Die Tampa Bay Buccaneers haben ihre Division vorzeitig gewonnen, gehen aber nach dem Antonio-Brown-Fiasko und einer prekären Personalsituation angeschlagen in die Playoffs. Wie können die Defizite behoben werden und sind sie immer noch ein großer Favorit in der NFL?
Nach einer langen Saison steht der amtierende Super-Bowl-Champion Tampa Bay Buccaneers schon eine Woche vor Ende der Regular Season als Gewinner der NFC South - und das erstmals seit 2007 - fest. In Woche 18 geht es nur noch um die Frage, wo genau sie sich auf der Setzliste einreihen werden, von Rang 2 bis 4 ist noch alles drin. Entsprechend entspannt könnte das Leben im Norden Floridas also sein.
Eigentlich, wenn da nicht die tickende Zeitbombe namens Antonio Brown das getan hätte, was solche nun mal tun - nämlich irgendwann explodieren. Im Fall von Brown war es naturgemäß besonders spektakulär, schließlich hat wohl noch kein Spieler vor ihm so spektakulär hingeworfen und sein Team verlassen.
Brown hatte offenkundig eine verbale Auseinandersetzung mit Head Coach Bruce Arians und anderen Mitgliedern des Trainerstabs - die genauen Details variieren basierend darauf, wen man fragt und wem man Glauben schenken will -, woraufhin er während des laufenden Spiels der Bucs im MetLife Stadium gegen die New York Jets sein Trikot, seine Ausrichtung und selbst sein - letztes - Unterhemd auszog und auf die Tribüne feuerte.
Anschließend marschierte er durch eine der Endzonen schnurstracks in die Kabine und wart nicht mehr gesehen - bis er sich dann auf Instagram wieder zu Wort meldete, versteht sich.
So verrückt das nun alles klingt, so erwartbar war zumindest mal eine derartige oder zumindest vergleichbare Aktion mit AB aber allemal. Schließlich ist seine Skandalakte lang und Arians hatte im Zuge von Browns Verpflichtung im Jahr 2020 noch betont, dass jener eine sehr kurze Leine haben würde.
Fake-Impfnachweis war nicht genug für einen Brown-Rauswurf
"Wenn er sich einmal einen Fehltritt erlaubt, fliegt er raus", waren die Worte des Coachs, der Brown bereits aus gemeinsamen Tagen in Pittsburgh kannte, damals.
Stand heute wissen wir aber auch, dass diese Worte recht dehnbar waren. Denn für seinen Fake-Impfnachweis, der vor wenigen Wochen erst ans Licht gekommen war, flog Brown nicht raus. Stattdessen wurde er scheinbar ohne großes Murren wieder im Team begrüßt. Ein Umstand, der allerdings auch mit dem Timing zu erklären wäre, denn erst kurz vor Browns Rückkehr, die Arians zumindest öffentlich lange offen gelassen hatte, verletzte sich Wide Receiver Chris Godwin schwer am Knie und wird in dieser Spielzeit nicht mehr zurückkehren.
Entsprechend durfte Brown bleiben und wählte letztlich die noch größere Lösung für seinen endgültigen Abschied, wenn man so will.
Das führt die Bucs allerdings zu einem weitaus größeren Problem als nur den schlechten Look, den Browns finaler Akt PR-technisch mit sich bringt. Denn nun fehlt nicht nur Godwin, dessen Ausfall gerade Brown sehr gut kompensieren konnte. Nun fehlt auch noch der ideale Ersatzmann des Starspielers, was die Personallage der Bucs zwei Wochen vor den Playoffs in arge Bedrängnis bringt.
Bucs: Godwin fehlt, Evans angeschlagen
Godwin wird nach seinem Kreuzbandriss in dieser Saison nicht mehr spielen, dazu ist X-Receiver Mike Evans immer noch eingeschränkt aufgrund seiner Verletzung am hinteren großen Oberschenkelmuskel. Und seit Sonntag steht auch ein enormes Fragezeichen hinter gleich vier Running Backs, die für die immer noch Run-lastige Offense der Bucs so wichtig sind.
Leonard Fournette (Oberschenkel) wird wohl für die Playoffs von IR zurückkehren, doch wer weiß in welchem Zustand. Zudem hat es Ronald Jones nun am Knöchel erwischt, Ke'Shawn Vaughn plagt eine Rippenverletzung und Gio Bernard steht mit Knie- und Hüftproblemen derzeit auf IR. Gesund ist damit vor Woche 18 eigentlich nur Neuzugang Le'Veon Bell, bei dem absolut unklar ist, was er noch im Tank hat.
Und da reden wir nur über die Offense, in der Defense fehlen Stars wie Edge-Rusher Shaq Barrett und Linebacker Lavonte David neben weiteren Leistungsträgern in der Secondary. Immerhin sieht es da so aus, dass die Genannten wohl ebenfalls Mitte Januar zurück sein könnten.
Buccaneers: Super-Bowl-Run 2020 ohne große Ausfälle
Einer der Gründe für den beeindruckenden Super-Bowl-Run des Vorjahres war sicherlich die Tatsache, dass die Truppe im Grunde vollständig fit war und die wichtigen Leute in den entscheidenden Spielen in Topform spielten. Von der tiefen Receiver-Gruppe über die breite Secondary bis hin zur dominanten Front.
Das allerdings sieht aktuell nicht so aus. Und da stellt sich zuvorderst die Frage, wie Tampa Bay mit der neuen Realität fertig werden könnte. Zumal Brown ein Lieblings-Target von Tom Brady war.
Mehr noch: Brown hob rein sportlich betrachtet das Niveau dieser Offense gehörig an. Zählt man den späten Sieg über die Jets nicht mit, verpasste AB in dieser Spielzeit neun Spiele, von denen die Bucs deren vier verloren und offensiv teilweise verloren wirkten - so etwa beim Shutout gegen die Saints. Mit ihm hingegen sind sie ungeschlagen.
Wie also lässt sich Browns Abgang und der Verlust von Godwin, der mit 127 die mit Abstand meisten Targets aller Bucs-Receiver sah, kompensieren?
Die gute Nachricht ist in erster Linie, dass Brady den Ball ohnehin sehr gut verteilt und bekanntermaßen nicht auf einzelne Top-Receiver angewiesen ist. So zu sehen bereits gegen die Jets, als No-Name-Receiver Cyril Grayson, der vor dieser Saison nur einen Pass in der NFL gefangen hatte - im Jahr 2019 - plötzlich zum Helden wurde mit seinem 33-Yard-Touchdown-Catch 15 Sekunden vor Schluss.
Er könnte eine größere Rolle einnehmen, ebenso Tyler Johnson, der unter den Wide Receivern hinter Godwin, Evans und Brown die meisten Targets in dieser Saison hatte.
Ebenso dürfte Veteran Breshad Perriman mehr in den Vordergrund rücken und Scotty Miller wäre auch noch da. Jener fiel in dieser Saison in der Hackordnung trotz seines Hail-Mary-Touchdowns im Championship Game des Vorjahres zur Halbzeit in Green Bay gänzlich hinten runter (8 Targets) und könnte nun vielleicht doch wieder eine Chance erhalten.
gettyBuccaneers: Brady und Gronk müssen es wieder mal richten
Ansonsten liegt die Vermutung nahe, dass Tight End Rob Gronkowski wieder eine größere Rolle einnehmen wird. Gronk führte die Bucs am Sonntag mit 7 Receptions für 115 Yards an und ist im aktuellen Personal die natürliche Nummer-2-Option hinter Evans, der sicherlich bei jedem Gegner unter besonderer Beobachtung außen stehen wird. Die Frage wird allerdings sein, wer im Slot agieren und als Bradys Sicherheitsnetz fungieren wird - eine Rolle, für die Godwin und eben Brown nun mal prädestiniert waren.
Die Bucs zählen immer noch zu den Favoriten auf den erneuten Einzug in den Super Bowl. Nach dem Playoff-Modell der New York Times haben sie immer noch eine zehnprozentige Chance, das Big Game zu erreichen - aus der NFC stehen nur die Packers (16 Prozent) besser da.
Tampa hat bis dato eine gute Saison gespielt und ist auch zahlentechnisch immer noch Spitze - Football Outsiders etwa hat sie auf Rang 2 in Sachen Total DVOA (29,5 Prozent) und sogar auf 1 in der Offense (25,3 Prozent), während sie defensiv immerhin Rang 7 (-6,4 Prozent) belegen.
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Tom Brady: Statistiken im NFL-Vergleich bis Woche 17 2021
Statistik | Wert | Liga-Rang |
Pass-Versuche | 682 | 1. |
Completions | 456 | 1. |
Passing Yards | 4990 | 1. |
Touchdowns | 40 | 1. |
Total EPA | 152,6 | 3. |
EPA/Play | .204 | 4. |
DYAR | 1693 | 1. |
DVOA (in Prozent) | 24,5 | 2. |
QBR | 66,7 | 2. |
PPF Grade | 91,4 | 2. |
Das Gesamtpaket stimmt somit, auch wenn das Fundament im Vergleich zum Vorjahr sicherlich nicht mehr ganz so stabil daherkommt. Doch unterm Strich haben sie weiterhin die ultimative Playoff-Trumpfkarte - die mit der Nummer 12 auf dem Trikot und sieben Ringen an der Hand.
Wenn es einem gelingt, auch mit vermindertem Personal noch erfolgreich zu sein in den Monaten Januar und Februar, dann ist es Tom Brady. Ganz besonders natürlich hinter einer imposanten Offensive Line, die den Bucs nach wie vor zur Verfügung steht.
Und zur Erinnerung: Auch im Vorjahr ging Tampa Bay nicht als absoluter Topfavorit in die Playoffs. Damals hatten sie als Nummer 2 der eigenen Division nicht mal ein Heimspiel - bis zum Heim-Super-Bowl. Abschreiben sollte man dieses Team auf keinen Fall. Aber der Weg zur Titelverteidigung wurde über die letzten drei Wochen um ein Vielfaches schwieriger.