Die besten Draft Prospects zeichnen sich zumeist dadurch aus, dass sie in der College-Saison davor überzeugen, überragende Leistungen bringen und vielleicht sogar den einen oder anderen Award abräumen. So wie es DeVonta Smith von Alabama 2020 getan hat. Er gewann sogar die begehrte Heisman Trophy für den besten Spieler im College Football und brach mehrere Rekorde.
Rekorde, die ein Jahr zuvor erst durch Ja'Marr Chase von LSU aufgestellt worden waren. Jener Chase, der 2020 in seine Junior-Saison bei den Tigers hätte gehen sollen. Doch Chase verzichtete gänzlich auf seine letzte College-Saison.
Die Coronavirus-Pandemie war sicherlich auch ein Faktor, doch vielmehr überzeugten ihn potenzielle Agenten davon, aufgrund der deutlich verschlechterten sportlichen Lage der Tigers, seine volle Konzentration auf den Draft zu richten.
Mit gutem Grund, denn Chase hatte 2019 bereits seine allüberragende Saison hingelegt. Mit 84 Receptions für 1780 Yards und 20 Touchdowns (damaliger SEC-Rekord) hatte er großen Anteil daran, dass die Tigers - angeführt von Heisman-Gewinner und dem ersten Pick im NFL Draft 2020, Joe Burrow - erstmals seit 2007 wieder die National Championship gewannen.
Ja'Marr Chase: ein echter Teamplayer
Doch der Erfolg hatte seinen Preis: Mit Burrow, Wide Receiver Justin Jefferson und Running Back Clyde Edwards-Helaire - neben anderen - gingen zahlreiche Leistungsträger, sodass Chase selbst mit allergrößtem Einsatz wohl kaum 2019 getoppt hätte. Entsprechend fiel die Entscheidung, sich voll auf den 2021er Draft zu konzentrieren. Nach NFL-Regeln darf ein Spieler erst drei Jahre nach seinem High-School-Abschluss in die Liga gehen.
Was ein wenig egoistisch klingt, ist in Wahrheit jedoch die Realität des Geschäfts. Zahlreiche Spieler haben zuletzt bereits auf Bowl Games kurz vor ihrem Schulabgang verzichtet, um so kurz vor dem Draft keine Verletzung mehr zu riskieren. Entsprechend dürfte auch ein kompletter Saisonverzicht inmitten einer Pandemie und in einer sportlichen No-Win-Situation nicht allzu viele Augenbrauen heben.
Insbesondere da Chase keineswegs als Egoist bekannt ist.
Vielmehr gilt er als großer Teamplayer, wie sein Vater Jimmy in einem Interview mit dem lokalen TV-Sender WAFB9 berichtete. "Nach dem Vanderbilt-Spiel fragte ich ihn: 'Warum bist du so früh aus dem Spiel gegangen? Du hättest fünf Touchdowns erzielen können.' Und er antwortete: 'Dad, Ich wollte, dass Racey McMath auch einen bekommt. Ich wollte, dass er auch Spielzeit sieht.' Und das hat mir eine neue Perspektive gegeben. Es geht ums Team und es ist wirklich nicht so wichtig. Er kümmert sich um den Rest des Teams."
Augen öffnete Chase aber ohnehin schon mit seinem Spiel. Ein Scout wird von The Athletic mit der Einschätzung zitiert, dass Chase "ein echter Mann" sei: "Er wird von Anfang an ein Nummer-1-Wide-Receiver in seinem nächsten Team sein. Er muss seine Routes noch etwas verfeinern, aber ist ein extrem akribischer Wettkämpfer und hat eine unglaubliche Arbeitsmoral. Die Schule liebte den Burschen und man will in seiner Nähe sein. Er hat diese Rebounder-Mentalität."
Mit seiner Größe von 1,85 Metern sticht er zwar nicht offensichtlich heraus, zumal sein Hauptkonkurrent im Draft, Smith, ebenfalls so groß ist. Doch ist Chase deutlich stabiler gebaut mit seinen 91 Kilogramm Gewicht. Er ist zwar nicht der allerschnellste Spieler im Draft, doch verfügt Chase über sehr guten Speed und kann als Deep Threat eingesetzt werden.
Chase vs. Smith: Eine Diskussion, die andauern wird
Bereits auf dem College zeigte er gegen künftige NFL-Kontrahenten, dass er nur schwer im direkten Duell zu halten ist - Floridas Cornerback C.J. Henderson (Erstrunden-Pick der Jaguars) genau wie Alabamas Trevon Diggs (Zweitrunden-Pick der Cowboys) etwa hatten ihre liebe Mühe mit Chase.
Er versteht es, sich sehr effektiv vom Gegner zu lösen. Zudem verfügt er über gute Hände und ist damit auch bei Contested Balls gefährlich, ebenso im offenen Feld. Er bringt die nötige Beweglichkeit und Übersicht mit, um auch nach dem Catch zu gewinnen.
Die Diskussion, ob nun Smith oder er der beste Wide Receiver im Draft 2021 ist, dürfte noch mindestens bis zum Draft Day selbst andauern. Doch diese beiden dürften es unter sich ausmachen.
Dass Chase es aber überhaupt nach Baton Rouge ziehen würde, war lange Zeit nicht klar. Zwar wuchs er in einem Vorort von New Orleans auf und war ein Star an der Archbishop Rummel High School in Metaine - er war der erste Spieler überhaupt, der an dieser Schule 1000 Receiving Yards in einer Saison erzielte, nachdem in diesem Programm eher aufs Run Game gesetzt wurde. Doch eigentlich zog es ihn eher nach Alabama, zu den Auburn Tigers. Auch Florida war einst in der Verlosung.
Es brauchte also einen regelrechten Kraftakt, um Chase im Bundesstaat zu halten. Und wer einen Familienmenschen wie Ja'Marr Chase überzeugen will, muss am besten auch dessen Eltern überzeugen. Eben dies tat Head Coach Ed Orgeron.
Ja'Marr Chase: Orgeron fährt kompletten Trainerstab auf
Chases Vater erzählte gegenüber The Advocate von einem Telefonanruf von Orgeron: "Jimmy, bereite deine Familie vor - der komplette Trainerstab kommt." Wenig später stoppten ein Teambus und ein SUV dahinter vor dem Haus der Familie. Orgeron und sein Staff waren angekommen.
"Sie haben den kompletten Trainerstab mitgebracht", berichtete Jimmy Chase, der zu seinem Sohn sagte: "Ja'Marr, das kannst du nicht unterschätzen." Orgeron machte den Anfang und schließlich trug jeder Coach seinen Pitch vor, warum Chase sich für die Tigers entscheiden sollte. Besonderen Eindruck hinterließ dabei ausgerechnet Defensive Coordinator Dave Aranda, der eher als stiller Zeitgenosse bekannt ist.
Er erklärte, dass sie niemanden finden konnten, der Chase bei den Recruiting Camps hätte stoppen können. "Es war unglaublich, denn ich hatte nie zuvor mit Aranda gesprochen. Er spricht nie sehr viel, aber dann sprach er mit uns", erinnerte sich Jimmy Chase.
Dieser Besuch überzeugte Ja'Marr Chase schließlich davon, sich den Tigers anzuschließen. Und nach einer durchwachsenen ersten Saison (23 Catches, 313 Yards, 3 TD) folgte 2019 der große Durchbruch, der so viel Eindruck hinterließ, dass sein Platz in der 2021er Draftklasse im Grunde schon etabliert war.
Draft: Wo liegen die Schwächen von Ja'Marr Chase?
Was also spricht gegen ihn, wenn überhaupt? In erster Linie scheint es wirklich nur die Tatsache zu sein, dass Chase essenziell ein Jahr lang ausgesetzt hat. "Ich habe Bedenken", sagte ein Scout zu The Athletic: "Selbst wenn du auf höchstem Niveau trainierst, ist es etwas anderes als tatsächlich Football zu spielen. Daher kann ich mir vorstellen, dass seine Rookie-Saison eher schwach beginnen könnte."
Allerdings räumte besagter Scout auch ein, dass er Chase schon 2019 auf einem anderen Level sah als seinen damaligen Teamkollegen Justin Jefferson, der sich 2020 bei den Minnesota Vikings als bester Rookie-Receiver der Klasse entpuppte. "Wenn ich mir anschaue, was Jefferson 2020 gespielt hat, und mir dann überlege, zu was Chase in der Lage ist, sage ich: 'Mein Gott!' Ehrlich gesagt wäre Chase schon 2020 der beste Receiver der Klasse gewesen."
Belohnt wurde er für seine starke Saison 2019 nicht nur mit einer nationalen Meisterschaft, sondern auch mit dem Biletnikoff Award für den besten Wide Receiver im Land. Ebenfalls ein unvergesslicher Moment für Chase und seine Eltern. Jimmy Chase sagte zu WAFB seinerzeit: "Ja'Marr hat sich dies zum Ziel gesetzt. Und das ist das erfüllende daran: Dass sich dein Sohn selbst Ziele setzt und die dann wirklich erreicht, während er das tut, was er liebt."
Chases Mutter, Toleah, ergänzte: "Er setzt sich all diese Ziele und erreicht sie auch. Einfach nur zu den Finalisten zu gehören, ist gut. Das allein zeigt schon, dass er großartig ist."
Ja'Marr Chase vor Traumszenario in der NFL?
Bleibt noch die Frage, wo Chase letztlich landen könnte im NFL Draft. Nach den Trades der vergangenen Woche jedenfalls ergibt sich ein recht klares Bild und für Chase eine verheißungsvolle Perspektive. Die ersten vier Picks werden wohl allesamt Quarterbacks sein, sodass die übrigen Positionen erst ab dem fünften Pick ins Rampenlicht kommen dürften. Und diesen Pick besitzen die Cincinnati Bengals - deren Quarterback bekanntlich Joe Burrow heißt.
Kommt es also zur Reunion mit seinem damals besten Receiver in der womöglich besten Saison, die je ein Quarterback im College Football gespielt hat? Zwar scheint Chase nicht der einzige Kandidat für die Bengals an fünfter Stelle zu sein, aber ein recht wahrscheinlicher. Der andere, der heiß diskutiert wird, ist Offensive Tackle Penei Sewell von Oregon, der ebenfalls eine große Hilfe für Burrow wäre. Floridas Tight End Kyle Pitts komplettiert das mutmaßliche Bild.
Doch für Chase spricht sein fast blindes Verständnis mit dem Quarterback. Dem Vernehmen nach waren die Bengals und ihre Tendenz zu Chase auch der Grund für die Philadelphia Eagles, ihren sechsten Pick im Draft nach Miami zu traden. Wie Sports Illustrated berichtet, rechnen die Eagles genau mit diesem Szenario und sahen daher keine Notwendigkeit, am sechsten Pick festzuhalten - auch sie hätten Chase gern gehabt.
Und so könnten die Bengals bald ein dynamisches Quarterback-Wide-Receiver-Tandem an der Spitze ihrer Offense präsentieren, das der Konkurrenz das Fürchten lehren könnte.
Für den ehrgeizigen Chase wäre dies wohl das Traumszenario, um seine Eltern ein weiteres Mal stolz zu machen.
Ja'Marr Chase: College-Statistiken bei LSU
Saison | Spiele | Receptions | Yards | Touchdowns |
2018 | 10 | 23 | 313 | 3 |
2019 | 14 | 84 | 1780 | 20 |