Die 10 wichtigsten Erkenntnisse zum Week-3-Sonntag
1. Die Eagles-Saison hängt am seidenen Faden
Die Schlusssekunden waren für sich betrachtet schon absurd, als Philadelphia seinen finalen Drive einfach schlecht managte, 19 Sekunden vor Ende der Overtime die Chance auf ein (sehr langes) Game-Winning-Field-Goal liegen ließ und stattdessen zum Unentschieden puntete. Es war das erste Remis dieser Saison, und wären Fans in Philadelphia im Stadion gewesen, mehrere heftige Pfeifkonzerte wären im Laufe dieser Partie wohl die Quittung gewesen.
Bei keinem Spieler wären die Buh-Rufe lauter gewesen als bei Carson Wentz.
Wentz hatte einen grausamen Start in die Saison. Er ging bereits auf dem vorletzten Platz bei "Completion Percentage Above Expectation", dem letzten Platz bei "Expected Points Added pro Play" und als mit weitem Abstand Letzter in puncto "DVOA" unter Quarterbacks in den Spieltag. Er war häufig zu spät mit seinen Pässen, die Accuracy war ein echtes Problem und seine Reads häufig viel zu langsam, was auch zu schlechtem Pocket-Verhalten führte.
Das setzte sich gegen eine nicht gerade herausragende Bengals-Defense komplett nahtlos fort.
Wentz' erste Interception wurde an der Line of Scrimmage abgefälscht, Wentz hatte den Ball allerdings auch in Triple Coverage geworfen. Seine ganzen Wurf-Mechanics sind weiterhin furchtbar, die Entscheidungen mit dem Ball ein echtes Problem - und dabei versuchten die Eagles alles, um ihn ins Spiel zu bringen.
Philadelphia arbeitete abermals mit jeder Menge Kurzpassspiel, mit Screens, mit Play Action, mit Run Pass Options, selbst ein Run per Zone Read für Wentz war dabei. Doch wie schon in vergangenen Wochen verfehlte er auch offene Receiver, etwa direkt vor seiner zweiten Interception - abermals ein Wurf in Coverage -, als er einen offenen Receiver nicht traf.
Er hätte ein Big Play zu Sanders Downfield haben müssen, verfehlte seinen Running Back aus einer sauberen Pocket aber um mehrere Yards. Er ließ einen potenziellen Touchdown, erneut ohne Druck, liegen. Konstant hat man den Eindruck, dass er seinen Augen nicht traut, dass er das Feld zu langsam liest, und ja - auch, dass sein Selbstvertrauen als Passer komplett am Boden ist.
Die Frage die sich nun ganz Philadelphia zunehmend lauter stellt lautet: Wäre Jalen Hurts besser? Der Rookie ist eine Wildcard, doch den Eagles läuft die Zeit davon, um Woche für Woche zu versuchen, Wentz' Selbstvertrauen sowie seine Mechanics zu reparieren. Hurts würde der Offense als Runner eine höhere Base-Line geben, als sie die aktuell mit Wentz hat, und die offenen Würfe, die Wentz aktuell ungenutzt lässt, sollte auch der Zweitrunden-Pick halbwegs regelmäßig treffen können. An welchem Punkt reicht das den Coaches, um einen Tausch zu vollziehen?
Die Eagles warten zum ersten Mal seit 1999 nach drei Spieltagen noch auf ihren ersten Saisonsieg, damals war ein gewisser Doug Pederson der Quarterback in Philly. Der wird schon bald eine Entscheidung treffen müssen - denn auch wenn Wentz der talentiertere Quarterback ist: So, wie er aktuell spielt, werden Woche für Woche die Argumente für ihn dünner.
2. Der eindrucksvolle Bills-Sieg gegen die Rams
Das hochklassigste Duell am Sonntag fand in Buffalo statt. Mit den L.A. Rams und den Buffalo Bills begegneten sich zwei Spitzenteams auf Augenhöhe, mit Big Plays auf beiden Seiten des Balls und letztlich einer Partie, die in extremen Wellen verlief: 28:3 führten die Bills bereits, ehe die Rams zurück stürmten und die Partie drehten.
Das Schlusswort aber hatte Buffalo mit einem finalen Drive, dessen prägendes Play eine Third-Down-Conversion von Josh Allen zu Cole Beasley bei Third-and-22 war, gefolgt wenig später von einer Pass Interference gegen Bills-Rookie-Receiver Gabriel Davis bei Fourth Down, inzwischen schon in der gegnerischen Red Zone.
Beide Teams dürfen nach diesen ersten drei Spielen berechtigte Hoffnung haben, dass die Saison für sie noch weit bis in den Januar hinein gehen kann. Und während die Rams ihrerseits unter anderem mit einer neu designten Offense glänzen, fügen sich die Einzelteile in Buffalo dieses Jahr bisher auf eine Art und Weise zusammen, die nur wenige so erwartet hatten.
Einerseits ist da Josh Allen selbst, der zwar nach wie vor seine einzelnen Aussetzer hat und durchaus schon mehr Turnover auf dem Konto haben könnte, gleichzeitig aber auch Passfenster und insbesondere tiefe Receiver mit einer Konstanz und einem Touch trifft, die man bei ihm bisher vergeblich gesucht hatte. In Kombination mit einem hervorragend zusammengestellten Team - offensiv wie defensiv -, das ihm unter anderem vielleicht das beste Receiver-Trio der Liga zur Verfügung stellt, scheinen die Bills bereit für den nächsten Schritt.
Denn die individuelle Qualität und Josh Allens Entwicklung gehen zudem Hand in Hand mit den Play Designs von Offensive Coordinator Brian Daboll. Daboll ist herausragend darin, Allens Defizite unter anderem im Lesen der Defense möglichst zu kaschieren, indem die Bills etwa viel aus Empty-Formationen arbeiten, um Allen klare Reads und Matchup-Hinweise vor dem Snap zu geben.
Auch nutzte Buffalo gegen die Rams Motion beim Snap bei knapp 40 Prozent der eigenen Offense-Plays - eine enorm hohe Zahl und auch hierdurch wird das Bild für den Quarterback klarer, bevor er mit dem Ball in der Hand Entscheidungen treffen muss. Die Bills haben ein ausgeprägtes Play-Action und vor allem Run-Pass-Option-Spiel und geben Allen auch hier klare Reads.
Der Touchdown kurz vor der Halbzeitpause war so ein Beispiel für die exzellenten Play-Designs, die auch gerade in der Red Zone immer wieder auffallen:
Die Bills täuschen einen Run nach links an, die gesamte Line blockt so und der Play-Action-Fake zieht die Rams-Front komplett auf diese Seite. Tight End Tyler Kroft wirkt wie der Backside-Blocker, also der Spieler, der entgegen der vermeintlichen Richtung des Run Plays absichern soll, damit kein Verteidiger von der anderen Seite ins Backfield stürmen kann.
Stattdessen aber täuscht er den Block nur kurz an, geht dann in die Flat und weil Allen den Ball nach seinem Rollout behält, muss er ihn nur noch über den Rams-Lineman drüber in den komplett freien Raum werfen, wo Kroft mutterseelenalleine wartet.
Der Kader und das Coaching waren nie die Frage vor dieser Bills-Saison. Die Frage war immer: wie weit kann die Reise mit Josh Allen gehen? Er ist noch ein gutes Stück davon entfernt, zur Quarterback-Elite zu zählen, dafür sind es schlicht nach wie vor zu viele Fehler. Aber selbst mit diesem Wissen wirken die ersten drei Spiele im Gesamtpaket nicht wie ein Ausreißer. Die Bills sind gekommen, um zu bleiben.
3. Sechs Mal 0-3: Für wen ist 2020 bereits eine Sackgasse?
Woche 3 ist gespielt, schon bald ist das erste Viertel der Saison beendet - und selbstredend ist in der Theorie noch für jeden alles offen. Umso mehr, da mit dem zusätzlichen Playoff-Platz ohnehin zwei zusätzliche Teams den Weg in die Postseason finden werden.
Und dennoch: Wer mit drei Niederlagen gestartet ist, mag zwar rechnerisch noch eine Chance haben - aber wie sieht die Situation dieser Teams im Einzelfall aus? Gibt es noch Hoffnung?
Houston Texans: Das Auftaktprogramm mit Kansas City, Baltimore und Pittsburgh war brutal - aber auch diese drei Niederlagen sagen etwas über die Texans aus: Dass sie nämlich eben nicht auf dem Level der AFC-Top-Teams sind. Gegen Pittsburgh hatte man erstmals den Eindruck, dass das Passspiel strukturierter auftrat. Doch Probleme in der Offensive Line in Kombination mit Watsons Stil (fünf Sacks setzte es in Pittsburgh) setzen sich fort, das Run Game war nicht existent und gleichzeitig offenbarte Houston abermals große Probleme in der eigenen Run-Defense. Die Aufgaben mit Minnesota und Jacksonville werden jetzt leichter und sind Must-Win-Spiele. Dann aber stehen mit Tennessee und Green Bay bereits Wochen der Wahrheit in Houston an. In der eigenen Division gibt es kein echtes Schwergewicht, und dennoch wird es für Houston jetzt trotz individueller Qualität vielleicht schon zu eng.
Minnesota Vikings: Woche 3 brachte endlich die lange erwartete offensive Antwort. Cousins und das vertikale Passspiel funktionierten, Rookie-Receiver Justin Jefferson hatte ein Monster-Breakout-Spiel und Dalvin Cook hatte mehrere explosive Runs. Und doch stand insbesondere in der zweiten Hälfte wieder die konservative Vorgehensweise mehrfach negativ im Fokus, und auch die Probleme in der Interior Offensive Line bleiben ein Thema und erfordern eigentlich ein offensives Umdenken. Und die defensiven Probleme bleiben, obwohl Tennessee ohne A.J. Brown antreten musste, sich selbst einen Pick-6 mit einer Strafe vom Board nahm und insgesamt alles andere als gut spielte. Für Minnesota war ein Sieg hier absolut möglich und Fortschritte sind sichtbar. Doch mit Spielen gegen Houston, Seattle, Atlanta und Green Bay vor der Brust stehen die Vikings 0-3 und auch wenn das Spiel mehr positive Takeaways hatte als die ersten beiden zusammengenommen - das wird nicht reichen.
New York Giants: Den Niners fehlten alle elementaren Spieler in dieser Partie. Der Quarterback, der Nummer-1-Corner, der Nummer-1-Pass-Rusher, der Nummer-1-Receiver, der Nummer-1-Back, der Nummer-1-Playmaker in Kittle und dann dahinter noch jede Nummer-2- und Nummer-3-Optionen. Kurzum: Dieses 49ers-Team war seit über einer Woche an der Ostküste und personell bis auf die Knochen gerupft, und auch für ein Giants-Team im Umbruch muss es der Anspruch sein, hier zu gewinnen. Stattdessen? Eine Defense, die mit Nick Mullens Probleme hatte und von Kyle Shanahan komplett zerlegt wurde, sowie eine unkreative Offense, in der Daniel Jones erneut mit horrenden Turnovern auffiel. Die Giants hatten - trotz der Pleite - beim Auftakt gegen Pittsburgh überrascht, seitdem aber herrscht Ernüchterung. Umbruch ist schön und gut, doch sollte auch im Umbruch Fortschritt erkennbar sein. Ein Top-5-Pick ist für dieses Team wahrscheinlicher als eine ausgeglichene Bilanz zum Saisonende.
New York Jets: Als einziges Team, das zu keinem einzigen Zeitpunkt in einem Spiel geführt hatte, waren die Jets in ihr Woche-3-Duell mit den Colts gegangen. Sam Darnold hatte zwei üble Interceptions in der ersten Hälfte, und selbst mit diesen Turnovern war es einer der besseren Auftritte der Jets insgesamt; trotzdem lag man mit zehn Punkten zurück. Und besser wurde es nicht, auch nicht in puncto Darnold-Turnover. Das vermutlich beschreibt die Saison von Gang Green relativ treffend. Die Jets haben einen deutlich sichtbaren Talent-Nachteil gegenüber den allermeisten anderen NFL-Teams und den gleichen sie auch nicht durch Coaching aus. Die Jets müssen aktuell als Favorit auf den Nummer-1-Pick gesehen werden.
Denver Broncos: Die zu keinem Zeitpunkt in Frage stehende Pleite gegen Tampa Bay war nur so etwas wie die Spitze des Eisbergs in einer schon nach drei Wochen völlig verkorksten Saison für Denver. Die Verletzungen von Von Miller und Courtland Sutton, die Verletzung von Drew Lock, eine knappe und vermeidbare Pleite in Woche 1. Die vorsichtigen Playoff-Träume in Mile High gehören bereits der Vergangenheit an, das viel größere Problem allerdings: Die Broncos laufen auch zunehmend Gefahr, Lock im zweiten Jahr nicht richtig bewerten zu können. Mit den Playoffs wird Denver nach drei Pleiten zum Start und potenziell noch mehreren Spielen mit Jeff Driskel oder Blake Bortles vor der Brust nichts zu tun haben.
Atlanta Falcons: Die Falcons werden gleich nochmals thematisiert, daher der Schnelldurchlauf: Atlantas Offense kann punkten, selbst ohne Julio Jones. Die regelmäßigen Komplett-Einbrüche und eine Defense, die in Coverage regelmäßig zerlegt wird, haben Atlanta aber schon jetzt komplett aus der Bahn geworfen. Es bahnt sich eine Saison sehr ähnlich wie die erste Saisonhälfte im Vorjahr an, als man trotz guter Offense-Zahlen vermeintlich in Richtung der sicheren Entlassung von Dan Quinn schlitterte.