Die Houston Texans haben in dieser Offseason so viele Spieler verpflichtet wie kein anderes Team. Doch welche Idee steckt dahinter? Was ist das kurzfristige Ziel unter dem neuen Regime und wie passen die Neuzugänge zum Trainerstab? Und wie lange wird der angestrebte Neuaufbau dauern?
Eines der aktivsten Teams dieser Offseason sind die Houston Texans. Bis jetzt haben sie sage und schreibe 30 Free Agents verpflichtet, dazu neun eigene Free Agents gehalten und für vier weitere Spieler getradet. Die große Frage, die sich nach all diesen Moves jedoch stellt, ist: Wo wollen die Texaner damit eigentlich hin?
Wer einen roten Faden bei all diesen Transaktionen sucht, wird eigentlich nur in einer Hinsicht fündig: Nahezu alle Deals sind kurzfristig und relativ günstig. Zahlreiche Free Agents bekamen Deals mit einer Länge von ein bis zwei Jahren, was Houston immerhin Flexibilität für die Zukunft gibt.
Und so muss eigentlich schon jetzt jedem klar sein, dass 2021 sehr wahrscheinlich ein Übergangsjahr wird. Jedoch ist anders als bei anderen Rebuild-Projekten kein klares Ende des Übergangs in Sicht.
Hatte man etwa bei den Dolphins eine recht klare Vorstellung, dass der Rebuild irgendwann zwischen 2020 und 2022 abgeschlossen sein könnte, ist dies bei den Texans völlig offen. Im Grunde gibt es hier keine klare - zumindest keine erkennbare - Strategie, die über 2021 hinausgeht.
Der neue General Manager Nick Caserio geht offenbar nach dem Masseprinzip vor, das sein früherer Boss Bill Belichick immerhin im Draft sehr gerne anwendet - je mehr Spieler man holt, desto größer ist der Wettbewerb im Kader über die Offseason bis hin zum Training Camp, desto größer ist die Chance, Treffer zu landen.
Texans: Das große Fragezeichen hinter Deshaun Watson
Insofern kann es Sinn ergeben, dass viele Spieler relativ günstig dazustießen, um sich einen Platz im 53er-Kader zu erarbeiten. Umso mehr, da Houston im Draft erst in Runde 3 eingreifen wird.
Doch egal wie dieser interne Wettbewerb verläuft, es bleiben zwei schwarze Flecken am Horizont: die nicht vorhandene finanzielle Flexibilität über die Saison hinaus - und die unklare Situation um Quarterback Deshaun Watson.
Die Texans gewannen 2020 nur vier Spiele. Ohne Watson wären es vermutlich noch weniger geworden. Watson war im Grunde der einzige Lichtblick der Texans, doch seine rechtlichen Probleme könnten auch für die Franchise zum Problem werden. Freilich verbietet es sich, über die Vorwürfe gegen ihn zu urteilen, bevor ein Gericht entschieden hat. Doch es besteht die Chance, dass Watson Teile der Saison verpassen könnte. Es ist derzeit völlig unklar, wie diese Geschichte ausgeht, sodass Prognosen unmöglich sind.
Darüber hinaus wollte der QB ohnehin getradet werden. Angesichts der nun gegebenen Umstände wäre es letztlich wohl doch das Beste gewesen, ihn tatsächlich schon zu Beginn der Offseason abzugeben. Doch damit konnte schlicht keiner rechnen.
Houston Texans: Draftpicks 2021
Runde | Pick |
3 | 67 |
4 | 110 |
5 | 148 |
5 | 159 (von Patriots) |
6 | 196 (von Cowboys) |
6 | 204 (von Washington) |
6 | 213 (von Saints) |
7 | 234 (von Bengals |
Und das zweite Problem ist der Cap Space. Selbst wenn die Salary Cap für 2022 auf über 200 Millionen Dollar klettert - es wäre ein steiler Anstieg angesichts der 182 Millionen in der kommenden Spielzeit -, wäre das immer noch zu wenig für die Texans, die Stand jetzt effektiven Cap Space in Höhe von Minus-9 Millionen Dollar hätten. Ein klarer Schnitt nach 2021 ist damit im Grunde ausgeschlossen.
Entsprechend gilt es, die Zeit bis mutmaßlich 2023 einigermaßen schadlos zu überstehen. Zu tief ist das Loch, das allen voran Ex-GM Bill O'Brien dieser Franchise gebuddelt hat. Immerhin sind die Texans ab 2022 wieder im Besitz ihrer eigenen Picks in den Runden 1 und 2 des Drafts. Das dürfte der wahre Beginn des Rebuilds werden.
Houston Texans: Viele Zugänge, kaum Verbesserung
Was jedoch 2021 betrifft, gehen die Meinungen auseinander, was die zahlreichen Spielerverpflichtungen betrifft. In einer von The Athletic durchgeführten Umfrage unter NFL-Offiziellen kamen unterschiedliche Urteile zu Tage. Ein Funktionär sagte wohlwollend: "Ich denke nicht, dass irgendeiner dieser Moves das Team besser machen wird. Aber sie könnten damit einen stabilen Kern an erfahrenen Spielern haben."
Ein weiterer Funktionär sprach das Problem dieser Moves deutlich an: "Das Problem ist, dass sie einen Umbruch machen mit Leuten, die sie ein Jahr später wohl wieder austauschen müssen. Um wen aus dieser Gruppe wollen sie also etwas aufbauen?"
Eine zutreffende Analyse, die das Kernproblem darlegt. Langfristige Perspektiven hat dieses Team keineswegs. Was die kurzfristige Perspektive betrifft, scheint es in der Tat hauptsächlich darum zu gehen, halbwegs respektabel aufzutreten.
Hier kommt dann auch der neue Trainerstab ins Spiel. Allen voran Head Coach David Culley gilt als sehr beliebt unter Spielern und sonstigen Beteiligten. Die längste Zeit seiner NFL-Karriere als Coach verbrachte er im Umfeld von Andy Reid, der ihn bereits 1999 nach Philly holte und dann 2013 nach Kansas City mitnahm.
"David wird einen guten Job machen. Er ist ein geselliger Mensch. Er wird Energie in den Laden bringen und ist einer der beliebtesten Menschen, mit denen ich bislang zutun hatte", sagte Reid über Culley nach dessen Ernennung zum Head Coach der Texans.
Houston Texans: Profitiert Brandin Cooks von David Culley?
Wie Reid hat auch Culley einen offensiven Background und war vor allem als Wide Receivers Coach tätig. Unter anderem hatte DeSean Jackson unter ihm zwei 1000-Yard-Saisons bei den Eagles. Ein ähnlicher Spielertyp ist freilich Brandin Cooks, der womöglich von diesem Coach besonders profitieren könnte.
Auf Quarterback wurde Tyrod Taylor geholt, der wohl starten wird, sollte Watson tatsächlich gesperrt werden. Taylor ist ein solider Backup, der aber keine Bäume ausreißen wird. Gleichzeitig aber macht er auch keine gravierenden Fehler - er ist ein Game Manager. Nicht mehr, nicht weniger. Dahinter wäre nur noch Ryan Finley verfügbar, der in seiner bisherigen NFL-Karriere weniger als 50 Prozent seiner Pässe zum Mann brachte.
Auch hier könnte Culley helfen, zumal er für die Bills zwei Jahre als QB Coach tätig war, anschließend zwei Jahre unter anderem Passing Game Coordinator der Ravens war. Allerdings ist es auch denkbar, dass im Draft noch ein weiterer QB dazustößt, der aber mutmaßlich auch nicht die langfristige Lösung wäre.
Daneben strukturierten die Texans den Vertrag von Running Back David Johnson um, der im verheerenden Trade für DeAndre Hopkins zu den Cardinals nach Houston kam. Zudem wurden mit Mark Ingram und Phillip Lindsay noch zwei Veterans geholt. Hier sind wir wieder am Punkt "interner Wettbewerb", denn anders ist diese Fülle an Running Backs mit einigen Meilen auf dem Tacho nicht zu verstehen.
Das Receiving Corps wurde mit sechs Spielern aufgestockt, von denen eigentlich keiner wirklich heraussticht. Andre Roberts wird vor allem als Returner auftreten, während Chris Conley wohl als erster Backup hinter Cooks, Randall Cobb und Keke Coutee fungieren dürfte.
gettyHouston Texans: Überangebot an der offensiven Front
Die Ergänzungen in der Offensive Line wiederum sind schon eher fragwürdig. Ohne Not wurden Draftpicks mit den Patriots für Marcus Cannon getauscht, der wohl ohnehin entlassen worden wäre. Und welche Position dieser bekleiden wird, ist ebenso unklar. Right Tackle wird wohl Tytus Howard spielen, sodass eigentlich nur der Right-Guard-Spot bliebe. Immerhin spielte Cannon Guard auf dem College. Für diese Planstelle holte Houston jetzt aber auch noch Lane Taylor. Zudem muss ein neuer Center noch gefunden werden.
Defensiv wiederum wurde Edge-Rusher Shaq Lawson nach eher überschaubarem Jahr in Miami im Tausch für Linebacker Benardrick McKinney geholt. Letzterer war noch einer der besseren Texans-Verteidiger. Lawson soll nun den zuletzt anämischen Pass Rush des Teams gegenüber von Whitney Mercilus beleben, der nach Vertragsumstrukturierung nun auch 2022 Free Agent wird.
Ebenso ist hier Jordan Jenkins in der Verlosung, der zwar Zukunftsperspektive mitbringt, aber auch nur für zwei Jahre unter Vertrag steht. Schlimmstenfalls ist er also wieder weg, wenn er sein Topniveau erreicht hat.
Bemerkenswert ist indes, dass Caserio die Ausgaben für Cornerbacks deutlich hochgeschraubt hat im Vergleich zu den vergangenen paar Jahren. Hatten die Texans vor kurzem noch doppelt so viel für Running Backs als für Corners bezahlt, hat sich das Verhältnis nun wieder in eine gesündere Richtung entwickelt. Mit Terrance Mitchell und Desmond King kamen zwei Leute mit Potenzial.
Ordnung in dieses Konstrukt soll indes Defensive Coordinator Lovie Smith bringen, der in den vergangenen fünf Jahren Head Coach an der University of Illinois war. Davor war er vor allem von 2004 bis 2012 Head Coach der Bears. In seiner Vergangenheit coachte er auf diversen Levels zumeist Linebacker, was theoretisch nun von Vorteil sein könnte.
Houston Texans: Die Hoffnung liegt in den kurzfristigen Deals
In der 3-4-Base der Texans wird Pass-Rush vor allem über jene erzeugt. Das fällt also genau in seinen Kompetenzbereich. Und das muss auch die Hoffnung der Texans sein, denn die Defensive Line sieht auch nach zahlreichen Ergänzungen und dem Abgang von Teamikone J.J. Watt nicht furchteinflößend aus.
Der letztjährige Zweitrundenpick Ross Blacklock etwa sah überhaupt kein Land. Maliek Collins ist in erster Linie ein Run-Stopper, während Charlos Omenihu bislang auch eher als Rotationsspieler fungierte. All diese werden voraussichtlich nun starten.
Unter dem Strich gilt also tatsächlich das Motto: "Wir werfen alles an die Wand und schauen, was hängen bleibt." Die größte Hoffnung des Teams für die kommenden zwei Jahre - 2023 sieht der Cap Space wieder besser aus -, ist somit, dass ein paar dieser Spieler mit Prove-it-Deals tatsächlich die Chance nutzen, sich ins Rampenlicht zu spielen.
Bestenfalls werden die kommenden Jahre dann wenigstens respektabel verlaufen. Gelingt das nicht, bliebe der Franchise nur die Rolle im Keller der NFL, mit Besserung vielleicht eher in zwei Jahren - oder noch später - in Sicht.