Mit der News-Bombe wenige Stunden vor der ersten Runde des Drafts gehörten alle Pre-Draftshow-Bühnen Aaron Rodgers und den Green Bay Packers. Rodgers wolle Green Bay verlassen, die Beziehung zwischen ihm und Team-Verantwortlichen sei massiv angeknackst, Rettungsversuche sind bislang gescheitert. Es schien nur die Spitze des Eisbergs zu sein, welcher da schließlich vor der Titanic aufgetaucht war.
Man kann selbstredend darüber spekulieren, wie ernst man all das sehen will. Welchen Teil der Gerüchte man glaubt, und welchen nicht. Aber die reelle Möglichkeit, dass Aaron Rodgers die Packers in den kommenden Wochen verlassen könnte, steht zumindest im Raum.
Die Buchmacher heizten die Spekulationen jüngst weiter an: Als in der vergangenen Woche der Spielplan für die kommende Saison veröffentlicht wurde, eröffneten die Packers (auswärts bei den Saints) in Las Vegas als 3-Punkte-Underdog, während die Denver Broncos - für viele Insider das wahrscheinlichste Ziel, sollte es zum Trade kommen - als Favorit auswärts bei den New York Giants ins Rennen gingen.
Bevor sich Rodgers und die Packers nicht doch auf einen neuen Vertrag einigen, und alle möglichen Streitigkeiten hinter den Kulissen zumindest vorübergehend auf Eis gelegt werden, werden die Gerüchte auch nicht abreißen. Zumal beide Seiten zugegeben haben, dass es intern brodelt.
Die scharfen Berichte unter anderem von ESPN-Insider Adam Schefter vom Draft-Auftakt, wonach Rodgers nicht mehr für die Packers spielen wolle, scheinen mittlerweile auch nicht mehr ganz so akut zu sein, aber ein Trade ist längst nicht vom Tisch, so zumindest wirkt es. Und unabhängig davon, was in diesem Jahr passiert: Die Packers sind im Draft 2020 für Jordan Love teuer hochgegangen, um ihn perspektivisch als Franchise-Quarterback aufzubauen.
Die Frage jetzt lautet: Wann hatten sie diese Übergabe des Staffelstabs geplant - und wie sieht dieser Zeitplan aktuell aus?
Packers: "Etwas früh" für Prognosen zu Jordan Love?
Von der grundsätzlichen Idee her kann man die Vorgehensweise der Packers im Draft 2020 durchaus nachvollziehen. Rodgers hatte damals schon seit mehreren Jahren nicht mehr auf höchstem Level gespielt, dass man perspektivisch einen Nachfolger brauchen würde, war klar. Dann kam die 2020er Saison, in welcher Rodgers zahlreiche Experten - diesen hier inklusive - alt aussehen ließ und eine legitime MVP-Saison auf den Rasen zauberte.
Das macht die mögliche Trennung umso schwieriger, und ohne offensichtliche persönliche Konfliktherde, die im Hintergrund wohl schon seit einer Weile kochen, wäre die Diskussion jetzt aus einer anderen Perspektive zu führen. Doch Rodgers würde vermutlich noch immer mehr Geld und neue Garantien fordern, während man sich in Green Bay gleichzeitig die Frage stellen müsste: Was machen wir mit Jordan Love?
Klar ist, dass Love von Anfang an ein langfristiges Projekt war. Die kaum vorhandene Saisonvorbereitung infolge der Corona-Pandemie half dabei vermutlich wenig, Green Bay beförderte Love im Laufe der Saison auch nie zum Backup. Tim Boyle war am Spieltag aktiv, man war offensichtlich entschlossen, Love in seiner Rookie-Saison nicht auch nur in die Nähe des Feldes zu bringen.
Und GM Brian Gutekunst betonte nach dem diesjährigen Draft, als er zu den Spekulationen um Rodgers Stellung nahm, dass Love "noch einen weiten Weg vor sich" habe. "Aber wir sind begeistert von seiner Entwicklung. Wir halten große Stücke auf Jordan." Allerdings sei es auch noch "etwas früh" für genauere Prognosen, wie Gutekunst weiter betonte. Coach Matt LaFleur ging nach dem diesjährigen Draft in eine ähnliche Richtung, es sei "schwer zu sagen", wo Love in seiner Entwicklung steht: "Ohne die Preseason konnte er sich nur bedingt zeigen. Wir alle wollen wissen, wo er wirklich steht."
Finden die Packers und Rodgers einen Mittelweg?
Vielleicht muss Love bereits in rund vier Monaten als neuer Starting-Quarterbacks der Packers in New Orleans ran. Vielleicht bekommt er noch ein Jahr, aber Rodgers macht nicht den Anschein, dass er bald seine Karriere beenden will und es ist nicht ganz einfach, sich einen Weg auszumalen, wie Rodgers kurzfristig zufriedengestellt wird, man aber trotzdem perspektivisch den QB-Wechsel vollziehen kann und Rodgers damit einverstanden ist.
Denn er wird natürlich die Anzeichen erkennen, je nachdem, wie mögliche neue Garantien bei einer Vertragsverlängerung strukturiert werden und dergleichen.
Im Kern kommt man aber immer auf die Frage zurück: Wo stand Jordan Love, als die Packers ihn gedraftet haben - und wo könnte er heute stehen? Woran musste er am ehesten arbeiten, was könnte er mittlerweile repariert haben und wie realistisch ist es, dass er vielleicht ein Jahr eher übernehmen könnte, als die Packers womöglich im Sinn hatten?
Warum haben die Packers Jordan Love gedraftet?
Als die Packers Love im Draft auswählten, war von vorneherein klar, dass es sich dabei um ein Projekt handelt. Dass Love 2020 nicht spielen würde, vielleicht auch 2021 nicht. Gut möglich, dass die Team-Verantwortlichen von Anfang an eher auf 2022 geschaut haben, um den brisanten Quarterback-Tausch durchzuführen.
Einen hoch gepickten Rookie-Quarterback in der heutigen NFL drei Jahre lang rauszuhalten, hat absoluten Seltenheitswert. Dafür ist auch das Zeitfenster, während der Spieler auf der potenziell teuersten Position günstig unter seinem Rookie-Vertrag spielt, zu wertvoll.
Teams versuchen eher, dieses Fenster bestmöglich zu maximieren und innerhalb dieser vier oder fünf Jahre möglichst aggressiv vorzugehen. Ganz davon abgesehen, dass Quarterbacks in vielen Bereichen letztlich spielen müssen, um sich zu entwickeln und um Fortschritte zu offenbaren; das legen auch die Aussagen der Packers-Verantwortlichen nahe, die trotz der täglichen Arbeit im Training offensichtlich Schwierigkeiten haben, Love wirklich einzuschätzen.
Gleichzeitig gehörte nicht viel Fantasie dazu, um vor seinem Draft zu erahnen, dass Jordan Love als Projekt Teams begeistern könnte. Es sind die Highlight-Würfe, die sein Spiel bei Utah State vor allem auszeichneten.
Ein schneller Release, und jede Menge Armtalent sprangen einen förmlich an. Love hat tiefe Pässe gegen Druck, die an Patrick Mahomes erinnern, wo er aus unsauberer Plattform und mit kuriosem Armwinkel den Ball dennoch wie an der Schnur aufgezogen 30 Yards tief feuert. Er bewegt sich sehr gut auch außerhalb der Pocket und wirft den Ball mühelos aus der Bewegung und über die Mitte hat er regelmäßig absolute Strikes, wo er Bälle wie einen Torpedo in enge Fenster wirft.
Das riskante Spiel mit der Quarterback-Upside
Das ist die Basis, auf der man mit Love aufbaut. Das Armtalent, die Athletik, der Release, die Fähigkeit, außerhalb der Play-Struktur kreieren zu können. Das ist die Qualität, die in der Quarterback-Spitze die guten von den sehr guten Quarterbacks unterscheiden kann, sofern die Basis ansonsten passt.
Es ist das, was man im Draft-Prozess als "toolsy Quarterback" bezeichnen würde: Ein Quarterback, der physische Talente mitbringt, aber in der Entwicklung und in den Nuancen noch Zeit braucht. Und natürlich gibt es keine Garantie, dass diese Entwicklung auch wirklich eintritt - gleichzeitig hat ein Quarterback wie Jordan Love mehr Upside als, um den Quervergleich zum diesjährigen Draft zu ziehen, etwa ein Mac Jones, weil er Würfe kann, die Jones physisch einfach nicht in seinem Arsenal hat.
Darauf baut man, wenn man einen solchen Quarterback früh draftet. Spannend allerdings bei Loves College-Tape ist, dass er zumindest in Ansätzen schon mehr als das reine physische Talent gezeigt hat. Die Ruhe gegen Druck etwa war auffällig, aber auch vereinzelt war sichtbar, wie er Verteidiger mit seinen Augen manipulierte und so Passwege öffnete, oder sehr gut antizipierte, wo in der Zone Coverage eine Lücke entstehen würde.
All das war noch inkonstant, aber es war in Ansätzen sichtbar und sollte Packers-Fans sowie den Coaches in Green Bay Optimismus geben dürfen.
Jordan Love: Ein Jahr für die Basics
An diesem Punkt in der Geschichte könnte sich der eine oder andere Packers-Fan fragen: Warum eigentlich nicht mit Love in die kommende Saison gehen, wenn die Rodgers-Situation nicht mehr zu retten ist? Die Tools sind da, Love durfte jetzt ein Jahr in aller Ruhe lernen und konnte sich spezifischen Aspekten widmen, die er ohne den Druck, am Sonntag gegen eine NFL-Defense spielen zu müssen, entwickeln wollte.
Als "Offseason-Projekte" bezeichnete Ex-NFL-Quarterback und Analyst J.T. O'Sullivan Dinge wie Beinarbeit und Mechanics im Gespräch mit mir, er selbst habe sich meist einen oder zwei dieser Aspekte für eine Offseason vorgenommen, um daran zu arbeiten. Und in diesen Dingen hatte Love im College bereits gute Ansätze gezeigt, auch was eine konstante Beinarbeit und die Flexibilität beim Release etwa angeht.
Bei Love war ein anderes Thema der Mittelpunkt jeglicher Pre-Draft-Kritik: Seine Reads.
Die größte Kritik bei Jordan Love: Wie liest er die Defense
Viel zu häufig hatte man bei Love den Eindruck, dass er entweder viel zu eindimensional in seinen Reads ist - also an einem Read klebt, nicht bereit ist, das Feld zu lesen, deutlich zu spät in seinen Reads und Entscheidungen ist und dergleichen - oder aber, dass er keine Ahnung davon hat, was er eigentlich gerade sieht und was die Defense ihm zeigt. Er konnte viel mit Screens und Run Pass Options arbeiten, wenn es über den ersten Read hinausging, war sein Spiel zu häufig eine komplette Wildcard. In seiner letzten College-Saison kamen laut PFF 491 seiner Passing-Yards per Screen.
Nicht nur Josh Rosen scheiterte unter anderem daran, dass er massive Probleme damit hatte, das Feld und die Defense konstant zu lesen. Und das ist immer ein Prozess, auch wenn manche Quarterbacks hier als Rookie bereits weiter sind als andere.
Cardinals-Quarterback - und Rosens Nachfolger - Kyler Murray gab nach seiner ersten Saison offen zu, dass er zu Beginn des Jahres "den Ball eher durch die Gegend gefeuert habe, ohne wirklich zu verstehen, was die Defense macht. Alles war viel schneller. Gegen Ende der Saison konnte ich die Dinge lesen und erkennen, bevor sie passiert sind. Das Spiel wurde langsamer."
Bei Josh Allen ließ sich zuletzt eine ähnliche Lernkurve feststellen. Hier gehen die Ansätze auseinander und im Kern ist immer ein gewisses Maß an Spekulation involviert - auch die Packers-Coaches könnten jetzt nicht sagen, wie sich Love in Woche 1 gegen die Saints-Defense präsentieren würde.
Aber von der grundlegenden Theorie kann man definitiv argumentieren, dass ein Quarterback in puncto Reads und Spielverständnis am sichersten und am schnellsten Fortschritte macht, wenn er spielt. Wenn er die entsprechenden Defenses eben lesen muss, wenn er mit diversen Coverage-Looks und Blitz-Paketen konfrontiert wird. All das fehlt Jordan Love noch. Aber er wird diese kritischen Erfahrungswerte auch nicht sammeln, wenn er noch ein Jahr hinter Rodgers verbringt.
Fazit: Irgendwann müssen die Packers Love reinwerfen
Die frustrierende Wahrheit ist, dass es hier keine klare Aussage gibt. Wie auch? Mehr noch: Man könnte argumentieren, dass Jordan Love an diesem Punkt die größte Wildcard in der NFL ist. Niemand kann auch nur ansatzweise sicher sagen, welchen Quarterback man bekommen würde, falls Aaron Rodgers die Packers über den Sommer verlässt und Love der Starter wäre.
Klar ist, dass der Youngster unverschuldet in eine äußerst undankbare Situation gerutscht ist. Sollten die Packers Rodgers wirklich traden, wird der Großteil der Fans in Green Bay auf den Love-Pick als den sprichwörtlichen Tropfen verweisen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Und falls Love dann nicht schnell gut spielt, wird neben der Packers-Führung auch der junge Quarterback selbst schnell in die Schusslinie geraten.
Neben dem Spielverständnis war die inkonstante Accuracy mein größter Kritikpunkt an Love vor dem Draft, was wiederum mit Arbeit an der Technik deutlich stabilisiert werden kann. Lamar Jackson hat das jüngst gezeigt, und dafür hatte Love jetzt ausreichend Zeit.
Vielleicht die klarste Aussage und die simpelste Wahrheit bezüglich Love ist: Irgendwann müssen die Packers ihn schlicht reinwerfen. Nicht nur um ihn wirklich bewerten zu können, sondern auch, um seine Entwicklung fortsetzen zu können. Ganz offensichtlich sind sie aktuell noch nicht bereit dazu. Doch spätestens nach der kommenden Saison sollte Green Bay zu diesem Schritt bereit sein - oder andernfalls die Segel streichen und sich das Love-Experiment als Fehler eingestehen.