Für viele wird die größte Erkenntnis des Titelgewinns der Rams so lauten: Der All-In-Ansatz hat sich am Ende des Tages ausgezahlt. Und im Super Bowl waren es natürlich auch die großen Stars, die dieses Spiel gewonnen haben - wenn auch mit Cooper Kupp und Aaron Donald die beiden Stars in diesem Team, die nicht mehr oder weniger teuer eingekauft wurden.
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Los Angeles war in den vergangenen Jahren selten zurückhaltend, wenn es darum ging, das eigene Team mit Hochkarätern zu verstärken. Dieses Jahr wurde der Ansatz mit den Moves von Matthew Stafford über Von Miller bis hin zu Odell Beckham ohne Zweifel nochmals auf eine andere Ebene gehoben.
Ein Super-Bowl-Titel ist häufig gleichermaßen der Anfang von etwas Neuem, sowie die Fortsetzung dessen, was wir gerade gesehen haben. Ersteres würde nahelegen, dass die Rams ihr Ziel mit dem Titel erreicht haben und jetzt langsam aber sicher die Weichenstellungen für eine neue Ära erfolgen. Letzteres wiederum, dass andere Teams jetzt versuchen, den All-In-Ansatz der Rams zu kopieren.
Das halte ich per se aber für eine sehr gefährliche Schlussfolgerung aus dieser Saison. Nicht nur, weil die Verlockung Jahr für Jahr viel zu groß ist, aus einzelnen Spielen übergreifende Schlüsse zu ziehen.
Dennoch passiert es immer wieder. Die Offensive Line der Chiefs im vergangenen Super Bowl und alles, was danach mit dieser Unit passierte, wäre das jüngste Paradebeispiel dafür. Und der eine oder andere wird sich noch an den Backup-Quarterback-Hype erinnern, nachdem Nick Foles für die Philadelphia Eagles einen der kuriosesten und unerklärlichsten Super-Bowl-Auftritte überhaupt hingelegt hatte.
Inwieweit werden Teams die Rams kopieren?
Vor allem komme ich spezifisch bei den Rams immer wieder darauf zurück, dass dieses Team eine einzigartige Ausgangslage hatte, um diesen letzten extremen All-In-Schritt vorzunehmen. Eine Ausgangslage bestehend aus Headcoach Sean McVay, Aaron Donald, einer guten Offensive Line, Jalen Ramsey und vielen Mid-Round-Picks, die eingeschlagen haben. Ich hatte nach dem NFC Championship Game bereits darüber geschrieben.
Selbstredend kann man dann noch anfügen: Wie würden diese Storyline und die entsprechenden Takeaways wohl aussehen, wenn 49ers-Safety Jaquiski Tartt das hanebüchene Geschenk einer Interception von Stafford im Championship Game auch tatsächlich angenommen und gefangen hätte?
Ich erwarte auch nicht, dass auf einen Schlag mehrere Teams in der jetzt offiziell angekommenen Offseason alle ihre Ressourcen in die Hand nehmen, um sofort um jeden Preis ein Titelfenster aufzustoßen.
Aber wenn wir den Rams-Ansatz als Takeaway für andere Teams etwas aufweichen und als "All-In" im ersten Schritt eine höhere Bereitschaft für mehr Aggressivität definieren? Das kann ich mir durchaus vorstellen.
Dass Teams mehr gewillt sind, auf die Jagd nach Superstars zu gehen. Und vor allem, dass Teams mehr Bereitschaft an den Tag legen, stets auf der Suche nach dem Quarterback-Upgrade zu sein, solange sie keinen klaren Top-10-Quarterback haben.
Dass Teams außerdem erkennen, wie sehr es die Offense auf ein neues Level heben kann, wenn man um den jungen Franchise-Quarterback herum eine spektakuläre Receiver-Gruppe aufbaut.
Machen McVay und Donald jetzt Schluss?
Der nächste logische Gedankengang - andere Teams werden das ebenfalls genau beobachten - ist dann: Wie geht es für die Rams, nachdem der All-In-Ansatz zu diesem Titel geführt hat, weiter? Ein Team, das für die kommende Saison Stand heute rund 13,5 Millionen Dollar über dem Cap liegt, während Starter wie Von Miller, Austin Corbett, Odell Beckham, Darious Williams oder Sebastian Joseph-Day Free Agents werden.
Rund um Aaron Donald kursierten derweil aus der Vorberichterstattung auf das Spiel Gerüchte, dass er seine Karriere im Falle eines Sieges beenden könnte. Und Rams-Coach Sean McVay lieferte wenige Tage vor dem Spiel ebenfalls einige interessante Zitate. "Ich liebe das hier so sehr, und es ist so eine große Leidenschaft", antwortete McVay auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, bis in seine 60er hinein zu coachen.
Weiter: "Aber ich weiß auch, was ich von einigen meiner engsten Freunde gesehen habe, ob Coaches oder auch einige unserer Spieler. Ich werde in diesem Sommer heiraten, ich will eine Familie haben und diese Balance finden. Ich hatte immer diesen Traum, ein Vater zu sein und ich kann die Zukunft nicht vorhersagen."
McVay holte noch weiter aus, er sprach am Freitag über seinen Vater, der in seinen Augen "ein unglaublicher Coach" geworden wäre, aber diesen Pfad nie verfolgt habe, weil ihm klar war, welchen zeitlichen Aufwand das mit sich bringen würde. Etwas, das McVays Vater am eigenen Leib erfahren hat: Dessen Vater - Sean McVays Großvater - war unter anderem Head Coach der New York Giants und General Manager der San Francisco 49ers.
"Ich weiß, wie viel Zeit einem während dieser Phase des Jahres weggenommen wird, und das habe ich miterlebt, als ich aufgewachsen bin", führte McVay weiter aus. Die Entscheidung seines Vaters, diesen Weg nicht weiter einzuschlagen, blieb dementsprechend bei ihm hängen: "Das habe ich nie vergessen, und an irgendeinem Punkt will ich eine Familie haben."
Der Super-Bowl-Titel öffnet neue Perspektiven
McVays Vertrag läuft noch bis zum Ende der 2023er-Saison, bereits vor der Saison hatte er in einem Podcast über das Thema Burnout, den Erwartungsdruck und die Schwierigkeit, diese Dinge auszubalancieren, gesprochen.
Ich erwarte nicht, dass er mit dem Ring in der Tasche Hals über Kopf seinen Posten aufgeben und die Branche wechseln wird, um seine Work-Life-Balance in ein besseres Gleichgewicht zu bekommen.
Gut möglich, dass McVay das Fenster mit dem aktuellen Kern um Stafford, Donald, Ramsey und Kupp noch für ein, zwei Jahre ausreizen möchte, ehe es an die konkrete Familienplanung geht.
Doch der Titelgewinn öffnet eine Tür für McVay, die er womöglich selbst verschlossen gehalten hätte, solange er keinen Super Bowl gewonnen hat.
Wie lautet das Fazit zu dieser NFL-Saison?
Was bleibt also als Fazit zu dieser Saison, was nehmen wir mit? Mit Blick auf die Playoffs ist mir nochmals mit Nachdruck aufgefallen, wie elementar wichtig ein tiefes Waffenarsenal ist. Die Cowboys und Bucs mussten das eindeutig erkennen, während es für Cincinnati auf die Saison gesehen mit die größte Trumpfkarte war. Und im Super Bowl war dann zu sehen, wie das Spiel der Rams litt, als Odell Beckham Jr. verletzt raus musste.
Sicher muss man außerdem konstatieren, wie schwer es ist, in der NFL Erfolg zu haben und Playoff-Runs hinzulegen, solange man keinen Top-Quarterback hat.
Kyle Shanahan mit Jimmy Garoppolo in San Francisco wäre die eine Ausnahme hier, und es ist wenig überraschend, dass viele Teams Shanahans und McVays Trainerstäbe plündern, um diese Quarterback-freundliche Offense ebenfalls zu bekommen.
Die Ironie dahinter mit Blick auf diese Saison ist, dass McVay wie auch dessen einstiger Assistent und Bengals-Coach Zac Taylor die Stützräder zu diesem offensiven Ansatz abgenommen haben, weil sie Quarterbacks gefunden hatten, mit denen das möglich war.
Und mindestens im Fall der Bengals kann man klar sagen, dass sie es nicht in den Super Bowl geschafft hätten, hätten sie diesen Schritt nicht vollzogen. Bei den Rams derweil war überdeutlich geworden, dass mit Jared Goff Scheme und Play-Caller zu viel der Last schultern mussten, als dass man damit nachhaltig um einen Titel mitspielen hätte können.
Erst mit Stafford, trotz seiner Inkonstanz und auch wenn McVay im Super Bowl selbst für seine Verhältnisse krampfhaft am Run Game festhielt, was die Rams beinahe das Spiel gekostet hätte, änderte sich diese Gleichung.