Head Coach Bruce Arians steht mit den Tampa Bay Buccaneers vor einem nie dagewesenen Heimspiel in Super Bowl LV gegen die Kansas City Chiefs. Sein Weg dahin verlief jedoch alles andere als geradlinig und erforderte das Umschiffen der einen oder anderen Unwägbarkeit.
Viele Teams hätten gepuntet, als die Tampa Bay Buccaneers bei 4th and 4 an der gegnerischen 45-Yard-Linie mit 13 Sekunden auf der Uhr in der ersten Halbzeit standen. Doch sie blieben im NFC Championship Game in Green Bay auf dem Feld, holten durch einen kurzen Pass von Tom Brady auf Running Back Leonard Fournette noch ein neues First Down und schockten dann die Footballwelt: Nach der finalen Timeout feuerte Brady einen langen Pass über 39 Yards zum pfeilschnellen Scotty Miller in die Endzone - Touchdown!
Oder wie Head Coach Bruce Arians so gern zu sagen pflegt: "No risk it, no Biscuit!" - frei übersetzt heiß das so viel wie: "Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!", was schon lange Arians' Mantra ist.
Jener Arians blüht in seiner Rolle als Head Coach dieser Tage so richtig auf, wenn man engeren Beobachtern Glauben schenkt. Sein Sohn Jake Arians bezweifelt dies keine Sekunde: "Er erlebt gerade die Zeit seines Lebens", wie er gegenüber ESPN verriet.
Seit er 2019 den Job in Nordflorida übernommen hat, erlebt die NFL zudem einen neuen, noch entspannteren Arians. Einer, der die Dinge weniger angestrengt angeht als zuvor in seiner langen Trainerkarriere.
Arians war einst selbst Option-Quarterback auf der High School und auf dem College von Virginia Tech. Allerdings saß er in der Regel auf der Bank und wurde schon früh zum Coaching hingeführt, anfangs als Graduate Assistant der Hokies, später dann meist als Positionscoach, etwa für die Wide Receiver und Running Backs.
Arians: Auseinandersetzungen mit Bear Bryant
Nach drei Jahren bei Mississippi State folgten zwei lehrreiche Jahre in Alabama - der legendäre Head Coach Paul "Bear" Bryant hatte ihn zu seinem Running Backs Coach gemacht. Vor allem aber trieb er den jungen Arians ein ums andere Mal zur Verzweiflung.
Arians beschrieb Bryant in seinem Buch "The Quarterback Whisperer" (2017) als einen "Meister der Personalbeurteilung. Er konnte reinkommen und sehen, dass die Sekretärin einen schlechten Tag hatte und sagte dann irgendwas Nettes. Und ich? Ich war arroganter als sonst was. Und er wusste das."
Hitzig wurde es zwischen den beiden in einer Film-Session. "Ich sagte: 'Nun, wir haben uns zwei Fumbles geleistet.' Und er sagte: 'Du hast Dir den Film nicht mal angesehen. Du weißt nicht mal, wie man einen Film bewertet.'"
Erst Wochen später konfrontierte Arians Bryant dann: "'Wie soll ich denn die verdammten Burschen bewerten?' Und er schaute mich an und sagte: 'Du machst einen guten Job. Raus mit Dir!' Danach passierte so etwas nie wieder. Er wollte einfach nur sehen, ob ich auf die Provokation anspringe oder nicht."
Bryant hinterließ großen Eindruck bei Arians, der noch heute an der Wand in seinem Büro hinter dem Schreibtisch ein Bild von Bryant hängen hat. "Es ist immer über meiner rechten Schulter", sagte Arians nach seinem Dienstantritt gegenüber der Tampa Bay Times.
gettyArians: Schulverweis auf der High School
Ein Hitzkopf war Arians allerdings schon lange vor seiner Coaching-Karriere. Das Senior-Jahr auf der High School verbrachte er an einer öffentlichen Schule, da er von der York Catholic High School in Pennsylvania rausgeworfen wurde. Auf einem Mannschaftstrip mit seinen damaligen Teamkollegen leisteten sich die Jungs ein Saufgelage und wurden erwischt. "Jeder war besoffen. 29 Kerle wurden für drei Tage suspendiert. Ich wurde rausgeworfen, weil ich angeblich schon auf Bewährung war", erinnerte sich Arians Jahrzehnte später.
Angeblich rührte jene Bewährung daher, dass seine Freundin und heutige Frau Christine schwanger war, was auf einer katholischen Schule natürlich nur sehr ungern gesehen wurde. "Sie hat das Kind am Donnerstag verloren und wir wollten eigentlich am Samstag darauf heiraten", sagte Arians. Die Wege von ihm und seinem College trennten sich.
Der Fehltritt blieb den meisten Colleges im Anschluss jedoch auch nicht verborgen, sodass sich alle bis auf eines - VT - von ihm abwandten. Dort nämlich hatte er mit John Devlin, einem damaligen Assistant Coach, immer noch einen Fürsprecher. Dieser log sogar gegenüber seinem Head Coach, was den Grund für Arians' Abgang von York Catholic betraf - er behauptete, dass Arians die Schule wechselte, um einen erweiterten Mathe-Kurs zu belegen.
Den Titel "Quarterback Whisperer", also "Quarterback-Flüsterer", hatte Arians' Buch nicht ohne Grund. Ein Blick in seine NFL-Karriere verrät, dass er mit einigen der besten Passgebern der vergangenen Jahrzehnte zusammenarbeitete.
Bei den Colts trainierte er einen Rookie namens Peyton Manning, der wohl einen Tag vor Super Bowl LV in die Hall of Fame aufgenommen wird. Er coachte Tim Couch, den damaligen Top-Pick im Draft 1999 bei den Browns, und Ben Roethlisberger bei den Steelers - dort gewann er zweimal den Super Bowl als Wide Receivers Coach und später Offensive Coordinator. Zudem betreute er später in Indy Andrew Luck und in Arizona Carson Palmer.
Arians: Kaum noch Hoffnung auf Head-Coach-Job nach Super Bowl 43
Doch auch nach insgesamt 15 Jahren in der NFL war er stets nur Assistent von anderen Head Coaches. "Nach Super Bowl 43 hätte ich nicht gedacht, dass ich noch eine Chance kriegen würde, denn damals bekam ich nicht mal einen Anruf. Ich sagte zu mir: 'Das wird nicht mehr passieren.'"
Und so machte er als Assistent weiter bis zum Start der Saison 2012. Bei Colts-Head-Coach Chuck Pagano wurde Leukämie festgestellt und Arians wurde gebeten, auf Interimsbasis zu übernehmen. Dieser Anruf kam von Teameigner Jim Irsay, dem Arians nur eine Bedingung nannte: das Licht in Paganos Büro müsse bis zu dessen Rückkehr an bleiben.
Unter Arians gewannen die Colts neun von zwölf Spielen und erreichten sogar die Playoffs. Arians wurde zum Coach of the Year gewählt. Und trotz der Pleite in den Playoffs gegen die Baltimore Ravens hatte Arians genügend Eindruck hinterlassen, um doch endlich einen Head-Coach-Job zu bekommen.
Nach erfolglosen Interviews mit sieben anderen Teams ging es für ihn schließlich nach Arizona, wo er auch dank Palmer eine erfolgreiche Zeit erlebte. Seine ersten drei Jahre endeten allesamt mit positiven Bilanzen. 2015 zogen die Cardinals gar ins NFC Championship Game ein, wo dann allerdings gegen die Carolina Panthers Schluss war.
Arians: Seine Jahre als Head Coach in der NFL
Saison | Team | Division-Rang | Siege | Niederlagen | Remis | Playoffs |
2012 | Colts (Interimscoach) | 2. AFC South | 9 | 3 | 0 | - (Pagano coachte in den Playoffs) |
2013 | Cardinals | 3. NFC West | 10 | 6 | 0 | - |
2014 | Cardinals | 2. NFC West | 11 | 5 | 0 | Wildcard Game |
2015 | Cardinals | 1. NFC West | 13 | 3 | 0 | NFC Championship Game |
2016 | Cardinals | 2. NFC West | 7 | 8 | 1 | - |
2017 | Cardinals | 3. NFC West | 8 | 8 | 0 | - |
2019 | Buccaneers | 3. NFC South | 7 | 9 | 0 | - |
2020 | Buccaneers | 2. NFC South | 11 | 5 | 0 | Super Bowl LV |
Arians blieb noch bis zum Ende der Saison 2017, woraufhin er sich dann aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand verabschiedete. Arians hatte immer wieder mit seinem eigenen Körper zu kämpfen. 2007 litt er an Prostatakrebs, 2013 wurde ihm Hautkrebs an der Nase entfernt, drei Jahre später musste er mehrfach wegen diverser Dinge ins Krankenhaus und 2017 wurde er schließlich an der Niere operiert, um auch dort Krebszellen zu entfernen.
Genug, sagte sich Arians, und wollte fortan mehr Zeit mit der Familie und den Enkelkindern verbringen. Ganz loslassen konnte er den Football jedoch nicht und arbeitete 2018 als TV-Experte und Co-Kommentator.
Arians: Lieber Football als Langeweile
Wie sich jedoch schnell zeigte, war das einfach nicht genug für Arians. Ihm fiel gewissermaßen die Decke auf den Kopf, sodass er nicht lange zögerte, als ihn General Manager Jason Licht zu den Buccaneers lotste.
"Wissen Sie was, er wird Gesundheitsrisiken haben, egal was er macht", unterstützte seine Frau diesen Schritt in der Tampa Bay Times: "Er könnte zuhause in einem Sessel sitzen. Aber als ich die Aufregung in seiner Stimme hörte, war mir klar, dass dies für ihn sehr viel besser ist als zuhause zu sitzen."
In Tampa änderte Arians schließlich seine Herangehensweise an den Head-Coach-Job grundlegend. War er früher ein absoluter Kontrollfreak, vertraut er nun seinen Assistenten deutlich mehr. Todd Bowles coacht die Defense und sagt die Spielzüge an, Byron Leftwich coacht die Quarterbacks und ist auch der Play-Caller. Eine Aufgabe, die Arians zuvor immer selbst ausgeübt hatte.
Dass er im zweiten Jahr dann auch noch Tom Brady als seinen QB bekam, war für Arians von Anfang an ein absoluter Glücksfall, auch wenn er durchaus gern mit Jameis Winston zusammengearbeitet hat. Auf die Frage, wie er reagiert hätte, wenn ihm Licht 2019 bereits prognostiziert hätte, 2021 mit Brady im Super Bowl zu stehen, sagte Arians trocken: "Was hast du geraucht oder getrunken? Und gib mir auch was davon!"
Arians: Rücktritt kein Thema
Doch selbst wenn es für Arians nun zum ganz großen Wurf reichen sollte und er auch als Head Coach den Super Bowl gewänne, wäre das wohl noch nicht das Ende. "Auf keinen Fall, ich will dann auch noch ein zweites Mal in den Super Bowl", sagte er dem Radiosender 95,3 WDAE. "Kein Zweifel, wenn die Glazers mich behalten wollen, werde ich bleiben."
Ein Sieg beim Heim-Super-Bowl in wenigen Tagen in Tampa wäre dann das Salz auf dem viel zitierten Cracker (Biscuit).