Wenn ein Team eine seit Jahren - wenn nicht Jahrzehnten - festgeschriebene Identität hat, ist es als neuer Head Coach nicht leicht, diese zu ändern. Öltanker und Bremswege und so. Aber wenn du schon ein Jahr und zwei Offseasons hattest und drei Viertel vom Kader schon aus deinen Guys besteht, und du und dein Coaching Staff vor der Saison große Ankündigungen von einer neuen, taffen Kultur und dem Ende der bisherigen Unzulänglichkeiten gemacht hast, dann ist die zweite Saison auch ein Referendum über deine Fähigkeit als Leader.
Arthur Smith sah in der Kategorie am Sonntag nach der bitteren 26:27-Niederlage der Falcons gegen die Saints nicht gut aus: Auf berechtigte Nachfragen zu seiner - wiederholt - konservativen Vorgehensweise bei späten Führungen reagierte er bissig und angriffig. Er richtete den anwesenden Journalisten aus, dass sie gern weiter Nachrufe wie im Mai schreiben können, und das Team an 45. Stelle (von 32?) platzieren sollen, dass sie aber sicher nicht aufgeben werden. Klapps auf das Podiums-Pult, Abgang, keine weiteren Fragen.
Saints vs. Falcons: Das ganz normale vierte Viertel
Die Nachfrage war berechtigt, da Smith - wie schon in seiner Rookie-Saison mehrmals - im vierten Viertel mit einer Führung die nötige Aggressivität nicht zeigte, die in der heutigen NFL nötig ist, um bestehen zu können. Ein absichtliches Delay of Game (mit folgendem Punt) an der 50 bei 8 Punkten Vorsprung 7:12 Minuten vor dem Ende war da noch vergleichsweise harmlos.
Dasselbe noch einmal an der Saints-42 bei 2 Punkten Vorsprung und nur einem Yard zu gehen bei 54 Sekunden auf der Uhr zu machen, war schon eher haarsträubend. Circa 9 Prozent Win Probability gingen hier drauf, laut Ben Baldwins 4th Down Calculator.
Auch defensiv waren Rufe nach einer zu soften Coverage zu hören am Sonntag. Laut TruMedia war das vierte Viertel aber mit 35,7 Prozent Blitz-Rate aggressiver als die erste Hälfte. Individuelle Fehler wie Casey Heywards Coverage von Jarvis Landry waren hier eher die Ursachen.
Arthur Smith: "Hätte ich anders formulieren können"
Montag zeigte sich Smith dann etwas versöhnlicher mit den Medien. Er gab zu, dass er in dem Moment zu emotional wurde, und, dass er niemanden der anwesenden anklagen hätte sollen. Er machte klar, dass er es anders hätte formulieren können, und, dass ein wichtiger Teil von Objektivität auch Selbstkritik ist, womit er bei sich ansetzt.
Dass Smith den Medienumgang reflektiert, ist schön und gut. Als Team-Culture-Rah-Rah-Guy kannst du nicht angebissen Medien-Zitate bringen nach einer Niederlage, bei der du maßgeblich mit Schuld hast.
Falcons: Schlechte Prozesse mit schlechten Resultaten
Dass Smith aber so viel mehr Wert legt auf Nachrufe im Mai anstatt auf Weiterentwicklung seines eigenen Coachings und seiner strategischen Entscheidungen, ist aber für die Zukunft des Teams leider bitter. Für seine Punt-Entscheidung gab es keine Reflexion jenseits von: "Rückblickend hätte ich es anders gemacht."
Dass gerade der Punkt von objektiver Analyse in solchen Fällen der ist, dass es eben nicht um das Resultat gehen sollte, scheint sich Smith völlig zu entziehen. Natürlich will jeder Coach rückblickend betrachtet schlechte Calls ändern. Gute Coaches ändern aber ihre Prozesse so, dass sie bei gutem und schlechtem Resultat über längere Zeit positiven Wert generieren. 4th and 1 auszuspielen, geht vielleicht manchmal schlecht aus. Aber an einem Tag, an dem du überraschenderweise die Line of Scrimmage dominiert hast, und das eine Yard den Sieg bedeutet hätte, während deine Defense gerade zwei lange Touchdown-Drives erlaubt hat und sichtlich nicht zurecht kommt, solltest du dich trauen können, das Spiel mit deiner Offense zu gewinnen.
Das Bittere ist, dass Smith sonst in Woche 1 einen sehr guten Job gemacht hat. Die Falcons haben weit über ihren Verhältnissen gespielt und als beinahe 6-Punkte-Underdog locker den Spread gecovert. Es gab einen Pass Rush für 45 Minuten, es gab exotische Dean-Pees-Pressure-Packages und es gab eine funktionale Offense, und das obwohl Saints-Head-Coach Dennis Allen Kyle Pitts gut im Griff hatte. Die Falcons haben mit ihrer, sagen wir, nicht sehr talentierten Offensive Line gut im Lauf geblockt und keinen Sack erlaubt gegen die sehr formidable Saints-Front-Seven. Niemand in Atlanta kann sich erinnern, wann das das letzte Mal gegen die Saints passiert ist.
Durch all das wären die Falcons durchaus in der Lage, ein anderes Team als das 2021er zu werden, welches Spiele gewann, obwohl es schlecht spielte. Aber so lange Smith nicht auch bei sich Entwicklungen zeigt, wird das Ceiling jenes von Woche 1 sein: Vielleicht angriffslustig, vermutlich verloren, verdammt frustrierend.