-Platoon mit Drew Henson und Tom Brady - einer spielte das erste Viertel, einer das zweite und wer sich besser präsentierte, durfte die zweite Hälfte übernehmen. Letzten Endes aber war Brady der Starter und führte das Team zu einem Orange-Bowl-Triumph.
Diese und andere Beispiele lassen sich aber kaum auf die Patriots 2020 übertragen. Eher noch die Idee der Texas Longhorns aus dem Jahr 2016: Jene machten Shane Buechele zum Starter und ersetzten damit den Vorjahres-Starter Tyrone Swoopes, der aber doch noch eine Rolle in der Offense hatte.
Er war der athletisch bessere QB und durfte immer noch in einem Personnel-Package ran, das sich "18 Wheeler" nannte. Es handelte sich dabei um ein Heavy-Package, mit Blockern, die zusammen fast 3000 Pfund (rund 1360 Kilogramm) auf die Waage brachten. Es war für Short-Yardage- und Goal-Line-Situationen gedacht und half Swoopes dabei, 174 Rushing Yards und 7 Touchdowns zu erzielen.
Allerdings darf bezweifelt werden, dass die Patriots allen Ernstes Newton, der maximal 7,5 Millionen Dollar verdienen könnte und ein früherer MVP ist, nur geholt hätten, um ihn in Goal-Line-Packages zu nutzen. Das hätten sie auch günstiger haben können.
Patriots: Platoon problematisch für den Rhythmus
Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich am Ende des Training Camps dann doch derjenige mit dem größten Potenzial durchsetzen wird. Und das ist nun mal Newton. Dafür spricht seine Vita, ebenso seine große Erfahrung in der Liga.
Dass er in Woche 1 des Camps ein für ihn völlig neues System noch nicht beherrscht, sollte niemanden überraschen. Auch nicht, dass sich noch kein klarer Starter herauskristallisiert hat, da schließlich jedes NFL-Team mit Corona-bedingtem Trainingsrückstand in die Vorbereitung gegangen ist.
Zudem sind Quarterbacks dann besonders gut, wenn sie einen gewissen Rhythmus finden. Wenn sie sich "eingegroovt" haben, wenn man so will. Das gilt für einen Brady genauso wie für einen Patrick Mahomes, der im Super Bowl lange keinen Rhythmus fand und entsprechend ineffektiv war. Schaut man nun auf die aktuellen Starter-Anwärter der Patriots, allen voran Newton und Stidham, würde fehlender oder gestörter Rhythmus mehr Schaden anrichten als positive Aspekte mit sich bringen.
Newton braucht Spielpraxis, um das System und die Mitspieler kennenzulernen, Stidham, weil er schlicht noch über kaum Erfahrung in der NFL verfügt und in seinem zweiten Jahr noch reichlich grün hinter den Ohren sein könnte. Dann als Teilzeitkraft zu agieren, wäre wohl für den Gesamterfolg für beide eher hinderlich.
Belichick mit Sonderlob für Cam Newton
Belichick jedenfalls scheint schon Freude an Newton gefunden zu haben: "Cam kam erst spät dazu, aber hat sehr viel Energie mitgebracht und bringt sehr viel Erfahrung mit in unseren QB-Room. Für ihn geht es nun darum, den Rückstand aufzuholen und die Besonderheiten und die Terminologie des Patriots-Systems zu lernen. Und daran arbeitet er extrem hart."
Was allerdings zu Saisonbeginn passieren könnte, sind Experimente. Es ist zwar davon auszugehen, dass sich die Patriots auf einen Starter vor Saisonbeginn festlegen werden. Aber dennoch könnte diese Entscheidung dann noch nicht in Stein gemeißelt sein. Belichick betrachtet den September zumeist als erweiterte Preseason und versucht in mehreren Mannschaftsteilen auszuloten, was letztlich das Beste fürs Team ist. In einem Jahr ohne Preseason könnte das noch mehr gelten.
Das ist eine Erklärung für die gelegentlich holprigen Saisonstarts New Englands in den vergangenen 20 Jahren. Und auch in diesem Jahr könnte es zu einem solchen Experiment kommen, nur dieses Mal eben auch in der Frage, wer denn als Starting Quarterback auflaufen wird.
Ein Platoon bleibt dabei jedoch, trotz aller Gerüchte und Gedankenspiele, die unwahrscheinlichste Lösung, da hier einfach die negativen Aspekte überwiegen. Die primäre Frage lautet nun: Kann Stidham den Rückstand infolge der verpassten Einheiten abholen?
Oder ist das Duell in Foxboro womöglich sogar schon entschieden?