Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 7 in der NFL

Von Adrian Franke
25. Oktober 202110:15
SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Woche 7 in der NFL.getty
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Woche 7 war die Woche der Kantersiege. Manche eher weniger überraschend, wie die Erfolge der Patriots gegen die Jets, der Cardinals gegen Houston oder der Buccaneers gegen Chicago. Andere wiederum überraschten dann doch: Der deutliche Erfolg der Bengals in Baltimore, der Kollaps der Panthers gegen die Giants oder natürlich das Chiefs-Desaster in Tennessee. Was bleibt also hängen, nach einer Woche voller deutlicher Siege?

Während in der AFC mit den Ravens und den Chiefs - dazu gleich mehr - also zwei vermeintliche Schwergewichte deutlich verloren, war davon abgesehen vermutlich die 3:25-Pleite der Panthers bei den Giants in dieser Klarheit die am wenigsten erwartete Niederlage. Mit einer offensiven Rumpftruppe angetreten, war es nicht so, als hätten die Giants die Sterne vom Himmel gespielt - aber ihre 4,5 Yards pro Play wirkten wie der Mount Everest, verglichen mit den 2,8 Yards pro Play, die Carolina zustande brachte.

Dass Sam Darnold schließlich sogar gebencht wurde, war fast die logische Schlussfolgerung; nicht nur von diesem Spiel, sondern auch mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Wochen. Darnold wird kommende Woche wieder starten, aber der Trend geht glasklar nach unten. Dennoch wird er nächstes Jahr mit 18,8 Millionen Dollar in den Panthers-Büchern stehen, sofern Carolina es nicht irgendwie schafft, Darnold via Trade - mutmaßlich teuer - loszuwerden.

Dieser Trade war ein Desaster für die Panthers, und es wird immer schwieriger, das weg zu diskutieren.

Im Vergleich sieht der Trade der Indianapolis Colts für Carson Wentz aktuell definitiv besser aus. Wentz spielt generell gut, auch wenn das Sunday Night Game gegen San Francisco angesichts der Umstände ein ziemliches Muster ohne Wert war. Was Wentz in dem Spiel definitiv zur Perfektion hatte, war der einst von Joe Flacco patentierte tiefe Underthrow, welcher dadurch zu einer Pass Interference führte. Wentz hatte jede Menge Turnover- und DPI-Glück in diesem Spiel.

Los geht's aber mit den Chiefs. Und auch in Kansas City geht, ähnlich wie bei Darnold, der Trend beunruhigend deutlich nach unten.

Mahomes und die Chiefs sind aktuell kein Titelkandidat

Manchmal haben Teams einen "perfekten Sturm" für sich - manchmal haben sie einen perfekten Sturm gegen sich. Wenn gefühlt alles, was schiefgehen kann, schiefgeht, wenn die Stars unter ihrem Leistungsvermögen spielen, wenn die Schwachstellen nicht nur Schwachstellen, sondern dunkle Löcher sind, in denen alle Hoffnungen darauf, den Kopf über Wasser halten zu können, spurlos verschwinden.

Wenn wir bei den Chiefs darüber sprechen, wie groß die Sorge sein sollte, ob wir bei Alarmstufe Rot angekommen sind und wie dieses Team mit dieser Offense an diesen Punkt kommen konnte, dann ist das für mich ein zentraler Einstieg.

Es ist auch ein elementarer Aspekt in der Begründung dafür, warum ich nach den ersten vier Spielen wenig Sorge bei den Chiefs hatte. Sie hatten ein sehr schweres Auftaktprogramm - und ich war der Meinung, dass nicht alle die Dinge, die bis dato gegen sie liefen, weiter so gegen sie laufen würden. Doch die Realität ist: Es wurde noch schlimmer.

Chiefs: ... und dann kommt auch noch Pech dazu

Was ist damit gemeint? Mahomes hatte letztes Jahr massives Interception-Glück. Er warf deutlich mehr Risiko-Pässe als die reinen Interception-Zahlen vermuten lassen würden, auch wenn man es mit anderen Quarterbacks vergleicht und in das Liga-Big-Picture einordnet. Dieses Jahr ist das ins genaue Gegenteil umgekehrt. Und das soll ausdrücklich nicht heißen, dass Mahomes gut spielt und schlicht Pech hat - aber die Anzahl an unglücklichen Picks, Abprallern, die in Interceptions enden, und dergleichen ist auffällig.

Generell die Anzahl an Turnovers, und wie viele davon bereits in Scoring-Distanz, tief in der gegnerischen Hälfte auftraten, während die Offense den Ball eigentlich gut bewegte, ist ein ernsthaftes Thema. Und für sich betrachtet sind das individuelle Vorfälle: Ein Pass von Mahomes wird abgeprallt oder rutscht Hill durch die Hände und landet beim Verteidiger, ein Fumble von Edwards-Helaire auf dem Weg zum Game-Winner in Baltimore, ein Fumble von Mahomes nach erfolgreichem Scramble zum First Down gegen die Titans, und so weiter, immer so weiter.

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es bei erfolgreicher Offense in erster Linie darum geht, Gelegenheiten und Scoring-Situationen - also positive Plays - zu kreieren, und nicht darum, negative Plays zu verhindern. Und zumindest bis vor dem Titans-Spiel hatte Kansas City nach Expected Points Added pro Play immer noch die zweitbeste Offense in der NFL.

Aber der Trend passt auch hier nicht mehr. Nach vier Wochen hatten die Chiefs die Liga in dieser Kategorie noch mit weitem Abstand angeführt, dieser Vorsprung war deutlich geschmolzen. Die Offense legte über die ersten Wochen der Saison eine beeindruckende Schlagzahl vor, und das obwohl Mahomes längst noch nicht seine Top-Form abrufen konnte.

Das endete mit dem Bills-Spiel und seitdem stockte der Offense-Motor auch strukturell, während Mahomes ebenfalls weiter nicht wirklich gut spielte. Die Turnover blieben, der Gesamt-Pfeil der Offense zeigte über die letzten drei Wochen nach unten.

Kansas Citys Defense bleibt ein gefundenes Fressen

Die Turnover sind im Gesamtbild auch das Resultat einer Offense und vor allem eines Quarterbacks, der eben weiß, dass es keinerlei Spielraum für Fehler gibt. Und der irgendwann anfängt, Dinge zu erzwingen und das macht alles nur noch schlimmer. Umso mehr, weil Teams die Chiefs zunehmend mit dem Fokus auf Sicherheit spielen, sprich 2-High-Strukturen, um die Shot Plays zu minimieren. Lange, disziplinierte Drives wären also gefordert, und die Offense wird darin irgendwann nervös und will genau das Gegenteil.

Dieser Kreislauf hat sich zunehmend verschlimmert. Daraus resultieren einige der desolaten Interceptions, aber auch einige Entscheidungen mit dem Ball in der Hand, die schwer zu erklären sind.

Und das führt natürlich ganz konkret zur Defense. Nach Woche 4 war die Defense auf ähnlich historisch schlechten Pfaden unterwegs, wie die Offense parallel eindrucksvolle Zahlen auflegte. Zu sehen, wie die Offense mit sogar noch Luft nach oben über Teams drüber walzen konnte, hielt mich bei den Chiefs immer ruhig.

Wir hatten diesen Film von dieser Defense zudem bereits gesehen, ein horrender Start, und dann stabilisiert sie sich im Laufe der Saison auf ein Level, das wenigstens akzeptabel ist. Ein wenig positive Regression einer horrenden Unit mit dazu, viel mehr hätte es gar nicht gebraucht.

Aber die Defense ist immer noch ein gefundenes Fressen für nahezu jede Offense, während die Offense eben abgebaut hat. Mahomes spielt aktuell nicht gut, das steht außer Frage, aber es sind individuelle Unkonzentriertheiten, individuelle Fehler, wohin man nur schaut; vielleicht mit Ausnahme der Interior Offensive Line. Die Offense, von der wir eigentlich eine enorme Stabilität gewohnt sind, ist plötzlich ein wackliges Gerüst. Und das ohne Spielraum für Fehler. Das Spiel gegen Tennessee war das erste Regular-Season-Spiel ohne Chiefs-Touchdown seit 2017.

Chiefs: Roster Management ist nicht ideal

Was bleibt, ist das Roster Management. Die Chiefs haben in dieser Offseason massive Ressourcen in ihre Offensive Lines investiert, in einem Schritt, der ein Stück weit sicher eine Überreaktion auf den Super Bowl war, wobei man aber auf Tackle durchaus kurios unterwegs war: Brown ist nicht der ideale Scheme-Fit, und Right Tackle ist und bleibt ein Problem.

Vor allem aber liegen andere Baustellen komplett brach. Der Outside Receiver etwa, Defensive Line - wo KC regelmäßig überrannt wird und so gar keinen Druck auf den Quarterback hinbekommt -, Safety, um nur einige zu nennen. Wir sind mit Blick auf Mahomes' Vertrag im letzten Jahr, in dem sein Deal noch günstig ist, mit einem Cap Hit von unter zehn Millionen Dollar. Das wird bald astronomisch steigen, und dann ist die Zeit, in der Draft-Busts und teure Free-Agency-Signings für GM Brett Veach und diesen Kader zunehmend schwieriger zu verdauen sind.

Also, wie geht es jetzt weiter - neben der offensichtlichen Hoffnung, dass Patrick Mahomes keine gesundheitlichen Schäden aus diesem Spiel mitgenommen hat? Dieses Spiel gegen die Titans war von vorne bis hinten das übelste Chiefs-Spiel, an das ich mich unter Andy Reid erinnern kann; inklusive Reids Game Plan früh im Spiel und seinen In-Game-Coaching-Entscheidungen in der zweiten Hälfte.

Ich weiß, dass das ein Klischee ist, aber vielleicht ist die Antwort so simpel wie: Die Stars der Chiefs müssen wieder besser spielen. Das betrifft natürlich in erster Linie Mahomes, aber es betrifft auch Tyreek Hill, und es betrifft Chris Jones und Tyrann Mathieu auf der defensiven Seite.

Unbestreitbar ist, dass diese Saison weit weg ist von dem, was jeder in Kansas City erwartet und auch erhofft hat. Und an diesem Punkt muss man resümieren: Die Probleme sind real, und sie werden sich nicht über Nacht reparieren lassen. Die AFC ist auch in der Spitze eine komplette Wundertüte, für den Moment aber, mit dem Negativkreislauf in dem sich auch die Offense seit mehreren Wochen für sich betrachtet, aber auch im Wechselspiel mit der eigenen Defense befindet: Kansas City ist aktuell kein Titelkandidat.

Für wen geht der Blick nach Week 7 Richtung Offseason?

Wir kommen der Saison-Mitte immer näher, und dieser Spieltag mit wenigen echten Topspielen hat für mich ganz besonders unterstrichen, wie trostlos es teilweise im Liga-Mittelfeld sein kann - aber eben auch, welche Chancen hier liegen können.

Offseason-Strategien sind ein faszinierendes Thema, und mit Blick auf die anstehende Trade-Deadline - bis zum 2. November dürfen noch Trades durchgeführt werden - bekommen wir einen ersten Teil dieser Gesamt-Gleichung bereits jetzt: Hier werden die ersten Weichen gestellt. Wer fängt an, Ressourcen für die kommende Offseason zu sammeln? Wer macht das Gegenteil? Und selbst die GMs, die die Füße stillhalten, obwohl sie vielleicht in die eine oder andere Richtung tendieren sollten, verraten uns etwas über die Strategie des Teams.

Das, rein chronologisch betrachtet, erste Kernproblem mit Rebuilds - insbesondere wenn wir in das Hier und Jetzt schauen, also die erste Weichenstellung in Form der Trade-Deadline - ist die Frage der Job-Sicherheit. Ein GM, dessen Stuhl potenziell wackelt, wird deutlich weniger gewillt sein, während der Saison seine wenigen Stars noch abzugeben; häufig würde er damit nichts anderes machen, als seinem Nachfolger Ressourcen zu verschaffen.

Was dabei herauskommt, ist dann häufig ein Abstrampeln für den sechsten oder siebten Saisonsieg, um irgendwie über Wasser zu bleiben - was das beste Rezept ist, um eine Franchise perspektivisch ins Niemandsland zu führen.

Das macht es so schwierig, zumindest in manchen Fällen, jetzt bereits einen Umbruch zu starten, insbesondere, wenn man mit ganz anderen Ambitionen in die Saison gegangen ist. Obwohl das für einige Teams exakt der richtige Schritt wäre.

Aber für welche Teams gilt das eigentlich? Die Jets oder die Jaguars, die gerade am Anfang eines (erneuten) Neustarts stehen, sind hier nur bedingt attraktive Optionen. Houston ist ohnehin mittendrin. Wie könnte das konkret bei einigen Teams, die hier in Frage kommen, aussehen?

Diese Teams sollten schon jetzt den Neustart-Knopf drücken

Denver Broncos (3-4): Über die Carolina Panthers und deren Entscheidung für Sam Darnold habe ich in den letzten beiden Wochen genug geschrieben; grundsätzlich würde ich die Panthers auch mit in diese Liste zählen, wenngleich die Situation in Carolina angesichts des garantierten Gehalts von Sam Darnold für 2022 etwas schwieriger wird. Die Panthers waren auch Käufer und nicht Verkäufer bisher in dieser Saison, Carolina steuert so ein wenig ins Nichts. In diese Kategorie gehören für mich derzeit auch die Steelers mit ihrem Versuch, ein letztes Jahr aus Big Ben herauszubekommen.

Denver hat zwar auch die Quarterback-Übergangslösung in Person von Teddy Bridgewater, nachdem man das Drew-Lock-Experiment bereits vor Saisonstart aufgegeben hatte. Aber Bridgewater ist nach der Saison Free Agent, und ich gehe fest davon aus, dass Denver genug von Experimenten und Übergangslösungen hat, und sehr aggressiv auf dem Trade-Markt sein wird, falls etwa ein Aaron Rodgers tatsächlich zu haben ist.

Die gute Nachricht aus Broncos-Sicht - neben der Tatsache, dass man in Bridgewater nicht mittel- oder gar langfristig investiert hat - sind die Spieler, die Trade-Value einbringen könnten. Kyle Fuller, auch wenn er in Denver in Ungnade zu fallen scheint, dürfte etwas einbringen, auf Cornerback ist Denver ohnehin tief besetzt. Auch Von Millers Vertrag läuft nach der Saison aus, genau wie der von Safety Kareem Jackson und Running Back Melvin Gordon.

Das Spiel gegen Cleveland hat für mich untermauert, dass Vic Fangio spätestens nach Saisonende nicht mehr Coach in Denver sein wird. Die Defense schaffte es gegen diese von Ausfällen dezimierte Browns-Offense nicht, das Run Game zu stoppen, nachdem über die letzten Wochen die Secondary immer wieder Big Plays abgab. Die Offense ist längst im Mittelmaß angekommen, das aber musste man erwarten - dass die Defense wackelt dagegen nicht.

Denver ist somit ein spannender Fall für das eingangs erwähnte Problem: Der neue GM George Paton sitzt naturgemäß sicher im Sattel - Head Coach Vic Fangio keineswegs. Startet Paton jetzt den Ausverkauf, wäre sein Head Coach vermutlich für den Rest des Jahres die berüchtigte "Lame Duck".

Miami Dolphins (1-6): Bevor Dolphins-Fans die Mistgabeln rausholen, ich will damit nicht sagen, dass man Tua jetzt schon aufgibt. Nicht zuletzt weil er dafür auch seit seiner Rückkehr zu gut spielt. Deshalb würde ich auch nicht Gesicki abgeben, oder Waddle, oder die Offensive Line noch weiter rupfen - auch wenn man hier sagen muss, dass ich nicht weiß, ob das dann wirklich ein Downgrade wäre.

Aber dennoch würde ich allerspätestens mit diesen Pleiten gegen Jacksonville und Atlanta sagen, dass die Saison aus sportlicher Perspektive gelaufen ist, und dass die Dolphins sich darauf einstellen müssen, einen weiteren Rebuild einzuleiten. Die Frage ist nur noch, wer diesen durchführt - und wie drastisch er ausfällt.

Miami hat bereits dahingehend gezockt, dass man im Uptrade für Jaylen Waddle seinen eigenen First-Round-Pick 2022 nach Philadelphia schickte, und nicht den der 49ers. Hier haben die Dolphins ohne Netz und doppelten Boden auf sich selbst gesetzt. Ein Learning daraus sollte sein, dass man dieses Risiko nicht wiederholt und sich für das durchaus realistische Szenario absichert, dass man einen erneuten Umbruch einleiten muss.

Die Dolphins haben aus ihrem reichen Draft-Kapital - so scheint es aktuell - nicht genug gemacht, um ein neues Grundgerüst aufzubauen und die Wahrscheinlichkeit, dass Tua nicht die Antwort ist, ist an diesem Punkt größer als die Chance, dass er ein Top-10-Quarterback werden kann. Spieler wie Xavien Howard, Byron Jones, DeVante Parker oder auch Will Fuller könnten als Trade-Kandidaten dabei helfen, neues Kapital anzusammeln.

Washington Football Team (2-5): Die Idee, dass man über eine gesamte Saison eine Elite-Defense stellen kann und die Offense dann nur "gut genug" sein muss, war immer extrem riskant. Und da spreche ich bewusst nicht von der gigantischen Variablen, die Ryan Fitzpatrick als Starter über eine volle Saison darstellt - Fitzpatrick hat den Großteil der bisherigen Saison verpasst, eine echte Bewertung ist hier dementsprechend kaum möglich.

Doch der grundsätzliche Plan für sich betrachtet hatte schon sehr wenig Spielraum für Fehler. Dass Washington jetzt eine der schwächsten Defenses in der NFL über die ersten sieben Spiele stellt, führt den Plan komplett ad absurdum und war in dem Ausmaß nicht zu erwarten. Gegen Green Bay gab es hier zwar wieder mal ein Lebenszeichen, doch war dafür die offensive Achterbahnfahrt auf Hochtouren.

Vielleicht würde Washington mit Fitzpatrick ein wenig besser dastehen, aber die ganze Idee mit Fitzpatrick war immer, dass er nur eine Elite-Defense ergänzen und die Playmaker konstant in Szene setzen muss. Washington sollte sich, nicht nur weil Fitzpatrick ohnehin nur für ein Jahr verpflichtet wurde, nach einer ernsthaften Quarterback-Option umsehen, solange die Defense noch halbwegs bezahlbar ist.

Ein Spieler wie Charles Leno könnte echten Trade-Value einbringen, falls Washington Munition braucht, um in der kommenden Offseason aktiv zu werden. Und sind Ron Rivera und Co. bereit, ihre teuer aufgebaute Defensive Line - die perspektivisch noch viel teurer werden wird - aufzubrechen, sollte sich der richtige Trade anbieten?

Natürlich gäbe es hier noch weitere Beispiele. Detroit etwa könnte durchaus noch weiteres Tafelsilber in Draft-Ressourcen verwandeln, nachdem dieser Prozess bereits in der vergangenen Offseason begonnen hat. Houston ist ebenfalls weiterhin mittendrin in diesem Vorgang und dürfte bei jeder Trade-Anfrage zumindest interessiert zuhören.

Aber Washington, Denver, Miami, diese Teams sind mit gewissen Ambitionen in die Saison gegangen und müssen aus verschiedenen Gründen einer harschen Realität ins Auge sehen: Aktuell ist man auf bestem Wege, im Niemandsland der Liga zu versacken. Und es sind drastische Schritte notwendig, um diesem Treibsand zu entkommen.

New York Giants (2-5): Für mich der spannendste Fall dieser Liste, weil ich - und ich hätte vor zwei Jahren nie gedacht, dass ich diesen Satz einmal über Daniel Jones schreibe - dem Quarterback perspektivisch am meisten zutraue. Jones hatte letzte Woche gegen die Rams sein mit weitem Abstand schlechtestes Saisonspiel, aber diese Offense ist schlicht individuell extrem dezimiert, und hat eben nicht das Scheme oder den Play-Caller, um das zu kompensieren. Mittlerweile fehlt auch noch Andrew Thomas in der Offensive Line, insofern weiß ich nicht, wie viel wir aktuell von Jones' Auftritten mitnehmen können, oder sollten.

Wo ich eine sehr deutliche Schlussfolgerung habe, ist die Ebene über Daniel Jones. Wo genau macht dieses Giants-Team unter Joe Judge Fortschritte? Die Defense ist eine massive Enttäuschung, nicht einmal Dinge wie Physis oder Disziplin, für die Judge vermeintlich stehen kann oder will, sind bei diesem Team auf der positiven Seite.

Ich sehe hier keine Entwicklung, das In-Game-Management ist nicht gut - wenn ich einen Case für Judge entwerfen müsste, würde es mir schwerfallen, Argumente außerhalb etwas wie "Kontinuität" zu finden.

Und Kontinuität ist natürlich auch nicht hilfreich, wenn es kontinuierlich nirgendwohin geht.

Denken wir das weiter, stünde die Frage im Raum, ob die Giants auch eine perspektivische Diskrepanz zwischen GM und Head Coach haben - oder ob beide wackeln. Kritik an Dave Gettleman über die letzten Jahre war meist sehr gerechtfertigt, man muss ihm aber zugutehalten, dass er eine ziemlich starke Offseason hatte, im Draft und in der Free Agency. Und wir wissen, dass Teambesitzer John Mara nicht gerade bekannt dafür ist, mit eiserner Faust zu regieren.

Es würde mich deshalb nicht wundern, wenn Gettleman noch einen weiteren neuen Head-Coach-Verpflichtungsprozess anführen darf. Der müsste dann aber nach dieser Saison stattfinden, und dafür könnte New York jetzt den Rebuild auf dem Trade-Markt einleiten. Der Sieg gegen ein Panthers-Team, das gerade komplett implodiert, sollte daran eigentlich nichts ändern. Wird er aber vermutlich.

Die Tennessee Titans sind die ultimative Wildcard

Die Schlagzeilen nach diesem Spiel werden den Chiefs gehören - Krisenstory ist meist interessanter als Erfolgsstory. Und ehrlicherweise ist es ja auch nicht so, als könnten wir die Titans plötzlich als Erfolgsstory einordnen; auch wenn es mehr als eindrucksvoll ist, dass Tennessee jetzt in aufeinanderfolgenden Wochen erst ein haarscharfes Spiel gegen Buffalo gewonnen und dann die Chiefs in ihre Einzelteile zerlegt hat.

Mein Argument dafür, dass ich bei den Titans als Division-Sieger auch über die ersten Wochen der Saison geblieben bin, war immer das Ceiling. Die Möglichkeiten dieses Teams nach oben sind einfach höher als die der Colts, von Houston und Jacksonville ganz zu schweigen. Und das lag immer an der offensiven Feuerkraft.

Die Möglichkeit, mit Julio Jones und A.J. Brown Eins-gegen-Eins-Coverage Outside konstant zu bestrafen, mit Derrick Henry leichte Boxes zu bestrafen und in Tannehill einen Quarterback zu haben, der gerade die Mid Range sehr gut attackiert und auch den einen oder anderen Deep Shot aus der Pocket Woche für Woche in seinem Arsenal hat - das macht Tennessee gefährlich. Und es gibt den Titans eine Chance, auch mit den Schwergewichten mitzuhalten.

Das erfolgreiche Dreieck in Music City

Es entsteht eine Wechseldynamik, die zunehmend schwer voneinander zu trennen ist: Weil Henry eine ungewöhnlich hohe Workload schultern kann und seine Physis auch in der Schlussphase eines Spiels noch eindrucksvoll anbringen kann, ist Tennessee gewillt und in der Lage, an Henry festzuhalten - auch wenn das Run Game nur bedingt funktioniert.

Die Hoffnung auf das Big Play ist immer da. Viele Defenses fangen früher oder später an, gerade bei Early Down, mehr Verteidiger in die Box zu stellen - davon profitiert Tannehill, der auch dieses Jahr wieder einer der effektivsten Early Down Passer in der NFL ist. Tennessee steht auf Platz 9 was Expected Points Added pro Dropback bei First Down angeht.

Auf der anderen Seite der Gleichung ist Tannehill generell einer der effektivsten Passer in der NFL, seitdem er in Tennessee als Starter übernommen hat, will sagen: er ist in der Lage, die Mid-Level-Shots und zahlreichen In-Breaking-Routes konstant zu treffen, was zu Big Plays führt; die Titans haben dafür die idealen Receiver und Tannehill hat bewiesen, dass er die Aggressivität und die Kontinuität in seinem Spiel hat, um diese Bälle immer und immer wieder zu treffen. Nicht nur, aber häufig via Play Action.

Das wiederum öffnet Räume im Run Game. Henrys Expected Rushing Yards schossen 2020 auf 4,88 Yards pro Run hoch, von 2016 bis 2018 kam er auf durchschnittlich 4,45 Expected Yards, also der durchschnittliche Raumgewinn, den einer seiner Runs via Blocking, Raum und dergleichen erzielen sollte. Und Henry profitierte von den Räumen: 2020 verzeichnete er im Schnitt 0,21 Rushing Yards mehr als die Expected Yards, 2019 waren es im Zuge des Quarterback-Tauschs nochmal deutlich mehr.

Derrick Henry ist die Ausnahme in der NFL

Es ist kein Zufall, dass Henry nicht dieser dominante Runner war, als er das Backfield noch mit Marcus Mariota teilte. Mit Mariota als Starting-Quarterback kam Henry über 49 Spiele auf 4,4 Yards pro Run und 50,7 Yards pro Spiel - seitdem Tannehill den Hawaiianer während der 2019er Saison ersetzte, stand Henry bis zu diesem Spieltag bei 5,4 Yards pro Run und 126,9 Yards pro Spiel.

Wir haben mehr als genug Daten, die eindeutig aufzeigen, dass der Running Back in der heutigen NFL vergleichsweise einfach austauschbar ist. Dinge wie Run Blocking, die Qualität der Passing Offense, Verteidiger in der Box und auch Field Position und Down und Distance sind in den allermeisten Fällen die kritischeren Variablen, wenn man nach der Formel für ein produktives Run Game sucht.

Der Browns-Sieg gegen Denver am Donnerstag wäre das jüngste ganz praktische Musterbeispiel dafür. Der Quarterback ist und bleibt für mich der zentrale Schlüssel, wenn wir über erfolgreiche NFL Offenses sprechen, und das Passspiel die wichtigste Komponente, wenn man eine konstant erfolgreiche Offense aufziehen will.

In Tennessee sind wir allerdings an einem Punkt angekommen, an dem ich zunehmend der Meinung bin, dass Running Back und Quarterback in puncto Relevanz mehr auf Augenhöhe agieren als in irgendeiner anderen Offense in der NFL aktuell. Weil kein anderer Back diese Workload schultern und dabei so eine permanente Gefahr im Laufe eines Spiels bleiben kann, was eben zu Möglichkeiten im Passspiel führt. Henry braucht Tannehill - aber Tannehill braucht Henry auch.

Und dieses Statement für sich betrachtet macht Henry zur Ausnahme in der NFL.

Chicago: Wie viel Zeit bekommt Matt Nagy noch?

Es hätte mich nicht gewundert, wenn die Bears Matt Nagy nach diesem Auftritt in Tampa Bay entlassen hätten. Dass das nicht passierte, ist dahingehend ein gutes Signal für Nagy, dass er jetzt davon ausgehen darf, dass das Front Office keinen Grund sucht, um ihn rauszuwerfen.

Denn das war ein horrender Auftritt in Tampa Bay. Die Sideline-Shots von Fields, wie er komplett zerknirscht auf der Bank saß, nachdem er all diese Shots eingesteckt hat, sprachen deutlicher als alle Worte.

Und es war keine große Überraschung, was auf dem Feld passierte: Eine ohnehin wacklige Offensive Line, dann noch mit dem Backup-Right-Tackle, und dahinter einer der schwächsten Quarterbacks dieser Saison gegen den Blitz - gegen eine Bucs-Defense, die ohnehin eine dominante Front hat und dieses Spiel natürlich zum Anlass nahm, um den Rookie-Quarterback nach Belieben zu blitzen.

Ich denke, das wäre eines dieser Spiele gewesen, in dem es berechtigt gewesen wäre, Fields eher früher als später rauszunehmen. Ja, ich bin davon überzeugt, dass Rookie-Quarterbacks am besten lernen, wenn sie spielen - allerdings gibt es wie bei jeder Theorie auch hier Extreme, in denen diese Aussage andersherum ausfallen kann.

Und dass Chicago offensiv schematisch keine Antworten findet, das ist keine neue Erkenntnis. Die Bears haben jetzt in jedem ihrer bisherigen sieben Spiele unter 200 Net Passing Yards; sieben Spiele zum Start in eine Saison mit dieser Statistik hat seit den 2008er Tennessee Titans niemand geschafft.

Da können wir über das teilweise bereits groteske Quarterback-Management im Laufe der Saison auch mal außen vor lassen. Für einen Head Coach, dessen Steckenpferd die Offense ist, ist das verdammt wenig.

Dolphins: Wir müssen über Brian Flores sprechen

Tua Tagovailoa hatte in London gegen Jacksonville ein gutes Spiel, ich hatte letzte Woche ausführlicher darüber geschrieben. Er bewegte sich gut in der Pocket, sein Touch über die Mitte und das schnelle RPO-Spiel, dort ist er zuhause und da hatte er seine besten Szenen, hier bewegt sich die Offense auch am verlässlichsten.

Aber selbst da waren die richtig dicken Fehler mehrfach in seinem Spiel, und es ging gegen eine der zwei, drei schlechtesten Defenses in der NFL. Gegen die Falcons waren die ebenfalls wieder mit drin: Ein Pick in der Red Zone, wo er den Ball gegen den Safety zu weit innen platziert - und eine Horror-Interception bei einem Wurf über die Mitte, den er in keinem einzigen Aspekt dieser Szene so werfen darf.

Flores sagte nach dem Spiel, dass Tagovailoa die Offense "in die Position gebracht hat, das Spiel zu gewinnen. Das ist letztlich alles, was du von deinem Quarterback verlangen kannst". Und ein Stück weit stimmt das natürlich auch. Miami hatte einige sehr gute Drives in der zweiten Hälfte und am Ende war es Flores' Defense, die das Spiel nicht durchbrachte; für Flores selbst wird der Wind jetzt rauer werden, und das zu Recht.

Die Frage, die Tagovailoa jetzt beantworten muss, ist: Kann er mehr als ein Game Manager sein? Gegen die Falcons profitierte er von Play Action (13/15, 131 YDS, TD laut Next Gen Stats) und dem Quick Passing Game (15/18, 128 YDS, 2 TD), er verteilte den Ball gut innerhalb der 15-Yard-Range. Wenig Downfield, eher in der Mid-Range und das war ebenfalls Teil der Story gegen die Jaguars. Mir fiel auch auf, dass er einige Bälle in enge Fenster traf, in beiden Spielen. Das ist also eine positive Entwicklung.

Bereits nach diesem Spiel hatte ich geschrieben, dass wir uns vielleicht mit der Realität anfreunden müssen, dass Tagovailoa ein Game Manager ist. Aber das war nicht mein erster Takeaway aus diesem Spiel, auch wenn der Franchise Quarterback irgendwo immer im Mittelpunkt steht - insbesondere, wenn der gerade um seine Zukunft spielt.

Mein zentraler Takeaway war, dass wir ein ernsthaftes Gespräch über Brian Flores führen müssen. Ich denke, dass er sich intern genug Spielraum verschafft hat, um eine dritte Saison zu bekommen. Aber seine Defense ist absolut nicht gut, ganz im Gegenteil. Und abermals würde ich die Frage in den Raum stellen: Inwieweit haben er und GM Chris Grier dieses Team mit all den Ressourcen, die sie hatten, vorangebracht? Ich bin sehr gespannt, wie die Diskussionen in South Beach weiter gehen, falls es keinen Trade für Deshaun Watson gibt und dieses Thema zumindest für ein paar Wochen nicht mehr über allem in South Beach schwebt.

Und könnte vielleicht genau diese rauer werdende Luft ein zusätzlicher Katalysator für einen solchen Trade sein?

Bengals bekommen ihren Statement-Sieg gegen Baltimore

Bei den Bengals beeindrucken mich zwei Dinge: Die Defensive Line ist deutlich besser als ich vor Saisonstart erwartet hatte, angeführt von Trey Hendrickson. Und: Die individuelle offensive Qualität in Cincinnati ist beeindruckend.

Damit ist nicht nur Ja'Marr Chase gemeint, der diese Offense ganz ohne Frage transformiert und Burrow ein vertikales Passspiel gegeben hat, wo letztes Jahr so gar nichts für die Bengals ging. Chase ist nach wie vor die personifizierte Big-Play-Waffe für diese Offense. Aber es ist eben auch Boyd im konstanten Underneath Game, es ist Higgins mit den vielen Chain-Moving-Catches, es ist selbst C.J. Uzomah, der in einer Woche überhaupt kein Faktor ist, und dann in der nächsten dominiert.

Ich hatte die Bengals ja letzte Woche in meiner ersten Prognose bereits in die Playoffs geschrieben, und selbstredend hat sich die Prognose mit diesem Statement-Sieg, ohne Zweifel das deutlichste Statement der Bengals seit mehreren Jahren, nicht geändert. Dieses Spiel hat mir gezeigt, dass die Bengals näher an der Spitzengruppe in der AFC dran sind als ich im Vorfeld der Partie gedacht hätte.

Das führt aber unweigerlich zu einer anderen Frage: Wie sieht diese Spitzengruppe in der AFC überhaupt aus? Wie hoch sind die Chargers, die vor ihrer Bye Week in Baltimore zerlegt wurden? Wo sortiert man aktuell die von Verletzungen geplagten Browns ein? Und wie rankt man die Titans und die Bills, nachdem Tennessee jetzt erst Buffalo und dann Kansas City geschlagen hat?

Und was macht man mit jenen Chiefs?

AFC: Wie sortiert man diese Spitzengruppe?

Ich würde die Top-5 aktuell vermutlich so einsortieren - und hier nochmal der Zusatz, falls das nicht klar wurde: Die AFC-Spitzengruppe ist aktuell komplett offen.

  1. Bills: Ja, Buffalo hat gegen die Titans verloren, aber das war ein offenes Spiel, welches buchstäblich um Zentimeter verloren ging. Die Bills bleiben für mich das kompletteste Team in der Conference, und die Offense spielt bereits seit einigen Wochen wieder besser.
  2. Titans: Ehrlich gesagt keine Ahnung, was ich mit den Titans machen soll. Die Defense ist extrem inkonstant; die Vorstellung gegen die Chiefs trotz all der Ausfälle in der Secondary war exzellent. Die Front scheint inzwischen wirklich angekommen zu sein. Bei Tennessee bleibt es für mich dabei: Solange die Titans Tannehill, Julio, Brown und Henry haben, ist das ein extrem unangenehmer Gegner, der an einem guten Tag jedes AFC-Team schlagen kann.
  3. Ravens: Wenn ich heute Geld auf den AFC-North-Divisionssieger setzen müsste, dann würde ich bei meinem Preseason-Tipp Baltimore bleiben. Lamar Jackson bleibt für mich ein MVP-Kandidat, Baltimore hat einen der besten Coaching Staffs in der NFL, Rashod Bateman wird ein größerer Faktor und die Defense kann gefährlich sein, auch wenn Marlon Humphrey am Sonntag von Ja'Marr Chase mehrfach geschlagen wurde.
  4. Bengals: Ja, das war ein Statement-Sieg gegen Baltimore, und Cincinnati klettert wie gesagt damit in diese breite Spitzengruppe in der AFC. Würde ich sie damit über die Ravens für die weitere Saison setzen? Nein, und der Tie-Breaker ist für mich der Coaching Staff. Aber die Bengals könnten mit ihrer offensiven Feuerkraft und der Defensive Line ein sehr unangenehmer Playoff-Gegner werden.
  5. Chargers: Das Ravens-Spiel war bitter, ich habe zunehmend den Eindruck, dass die Chargers noch "ein Jahr weg" sind. Nicht davon, Playoffs zu spielen oder auch die Division zu gewinnen - aber davon, ganz oben anzugreifen. L.A. braucht mehr Qualität in der Defensive Line, vielleicht einen weiteren Wide Receiver, noch mehr Sicherheit zwischen Play-Caller und Herbert. Aber die Richtung stimmt.

Cleveland, Kansas City und die Raiders wären dann die Gruppe danach, wobei ich gerade bei Las Vegas beeindruckt bin von dem, was das Team seit dem Rücktritt von Jon Gruden zeigt - Stand heute würde ich die Raiders an 6 setzen. Carr spielt gut, und dieses Team hat Charakter, das lässt sich festhalten.