Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 4 in der NFL

Von Adrian Franke
04. Oktober 202210:17
Lamar Jackson sieht nach Baltimores Niederlage gegen die Bills entsprechend bedient aus.getty
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Woche 4 in der NFL steht als Musterbeispiel für einen Offense-Trend, den wir aktuell erleben. Und der hat direkte Auswirkungen - ob in Seattle, Denver oder auch Kansas City. SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf den Spieltag.

Es ist kaum möglich, die NFL in diesem Jahr anzuschauen, und nicht zu dem Schluss zu kommen, dass wir uns mittendrin in einer klaren offensiven Zeitenwende befinden - und Woche 4 war das Sinnbild dafür.

Fünf Teams hatten in dieser Woche mehr Rushing-Yards als Net-Passing-Yards - und gewannen: Die Falcons (202 Rushing-Yards/131 Net-Passing-Yards), die Eagles (210/178), die Raiders (212/178), die Titans (127/116) und die Giants (262/71). Ein Team wie Seattle, das den Ball bemerkenswert effizient durch die Luft bewegte, taucht deshalb trotz 235 Rushing-Yards und einem Schnitt von 7,1 Yards pro Run hier nicht einmal auf.

Die Falcons hatten einen 10-Play-Touchdown-Drive mit zehn Runs in Folge. Kein einzelner war kürzer als vier Yards. Die Eagles lagen gegen Jacksonville früh deutlich hinten, doch während die Jags zunehmend große Probleme mit dem Regen in Philadelphia hatten, blieben die Eagles beim Game Plan - und liefen den Ball 50 (!) Mal für 210 Yards und vier Touchdowns. Es war der erste Spieltag dieser Saison, in der das Run Game nach EPA pro Play keinen negativen Wert hatte.

Nach vier Spielen kann man gut über bestimmte Trends sprechen, und keiner liegt in meinen Augen mehr auf der Hand als die Tatsache, dass offensive Production im Verhältnis zu vergangenen Jahren deutlich verhaltener ausfällt als über die letzten Jahre. Egal, ob man hier nach Total Stats, Dropback Success Rate, Red Zone Stats oder, aus anderer Perspektive betrachtet, dem Level an Quarterback-Play, das wir ligaweit dieses Jahr sehen, geht: Passing Offenses haben für das, was wir gewohnt sind, schon nahezu ungekannte Probleme.

Und zumindest ein Stück weit konnte man das erwarten, nachdem wir wochen- und monatelang darüber gesprochen haben, dass Defenses bessere Zugriffe finden. Dass 2-High-Shells, sowie Post-Snap Cover-2, Cover-4 und Cover-6 Offenses maßgeblich darin limitieren, wie sie zu Big Plays kommen können.

Die Cincinnati Bengals sind das Musterbeispiel für offensive Probleme, und in den letzten beiden Spielen gegen die Jets und gegen die Dolphins war klar zu sehen, dass die Offense Big Plays bekommt, wenn die Defense es zulässt - und nicht, indem die Offense diese forciert.

1. Das Thema dieser Saison? Das Run Game ist zurück

Nicht jedes Team hat so große Probleme wie die Bengals, aber das übergreifende Thema ist nicht von der Hand zu weisen: Offenses müssen andere Wege finden, um den Ball zu bewegen und ein zentraler Faktor dabei ist die Tatsache, dass man den Ball schrittweise bewegen muss, weil Big Plays viel schwieriger geworden sind.

Ein anderer zentraler Faktor ist die Tatsache, dass sich dem Run Game wieder mehr Räume bieten, weil Defenses so viele leichte Boxes anbieten.

Eine Folge daraus ist, dass das Run Game - das ist eine meiner Schlussfolgerungen dieser ersten vier Wochen - wieder mehr in der Lage ist, einer Offense einen konstanten Floor zu bieten. Wo in den vergangenen Jahren die Production im Passspiel zu dramatisch entfernt war von allem, was die Teams im Run Game leisten konnten, kommen sich diese beiden Aspekte näher: Passing-Offenses sind ineffizienter geworden, das Run Game konstanter. Während sich im Passspiel weniger Ansätze bieten als in vergangenen Jahren, bieten sich im Run Game mehr Ansätze.

Das führt auch dazu, dass Teams mit Game-Manager-Quarterbacks, deren Stärken gut mit einem Run Game harmonieren, in einem entsprechend runden Scheme im Moment offensiv explosiver auftreten können. Dazu gehören über diese ersten vier Saisonspiele die Seahawks, die Browns, die Lions, die Falcons und auch die Dolphins - fünf Offenses, die sich nach vier Spieltagen in der Top-10 in Expected Points Added pro Play befinden.

Die andere Beobachtung ist, dass Offenses sehr vielseitig in ihren Run Schemes sind und unterschiedlichste Ansätze aktuell Erfolg haben - eben nicht nur die Outside-Zone-Offenses, was über die vergangenen Jahre häufig zu beobachten war.

Die oben genannten Beispiele könnte man auch mit den Umständen erklären. Die Falcons haben keinen guten Quarterback, genau wie die Giants, die sogar die Wildcat auspackten, die Eagles haben sich an die äußeren Bedingungen angepasst, und so weiter.

Aber zum einen würde das nicht ansatzweise dem gerecht werden, was wir in der bisherigen Saison gesehen haben. Und außerdem gibt es auch diese Woche wieder ein prominentes Beispiel vom ganz anderen Ende des Spektrums, welches dieses Gegenargument zusätzlich entkräftet: Die Kansas City Chiefs.

Die Chiefs bestechen durch Vielseitigkeit

Die Chiefs liefen gegen die Bucs den Ball nicht "einfach nur" für 189 Yards, bei einem Schnitt von 5,1 Yards. Es war auch die Art und Weise, wie sie zu diesen Stats kamen.

Was einen bei den Chiefs förmlich anspringt, ist die Vielseitigkeit im Run Game. Counter, (Offset-)I-Formations, Pin/Pull-Runs, Zone-Blocking, und dann in Kombination damit Under Center Play Action und Run Pass Options - die Chiefs fahren zunehmend eine volle Kapelle am Boden auf, und dabei wirkt es nicht so, als würden all diese Plays in Isolation stattfinden.

Der Touchdown-Drive Mitte des ersten Viertels war ein gutes Beispiel dafür.

Die letzten drei Plays in diesem Drive waren ein Zone-Run von Edwards-Helaire über 20 Yards, der längste Run in diesem Spiel, ein QB-Option-Run von Mahomes, bei dem der Edge-Verteidiger gelesen wurde und Mahomes noch die Option für einen Pitch zum Running Back gehabt hätte, sowie der Touchdown-Run aus der Wildcat, mit McKinnon als "Quarterback" und zusammen mit Kelce und Edwards-Helaire im Backfield.

Gerade was KC mit all seinen Pull-Blockern macht, funktioniert gut mit den ganzen Jet-Motion-Plays in dieser Offense, und der Druck auf Mahomes und das Passspiel generell, immer wieder lange Drives mit vielen kurzen Pässen aufziehen zu müssen, wird deutlich verkleinert. Nicht, dass Mahomes und Co. das nicht könnten, aber es ist mühsam aktuell; das Colts-Spiel war das ideale Beispiel dafür, als Mahomes mehrfach den Ball sehr lange hielt, weil er keine offenen Receiver fand.

SPOXNFL Gamepass

Die Chiefs-Offense als neues Paradebeispiel?

All das soll nicht heißen, dass die Chiefs dieses Spiel auf dem Rücken des Run Games gewonnen haben. Nahezu alle Big Plays kamen durch die Luft, Mahomes hatte mehrere absurde Plays, und ohne seine Extraklasse hätte dieses Spiel auch an mehreren Punkten in eine andere Richtung laufen können.

Die Completion bei 3rd&1 (8:14, 1. Viertel), als Carlton Davis blitzte und buchstäblich an Mahomes dran hing, der aber stehen blieb und den Ball noch an einem heran eilenden zweiten Verteidiger vorbei zu JuJu Smith-Schuster brachte. Der Quick Shot zu Kelce bei 3rd&10 (7:28, 1. Viertel) bevor die in der A-Gap aufgestellten Linebacker genügend Tiefe bekommen konnten. Oder natürlich der absurde Touchdown-Pass zu Edwards-Helaire, den mittlerweile jeder gesehen haben dürfte.

Aber darum geht es auch gar nicht. Wie ich in der Einleitung schon geschrieben hatte, die Offenses, die mich am meisten in dieser Hinsicht beeindruckt haben, sind die Teams, die das Run Game in erster Linie nutzen können, um den Floor ihrer Offense anzuheben. Die gut darin sind, die Räume, die Defenses ihnen bieten, mit einem effizienten Run Game zu attackieren. Das Ceiling kommt nach wie vor durch das Passspiel, und die Art und Weise, wie die Chiefs das am Sonntagabend umgesetzt haben, fand ich sinnbildlich dafür.

Als kleine Ergänzung: Ich fand es erneut auffällig, dass die Tackle-Situation problematisch bleibt. Beide Tackle-Spots bei den Chiefs sind mir in Pass-Protection bisher in dieser Saison mehrfach negativ aufgefallen. Insbesondere Orlando Brown wird es helfen, wenn das Run Game einen höheren Floor bereitstellen kann.

2. Ist Seattles Offense mit Geno Smith besser dran?

Wahrscheinlich ist es angebracht, hier mit einer einfachen Aussage einzusteigen: Geno Smith spielt aktuell richtig guten Football.

Der wilde 48:45-Shootout gegen die Detroit Lions war das jüngste Beispiel dafür - und in gewisser Weise auch ein Paradebeispiel für Smiths Saison: Dieser Shootout hatte mehrere Schichten, die für den Kontext des Gesamtbildes wichtig sind - nicht zuletzt die Tatsache, dass hier die beiden vermutlich schwächsten Defenses in der NFL auf dem Feld standen.

Seattles Offense im Gesamtkonstrukt funktioniert aktuell sehr gut - solange die Seahawks an der Line of Scrimmage nicht deutlich verlieren. Und das ist für mich auch der maßgebliche Unterschied zu dieser Offense mit Russell Wilson: Mit Smith kann die Offense in sich kohärent aufgezogen werden, und auch wenn man weniger Auswege, also weniger einen Plan B hat, der mit Wilson gewissermaßen gegeben war - mit Geno Smith funktioniert der Plan A konstanter.

Das betrifft die Art und Weise, wie er den Ball über die Mitte wirft, wie er das nimmt, was die Defense anbietet, und zwar konstant. Und man sieht, wie Run Game und Passing Game aufeinander abgestimmt funktionieren. Das wiederum öffnet Räume am Boden, die insbesondere Rashaad Penny sehr gut zu nutzen weiß.

Penny hatte gegen die Lions vier Runs über je mindestens 15 Yards, seine Athletik und Explosivität werden auch bei den Gap-Scheme-Runs sichtbar, welche Seattle mehr und mehr einbaut: Er hatte den 36-Yard-Touchdown-Run bei Dritter-und-16 Ende des dritten Viertels sowie den langen Touchdown zweieinhalb Minuten vor dem Ende, wo er bei einem Pin-and-Pull-Scheme hinter zwei Pull-Blocks mit Explosivität auf das zweite Level der Defense kommt.

Es ist auch schlicht auffällig, dass die Seahawks deutlich mehr gewillt sind, den Ball konstant auch bei Early Down zu werfen. Und es gehört nicht viel Fantasie dazu, hier zu dem Schluss zu kommen, dass die Seahawks in ihrem aktuellen offensiven Gesamt-Konstrukt deutlich mehr gewillt sind, ihren Quarterback bei Early Down den Ball werfen zu lassen. Auch wenn dessen Talent im Vakuum betrachtet nicht auf dem Level seines Vorgängers Russell Wilson ist.

Play Action ist essenziell für Geno und die Seahawks

Und ja, mit einer Play-Action-Quote von 53,1 Prozent wie im Spiel gegen Detroit bekommt Smith kräftige Stützräder und einen kleinen Motor on top angeschraubt. Aber wahr ist auch, dass Smith aus dem regulären Dropback Passing Game heraus durchaus ebenfalls gefährlich agiert.

Gegen Detroit legte er 13,9 Yards pro Dropback-Pass und 8,2 Yards pro Play-Action-Pass auf, er hatte sehenswerte Bälle etwa bei Zweiter-und-14 im zweiten Viertel, als Smith aus Empty Metcalf den Ball butterweich servierte. Das erste Play des Drives früh im dritten Viertel war ebenfalls ein exzellent platzierter Ball auf Metcalf Richtung Seitenlinie. Auch wenn beide Touchdown-Pässe via Play Action kamen: Der erste war ein sehenswerter Ball, welchen er über den Safety perfekt zum Tight End platzierte.

"Stützräder" beschreiben es dennoch meist gut. Seattles Play-Action-Passspiel ist eher weniger vertikal ausgelegt, die Seahawks gehen hier gerne mit "sicheren" Routes in die Flat, oder auch zwei Spielern mit Routes Richtung Seitenlinie in Smiths Sichtfeld nach dem Rollout, sodass er kurz oder tiefer gehen kann. Das war gegen Detroit regelmäßig zu sehen, und auch wenn daraus keine Big Plays entstehen, so sind es eben doch Plays, die gute Drive-Starter sind, die "sichere" sechs, sieben, acht Yards bescheren, oder auch mal ein einfaches First Down. Eine Qualität, die längst nicht jede Offense an den Tag legt.

Detroit hat - neben den Seahawks selbst - die schlechteste Defense in der NFL. Das muss man hier bedenken, zumal wir vor zwei Wochen erst gesehen haben, dass Smith die Offense nicht plötzlich tragen kann, wenn das Gesamtkonstrukt nicht funktioniert: Als die Seahawks gegen San Francisco in Woche 2 die Line of Scrimmge klar verloren, war Smith äußerst wacklig und die Offense erlebte einen Shutout. Die einzigen Punkte kamen über einen Return-Touchdown nach einem geblockten Kick.

Aber man sieht, wie die Offense in sich stimmig funktionieren kann. Da sprechen wir nicht von einem dominanten Team oder irgendetwas dergleichen, aber eben von einer Offense, bei der die Räder ineinandergreifen können und dann ist der Output der Offense durchaus produktiv. Und das ist mehr, als manch anderes Team von seiner Offense sagen kann.

Geno vs. Wilson: Der Vergleich macht es umso gravierender

Was hier den Punkt nämlich natürlich zusätzlich gravierend macht, ist die Tatsache, dass der Quarterback-Wechsel die einzige relevante Veränderung ist. Die Offensive Line wurde zwar generalüberholt, ist aber qualitativ für den Moment zumindest nicht besser als letztes Jahr. DK Metcalf und Tyler Lockett sind weiterhin das Starting-Receiver-Duo, und weder der Head Coach, noch der Offensive Coordinator wurden im Vergleich zur vergangenen Saison ausgetauscht.

Einzig der Quarterback-Tausch sticht hier heraus. Und all das wird nochmals umso deutlicher, wenn man die Broncos-Offense im Quervergleich betrachtet.

Es ist nicht so einfach, dass man einfach sagen kann, dass Geno Smith jetzt der bessere Quarterback als Russell Wilson ist. Smith kannte die Offense in Seattle bestens, Wilson muss mit einem neuen Rookie-Head-Coach erst einmal auf eine Wellenlänge kommen. Mit Wilson gibt es immer noch mehr Upside auf eine ganze Saison gesehen, mit Smith wird es wieder andere Grenzen geben, wenn Defenses mehr Tape von ihm haben.

All das sind legitime Punkte, die jedes Zwischenfazit auch mit entsprechenden Nuancen versehen sollten. Doch gleichzeitig muss auch erwähnt werden, dass Wilsons sehr spezifischer Spielstil eine eigene Offense verlangt, die um seinen Stil herum aufgebaut wird. Darüber haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder gesprochen.

Und Wilsons spezifischer Stil ist maßgeblich auf genau jene Big Plays ausgelegt, eben jene Big Plays, die Defenses mittlerweile zunehmend limitieren. Wilson ist kein Quarterback, der ein konstantes Quick Game aufziehen kann, Denver wird andere Mittel finden müssen, um eine konstante Offense aufzuziehen; um einen ausreichend hohen Floor zu kreieren, sodass Wilsons High-End-Plays nicht die Offense sind, sondern die Offense bereichern.

Die Antwort darauf kann im Run Game liegen. Das könnte auch mit den Red-Zone-Problemen helfen. Vielleicht finden Hackett und Wilson andere Wege. Doch bis dahin wird die Broncos-Offense extreme Schwankungen haben und permanent heiß und kalt laufen. Und das ist sicher nicht das, was man sich in Denver erhofft hat.

3. Haben die Ravens ein Passing-Game-Problem?

Die Niederlage der Ravens gegen Buffalo wurde im Nachgang vor allem durch ein Thema geprägt: Die Entscheidung von John Harbaugh, beim Stand von 20:20 gut vier Minuten vor dem Ende Fourth Down an der gegnerischen 2-Yard-Line auszuspielen. Der Pass von Jackson endete in einer Interception, im Gegenzug gingen die Bills 77 Yards das Feld runter und verwandelten das Game-Winning-Field-Goal.

Harbaugh selbst erklärte seine Entscheidung anschließend bestens. Ein Field Goal hätte immer noch die Tür offengelassen, dass Buffalo das Spiel per Touchdown gewinnt; die Bills hatten bei drei der vier vorherigen Drives gepunktet, die Tatsache, dass die Ravens früh im Spiel zwei Turnover forciert hatten, sollte hier nicht das Bild trüben. Ein Field Goal, und Buffalo hätte von der eigenen 25-Yard-Line mit vier Downs auf den Game-Winning-Touchdown gehen können.

Man kann über die Entscheidung diskutieren, aber man kann den Ravens nicht vorwerfen, dass sie ein unnötiges Risiko eingegangen sind, oder etwas dergleichen. Das wäre bestenfalls eine maximal einseitige Betrachtung der Ausgangslage und der Argumente, die zu Harbaughs Entscheidung geführt haben.

Haben die Ravens genug um Jackson aufgebaut?

Ehrlicherweise sind es in diesen Diskussionen auch zunehmend die gleichen Fragen, die jedes Mal diskutiert werden, wenn so eine Entscheidung schiefgeht. Natürlich quasi nie, wenn es klappt, aber trotzdem ist es ermüdend geworden.

Spannender finde ich mit Blick auf dieses Duell eine andere Frage: Sind die Ravens schon jetzt in einer Situation, in der offensichtlich wird, dass sie zu wenig um Lamar Jackson herum investiert haben - und das rächt sich jetzt?

Jackson hatte gegen die Bills unter dem Strich kein gutes Spiel; über die ersten vier Wochen dieser Saison gehört er für mich dennoch in die MVP-Diskussion. Und das eben nicht nur, weil Jackson für sich betrachtet eine gute Saison spielt - seine Ausnahmequalitäten als Runner und als Passer, beziehungsweise die Kombination aus beidem, erlauben es der Offense überhaupt erst, auf diesem Level zu agieren.

Wenn wir das noch mit dem kombinieren, was Jackson kreieren und am Boden machen kann, sehe ich keinen Quarterback, der aktuell wertvoller für sein Team wäre. Selbst wenn man argumentiert, dass Jalen Hurts oder auch Josh Allen vielleicht auf einem noch höheren Level gespielt haben - was in meinen Augen für sich betrachtet diskutabel wäre -, dann ist hier der Kontext relevant, dass beide eben in extrem starken Teams agieren, dass beide eine funktionierende Maschine steuern - während Jackson in Baltimore selbst diese Maschine ist.

Wenn Jackson wackelt, wackelt die Offense

Das direkte Duell von Jacksons Ravens und Allens Bills war eine gute Gelegenheit, um zwei der besten Quarterbacks in der NFL aktuell im direkten Duell zu sehen; aber auch, um die Umstände der beiden im direkten Vergleich gegeneinander zu beobachten.

Und so begeistert ich von der Art und Weise, wie Allen dieses Jahr spielt, auch bin - wie konstant und diszipliniert er das Kurzpassspiel nimmt, um Defenses dann zu bestrafen, wenn sie irgendwann ihre Coverages umstellen -, so fällt eben doch auch auf, dass er auch die Möglichkeiten dafür bekommt. Mit einer vielseitigen Offense, mit einer sehr gut designten Offense, mit einer Offense, die Matchups auf jedem Level des Feldes kreiert. Und auch mit einer Offense, die "auf Knopfdruck" vertikaler werden kann, wenn nötig.

Für die Storyline wäre es dementsprechend schön einfach gewesen, hätte Jackson ein glänzendes Spiel absolviert und die Bills gewonnen, weil sie das komplettere Team sind. Mein Takeaway ging allerdings eher in eine etwas andere Richtung: Weil Jackson nicht auf seinem absoluten Toplevel spielte, wurden die Defizite in der Ravens-Offense deutlich.

Lamar Jackson trifft eine Mitschuld

Und Jackson ließ einige Gelegenheiten ungenutzt. Mehrfach spielten die Bills die Motion eines Passfängers in die Flat, sodass er mit Tempo beim Snap bereits Richtung Seitenlinie sprintet, mit der Option, auch vertikal zu gehen. Und mehrfach schien diese Option offen zu sein, doch Jackson ging nicht dorthin.

Die Bills spielten nach der Pause mehr 2-High-Coverages und blitzten etwas mehr, was den Ravens ebenfalls Probleme bereitete - und dann war da eben das Fourth-Down-Play, bei dem Jackson einen offenen Receiver hatte - aber nie auch nur in seine Richtung geschaut hat. Obwohl die Bills auf die Pre-Snap-Motion überhaupt nicht reagiert und den Back im Slot freigelassen hatten.

Umgekehrt gab es auch immer wieder die Szenen, in denen Jackson ein verlorenes Play rettete, oder bei denen die Routes sehr eindimensional waren und niemand offen war.

Das führt zu einer interessanten Diskussion darüber, wie man Baltimores Passspiel auf einen höheren Floor heben könnte, vergleichbar eben mit dem der Bills. Und ich tendiere mehr und mehr dazu, hier zwei Punkte zunehmend auf Augenhöhe zu heben: Ich denke, dass Greg Roman nicht sonderlich kreativ darin ist, ein gutes, vielseitiges Passspiel aufzuziehen, welches Antworten auf verschiedene Probleme bereitet. Und ich denke, dass Jackson zu viele Layups ungenutzt liegen lässt - welche er wiederum dann retten kann.

Das macht es mitunter schwierig, sowohl einen klar "Schuldigen" auszumachen, als auch zu erklären, wie Dinge besser werden können. Mit einem Quarterback wie Jackson wird die Offense manche simple Pässe immer liegen lassen. Der schematische Floor könnte trotzdem höher sein. Ermutigend war, dass das Run Game mit Dobbins' Rückkehr tatsächlich explosiver war. Aber im Passspiel wäre es für diese Offense letztlich wichtig, mehr Receiver zu haben, die individuell gewinnen können. Denn ich denke nicht, dass anderweitig plötzliche Hilfe für diese Passing-Offense kommt.

4. Die Panthers: Mehr Sackgasse geht nicht

Wenn man sich mit dem Weg der Titans über die letzten drei bis vier Jahre befasst, kommt man zu einer relativ geraden Linie: Eine vergleichsweise klare Entwicklung auf beiden Seiten des Balls, eine klare Handschrift und man konnte klar benennen, wie die Titans Spiele gewinnen wollten - und das auch taten.

Bei den Panthers ist das ungleich schwieriger. Seit Matt Rhule die Panthers 2020 übernahm, war gerade offensiv weniger eine klare Richtung, und eher das Prinzip "Schrotflinte" erkennbar: Möglichst viel in alle Richtungen feuern und schauen, ob ein Treffer dabei ist.

In Rhules erster Offseason verpflichteten die Panthers Teddy Bridgewater für drei Jahre und 63 Millionen Dollar, mit Garantien über 30 Millionen Dollar. Bridgewater warf im Panthers-Trikot 15 Touchdowns, elf Interceptions und für 3.733 Yards, bei knapp 500 Pässen. Nach einem Jahr wurde er noch für einen Sechstrunden-Pick nach Denver geschickt.

Sam Darnold wurde als nächster Hoffnungsträger gefunden. Ein Sechstrunden-Pick 2021 sowie ein Zweit- und Viertrunden-Pick im diesjährigen Draft kostete der Versuch, der Liga zu zeigen, dass Darnolds enttäuschende Zeit bei den Jets eigentlich nur den schlechten Umständen geschuldet und das Talent nach wie vor da ist.

Nach drei Spielen endeten die Flitterwochen, Darnold verpasste Teile der weiteren Saison verletzt und wenn er auf dem Platz stand, unterstrich er deutlich, dass er nicht die langfristige Lösung für die Panthers darstellt. Genauso wenig wie das Rhule-Dauerexperiment mit P.J. Walker, oder das Kurzzeit-Comeback von Cam Newton.

Baker Mayfield spielt wie ein Backup

Mit Baker Mayfield gab es nicht einmal die kurze Hochphase zum Start der Saison. Auf einen sehr durchwachsenen Auftritt gegen Cleveland mit dem Highlight eines tiefen Touchdowns zu Robby Anderson folgte ein sehr enttäuschendes Spiel gegen die Giants, ein schwaches Spiel gegen die Saints und ein bestenfalls wackliger Auftritt gegen Arizona, als die Cardinals Carolina das Spiel in der ersten Hälfte auf dem Silbertablett servierten, Mayfields Fehler und Turnover den Gefallen aber prompt erwiderten.

Ich gebe ganz klar zu, dass ich von Mayfield auch früh in der Saison mehr erwartet hatte. Er sollte in meinen Augen ein deutliches Upgrade gegenüber Darnold sein, aber selbst wenn das noch eintritt: Wohin führt es? Kann Mayfield gut genug sein, dass die Panthers mit ihm sieben Spiele gewinnen? Vielleicht, wenngleich seine bisherigen Auftritte mitunter erschreckend schwach waren und eher an einen Backup, der kurzfristig reingeworfen wurde, erinnern. Nicht an einen ehemaligen Nummer-1-Pick.

Selbst wenn sich Mayfield stabilisiert, alles, was er dann wäre, ist der Quarterback, der Rhule womöglich mehr Zeit erkauft. Vielleicht noch ein Jahr, vielleicht ein paar Monate. Wirklich voranbringen wird Mayfield die Panthers nicht - und damit steht er sinnbildlich für alle Quarterback-Entscheidungen dieses Regimes.

Die Panthers: Planlos auf der Quarterback-Position

Ich denke, dass die Panthers unter Matt Rhule eine interessante Defense aufgebaut haben, hier erkennt man einen klaren Plan und auch eine Perspektive.

Aber drei Mal auf der Quarterback-Position daneben zu hauen und spätestens mit Mayfield zwar ein logisches Upgrade anzupeilen, aber sich auch ein Stück weit für Mittelmaß zu entscheiden, sollte genug sein, um zu unterstreichen: Es gibt keinen langfristigen Quarterback-Plan, wenn man sich von einer Fehleinschätzung zur nächsten hangelt.

Und wenn das passiert, stagniert das Team unweigerlich - eine Entwicklung, die wir etwas anders, aber dennoch vergleichbar auch gerade bei den Colts sehen.

Die Panthers haben unter Matt Rhule offensiv bereits alle bekannten Register gezogen: Vom jährlichen Quarterback-Wechsel über den Austausch des Offensive Coordinators bis hin zu Investments in die Offensive Line, um die Offense zu stabilisieren. Dennoch stehen sie unter Rhule jetzt 1-26, wenn die Defense mindestens 17 Punkte zulässt. Eine verheerende Bilanz in der modernen NFL, und vielsagend was die anhaltenden offensiven Probleme angeht.

Eine merklich positive Entwicklung verglichen mit Rhules erstem Jahr sucht man weiterhin vergeblich: Carolina rangierte in der vergangenen Saison nach EPA pro Play (-0,100) auf Rang 30, und damit fast exakt gleichauf mit dem Wert im letzten Jahr vor Matt Rhule, 2019 (-0,096/Rang 29), als Cam Newton sich verletzte und Kyle Allen 13 Spiele absolvierte. Carolina hat offensiv vieles versucht in den letzten Jahren, und dabei immer wieder daneben gehauen.

Es ist noch früh in dieser Saison, die Sample Sizes sind noch klein. Doch Grund zur Annahme, dass es offensiv aufwärts geht, gibt es in keinster Weise.

Und das lässt sich auch über die Gesamtentwicklung der Panthers unter Matt Rhule festhalten.

5. Die Saints nach vier Spielen: Verzockt?

Eines muss man den New Orleans Saints lassen: Wenige Teams über die letzten Jahre haben ähnlich viel dazu beigetragen, dass insbesondere die erste Runde des Drafts unterhaltsamer wird.

Wenn es darum ging, ein Team zu finden, das überraschend nach oben traden könnte - und das für einen überraschenden Spieler -, dann waren die Saints meist im engsten Favoritenkreis. Ich erinnere mich noch gut an den 2018er Draft beispielsweise, als New Orleans im Laufe der ersten Runde in einem Trade mit den Packers von Pick 27 bis auf 14 hoch kletterte, und die meisten Beobachter dachten, dass jetzt Lamar Jackson vom Board geht. Edge-Rusher Marcus Davenport war stattdessen das ausgemachte Ziel.

2019 tradeten sie zwei Zweitrunden-Picks, um für Center Erik McCoy hoch zu klettern, 2020 tradeten sie spät am zweiten Tag ihren restlichen Draft (Runde 4, Runde 6, Runde 7, Runde 7) für Minnesotas Drittrunden-Pick, um sich Tight End Adam Trautman zu sichern und 2021 war es den Saints zwei Drittrunden-Picks wert, für Cornerback Paulson Adebo in der dritten Runde hoch zu klettern.

Nichts aber toppte das Vorgehen in diesem Jahr, in meinen Augen zumindest nicht.

New Orleans tradete seinen Erst-, Dritt- und Siebtrunden-Pick 2022 sowie einen Erstrunden-Pick 2023 und einen Zweitrunden-Pick 2024 nach Philadelphia, und erhielt im Gegenzug zwei der drei Eagles-Erstrunden-Picks 2022. Ein teurer Preis um jetzt All-In zu gehen, und die Saints waren noch nicht fertig: Am Draftabend kletterte New Orleans nochmals von Pick 16 auf 11 hoch, für den Preis eines weiteren Dritt- und Viertrunden-Picks - um sich dort schließlich Receiver Chris Olave zu sichern.

Olave ist ein toller Receiver, ich selbst war ein großer Fan Pre-Draft und die ersten Wochen der Saison haben mich in meiner Meinung ganz klar bestätigt. Aber, nochmal extremer als bei Davenport, ist es nahezu unmöglich für jede Nicht-Quarterback-Position, einem derartigen Draft-Investment gerecht zu werden.

Die Saints glauben an ihre Draft-Qualitäten

Die Saints haben noch nie so gedacht. New Orleans hatte zwei offensichtliche Baustellen nach der Free Agency, also verkauften sie Haus und Hof, um diese mit Olave sowie mit Tackle Trevor Penning mit zwei Erstrunden-Pick sofort zu schließen.

Die Saints haben diese Dinge schon immer so gedacht, dass sie sehr im Hier und Jetzt leben und weniger perspektivisch planen - und sie sind, vielleicht mehr als jedes andere Team, von der eigenen Draft-Analyse überzeugt und machen dann auch alles, was nötig ist, um "ihre Spieler" zu bekommen.

New Orleans denkt nicht erst seit kurzer Zeit so, diese Muster erkennt man bei den Saints schon lange. Und auch wenn wir davon ausgehen, dass über einen ausreichend großen Zeitraum keine Franchise signifikant besser oder schlechter draftet als der Rest der Liga, so ist schon auffällig, dass New Orleans einige sehr gute Draft-Klassen in den letzten Jahren hatte.

Sheldon Rankins, Michael Thomas, Vonn Bell und David Onyemata waren Starter oder gute Role-Player 2016, der 2017er Draft mit Lattimore, Ramczyk, Marcus Williams, Kamara und Trey Hendrickson war ein kompletter Homerun. 2019 hatte New Orleans keinen First Rounder, fand neben McCoy aber auch C.J. Gardner-Johnson.

Die Saints schon jetzt deutlich über dem 2023er Cap

New Orleans fand also zahlreiche Starter, was dazu beitrug, dass man Jahr für Jahr in puncto Cap-Management All-In gehen konnte. Doch irgendwann fing die Zeit an, in der auch diese Spieler bezahlt werden mussten, und weil die Saints selbst zum und nach dem Ende der Drew-Brees-Ära nie einen Umbruch einleitete, war der Kader in einer Sackgasse angekommen.

Die Saints mussten gute Spieler wie Marcus Williams, Trey Hendrickson und Terron Armstead gehen lassen, und selbst wenn man Williams etwa mit Tyrann Mathieu noch prominent ersetzen konnte: Der Kader war schon an einem Punkt angekommen, an dem Stillstand das Maximum dessen darstellte, was möglich war.

Und selbst das nur, weil New Orleans seinen Cap einmal mehr so strapaziert hat, dass die Saints bereits jetzt knapp 55 Millionen Dollar über dem prognostizierten Cap nächstes Jahr liegt.

Ich denke, dass Wert darin liegt, wenn man versucht, Jahr für Jahr kompetitiv zu sein. Die Saints haben zwischen 2017 und 2020 mit elf, 13, 13 und zwölf Siegen jeweils die Division gewonnen, es zwei Mal in die Division-Runde der Playoffs und ein Mal bis ins Championship Game geschafft, wo man gegen die Rams das berüchtigte "No-Call"-Spiel verlor.

Jetzt jedoch sind wir an dem Punkt angekommen, an dem man sich nicht nur die Frage stellen muss, ob es das wert war - sondern die Frage, wie es weitergehen soll.

Wie sieht der Turnaround im Saints-Stil aus?

Denn das einzige Szenario, wie dieser Kader in seiner aktuellen Zusammensetzung potenziell weiter funktioniert hätte, wäre mit einem Quarterback auf dem Rookie-Vertrag gewesen, der direkt einschlägt.

Jameis Winston ist bereits unter Starting-Quarterback vergleichsweise ein Schnäppchen. 14 Millionen verdient er pro Jahr über zwei Jahre, unter den aktuellen Starting-Quarterbacks verdienen, abgesehen von den Quarterbacks, die noch zu Rookie-Konditionen spielen, nur Marcus Mariota, Jacoby Brissett, Mitch Trubisky, Geno Smith und Jimmy Garoppolo weniger.

Doch die Saints haben nicht nur im diesjährigen Draft das Risiko nochmal hochgeschraubt; auch dass die gesamte Strategie daran gekoppelt war, dass Jameis Winston als Starter konstant genug und gut genug ist, auch ohne Sean Payton und ohne die Sicherheit einer starken Offensive Line auf einem Level spielen kann, das gut genug ist, um ganz oben mitzuspielen, war und ist ein extremer Drahtseilakt. Und es ist viel verlangt.

Die Idee, dass man um Drew Brees ein Titelfenster maximieren und so lange wie möglich - und auch länger als möglich - dieses Fenster pusht, ist nachvollziehbar. Dass man dann versucht, einen starken, aber eben längst nicht mehr so kompletten Kader auch mit einem Mid-Level-Quarterback weiter auf Angriff zu polen, ist mindestens sehr gewagt.

Und die Umstände werden nicht leichter werden. Cameron Jordan wird nächstes Jahr 34, genau wie Demario Davis. Das sind die beiden tragenden Säulen dieser Defensive Front seit Jahren - eine Front, die bislang in dieser Saison hinter den Erwartungen bleibt.

Die Saints haben noch immer einen starken Kader; ein Kader, der in einer schwachen NFC vielleicht sogar gut genug für eine Wildcard ist. Aber ich sehe auch einen Kader, der, was das übergreifende Roster-Management und die Win-Now-Mentalität angeht, eine Neuausrichtung braucht.

Ich bin gespannt, wie diese für ein Team aussieht, das über die letzten Jahre nichts anderes als All-In kannte.