Travis Kelce ist einer der wichtigsten Spieler für die Kansas City Chiefs in Super Bowl LV gegen die Tampa Bay Buccaneers. Doch abseits des Platzes hat er mittlerweile einen ähnlich großen Einfluss. Unvorstellbar, wenn man die teils chaotischen Anfänge seiner Footballkarriere kennt.
Wer Travis Kelce heute erlebt, weiß, dass der Tight End aus dem Offensivspiel der Kansas City Chiefs kaum noch wegzudenken ist. Er ist Patrick Mahomes' zentrale Anspielstation und führt sein Team in Targets (145), Receiving Yards (1416) und Receptions (105) jeweils deutlich an - zudem erzielte er nach Tyreek Hill die zweitmeisten Touchdowns (11). Kurzum: Kelce ist ein konstantes Mismatch und eigentlich immer offen.
Doch das ist nur die sportliche Seite von Kelce. Was neben dem Platz passierte, ist ihm mittlerweile mindestens genauso wichtig. So wichtig, dass er nun sogar eine Nominierung für den Walter Payton Man of the Year Award erhalten hat - die vielleicht prestigeträchtigste Auszeichnung, die ein NFL-Spieler bekommen kann.
Aber diese Entwicklung allein dürfte für einige, die ihn zu Beginn seiner NFL-Karriere - und auch schon davor - beobachtet haben, durchaus überraschen. Noch zu High-School-Zeiten wäre sie gar undenkbar gewesen.
Zu High-School-Zeiten war Kelce ein eher unkontrollierter Typ, der zwar bei allen sehr beliebt war, aber seinen Coaches und Lehrern durchaus Kopfzerbrechen bereitete. Als er die Chance hatte, zusammen mit seinem Bruder Jason, heute All-Pro-Center der Philadelphia Eagles, für das erste Team der Cleveland Heights High School zu spielen, wurde ihm das verwehrt, weil er zu schlechte Noten hatte.
Travis Kelce: Verlust des Stipendiums
Aufs College ging es dann aber doch, fast folgerichtig folgte er Jason ein Jahr später zu den Cincinnati Bearcats, für die er als Quarterback vor allem in Wildcat-Formationen aktiv war. Nach einem Redshit-Freshman-Jahr war Travis sogar Teil des 12-0-Teams, das den Sugar Bowl erreichte. Doch am Rande dessen wurde bei einem Drogentest Marihuana bei ihm entdeckt.
Offiziell warf ihn Head Coach Butch Jones wegen der "Verletzung von Teamregeln" aus dem Team und aus dem Programm - sein Stipendium wurde zurückgezogen und seine Footballzukunft stand plötzlich unter keinem guten Stern mehr. "Ich habe einige Joints geraucht", verriet er in einem späteren Interview mit GQ.
Auch durch gutes Zureden seines früheren High-School-Trainers und dank seiner Familie blieb Kelce dennoch dem Footballsport treu. Er lebte in seinem Jahr im Exil im Zimmer seines Bruders und schlug sich durch als Fragensteller für ein Unternehmen für Meinungsforschung. Zudem arbeitete er zusammen mit dem Vater eines Teamkollegen in einer Stahlfabrik.
Kelce kam - einigermaßen - zur Vernunft und wurde auch dank der ausdrücklichen Bitte seines Bruders und ein paar weiterer Teamleader nach einem Jahr Pause wieder von Jones ins Team geholt - unter der Bedingung, als Tight End zu spielen. Seine Statur (1,96 m, 117 kg) gab es ohnehin her.
Diese Episode allein dürfte wohl schon gereicht haben, damit Kelce seinen Lebenswandel änderte und gewissermaßen den rechten Weg wiederfand - samt klarerer Prioritäten. Schule und Bildung waren von da an wichtiger als etwaige Nebenkriegsschauplätze.
Travis Kelce: Herausragende Arbeit für "Operation Breakthrough"
Diese Erkenntnis versucht Kelce seither Kindern mit auf den Weg zu geben. In Kansas City lernte er nach ein paar Jahren in der NFL das wohltätige Projekt "Operation Breakthrough" kennen, das seit den 70er-Jahren unterprivilegierte Kinder vor dem High-School-Alter die Chance gibt, auch nach der Schule an diversen Projekten zur Bildung und einfach zum Zeitvertreib zu arbeiten.
Mit seiner Stiftung "Eigthy-Seven and Running", benannt nach seiner Trikotnummer 87, unterstützt er das Projekt seit 2016 und freundete sich dort auch mit ein paar Schülern an. Nachdem er bislang immer selbst vor Ort war, um die Kinder zu besuchen, setzte er seit Beginn der Pandemie auf Zoom-Calls und suchte stets neue Wege, das Projekt auch aus der Ferne zu unterstützen. Die Leiterin des Projekts schlug vor, dass er die Ernährung der Kinder für acht Wochen finanziere - Kelce machte daraus prompt 15 Wochen.
All das übertraf er nur noch damit, dass er für die großflächige Erweiterung des Projekts sorgte. Da "Operation Breakthrough" schlicht nicht die Räumlichkeiten hatte, um noch mehr Kinder unterzubringen, müssen sie das Projekt beim Eintritt in die High School verlassen, damit jüngere Kinder nachrücken können.
Kelce erfuhr davon und kaufte schließlich im vergangenen Jahr die auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegende leerstehende Autowerkstatt, wie The Athletic kürzlich berichtete. Im kommenden September soll der Umbau abgeschlossen sein, um dann auch die älteren Schüler unterzubringen.
Für seine wohltätige Seite steht die Walter-Payton-Award-Nominierung. Seine nunmehr drei All-Pro-Nominierungen verkörpern seinen sportlichen Wert. Doch auch seine Produktion auf dem Feld, die seit Jahren auf einem extrem hohen Niveau liegt, wurde gerade in früheren Jahren überschattet von gewissen Aussetzern.
Travis Kelce: Ejection nach Schiedsrichter-Attacke
Der Tiefpunkt war wohl eine Ejection in der Saison 2016 für unsportliches Verhalten. Nachdem eine recht klare Pass Interference gegen ihn in der Endzone in einem Spiel gegen die Jaguars nicht geahndet wurde, lieferte er sich ein Wortgefecht mit dem nächstgelegenen Schiedsrichter.
Der wollte zunächst nicht zuhören, woraufhin Kelce ihm zurief: "Ok, Du hörst mich nicht? F*ck You!" Das quittierte der Schiedsrichter mit einer Flagge, woraufhin Kelce ein paar mehr blumige Worte anfügte und schließlich ein Handtuch von seiner Hose nahm und Richtung Kopf des Schiedsrichters feuerte. Danach war sein Spiel beendet.
Strafen wegen unsportlichen Verhaltens oder übertriebener Härte nach dem Pfiff waren allerdings ohnehin keine Seltenheit für Kelce, der bereits auf dem College und in der High School dadurch immer wieder negativ auffiel.
Und das blieb auch den Verantwortlichen der NFL nicht verborgen. Am Rande der Scouting Combine im Jahr 2013 traf er sich zum Interview mit dem damaligen General Manager der Baltimore Ravens, Ozzie Newsome. Newsome war früher selbst ein Hall-of-Fame-Tight-End und ein Kindheitsidol von Kelce für dessen Heimatteam Cleveland Browns.
Doch anstatt mit ihm die besten Plays von Kelce auf dem Tape durchzugehen, präsentierte ihm Newsome nur einen Zusammenschnitt von Kelces größten Ausrastern, gefolgt von der Frage: "Mein Sohn, bist Du ein verdammtes Arschloch?"
Travis Kelce: Ein geborener Showman
Eine Antwort auf die Frage ist nicht überliefert, dafür aber die Erkenntnis, dass Kelce mit dem Alter geläutert ist. Seine letzte Strafe für unsportliches Verhalten kassierte er in der Saison 2017, seither fällt er eher durch exotische Touchdown-Dance-Moves auf - oder eben durch Abstecher ins Showbusiness.
2016 spielte er die Hauptrolle in der Datingshow "Catching Kelce", wobei er gewissermaßen der "Catch" war. Im Grunde war es eine Show wie der Bachelor, in der Kelce die Frau fürs Leben finden sollte. Ohne Erfolg, bereits 2017 hatte er sich von seiner damaligen Auserwählten schon wieder getrennt.
2020 wiederum durfte er sich als angehender Astronaut in der Showtime-Serie "Moonbase 8" versuchen (in Deutschland bei Sky zu sehen). Kelce spielte sich selbst und sein Serien-Alter-Ego sollte so etwas wie ein PR-Gag der NASA sein, um eine Mondbasis auf die Beine zu stellen.
Der Grund, wieso ausgerechnet Kelce die Rolle bekam, erklärte Hauptdarsteller und Comedian John C. Reilly lapidar gegenüber Thrillist: "Unsere erste Idee war tatsächlich Gronkowski. Und den haben wir nicht erreicht." Dann also Kelce: "Was macht man also anstatt Gronkowski? Und da ist halt dieser aufstrebende Bursch, Travis Kelce. Er ist Gronkowski dicht auf den Fersen."
Letztlich erfüllte Kelce laut Reilly die Hauptkriterien für die Gastrollen in dieser Serie: "Sie müssen attraktiver, intelligenter und physisch fitter sein als wir. Mit anderen Worten: brauchbarere Kandidaten für ein Raumfahrtprogramm."
gettyTravis Kelce: Auf Gronkowskis Spuren
Allerdings wird es bei einem Gastauftritt bleiben, denn Kelce stirbt am Ende der ersten Folge einen tragischen Serientod.
Seine Langlebigkeit in der NFL ist dagegen einer seiner Vorzüge. Im Gegensatz zum angesprochenen Gronkowski hat Kelce bis auf seine Rookie-Saison nie mehr als ein Spiel in seiner Karriere verpasst.
Im Super Bowl könnte er jetzt bereits seinen zweiten Ring einfahren und auch hier Gronkowski (3) - auf der anderen Seite aktiv - noch näher auf die Pelle rücken.