Die Tennessee Titans haben das Rennen um Wide Receiver Julio Jones gewonnen und einen Trade mit den Atlanta Falcons eingefädelt. Doch warum kam es dazu und was sind die Auswirkungen für die Beteiligten? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.
1. Warum traden die Atlanta Falcons ihren Superstar Julio Jones?
Letzten Endes ist der Trade von Julio Jones zu den Tennessee Titans in erster Linie eine Kombination aus einem klar geäußerten Wunsch vom Spieler selbst und der ziemlich katastrophalen Cap-Situation der Atlanta Falcons.
"Unsere Teamführung hat bis hierhin exzellente Arbeit geleistet, um uns in eine Position zu bringen, den Cap zu managen. Aber wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns", sagte Fontenot noch in der Woche vor dem Draft. "Wenn also Teams wegen irgendeines Spielers anfragen, müssen wir uns das anhören und für uns abwägen, was das Beste für unsere Organisation ist."
Diese Abwägung brachte nun den Trade zu den Titans zu Tage, die offenbar das beste Angebot gemacht haben. Auch jene sind zwar in Cap-Nöten, sollten diese aber ohne größere Probleme lösen können.
Die Falcons wiederum hatten bis zum Trade nur noch rund 300.000 Dollar an Cap Space, was nicht mal reicht, um das Minimalgehalt für einen Rookie zu zahlen, sodass es bis jetzt nicht mal möglich war, die eigene diesjährige Draftklasse unter Vertrag zu nehmen.
Der Jones-Trade wird dieses Problem lösen.
gettyUnd aus Jones' Sicht war es offenbar schlicht Zeit für einen Neuanfang, schließlich traten die Falcons zuletzt jahrelang auf der Stelle, was Jones, nun auch schon 32 Jahre alt, wohl ungeduldig machte. Allzu viele Jahre auf hohem Niveau bleiben ihm sicherlich nicht mehr. Zeit also, nochmal anderswo um einen Titel mitzuspielen.
2. Welche Auswirkungen hat der Trade von Julio Jones auf die Atlanta Falcons
Der wichtigste Aspekt liegt auf der Hand: Die Falcons haben mit dem Jones-Trade in Kürze wieder genügend Cap Space, um nicht nur ihre Draftklasse zu verpflichten, sie haben auch darüber hinaus noch Spielraum für weitere Moves und etwaige Bonuszahlungen im Laufe der Saison. Der Trade von Jones macht Cap Space in Höhe von 15,3 Millionen Dollar frei.
Rein sportlich betrachtet ist Jones' Abgang aber in jedem Fall ein großer Verlust, schließlich war er der Top-Receiver seines Teams im vergangenen Jahrzehnt. 848 Receptions für 12.896 Yards und 60 Touchdowns sprechen eine eindeutige Sprache.
Jedoch erlebte Jones 2020 sein schlechtestes Jahr seit 2013. Er machte nur neun Spiele aufgrund einer Oberschenkelverletzung, die ihn die ganze Saison über begleitete. Entsprechend gingen auch seine Zahlen deutlich zurück - erstmals seit 2013 (damals verletzungsbedingt nur fünf Einsätze) verfehlte er die 1000-Yard-Marke (771 Yards) und hatte auch erstmals seit damals deutlich unter 100 Targets (68).
Es ist zwar anzunehmen, dass ein gesunder Jones immer noch zur Elite auf seiner Position gehört, jedoch sind die Falcons relativ gut darauf eingestellt, den Abgang zu kompensieren. Dafür spricht zum einen die Tatsache, dass mit Calvin Ridley der designierte Nachfolger ohnehin schon drei Jahre im Team ist und spätestens 2020 seinen Durchbruch geschafft hat (90 REC, 1374 YDS, 9 TD). Zudem hat er die Rolle des Deep Threats eindeutig übernommen - 39,88 Prozent der Air Yards der Falcons gingen 2020 in seine Richtung. Das war der höchste derartige Anteil an den Team Air Yards in der NFL laut Next Gen Stats.
Atlanta Falcons: Kyle Pitts wird Offensive verändern
Hinzu kommt, dass die Falcons im Draft mit Tight End Kyle Pitts ein Jahrhunderttalent gezogen haben, welches das Offensivspiel des Teams verändern wird. Pitts kann an der Line, im Slot und auch Outside spielen, wird aber wohl vor allem die Mitte dominieren. Insofern wäre es ohnehin schwierig geworden, genügend Targets an zwei Top-Wideouts zu verteilen. Jones' Abgang schafft daher Platz für Pitts und dessen Positions-Flexibilität.
Das Falcons-Spiel wird sich verändern und mehr über die Mitte stattfinden, obgleich Ridley weiterhin ein gefährlicher Deep Threat sein wird. Doch ohne Jones und mit Pitts sind die Falcons womöglich nun unberechenbarer geworden.
Atlanta Falcons: Die letzten 5 Jahre
Saison | NFC South | Siege | Niederlagen | Playoffs |
2016 | 1. | 11 | 5 | Super Bowl LI |
2017 | 3. | 10 | 6 | Divisional Playoffs |
2018 | 2. | 7 | 9 | - |
2019 | 2. | 7 | 9 | - |
2020 | 4. | 4 | 12 | - |
3. Was bedeutet der Trade für die Titans und das Kräfteverhältnis in der AFC South?
Wide Receiver A.J. Brown bekommt seinen Willen und Julio Jones als seinen Teamkollegen. Die bisherige Nummer 1 im Receiving Corps der Titans hatte auf seinen Social-Kanälen deutlich um die Dienste von Jones geworben.
Und ein Blick auf die Depth Chart der Titans verrät recht deutlich, dass dieser Wunsch durchaus seine Berechtigung hat. Die Titans verfügen zwar über zahlreiche Wide Receiver - aktuell stehen zwölf Spieler für diese Position im Kader. Doch sonderlich viel Qualität ist nicht zu finden. Brown gehört sicherlich zu den besseren Receivern der Liga und könnte mit einem weiteren Schritt in die richtige Richtung schon bald zu den Topleuten zählen. Doch dahinter wird es düster. Bis zum Jones-Trade wäre der Undrafted Rookie des Vorjahres, Nick Westbrook-Ikhine, der Starter gegenüber von Brown gewesen. Jener brachte es in seiner Rookie-Saison auf 3 Receptions für 33 Yards und stand in lediglich 15 Prozent aller Offensivsnaps der Titans auf dem Feld.
Und da mit Jonnu Smith auch noch der Top-Tight-End des Teams in der Free Agency von Bord gegangen ist, hätte die Offense künftig ein sehr überschaubares Gesamtbild abgegeben.
Das ändert sich freilich mit der Ankunft von Julio Jones. In Topform ist er ein klarer Nummer-1-Receiver, der auch die X-Rolle in dieser Offense übernehmen und damit Brown in die Y-Rolle schieben würde - oder eben umgekehrt. In jedem Fall verfügen die Titans nun über zwei Receiver, die besondere Aufmerksamkeit seitens der Gegner erfordern und damit auch die Mitspieler entlasten werden.
Einer von beiden wird zwangsläufig doppelt gecovert werden müssen, was den anderen in Eins-gegen-Eins-Situationen bringen wird, was per se ein Matchup-Albtraum werden dürfte. Zugleich wird es einer Defense schwerer fallen, heavy Boxes gegen Running Back Derrick Henry aufzubieten, da so womöglich beide Elite-Receiver nur je einen Gegenspieler hätten.
Tennessee Titans: Jones und Brown könnten gefürchtetes Duo bilden
Kurzum: Jones und Brown könnten eines der gefürchtetsten Wide-Receiver-Duos der NFL in der kommenden Saison bilden.
Und mit Blick auf die AFC South ergibt dieser Trade womöglich ein klares Fazit: Die Titans werden damit wohl zu den klaren Favoriten in der Division.
Sie hatten ohnehin schon eine gute Ausgangsposition nach zwei Playoff-Teilnahmen in Serie. Nun stellen sie sicherlich auch die verlässlichste Offense, was in der heutigen NFL der beste Weg zum Erfolg ist. Die Indianapolis Colts als ärgster Verfolger müssen in erster Linie mal die Frage beantworten, ob Head Coach Frank Reich Quarterback Carson Wentz wieder auf Vordermann bringen kann. Ein Faktor, der nach den vergangenen paar Jahren einer Wundertüte gleicht.
Die Jacksonville Jaguars, so gut sie nun auch aufgestellt sind mit Rookie-Quarterback Trevor Lawrence, sind realistisch betrachtet noch ein bis zwei Jahre von der Konkurrenzfähigkeit entfernt - wenn alles gut läuft wohlgemerkt! Und die Houston Texans gleichen einem Trümmerhaufen, dessen Neuaufbau sich noch hinziehen wird. Aktuell sind sie der klare Favorit auf den ersten Pick des kommenden Drafts.
Die Titans sind auf dem Papier jetzt das Topteam der AFC South und sollten zumindest mal ein gefährliches Team in den Playoffs sein.
4. Was bedeutet der Trade nach Tennessee für Julio Jones?
Jones hat dem Vernehmen nach bereits vor mehreren Monaten seinen Tradewunsch beim neuen Falcons-GM Terry Fontenot hinterlegt. Und er bekommt nun seinen Willen.
Jones ist 32 Jahre alt und stand, obwohl er mit Matt Ryan einen früheren MVP-Quarterback an seiner Seite hatte und einer der besten Wide Receiver der letzten zehn Jahre ist, nur einmal im Super Bowl. Jenen verloren die Falcons nach der Saison 2016 trotz eines Wunder-Catchs von Jones auf unglaubliche Weise gegen New England.
Seither standen die Falcons noch einmal - 2017 - in den Playoffs und legten danach drei negative Bilanzen am Stück hin - zuletzt hatten sie mit 4-12 sogar die viertschlechteste Bilanz der NFL, was ihnen immerhin Kyle Pitts einbrachte.
Jones dürfte schlichtweg genug gehabt haben von dieser Situation, die auch in der kommenden Saison sicherlich noch nicht wahnsinnig besser werden wird, zumal die Tampa Bay Buccaneers auch nach Drew Brees' Rücktritt in New Orleans übermächtig erscheinen in der NFC South.
Sprich: Wenn Jones, der noch drei Jahre unter Vertrag steht, in seiner Prime nochmal um den Titel mitspielen will, dann war dies wohl nur durch einen Tapetenwechsel möglich. Den hat er nun bekommen.
Julio Jones wünschte sich Quarterback mit starkem Arm
Jones soll laut Medienberichten der letzten Tage den Wunsch geäußert haben, zu einem Team transferiert zu werden, das über einen Quarterback mit starkem Arm verfügt. Er sieht sich offenbar selbst noch als Deep Threat und eine solche Eigenschaft kommt ihm daher klar entgegen.
Auch dieser Wunsch wurde ihm erfüllt - Tannehill gehört zu den besten Deep-Passern der NFL. Ein Fakt, von dem A.J. Brown bereits seit 2019 profitiert. Mit Tannehill an seiner Seite könnte Jones also seine zuletzt etwas ins Wanken geratene Karriere nochmal nachhaltig wiederbeleben.
Und sollte er nicht ohnehin schon vor der neuen Saison einen neuen Vertrag fordern - die Garantien im aktuellen Deal belaufen sich über die Saison 2021 hinaus nur noch auf zwei Millionen Dollar für 2022 -, dann würde ihm eine starke Spielzeit 2021 gute Argumente für einen weiteren hochdotierten Vertrag geben.
Jones hat den Falcons sicherlich alles gegeben, was möglich war. Die Titans könnten ihm nun nochmal einen Neuanfang bescheren, der nach zehn Jahren in Atlanta offenbar genau zur rechten Zeit kommt.
5. Julio Jones: Ist der Preis für den Trade zu den Titans angemessen?
Übereinstimmenden Medienberichten zufolge werden die Falcons "mindestens" einen Zweitrundenpick für Julio Jones erhalten. Hinzu kommen soll noch entweder ein Fünftrundenpick oder eine Vereinbarung, die den Tausch von Picks zwischen den Teams beinhaltet.
Ein Zweitrundenpick plus X für einen Spieler, der gerade erst sechs Spiele verpasst hat und der noch insgesamt 17,3 Millionen Dollar an Gehalt garantiert kosten wird, ist ein stattlicher Preis. Zumal Jones eben auch schon 32 Jahre alt ist und zuletzt unter muskulären Problemen laborierte, die ihn merklich zurück hielten.
Allerdings ist Jones eben auch immer noch einer der Top-Receiver der vergangenen Dekade. 2018 noch führte er die Liga mit 1677 Yards an und hatte auch 2019 noch 1394 Yards, was nur wenige andere Receiver von sich behaupten können.
Die Falcons sollen dem Vernehmen nach vor dem Draft Ende April noch mindestens einen Erstrundenpick für Jones verlangt haben. Ein Preis, der angesichts des Alters und der vergangenen Saison des Spielers utopisch erschien. Der Zweitrundenpick nun ist wohl das Beste, was die Falcons hätten bekommen können. Dieser und der damit gewonnene Cap Space, den sie aufgrund ihrer aktuellen Kaderstruktur gemessen an den sonstigen Verträgen nicht anders bekommen hätten, erscheinen daher ein angemessener Preis für Jones zu sein.
gettyUnd aus Sicht der Titans ist es entweder ein teures Experiment, sollte Jones auch künftig noch Probleme am hinteren Oberschenkel oder anderweitig an der Muskulatur haben. Oder eine gelungene Investition, wenn er seine Topform wieder findet. Dann nämlich wären auch die garantierten 17,3 Millionen Dollar, die ihm noch zustehen, kein zu hoher Preis. Andere Wide Receiver auf Topniveau verdienen noch mehr als Jones in der kommenden Saison und darüber hinaus. Und mit einem Zweitrundenpick bekommt man in aller Regel auch keinen etablierten Top-Receiver.