4. Die Bears und das quälende Niemandsland
Die Art und Weise der Niederlage gegen die Saints versinnbildlichte eine Realität, der Bears-Fans sich zunehmend stellen müssen: Chicago ist in einer der schwierigsten Situationen in der gesamten NFL, wenn man die Vogelperspektive einnimmt.
Natürlich sind Teams wie die Jets sportlich viel schlechter aufgestellt - doch die Richtung scheint klar: New York wird einen Top-3-Pick im kommenden Draft haben, genau wie einen neuen Head Coach und jede Menge Cap Space. Dieses Team ist derart talentbefreit, dass man fast bei Null anfängt. Ein weißes Blatt gewissermaßen, damit aber auch eine Chance auf baldige nachhaltige Verbesserung. Zumindest eine Chance.
Und Chicagos Perspektive? Die Bears haben sich über die letzten Jahre einen starken Kader aufgebaut, insbesondere defensiv - doch die Selbsteinschätzung war dabei falsch, und das an mehreren Punkten.
Vor zwei Jahren dachten die Bears, dass sie mit Trubisky einen jungen Franchise-Quarterback haben, um den herum sie jetzt ein starkes Team aufbauen müssen, solange er günstig ist. Der spektakuläre Trade für Khalil Mack steht sinnbildlich für diese Idee. Während Mack die Defense zwar auf ein anderes Level hob, waren die Erstrunden-Picks 2019 und 2020 weg, und Mack erhielt seinen Mega-Vertrag.
In der 2019er Offseason sah man sich mit dem Division-Sieg in der Tasche weiter bestätigt und wähnte sich nur ein paar kleine Puzzlestücke von der Chance auf den ganz großen Wurf entfernt. Einen Zweitrunden-Pick hatten die Bears 2019 aufgrund eines Pick-Trades im Vorjahr auch nicht, was Chicago aber nicht daran hinderte, in Runde 3 hoch zu traden und ultimativ einen Dritt- und Fünftrunden-Pick 2019 sowie einen Viertrunden-Pick 2020 in David Montgomery zu investieren.
Doch der Running Back ist genauso wenig die Alleinlösung für das unter Matt Nagy - den man inzwischen definitiv ebenfalls kritisieren muss, für sein Play-Calling, aber auch dafür, dass er es noch immer nicht geschafft hat, eine in sich kohärente Offense aufzubauen - bestenfalls inkonstante Run Game, wie Trubisky auch nicht die erhoffte Quarterback-Antwort ist.
Bears: Weiterhin verschobene Selbstwahrnehmung
Die sportliche Quittung gab es in der vergangenen Saison mit einem Jahr im tiefsten Mittelmaß - doch die jüngste Offseason untermauerte die verschobene Selbstwahrnehmung in Chicago: Jimmy Graham und Robert Quinn wurden mit teuren Verträgen gelockt, Ted Ginn wurde kurzfristig verpflichtet. Das sind nicht die Entscheidungen einer Franchise, die einen Umbruch antizipiert. Dass man sich für Nick Foles als Alternative für Trubisky entschied, legt nahe, wie sehr eine gewisse Vertrautheit priorisiert wurde.
Das führt zurück ins Hier und Jetzt. Foles ist nicht nur - erwartungsgemäß - nicht die mittel- oder gar langfristige Antwort; aktuell spielt er zumeist schlechter als Trubisky, mit dem die Offense zwar insgesamt stets limitiert war, aber zumindest ein gewisses Überraschungsmoment mitbrachte. Gut möglich, dass wir Trubisky nochmal sehen, aber selbstredend ist auch er nicht die langfristige Lösung.
Die Defense ist spektakulär, aber Chicago ist das nächste warnende Beispiel dafür, dass man in der heutigen NFL nicht mehr nur über eine dominante Defense erfolgreich sein kann. Gut? Ein unangenehmer Gegner? Absolut. Aber mehr? Schwierig.
Was macht das aus den Bears? Chicago hat ein teures Team, das in vielen Mannschaftsteilen bereit ist, um die Playoffs und mehr mitzuspielen - auf der wichtigsten Position aber eben weiter als der Großteil der Liga davon entfernt ist. Wenig Cap Space, wenig aufrückendes Elite-Talent aus den Draft-Klassen 2018 und 2019 und trotzdem ein Team, das viel zu stark ist, um auf einen Top-5- oder selbst Top-10-Pick zu schielen. Zudem ein Team, das keinen radikalen Rebuild einleiten wird, da andernfalls GM und Head Coach sich selbst um die Jobs bringen würden.
Die Bears sind im Niemandsland, der potenziell quälendste Spot in der NFL: keine Chance auf einen drastischen Umbruch, keine Chance auf den Titel und wie auf Treibsand arbeitet man sich mit einzelnen Entscheidungen und jeder Offseason immer tiefer hinein, statt einen Ausweg zu finden.
Bei der Ursachenforschung muss man mit der Kaderplanung und der internen Selbstwahrnehmung beginnen.
5. Wie viel Geduld mit Garoppolo hat Shanahan?
An welchem Punkt endet die Geduld von Kyle Shanahan? Mit Blick auf die Quarterback-Position in San Francisco zieht sich diese Frage wie ein roter Faden durch die Saison. Der Auftritt gegen Seattle, ehe Garoppolo abermals verletzt raus musste - und es mit Backup Nick Mullens tatsächlich fast nochmal eng wurde -, war nur das jüngste Beispiel dafür.
Wieder eine üble Interception bei einem Pass in den Rücken seines Targets, wieder wacklig in der Pocket, wieder hatte man den Eindruck, dass Garoppolo tiefe Pässe nicht einmal versuchen will. Kein einziges Mal attackierte er eine Seahawks-Secondary, die in dieser Saison wacklig unterwegs ist, tiefer als 15 Yards. Mullens, der insgesamt neun Pässe mehr warf, hatte gleich vier solcher Pässe.
Garoppolo in Topform kann Shanahans Offense sehr gut umsetzen und gelegentlich auch mal über das Scheme hinaus punkten. Aber es ist eben nur vereinzelt, und die Probleme bleiben die gleichen: Das inkonstante Pocket-Verhalten, das Übersehen von Underneath-Verteidigern, der auf Sicherheit bedachte Spielstil.
An welchem Punkt ist Shanahan bereit, zu sagen, dass er 95 Prozent von dem, was Garoppolo ihm bringt, auch deutlich günstiger haben kann? Und die übrigen fünf Prozent sind zwar schwieriger, aber wann wir ein solches Spiel von Garoppolo sehen, weiß letztlich niemand.
Nach wie vor bin ich der Meinung, dass Garoppolo nicht das zentrale Problem in dieser Offense oder diesem Team ist, aber er ist eben auch nicht die Lösung. Er schwimmt mit, je nachdem, in welche Richtung das Team gerade treibt. Für einen solchen Durchschnitts-Quarterback ist der Cap Hit im kommenden Jahr in Ordnung, er liegt im Liga-Mittelfeld unter Quarterbacks. Aber abgesehen von finanziellen Aspekten: Sieht Shanahan nicht womöglich auch schlicht die Chance auf ein Upgrade?
Das Seattle-Spiel hat nochmals unterstrichen: Für Garoppolo könnte die zweite Saisonhälfte tatsächlich kritisch werden.