Woche 1 der Saison 2020 ist im Rückspiegel - was bleibt? Nach den ersten Erkenntnissen vom Sonntag stehen heute die Jets im Fokus, deren Pfeil nach Woche 1 Richtung Nummer-1-Pick zu gehen scheint. Außerdem: Was ist los mit der Eagles-Offense, wie geht es weiter in Miami - und wer konnte zum Auftakt überraschen?
Es gibt Saisonstarts, die frustrieren - die Niners-Pleite gegen Arizona wäre so ein Fall. Es gibt Saisonstarts, die Fans klar machen, dass ihr Team noch weiter weg sein könnte als erhofft; die Colts-Niederlage in Jacksonville könnte man hier nennen.
Und dann gibt es das, was Jets-Fans in Woche 1 ertragen mussten. Das Spiel, bei dem ein Team aussieht, als wäre es das klar schlechteste Team der Liga. Das waren die Jets bei ihrer 17:27-Pleite in Buffalo zum Auftakt.
Hier gilt es direkt einzuhaken, denn 17:27 klingt aus Jets-Sicht deutlich, deutlich besser als das Spiel aus ihrer Sicht war. Zwei Fumbles von Bills-Quarterback Josh Allen jeweils tief in der Jets-Hälfte verhinderten, dass Buffalo noch mehr Punkte in der ersten Hälfte auflegte: Es hätte sehr gut auch 35:0 statt 21:3 zur Halbzeitpause stehen können, und dennoch war dieses Spiel zur Halbzeitpause entschieden.
Da kann es Jets-Fans nicht gefallen, dass Adam Gase nach dem Spiel die Schuld indirekt von sich wies. Auf die Frage, wie er die Probleme der Offense mit ähnlichen Problemen in der vergangenen Saison vergleichen würde, antwortete Gase: "Das ist etwas völlig anderes. Heute hatten wir Receiver offen, aber haben sie verfehlt. Oder wir hatten Drops. Wir hatten einige Abstimmungsfehler im Run Game."
Das mag zwar alles stimmen, aber wenn Gase nach außen so wenig selbstkritisch auftritt, wie sieht das dann intern aus? Müsste nicht spätestens nach diesem Auftakt alles hinterfragt und jeder Stein umgedreht werden?
Jets: Adam Gase hilft Sam Darnold nicht
Das Kernproblem für die Jets und der Grund dafür, dass diese Auftaktniederlage sich nicht anfühlt wie ein einmaliger Ausrutscher, ist das Gesamtkonstrukt in New York. Die Jets haben ein unterdurchschnittliches Waffenarsenal, einen Quarterback, der um seine sportliche Zukunft in der Stadt spielt und einen Head Coach, bei dem man schlicht sagen muss, dass er eben nicht seine Spieler in die bestmögliche Position bringt.
Das beginnt mit ganz simplen Dingen wie beim ersten Jets-Drive der Partie. Bei 2nd-and-10 ließ Gase einen Inside Run gegen eine 7-Men-Box laufen, gegen welche die Jets-Line kaum Raum machen konnte. Es folgte 3rd-and-7, wobei Darnold eine schwierige Out-Route hätte treffen müssen, was ihm nicht gelang.
Und das setzt sich einfach immer und immer wieder fort. Entweder gibt es einen individuellen Fehler in der Offense, oder der Play-Call ist zu vorhersehbar, die Play-Designs funktionieren zu wenig zusammen - und dann haben die Jets mit ihren begrenzten Möglichkeiten kaum Spielraum für Fehler. Selbst wenn die eigene Defense neue Chancen bereitstellt.
NFL GamepassDie Szene hier zeigt das Ende des Drives direkt nach Allens erstem Fumble. Nicht nur ist es die unheilvolle "Run-Run-Pass"-Kombination, es ist eben auch das "wie".
Die Jets haben sich in 3rd-and-9 manövriert. Das ist ein kritisches Down, ein Down, bei dem gute Play-Caller sich von der Masse absetzen. Warum? Die Defense weiß, dass ein Pass kommt, meist packen Defensive Coordinator in diesen Situationen ihre kreativsten, exotischen Pass-Rush- und Coverage-Pakete aus.
Und was macht Gase? Er wählt den Weg des schnellen Passes zum isolierten Wide Receiver auf der rechten Seite der Formation. Darnold liest die 3-Receiver-Seite links von ihm gar nicht, sondern wirft den Ball direkt nach rechts, wo zwei Bills-Verteidiger aus unterschiedlichen Winkeln bereits warten, genau wie ein tief postierter Safety, den Chris Hogan auch noch vor dem Marker hätte schlagen müssen.
Das ist nichts anderes als ein aussichtsloses Unterfangen.
Vor allem aber sind diese Szenen kein Einzelfall. Beim Drive zum Abschluss des ersten Viertels standen die Jets abermals vor einem langen Third Down, dieses Mal klebte Darnold mit seinen Augen auf der linken Seite, bis nur noch der Pass in die Flat als Checkdown zum Tight End blieb, welcher das neue First Down um mehrere Yards verfehlte.
Jets-Offense: Alles ist hart erkämpft
So ensteht ein Gesamtbild mehrerer Faktoren, die sich gegenseitig runter ziehen. Darnold war mehrfach ungenau, hielt den Ball zu lange, kassierte eine absurde Delay-of-Game-Strafe beim ersten Play des Drives direkt nach dem dritten Bills-Touchdown und warf eine Horror-Interception spät über die Mitte in Triple Coverage.
Alles sieht so hart erarbeitet aus, es gibt wenige einfache Yards in Gases Offense und zu allem Überfluss verletzte sich Bell bei einem der besseren Play-Calls - ein Eins-gegen-Eins von Bell gegen Linebacker AJ Klein Sekunden vor der Halbzeitpause, das Bell mit einer Out-and-Up-Route klar gewann und für den Touchdown vermeintlich durch war - am Oberschenkel.
Und dann sind da diese Screens
NFL GamepassDieser Wide-Receiver-Screen etwa ist vom Start weg fast chancenlos; Breshad Perriman hat einen Verteidiger direkt bei sich, weil der Block des Receivers auf seiner Seite komplett ins Leere läuft, hätte aber selbst andernfalls aus zwei Richtungen Bills-Verteidiger direkt auf sich zustürmen sehen.
Man kann hier nahtlos anknüpfen, denn beim direkt darauf folgenden Second Down versuchen es die Jets abermals.
NFL GamepassDieses Mal ist es ein Screen zum Running Back, doch zwei der vier Bills-Linemen haben den Screen bereits erahnt und sind auf dem Weg zu Le'Veon Bell, als der noch damit beschäftigt ist, den Pass zu sichern. Er kommt nicht weiter als zwei Yards über die Line of Scrimmage.
Ein ausgeprägtes Screen-Paket einzubauen ist per se nichts schlechtes, Gases Screens aber sehen oft komplett ideenlos aus. Da ist keine Ablenkung, keine Falle für die Reads der Verteidiger, alles wirkt eindimensional.
Von den Garbage-Time-Punkten der Jets sollte man sich zudem nicht blenden lassen - Gang Green war in dieser Partie weitaus deutlicher unterlegen als es eine 10-Punkte-Niederlage darstellt. Und das wirft letztlich die Frage auf: Wo geht die Reise hin?
Viele - ich inklusive - haben vor der Saison die Jaguars, Jets und Washington als das Top-Trio im Rennen um den Nummer-1-Pick eingestuft. Jacksonville und Washington haben ihre Auftaktspiele gewonnen, und das mit Spielern und Mannschaftsteilen, die Hoffnung machen. Wie Minshew und Henderson bei den Jaguars, oder die Defensive Line um Rookie Chase Young bei Washington.
Man will nicht nach einem Spiel einen Haken hinter die Saison setzen, aber dennoch bleibt hängen: Diese gleiche Hoffnung muss man bei den Jets aktuell sehr lange suchen.
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Überraschungen, Philly, Overreaction - eure Fragen
Stefan Pohlmann, Viz, pascaalho, Burton77767: Was sind für dich nach dem ersten Spieltag die drei größten Überraschungen - positiv wie negativ?
Positiv:
- Derek Carr: Derek Carr kann einen guten Deep Ball werfen, der Kern der Debatte mit ihm ist immer eher: er nutzt ihn zu wenig und ist stattdessen chronisch vorsichtig und auf Sicherheit bedacht. Vielleicht setzt jetzt wirklich so etwas wie ein "Henry-Ruggs-Effekt" ein, in jedem Fall hatte Carr einen eindrucksvollen Auftakt in die Partie. Die Raiders gaben ihm insbesondere mit Play Action die Gelegenheit auf tiefe Pässe, und Carr nutzte sie. Fünf Bälle, die weiter als zehn Yards flogen, warf er, darunter ein sehenswerter Touchdown zu Agholor. Und das, obwohl er auf seinen Left Tackle Trent Brown verzichten musste.
- C.J. Henderson: Fantastisches Debüt für Henderson. Mehrere Big Plays in Coverage, las Rivers einige Male perfekt, zeigte seine Athletik in Coverage - Henderson war nichts anderes als sensationell und ein maßgeblicher Grund dafür, dass die Jaguars-Defense ihren Teil zum überraschenden Auftaktsieg gegen die Colts beitrug. Henderson sah laut PFF zehn (!) Targets, ließ dabei nur 58 Yards und nur ein einziges Yard nach dem Catch zu und hatte drei Pass-Breakups. Ich mochte Henderson Pre-Draft sehr, aber hatte erwartet, dass er sich zu Beginn etwas schwer tun könnte.
- Seahawks' Play Calling: Ich hatte bereits in meiner Kolumne am Montag ausführlicher darüber geschrieben, und natürlich verbietet es sich, nach einer Woche Schlüsse für die gesamte Saison zu ziehen. Ein Spiel kann immer auch ein Matchup-bedingter Ausreißer sein, den man hier sogar leicht erklären könnte: Seattle könnte zu dem Schluss gekommen sein, dass man gegen die Falcons-Front das Nachsehen hat, die Secondary aber mehr als angreifbar ist, was zu diesem Game Plan führte. Aber nach Woche 1 ist ja Optimismus noch erlaubt, und wenn sich dieser Trend für die Seahakws fortsetzt, öffnet sich ein neues Titelfenster.
Negativ:
- Browns-Offense: Klar, es ging gegen die Ravens, eine der unangenehmsten Defenses in der NFL - und die Browns mussten dann auch schnell in offensichtliche Passing-Downs übergehen. Aber trotzdem hatte ich mehr von der Browns-Offense erwartet. Stattdessen hat das Play-Action-Passspiel überhaupt nicht funktioniert, genau wie das Run Game; diese Kombination sollte eigentlich die Offense prägen. So war es eine Offense, in der Mayfield erneut mit Baltimores Blitzing große Probleme hatte und die Odell Beckham zwar mit Targets fütterte, der wiederum aber mit 22 Yards knapp am persönlichen Karriere-Tiefstwert vorbei schrammte. Fortschritt dringend benötigt!
- Colts-Defense: Über mehrere Teams hatte ich gestern und heute schon geschrieben. Die Lions-Defense, die Jets, die Vikings-Defense, die Eagles-Offense (gleich) - alle enttäuschten ziemlich. Doch es war auch eindrucksvoll zu sehen, wie wenig Zugriff die Colts auf die Jaguars-Offense bekamen. Bei ganzen sechs Dropbacks stand Jags-Quarterback Gardner Minshew unter Druck, und Indianapolis versuchte nicht einmal, mit Blitzing mehr Druck aufzubauen. Selbst Undrafted-Rookie-Back James Robinson sah vereinzelt gut aus. Wenn die Colts wirklich ein Dark-Horse-Titelanwärter werden wollen, muss auch die Defense deutlich besser spielen.
- Chargers/Tyrod Taylor: Es war zäh, zäh, zäh, was die Chargers und Bengals am Sonntag in Cincinnati boten, Taylor war dabei leider im Mittelpunkt. Vielleicht ist das zu hart formuliert, aber wenn die Chargers das, was Taylor am Sonntag gezeigt hat, Justin Herbert nicht zutrauen - dann hat L.A. womöglich noch ganz andere Probleme.
Sebastian von Horn: Was ist mit der Eagles-Offense los? Nur 17 Punkte, und die geschwächte Offensive Line wirkte komplett überfordert. Wird das ein konstantes Problem über die Saison und sind die Eagles so weiterhin ein Playoff-Kandidat?
Man muss zumindest ein wenig relativieren: Die Eagles gingen bereits stark ersatzgeschwächt in das Spiel. Drei Starter in der Offensive Line fehlten, dazu Running Back Miles Sanders und Receiver Alshon Jeffery, der mit seinem Catch-Radius eine schnelle Anspielstation auch vertikaler bieten kann.
All das ist fair, und umso bemerkenswerter war der Start der Eagles in die Partie. Philly gab Carson Wentz nicht nur eine gute Pocket, der wiederum verteilte den Ball wirklich gut. Auf einen eindrucksvollen ersten Drive folgte ein perfekter Deep Ball auf Jalen Reagor, der Ronald Darby böse verbrannt hatte, welcher den Weg für ein Field Goal ebnete und dann legte Wentz einen perfekt platzierten Pass auf Goedert nach, der aus dem Slot heraus tief gegangen war.
Nach diesem Pass stand es 17:0, und gedanklich wanderte vermutlich so mancher Haken hinter diese Partie. Diese ersten 25 Spielminuten unterstreichen auch, zu was diese Offense in der Lage ist und zu was Wentz in der Lage ist.
Aber dann kam der Einbruch, und der hatte es in sich.
Insgesamt acht Sacks verzeichnete die starke Washington-Front, und mehrere davon gingen ganz direkt auf die Kappe von Wentz selbst, der den Ball teilweise schlicht ewig hielt, ohne sich aus der Gefahrenzone raus zu bewegen. Er leistete sich Fehler, die man einem Rookie zugestehen würde, nicht aber einem gestandenen Quarterback in seinem fünften Jahr in der NFL.
Doch nicht nur das, Wentz hatte im weiteren Spielverlauf ungenaue Pässe, warf einen Pick in klare Coverage, hätte noch eine weitere Interception haben müssen - und musste gleichzeitig mit Drops in kritischen Momenten leben.
Philly versuchte in der zweiten Hälfte, mit kurzen Pässen und Runs zu antworten, um den Pass-Rush etwas zu neutralisieren, was teilweise auch funktionierte - auf diese Art aber konnten die Eagles keine langen Drives zusammen basteln. Unter dem Strich maximal frustrierend. Die gute Nachricht? Lane Johnson und Miles Sanders haben gute Chancen, in Woche 2 zurückzukehren.
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Nico: Wie können die Vikings ihre Probleme mit den jungen Cornerbacks in den nächsten Spielen lösen?
Ich denke, die langweilige Antwort ist hier die richtige: Minnesota braucht einen dominanten Pass-Rush, um die Secondary bestmöglichst zu entlasten und so den Spielraum für Fehler zu vergrößern. Anders gesagt, die Vikings brauchen Danielle Hunter schnellstmöglich zurück.
Ohne Hunter war der Pass-Rush, trotz Neuzugang Yannick Ngakoue, gegen die Packers komplett zahnlos; Rodgers wurde nicht einmal bei jedem sechsten Dropback unter Druck gesetzt und bisweilen nahm die Protection absurde Züge an. Das muss Minnesota schnellstmöglich korrigieren, um dann darauf aufbauend flexibler mit seinen Coverages sein zu können.
Und selbst dann wird es "Rookie-Momente" geben, wie ihn Cam Dantzler beim langen Touchdown von Valdes-Scantling hatte. Womöglich muss Minnesota dann auch - ähnlich wie letztes Jahr - seine Offense weiter öffnen, um die Defense zusätzlich zu entlasten.
Leif: Fitzpatrick mit drei Interceptions im ersten Spiel - wann kommt Tua?
Fitzpatrick hatte definitiv große Probleme mit einer Patriots-Defense, der nicht wirklich anzusehen war, dass sie zahlreiche Leistungsträger in der Offseason auf verschiedene Art und Weise verloren hatte. Vielleicht auch größere Probleme als gedacht.
Das heißt aber nicht, dass die Dolphins direkt den Tausch machen müssen. Sie könnten es selbstredend, einfach weil Tagovailoa, sofern er fit ist, am meisten auf dem Platz lernen wird. Gleichzeitig aber ist es Aufgabe der Dolphins, den Rookie zum bestmöglichen Zeitpunkt und unter bestmöglichen Umständen zu bringen.
Die Offensive Line war zum Auftakt tatsächlich besser als gedacht, und das könnte Tuas Debüt beschleunigen. Allerdings kann ich mir auch sehr gut vorstellen, dass Miami grob die erste Saisonhälfte abwartet, bis Spiele gegen Seattle, San Francisco, die Chargers und die Rams durch sind, um Tua dann rein zu bringen und ihm einen Start mit einer möglichst guten Chance auf Selbstvertrauen zu ermöglichen.
Würde ich das genauso machen? Nein, vermutlich nicht - ist Tua fit, und davon müssen wir jetzt einfach ausgehen, und zeigt die Offensive Line früher als gedacht Fortschritte, würde ich den Wechsel schon potenziell in Woche 3 gegen Jacksonville vollziehen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die Denkweise der Dolphins, die ja nach wie vor einen langfristigen Plan im Kopf haben, in die Richtung geht, Tua einen möglichst angenehmen Start zu geben.
Richi R.: Was ist deine Overreaction nach dem ersten Spieltag?
Die Saison der Eagles wird wieder durch bereits vor der Saison erlittene Verletzungen aus der Bahn geworfen.
Diese Mal allerdings so extrem, dass Philly im Laufe der Saison auf Jalen Hurts zurückgreift.