Dank eines Trainerwechsels und einer offenbar erfolgreichen Offseason sind die Jacksonville Jaguars drauf und dran, vom Chaosklub zu einem echten Playoff-Anwärter zu werden. Der Schlüssel zur enormen Entwicklung ist Quarterback Trevor Lawrence, der unter Doug Pederson regelrecht aufblüht.
Die Jacksonville Jaguars sind wohl die größte Überraschung der laufenden NFL-Saison. Anders als zuvor spielen sie erfrischenden Offensiv-Football, zeigen einen klaren Plan und haben mit Trevor Lawrence einen jungen Quarterback, dem man schon jetzt einen gewaltigen Sprung im zweiten Jahr attestieren kann. Und das schlägt sich auch in der Tabelle nieder - mit 2-1 führt man die AFC South an und ist erstmals seit 2017 wieder ein ernstzunehmender Contender in dieser Division.
"What a difference a year makes", sagt der Amerikaner gern in einer Version dieses berühmten Sprichworts. Vor einem Jahr zu dieser Zeit standen die Jaguars 0-3 auf dem Weg zu einer insgesamt verheerenden 3-14-Saison. Es funktionierte nicht allzu viel und Head Coach Urban Meyers Team machte schon damals einen desolaten Eindruck.
Ach ja, Urban Meyer. Der überaus erfolgreiche College-Football-Coach, der mit Florida und Ohio State insgesamt drei nationale Meisterschaften gewann, war die große Lösung von Teameigner Shahid Khan als Nachfolger des biederen Doug Marrone, der bis auf seinen Championship-Game-Trip 2017 nicht allzu viel vorzuweisen hatte.
Meyer sollte neuen Glanz, neuen Schwung nach Duval bringen. Meyers großer Name schien genau das Richtige für den Aufbruch in bessere Zeiten zu sein, für eine Organisation, die seit ihrer ersten Saison 1995 immer mal wieder sporadisch erfolgreich war, dazwischen aber abgrundtief schlecht agierte.
Jacksonville Jaguars: Meyer sorgte schon Camp für Unmut
Meyer kam für den aufmerksamen Beobachter mit einigen Leichen im Keller, doch all die Geschichten lagen Jahre zurück und passierten ohnehin nicht im Dunstkreis der NFL, wen interessierte das also schon? Wie wir heute wissen, waren sie jedoch Vorboten für das, was dann passierte. Meyer nämlich entpuppte sich schon früh als Desaster.
Schon aus dem Training Camp war zu hören, dass seine Art bei den Spielern nicht sonderlich gut ankam. Als die Saison dann losging, zeigte sich umso deutlicher, wie schwierig die Bedingungen für alle Beteiligten unter Meyer waren. Es war die Rede von Assistenzcoaches, die permanent unter Druck standen, weil ihnen Meyer vor versammelter Mannschaft mit Kündigung drohte. Und auch vor Spielern machte er mit diesem Verhalten keinen Halt.
Richtig peinlich wurde es, als Meyer nach der Pleite in Woche 4 in Cincinnati nicht mit dem Team nach Hause flog, sondern in seinem dortigen Restaurant verblieb, bis in die Nacht feierte und letztlich dabei gefilmt wurde, wie er eine junge Frau - nicht seine Ehefrau! - öffentlich begrabschte. Die Aktion veranlasste Khan dazu, sogar ein öffentliches Statement abzugeben und seinen Coach damit anzuzählen.
Auf dem Feld zeigte sich derweil eine meist konfuse Truppe, die mit wenig Plan auftrat und vor allem der hochgelobte Nummer-1-Draftpick Trevor Lawrence wirkte fehl am Platz. Er machte zahllose Fehler, sah meist überfordert aus. Fortschritte waren nicht zu erkennen und so verlor das Team Spiel um Spiel, was aber nicht dazu führte, dass an Meyers Stuhl gesägt wurde.
Nein, dafür sorgte Meyer schon selbst! Es kam raus, dass Meyer Kicker Josh Lambo im Training getreten hat. Das löste den nächsten Skandal aus. Dafür wurde er dann entlassen. Die finalen vier Spiele leitete schließlich Interims-Head-Coach Darrell Bevell.
Bevell und Brian Schottenheimer waren die Offensivcoaches, die Meyer anheuerte, um die Offense und Lawrence zu entwickeln und anzuführen. Beide waren nicht bekannt dafür, moderne Offenses zu designen, wie ein Blick in ihre VIta verrät. Beide waren Teil des Problems, wie wir heute wissen.
gettyJacksonville Jaguars: Neuer Coaching Staff hilft Trevor Lawrence
Denn heute unter Head Coach Doug Pederson ist Press Taylor, ein anerkannter QB-Pflüsterer, der Offensive Coordinator und damit direkt für Lawrence und dessen Entwicklung verantwortlich.
Überhaupt war Pederson, der einst die Eagles sensationell zum Erfolg in Super Bowl LII geführt hatte, scheinbar genau der Richtige, um den Scherbenhaufen dieser Organisation aufzufegen.
Pederson weiß noch aus seiner Zeit in Philly, wie man erfolgreiche Mannschaften aufbauen kann. Der wichtigste Punkt neben einem durchdachten Offensiv-Scheme, das nun vorhanden ist, ist das Drumherum. Wenn man einen Quarterback hat, der noch einen Rookie-Vertrag besitzt, maximiert man dessen Talent am besten damit, dass man ihn mit guten Spielern umgibt.
Die Jaguars taten genau das in der Offseason. Eine Offseason im Übrigen, die gar nicht so einfach war, denn aus neutraler Sicht betrachtet, gaben die Jaguars zwar viel Geld aus, holten jedoch nicht unbedingt die großen Unterschiedsspieler. Sinnbild ist Wide Receiver Christian Kirk, der den höchstdotierten Vertrag aller Receiver in dieser Free Agency bekommen hat. Doch auch wenn er kein Star ist, scheint er derzeit Lawrences bester Receiver zu sein und hilft dieser Offense im Slot, den Ball konstant zu bewegen.
Guard Brandon Scherff half, die Offensive Line zu stabilisieren und defensiv sind die vermeintlich überteuerten Neuzänge Defensive Tackle Folorunso Fatukasi und Linebacker Foyesade Oluokun schon früh zu Leistungsträgern aufgestiegen, an denen sich die jungen Nebenleute wie Edge Rusher Travon Walker und Linebacker Devin Lloyd aufrichten können.
Letztere wiederum stehen stellvertretend für die insgesamt gute Draftklasse des Teams. Aus dieser gingen nun drei frühe Starter hervor, wenn man noch Center Luke Fortner dazu zählt. Und Linebacker Chad Muma spielt ebenfalls eine gute Rolle, was die Special Teams angeht.
Jacksonville Jaguars: Pederson macht vorhandenes Personal besser
Hinzu kommt, dass durch die klareren Strukturen und sicher auch die entspanntere Atmosphäre, die Pederson geschaffen hat, nun auch das vorhandene Personal aufblüht. Running Back James Robinson, der von einem Achillessehnenriss zurückgekommen ist, spielt schon jetzt herausragend und hat schon 4 Touchdowns erzielt - ihn wollte der vorherige Coaching Staff mehrfach benchen, weil er Fumble-Probleme hatte. Edge Rusher Josh Allen scheint drauf und dran, mindestens mal auf sein starkes Rookie-Niveau 2018 zurückzukehren und die Youngster der Secondary machen ebenfalls schon früh einen stabileren Eindruck.
Das alles aber ist eben nur das Drumherum. Der wichtigste Schritt nach vorn musste von Lawrence kommen. Und nach drei Spielen kann man durchaus schon sagen, dass jener Schritt gemacht wurde.
Lawrence ging als Jahrhundert-Prospect in den Draft 2021 und weckte damit Erwartungen, die er aufgrund der widrigen Umstände in Duval nicht erfüllen konnte. Das Scheme war sehr statisch, was ein klarer Kontrast zu seiner Zeit bei Clemson war. Es gab nicht viele Varianten und man kam ihm eben auch nicht entgegen mit den Play-Designs. Darunter litt er merklich. Zudem nahm er vielleicht zu viel Risiko - laut PFF hatte er eine Turnover-worthy-Play-Rate von 3,7 Prozent, was die neunthöchste aller QBs der Liga war. Er warf 17 Interceptions - die meisten der Liga - und verlor 5 von 9 Fumbles.
In diesem Jahr steht er bei einer Interception in drei Spielen und seine TWP-Rate ging auf 2,4 Prozent runter, was die achtniedrigste Quote ist. Doch was hat sich geändert?
Zuvorderst hat sich Lawrences Spielverständnis verbessert. Er zeigte in den bisherigen Spielen, dass er nun den Blitz besser identifizieren kann. Zudem hat er nun die Freiheit, aus der Struktur - und aus der Pocket - auszubrechen und selbst Plays zu kreieren. Das macht er noch nicht allzu häufig, doch diese Situationen werden langsam mehr und haben positive Ergebnisse. Und - ganz wichtig - er hat nun ein Scheme um sich, das ihm in seiner Spielweise entgegen kommt und hilft.
gettyJacksonville Jaguars: Mehr offensive Möglichkeiten unter Pederson
In Pedersons Scheme hat der Quarterback grundlegend mehrere Optionen, oft werden High-Low-Konzepte genutzt, die Flat ist häufig besetzt, ebenso sorgt es dafür, dass Receiver schneller offen sind, sodass Lawrence den Ball nicht allzu lange halten muss. Lawrence hält den Ball im Schnitt nur 2,64 Sekunden laut Next Gen Stats. Das ist der siebtschnellste Wert in dieser noch jungen Saison. Und das hilft ihm auch, den Blitz effektiver zu schlagen.
Sein EPA/Dropback gegen den Blitz war 2021 noch gut genug für Rang 33 aller QBs mit genügend Dropbacks. In diesem Jahr steht er aktuell auf Rang 12 in dieser Bewertung. Je einfacher der Read, desto schneller kann der Pass folgen. Und damit sinken eben auch die Chancen für Blitzer, zum QB durchzudringen.
Und generell rangiert Lawrence dieser Tage ziemlich weit oben in den Advanced Stats. Er ist Sechster bei den EPA/Dropback, Erster in Success Rate und Zweiter bei der Completion Percentage over Expected, was allerdings auch ein Effekt des besseren Talents um ihn herum ist.
Lawrence hat nach einem Jahr im Niemandsland nun ein klar besseres Spielverständnis, eine Offense, die auf ihn zugeschnitten ist und daraus resultierend auch mehr Selbstvertrauen, was sich in einem sicheren Auftreten auf dem Feld widerspiegelt. Und wie wir alle wissen, ist ein Top-Quarterback, zu dem er sich gerade entwickelt, das A und O für ein erfolgreiches Team.
Trevor Lawrence: Statistiken 2022
Statistik | Wert | Liga-Rang |
Passquote | 69,4 Prozent | 6. |
Yards | 772 | 13. |
Touchdowns | 6 | 8. |
Passer Rating | 103,1 | 6. |
Total QBR | 71,1 | 7. |
EPA/Play* | 0,142 | 8. |
CPOE* | 2,2 | 10. |
Success Rate* | 52,3 Prozent | 52,3 Prozent |
*) Werte basierend auf neutralen Situationen, in denen das Spiel noch nicht entschieden ist.
Jacksonville Jaguars: Erster Härtetest Eagles
Wie gut dieses Konstrukt nun aber wirklich ist, erfahren wir vielleicht schon an diesem Sonntag, wenn die Jaguars zu einem der bisherigen Top-Teams der Saison, die Philadelphia Eagles, reisen. Es ist zudem ein Homecoming für Pederson, der die Eagles zu ihrem größten Triumph geführt hat. Von 2016 bis 2020 erreichte er dreimal die Playoffs, gewann den Super Bowl 2017 und war durchaus beliebt im Team.
2020 allerdings ging es im Unfrieden auseinander, auch weil Pederson damals nicht allzu souverän mit der Verletztenmisere und der Quarterback-Situation umgegangen war. Das sorgte für Unruhe, Carson Wentz fühlte sich letztlich verraten, als er zugunsten von Jalen Hurts auf die Bank musste und die daraus resultierenden Querelen führten schließlich zur Entlassung Pedersons.
Nun kehrt er zurück und könnte mit seinem neuen Team für die nächste Überraschung sorgen, wenn ein Erfolg über eines der aktuell dominantesten Teams (3-0) gelingen würde.
Und selbst wenn nicht, hat Pedeson schon eine gute Grundlage für den großen Turnaround der Jaguars gelegt. In einem Jahr wie diesem mit Problem aller Orten bei der direkten Konkurrenz in Indianapolis und Tennessee, könnte es sogar sehr weit gehen für Jacksonville.