Taktik-Analyse zum Super Bowl: Die Offense der Chiefs - was macht Mahomes und Co. so stark?

Von Adrian Franke
03. Februar 202110:00
SPOX blickt vor dem Super Bowl auf die Offense der Kansas City Chiefs.getty
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Es ist soweit: Super Bowl LV steht vor der Tür! Tom Brady und die Tampa Bay Buccaneers empfangen im ersten "Heim-Super-Bowl" aller Zeiten Patrick Mahomes und die Kansas City Chiefs. Können die Buccaneers die Chiefs-Offense vor Probleme stellen? Welche Wege gibt es überhaupt gegen diese Offense? Und was macht die Chiefs-Offense eigentlich aus? SPOX-Redakteur Adrian Franke bereitet Euch mit der Taktik-Analyse zu Kansas City vor.

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"Jedes Down ist ein Wurf-Down. Ich wurde auf diese Art und Weise von LaVell Edwards ausgebildet; dass man den Ball immer werfen kann, jederzeit, überall auf dem Feld. Und ich habe versucht, das über die Jahre beizubehalten."

Diese Aussage von Chiefs-Coach Andy Reid, insbesondere der erste Satz, machte nach dem Playoff-Sieg über die Cleveland Browns die Runden. Kansas City hatte gerade auf hochdramatische Art und Weise die Browns ausgeschaltet, Reid spielte Vierter-und-Eins kurz vor der Mittellinie nicht nur aus - er warf den Ball. Mit dem Backup.

Superstar-Quarterback Patrick Mahomes war zu diesem Zeitpunkt bereits seit einer ganzen Weile mit Verdacht auf eine Gehirnerschütterung in der Kabine, Chad Henne hatte übernommen. Und durfte dann den spielentscheidenden Pass werfen. Tyreek Hill fing den Ball zum First Down und die Chiefs konnten die Uhr runterlaufen lassen. Game Over.

Die Szene war eine Art Versinnbildlichung für all das, wofür Andy Reid sportlich steht. Keine Angst davor, vierte Versuche auszuspielen. Der eigenen Offense vertrauen. Den Ball werfen, auch und gerade wenn kaum ein anderes Team in der gleichen Situation einen Pass riskieren würde.

Und die Chiefs-Offense bietet sich dafür auch glänzend an.

Mit Patrick Mahomes haben sie den gefährlichsten Quarterback der Liga, Travis Kelce legt als Tight End Wide-Receiver-Stats auf und Tyreek Hill ist nicht nur einer der explosivsten Big-Play-Receiver der NFL, sondern auch brandgefährlich aus dem Slot. Mehr als die Hälfte seiner Snaps verbringt er hier, in der Regular Season fing nur Pittsburghs JuJu Smith-Schuster unter Wide Receivern mehr Touchdowns aus dem Slot (9) als Hill (7).

Was zeichnet die Chiefs-Offense sonst aus? Auf was gilt es, im Super Bowl zu achten? Und welche Antworten könnten Todd Bowles und die Buccaneers-Defense womöglich finden?

Super Bowl: Die Chiefs-Offense - die Basics

  • In puncto Personnel Groupings hat sich bei den Chiefs über die letzten Jahre wenig geändert. Kansas City spielt ligaweit mit am meisten 11-Personnel (ein Running Back, ein Tight End, drei Wide Receiver), 73 Prozent der eigenen Offense-Snaps erfolgen hieraus. Der Liga-Schnitt für 11-Personnel liegt bei 60 Prozent, nur die Bengals und Steelers hatten gemäß Sharp Football Stats eine noch höhere 11-Personnel-Quote als KC.
  • Die Alternative bleibt 12-Personnel, also zwei Tight Ends und dafür nur zwei Wide Receiver. 18 Prozent der Chiefs-Offense-Snaps werden daraus gespielt, das liegt knapp unter dem Liga-Durchschnitt (20 Prozent). Auffällig ist, wie häufig KC hieraus vertikal geht: Aus 12-Personnel werfen die Chiefs den Ball durchschnittlich pro Passversuch 10,3 Air Yards tief und liegen damit zwei volle Yards über dem Liga-Schnitt aus 12-Personnel. Auf die tiefen Shots - gerade auch aus Play Action - kann man also in jedem Fall achten, wenn Kansas City mit dem zweiten Tight End aufs Feld kommt.
  • Stichwort Play Action: Die ist - genau wie Run Pass Options - zentraler Bestandteil der Chiefs-Offense. Rund 31 Prozent von Mahomes' Pässen erfolgen laut Pro Football Focus via Play Action, wo er den Ball für 8,9 Yards pro Pass wirft, der zehnthöchste Wert. Bei Play Action hat Mahomes in dieser Saison zwölf Touchdowns und nur eine Interception geworfen, dazu kommen 756 Passing-Yards per RPO. Hier hat nur Arizonas Kyler Murray (1.107) noch mehr.
  • In der Red Zone werden die Chiefs ganz besonders kreativ - auch aus der Not heraus. Kansas City hatte in diesem Bereich des Feldes im Laufe der Saison immer wieder seine Probleme, 61 Prozent der Red-Zone-Trips endeten in einem Touchdown. Das bedeutet oberes Mittelmaß und rangiert hinter Teams wie Arizona (65 Prozent), Detroit (66 Prozent), Minnesota (71 Prozent) oder Cleveland (73 Prozent). In der Folge wurden die Chiefs hier immer kreativer und bauten auch Mahomes als Runner über Zone Reads und Option Plays stärker ein.
  • Durch die Luft ist Travis Kelce in diesem Bereich des Feldes die klare Nummer-1-Waffe (28 Targets), gefolgt von Hill (19). Generell gingen 29 der 44 Chiefs-Touchdown-Pässe dieser Saison auf Kelce (14) oder Hill (15).
  • Die Chiefs haben den Ball in dieser Saison in der Red Zone häufiger geworfen als dass sie gelaufen sind, das ist selbst für die Pass-lastigen Chiefs eine Umstellung im Vergleich zur Vorsaison. In neutralen Spielsituationen (First und Second Down, Siegwahrscheinlichkeit zwischen 20 und 80 Prozent, die letzten zwei Minuten der Halbzeit ausgeklammert) waren dieses Jahr nur die Bills Pass-lastiger als Kansas City. Die Chiefs werfen den Ball in diesen Situationen in 63 Prozent der Fälle.
  • Im Allgemeinen verbindet man mit der Chiefs-Offense die tiefen Pässe und die Big Plays. Aber bei den "Intended Average Air Yards", also wie tief der Ball im Schnitt geworfen wird, rangiert Mahomes (8,5 IAY) eher im oberen Liga-Mittelfeld und damit im Dunstkreis von Derek Carr, Gardner Minshew (beide je 8,2 IAY) und etwa hinter Joe Burrow (8,7). Auch wirft er nur 12,4 Prozent seiner Pässe tief, das ist tiefer NFL-Durchschnitt 2020.
  • Bei Kansas City findet nämlich viel der offensiven Produktion auch nach dem Catch statt: 5,8 Yards after Catch pro Completion stehen in diesem Jahr laut Pro Football Reference auf Mahomes' Konto, unter den Startern sind nur noch Aaron Rodgers (6,1) und Philip Rivers (6,0) darüber.
  • Doch wenn Mahomes den Ball dann tief wirft, ist das Ergebnis häufig spektakulär: Kein Quarterback hat in der gerade beendeten Regular Season mehr Touchdowns bei tiefen Pässen (mindestens 20 Air Yards) geworfen als Mahomes (13), der gleichzeitig nur zwei Interceptions bei tiefen Pässen warf. In puncto Deep Passing Yards dagegen rangiert er nur auf Platz 12, hinter unter anderem Teddy Bridgewater.

Kansas Citys Offense ist in allererster Linie deshalb so schwer zu verteidigen, weil eine enorm hohe individuelle Qualität mit Play-Designs kombiniert wird, welches diese Qualitäten noch weiter bestärkt. Insbesondere Hill und Kelce arbeiten stark im Verbund, was Route-Designs angeht.

Das kann eine tiefe Over-Route von Hill mit Kelce Underneath sein, um die Verteidiger in der Mitte des Feldes in Konflikt zu bringen. Die Chiefs nutzen auch extrem viel At-Snap-Motion (ein Spieler befindet sich im Moment des Snaps in Bewegung), Hill füllt diese Rolle häufig aus. Das zieht die Augen der Verteidiger ins Backfield.

Die Chiefs kreieren Matchups für ihre Superstars, und diese Superstars holen dann aus diesen Matchups das Maximum heraus - mit Mahomes, der all das nochmal auf ein anderes Level hebt und selbst Offense kreieren kann.

Um diese Matchups aufzudröseln und zu verstehen, wie Kansas City Defenses strukturell vor Probleme stellt, bietet sich zuerst der Blick auf Travis Kelce ganz besonders an.

Die Chiefs-Offense: Der einzigartige Travis Kelce

Patrick Mahomes ist natürlich der wichtigste Spieler in Kansas City. Doch müsste man einen "Motor" der Offense außerhalb von Mahomes beschreiben, die Wahl würde für die allermeisten wohl auf Travis Kelce fallen.

Man könnte das anhand ganz simpler Total Stats untermauern. Travis Kelce hatte in der Regular Season 139 Targets, nur Stefon Diggs, DeAndre Hopkins, Allen Robinson, Davante Adams und Darren Waller lagen in dieser Kategorie vor ihm. Seine 105 Catches wurden nur von Diggs, Adams, Hopkins und Waller noch übertrumpft, und mit 1.416 Receiving-Yards belegte er Platz 2 lediglich hinter Diggs.

Kurzum: Kelce stellt die allermeisten Wide Receiver in der NFL in den Schatten. Und das wird auch mit der Art und Weise unterstrichen, wie die Chiefs ihn aufstellen:

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Statistiken von Pro Football Focus

Um das einzuordnen: Niners-Tight-End George Kittle verbrachte in der gesamten Saison 2019 lediglich 91 (!) Snaps Outside, sowie 131 im Slot. Er stand 728 Mal In-Line, also direkt an der Offensive Line postiert.

Auch der Vergleich mit Darren Waller, dem äußerst athletischen Raiders-Tight-End, der intensiv ins Passspiel eingebunden wird, unterstreicht Kelces Einzigartigkeit in dieser Hinsicht: Waller verbrachte in dieser Saison 189 Snaps Outside und 156 im Slot, sowie 639 In-Line.

Kelce: Ein "schwerer Receiver" und noch viel mehr

Kelce ist in gewisser Hinsicht ein 118 Kilogramm schwerer X-Receiver, der aber auch blocken kann. Und genau so setzen die Chiefs ihn auch ein; der Touchdown im Playoff-Spiel gegen die Cleveland Browns verdeutlicht das:

SPOXNFL Gamepass

Die Chiefs stellen sich hier in ihrer häufig gespielten 3x1-Formation auf, also drei Receiver auf einer und einer auf der anderen Seite. Der isolierte Spieler ist dabei häufig Travis Kelce, mit dem Running Back im Backfield noch zu seiner Seite.

Man nennt das "Nub Tight End", oder "Nub Formation", wenn der Tight End alleine auf einer Seite der Formation steht. Das hat mehrere Effekte:

  • Die Defense wird zumindest ein Stück weit gezwungen, ihre Coverage schon vor dem Snap zu zeigen. Gehen Cornerbacks mit den drei Wide Receivern mit? Wer steht gegenüber des Tight Ends? Dem Quarterback gibt das bereits wichtige Informationen dahingehend, ob er es mit einer Zone oder einer Man Coverage zu tun hat.
  • Tyreek Hill, Mecole Hardman und Sammy Watkins auf einer Seite der Formation setzen die Defense schon per se unter Druck. Defenses wollen gegen keinen der drei Eins-gegen-Eins-Coverage riskieren und insbesondere Tyreek Hill aus dem Slot kann hier extreme Mismatches bedeuten.
  • Insbesondere eine RPO-lastige Offense wie die der Chiefs kann Defenses für verschiedene Antworten bestrafen. Rotiert der tiefe Safety nach dem Snap auf die 3-Receiver-Seite und der Linebacker lässt sich fallen? Dann kann Kansas City mit seinen RPOs auch simpel den Ball über die Tight-End-Seite laufen lassen. Diese Entscheidung liegt dann zumeist nach dem Snap bei Mahomes.
  • Das zentrale Mismatch aber findet meist auf der anderen Seite der Formation statt, und hier kommt Kelce mit seinen einzigartigen Qualitäten ins Spiel. Defenses reagieren auf diese 3x1-Formationen häufig eben indem die Coverage in Richtung der 3-Receiver-Seite rotiert, also etwa die Safeties eher auf dieser Seite aushelfen. Das aber wiederum lässt ein potenzielles Eins-gegen-Eins-Matchup gegen Kelce zu, und so drastisch es klingt: Nur sehr wenige - wenn überhaupt - Verteidiger in der NFL können in diesem Szenario mit Kelce mithalten.

Die Browns in der hier abgebildeten Szene hatten genau diesen Weg gewählt. Die beiden tiefen Safeties orientieren sich auf die 3-Receiver-Seite, der Linebacker wird durch die Route des Running Backs mit nach außen gezogen.

Cleveland wähnte sich aber gut vorbereitet, denn niemand anderes als Nummer-1-Corner Denzel Ward stand Kelce gegenüber (blaue Box am unteren Bildrand). Doch, und hier sticht nochmals das Kelce-Argument, es passierte das Szenario, das die Browns als kalkuliertes Risiko gesehen haben dürften.

Kelce schlug Ward im Eins-gegen-Eins und setzte den Browns-Corner mit seiner Route auf den Hosenboden, womit er in der über das Play-Design "frei geräumten" Mitte des Feldes offen für den Catch war und mit dem Ball in die Endzone walzte.

Chiefs-Offense: Das "Raum"-Problem gegen Kelce und Co.

Die Chiefs sind also exzellent darin, sich Matchups zurecht zu legen und die Matchups zu nutzen, die die Defense anbietet. Und Defenses versuchen verschiedene Herangehensweisen.

Die Ravens versuchten, Kansas City mit dem Blitz zu überwältigen - und scheiterten krachend. Generell ist Man Coverage nur sehr bedingt ratsam, dafür ist Kansas City individuell, aber auch schematisch zu stark. Zumeist bestrafen die Chiefs es umgehend, wenn eine Defense Man Coverage spielt, und das häufig per Big Play. Das kann dann auch mal über einen Run von Mahomes selbst sein, während kein Verteidiger in Man Coverage die Augen auf ihn gerichtet hat.

Die Buffalo Bills haben in dieser Saison zwei Mal gegen Kansas City gespielt. Einmal in Woche 6 und dann wieder im Conference Championship Game. Und Buffalo hatte einen sehr spezifischen, interessanten Game Plan: Die Bills boten den Chiefs immer und immer wieder eine leichte Box an, stellten also wenige Spieler in die Nähe der Line of Scrimmage, blitzten nur sehr selten und fokussierten sich darauf, die kurzen Pässe über die Mitte sowie die tiefen Pässe zu eliminieren.

In der Regular Season war Buffalo darin noch extremer, in der Folge hatten die Chiefs mit weitem Abstand ihr produktivstes Spiel im Run Game (245 Rushing-Yards), es war das einzige Spiel, in dem Kansas City mehr Rushing- als Passing-Yards hatte. Clyde Edwards-Helaire verzeichnete 26 Runs, kein einziger davon war gegen acht oder mehr Verteidiger in der Box.

Im Championship Game mixten die Bills dann mehr durch, brachten auch häufiger Pressure, verließen sich im Kern aber auf ihre Grundstruktur: Viel Quarters-Coverage (Cover-4, vier Spieler teilen sich den tieferen Bereich des Feldes untereinander auf), viele leichte Boxes und die Linebacker sollten die schnellen Pässe unterbinden.

Das Problem dabei sind die Räume, die hier entstehen. Zumal Kansas City dann viel mit seinen Motion-Paketen spielt, etwa Tyreek Hill in Bewegung setzt und zusätzlich noch einen Run antäuscht, um die Linebacker noch etwas näher an die Line of Scrimmage zu ziehen.

Mit den Defensive Backs aber sehr passiv agierend - und zusätzlich durch vertikale Routes beschäftigt, beziehungsweise noch weiter nach hinten getrieben - entsteht ein gigantischer Raum insbesondere zwischen den Linebackern und den tiefen Safeties. Hier bekommen die Chiefs ihre Chunk Plays; nicht die 50-Yard-Bomben, aber die Pässe über 13, 15, 17, 18 Yards. In diesem Bereich des Feldes attackiert Kansas City mit seinen zahlreichen Crossing-Routes immer und immer wieder.

Tyreek Hill und die Matchup-Frage: Wen covern?

Bei den Basics zur Chiefs-Offense wurden einige Kernpunkte bereits erwähnt. Dazu gehört, dass Kansas City verhältnismäßig nicht sonderlich aggressiv vertikal attackiert - doch wenn Mahomes den Ball tief wirft, gibt es auffallend häufig auch tatsächlich ein Big Play daraus.

Das liegt einerseits auch hier wieder fraglos an der hohen individuellen Qualität. Tyreek Hill ist längst nicht nur ein Deep Threat, ein unheimlich schneller Receiver. Hill ist ein brandgefährlicher Route-Runner und kann seine Explosivität vielleicht besser als jeder andere Spieler in der NFL auf engstem Raum ausspielen. Mit schnellen Richtungswechseln, mit harten Cuts.

Mecole Hardman hat nicht ganz die Short-Area-Quickness, die Hill hat, aber auch er hat einen enormen Long Speed und kann eine Defense jederzeit tief schlagen. Das gilt auch für Sammy Watkins, der kein Nummer-1-Receiver sein mag, aber als Nummer-3- oder Nummer-4-Waffe ohne Zweifel glänzen kann. Das war letztes Jahr in den Playoffs beispielhaft zu beobachten: Sobald Teams einen besseren Zugriff auf die Offense bekamen, indem sie Hill und Kelce limitierten, kam plötzlich das Big Play über Watkins.

Doch neben der individuellen Qualität ist es eben auch die Art und Weise, wann und wie die Chiefs wirklich vertikal attackieren. Wenn sie eben Eins-gegen-Eins-Matchups kreieren können, wenn sie Coverage Busts tief kreieren können - kurzum: Zumindest zu einem gewissen Grad auch, wenn die Defense es anbietet.

Dieser Touchdown gegen die Carolina Panthers ist so ein Beispiel:

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Die Panthers rotieren nach dem Snap einen Safety nach vorne Richtung Box, mutmaßlich auch in Reaktion auf den angetäuschten Run, den Play-Action-Fake. In der Folge spielt Carolina Cover-3, der tiefe Bereich des Feldes wird also in drei Cover-Zonen mit bestimmten Matchup-Prinzipien aufgeteilt.

Kansas City läuft zwei sich sehr tief kreuzende Routes, um die Zuteilungen zwischen Safety und Cornerback durcheinander zu bringen. Genau das gelingt auch.

Insbesondere aus 12-Personnel muss die Defense diese tiefen Play-Action-Shots erwarten, da hieraus noch eher die Gelegenheit entstehen kann, tief Eins-gegen-Eins-Matchups zu forcieren - unabhängig davon, was die Defense spielt.

Dieser Touchdown gegen die Jets ist ein Beispiel dafür. Zwei Tight Ends auf einer Seite der Formation, eng an der Box, die beiden Receiver auf der anderen Seite breit aufgestellt. Diese Formation sieht man von den Chiefs häufig.

Aus dem Slot läuft Hill den tiefen Crosser, was wiederum den Cornerback mitzieht und Hill die Aufmerksamkeit des tiefen Safeties sichert. Die Folge ist ein Eins-gegen-Eins-Matchup für Demarcus Robinson am oberen Bildrand, der somit die Zeit und den Platz hat, um den Cornerback mit einem Double-Move hinter sich zu lassen

SPOXNFL Gamepass

Kansas City und die Big Plays: Viele Wege führen nach Rom

Dass Tyreek Hill und Mecole Hardman eine Defense tief verbrennen können, dürfte soweit niemanden überraschen. Spannend ist aber, dass Kansas City die tatsächlich tief geworfenen Pässe nicht braucht, um Big Plays aufzulegen - und hier liegt eine ganz zentrale Problematik für gegnerische Defenses.

Sich mit einer weiter zurückgezogenen Coverage darauf zu fokussieren, die langen Pässe auf Hill, Hardman und Co. zu unterbinden, ist durchaus machbar und kann auch mit entsprechender Disziplin über ein Spiel aufrecht erhalten werden. In dieser Saison war mehrfach zu sehen, wie Defenses diesen Ansatz verfolgen. Doch erfordert das eben auch eine entsprechende Ressourcenverteilung - und folgerichtig fehlt es dann anderswo.

Das kann bedeuten, dass sich die Mitte des Feldes öffnet, beispielsweise eben für Travis Kelce. Es kann aber eben auch Räume für das Run Game öffnen.

Nicht das traditionelle Run Game, das ist bei den Chiefs nur sehr bedingt Teil der Offense - eher die Runs über die schnellen Receiver, die per Design nach außen getragen werden und die Defense so auf dem falschen Fuß und zahlenmäßig unterlegen erwischen sollen.

All die Motion vor dem und beim Snap sind nämlich keineswegs "leere Drohungen". Mal liest die Defense jede Menge Bewegungen im Backfield - nur um dann mit einem schnellen Pass über die Mitte geschlagen zu werden.

Gleichzeitig aber müssen insbesondere die Linebacker und Safeties auch den Speed respektieren, den insbesondere Hill und Hardman mitbringen. Denn jederzeit droht auch die Gefahr, plötzlich am Boden für einen großen Raumgewinn erwischt zu werden. So wie es den Bills im Championship Game passiert ist, oder auch etwa den Dolphins in der Regular Season.

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Kansas City gelingt es bei diesen Plays regelmäßig, mehrere Blocker auf die zweite und dritte Ebene der Defense zu bringen. Gegen die Bills täuschte Kelce einen Pull-Block an, drehte sich dann um und blockte plötzlich auf die andere Seite. Ein Run, der scheinbar erst nach rechts geht und die Defense dementsprechend in Bewegung setzt, kommt plötzlich mit vollem Speed über die andere Seite.

Bei Hills Touchdown-Run gegen Miami blockt der Offset-Fullback den äußersten Verteidiger an der Line of Scrimmage, sodass der äußerste Blocker direkt auf das zweite Level arbeiten kann. Aus dem Double-Team-Block daneben kommt dann noch ein weiterer Offensive Lineman mit und schon hat Hill mehr Blocker als Gegenspieler vor sich. Einzig den tiefen Safety (lila markiert) muss er noch aussteigen lassen, wo wiederum Elite-Speed hilfreich ist.

Die Chiefs können auf verschiedenen Wegen zu ihren Big Plays kommen, und für Tampa wird es essenziell sein, im richtigen Moment die richtigen Antworten parat zu haben - und möglichst selten Pre-Snap schon allzu viel preiszugeben.

Wie kann man Kansas City ärgern? Was haben die Bucs gelernt?

Mehr oder weniger seit Mahomes' erster Saison als Starter kursieren die Scouting-Reports und Analysen: Wie soll man die Chiefs-Offense eigentlich stoppen? Wie kann man sie strukturell - also nicht durch ein paar glückliche Bounces oder ungewöhnliche Mahomes-Fehler - schlagen?

Klar ist, dass man eine Galavorstellung der eigenen Offense braucht. Selbst wenn man defensiv Antworten findet, die eigene Offense muss diese Vorlage auch verwerten können. Das war beispielsweise im Regular-Season-Duell zwischen Buffalo und Kansas City Teil des Problems für die Bills.

Und auch Tampa Bay hat bereits seine Erfahrungen mit Kansas City gesammelt. Die Bucs starteten in Woche 12 mit ihrer gewohnten Aggressivität - Tampa hatte die fünfthöchste Blitz-Quote in der vergangenen Regular Season - und versuchte, Mahomes mit dem Blitz unter Druck zu setzen, während Outside Eins-gegen-Eins gespielt wurde.

Das ging schief, und das ist noch milde gesagt. Die Chiefs zerstörten die Bucs-Defense im ersten Viertel, der bemitleidenswerte Carlton Davis alleine ließ gegen Hill 211 Yards (!) und drei Touchdowns in Coverage zu, bei neun Targets. Alle neun fing Hill. Die Blitzes, die Tampa früh brachte, wurden ebenfalls eliminiert: Neun Mal blitzten die Bucs Mahomes, der brachte dagegen sechs Pässe für über 100 Yards und zwei Touchdowns an. Eine Interception oder ein Sack gelang den Bucs nicht über den Blitz.

Aber Todd Bowles reagierte. Am Ende des Spiels hatten sie Mahomes bei 17 Prozent seiner Dropbacks geblitzt, deutlich weniger als der eigene Saison-Schnitt also. Auch spielten die Bucs gegen Mahomes insgesamt nur neunmal Man Coverage, ebenfalls eine klare Umstellung, die aber notwendig war. Fast immer, wenn sie Kansas City geblitzt oder aber Mahomes Man Coverage angeboten haben, setzte es ein Big Play.

Das Bucs-Spiel war dabei kein Einzelfall. In dieser Saison, inklusive Playoffs, hat Mahomes gegen den Blitz 18 Touchdowns bei nur einer Interception geworfen. Er wurde 157-mal geblitzt - ganze vier Sacks (!) sprangen dabei für Defenses heraus, sowie vier Throwaways. Absurde Zahlen, und folgerichtig führt er die Liga auch deutlich mit 0,54 Expected Points Added pro Play (Erklärung der Metrik hier) gegen den Blitz an. Gegen vier oder weniger Pass-Rusher legt Mahomes 0,25 EPA pro Play auf.

Super Bowl: Wie kann Tampa Bay die Chiefs stoppen?

Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass man Mahomes nie blitzen sollte. Aber es bedeutet, dass eine Defense wie die der Bucs, die sich stark über den Blitz identifiziert - selbst Aaron Rodgers wurde im NFC Championship Game bei 53 Dropbacks 20 Mal geblitzt -, ihre Herangehensweise anpassen muss.

Es gilt, einzelne Situationen zu finden, in denen man einen gut getimten Blitz setzen kann. Aus einer Formation, die für die Protection schwer zu lesen ist und wo nicht klar ist, woher der Blitzer kommt. Mit einer Coverage-Rotation dahinter, die Mahomes vielleicht dazu bringt, den Ball länger zu halten. Und selbst dann läuft man immer noch Gefahr, in einen der häufig exzellent getimten und designten Chiefs-Screens zu laufen und für ein Big Play erwischt zu werden.

Doch die übergreifende Herangehensweise für Tampa Bay sollte darin liegen, die größte Schwachstelle der Chiefs zu attackieren und darauf den Game Plan aufzubauen.

Diese Schwachstelle ist die Offensive Line. Schon die ganze Saison über hatte Kansas City hier immer wieder mal Probleme, jetzt fällt auch noch Left Tackle Eric Fisher aus und die Chiefs werden eine drastisch zusammengestückelte Line aufbieten müssen. Mutmaßlich wird sie so aussehen:

  • Left Tackle: Mike Remmers (seit 2016 kein Snap auf Left Tackle gespielt, eigentlich der Backup-Right-Tackle)
  • Left Guard: Nick Allegretti (ehemaliger Siebtrunden-Pick, erste Saison als Starter)
  • Center: Austin Reiter (der einzige im Vorfeld der Saison auf dem Papier klar als Starter prognostizierte und noch übrige Spieler dieser Line)
  • Right Guard: Stefen Wisniewski (von den Chiefs in der Offseason gehen gelassen, im November von den Steelers entlassen worden)
  • Right Tackle: Andrew Wylie (Undrafted Free Agent 2017, bisher 117 NFL-Snaps auf Right Tackle, hat nahezu ausschließlich Guard gespielt)

Die Buccaneers haben einen starken 4-Men-Rush, mit Jason Pierre-Paul und Shaq Barrett außen, sowie inzwischen auch wieder Vita Vea in der Mitte neben Ndamukong Suh. Hieraus sollte Tampa Bay Druck auf Mahomes machen können, um dann eben mehr Spieler in (Zone) Coverage abzustellen. Mahomes ohne den Blitz unter Druck zu setzen wird der Schlüssel für Tampa sein.

Konkret dürften 2-High-Coverages vor allem zu beobachten sein, also Coverages mit zwei (statt nur einem) tief platzierten Safeties. Das entlastet die Cornerbacks und macht es für die Chiefs schwieriger, Big Plays anzubringen. Cover-2, Cover-4, Cover-6 und hier und da mal eine Cover-2-Man eingestreut, in diese Richtung dürfte es - ganz oberflächlich gesagt - für Tampa Bay gehen, mit der Hoffnung, dass Lavonte David und Devin White im Zentrum Kelce limitieren können.

Auch hier hat Bowles bereits seine Anpassungsfähigkeit im ersten Duell gezeigt: Die Bucs, nachdem der ursprüngliche Game Plan über Bord geworfen worden war, spielten primär 2-High-Coverage-Strukturen und konnten die Offense in der Folge deutlich besser verteidigen.

Ganz simpel gesagt ist das Problem mit der Chiefs-Offense, dass sie auf alles eine Antwort hat - durch die Kombination aus Scheme und individueller Qualität. Fokussiert sich die Defense zu sehr auf die tiefen Pässe, wird sie mit Yards nach dem Catch, Screens, Jet Sweeps und Runs attackiert. Wird die Defense aggressiver, können die Chiefs vertikal attackieren. Und wird versucht, beides ein wenig zu adressieren, entstehen große Räume im Zentrum.

Es gibt nicht viele Defenses, der zuzutrauen ist, dass sie diesen Spagat zumindest halbwegs hinbekommt. Für Bowles und die Buccaneers kann man hier durchaus Argumente finden - und dann wird es an Brady und der Offense liegen, diese Vorlage auch zu verwerten.