All-Pro Team 2022: Defensive Front
Edge-Rusher: Nick Bosa, San Francisco 49ers
Wenn ich an die Elite-Positionen denke, und daran, welche Spieler die Identität und Qualität eines Teams am stärksten prägen, dann denke ich zunehmend in dieser Reihenfolge: Quarterback, Edge-Rusher, Wide Receiver.
Edge und Receiver sind dabei sehr nah beieinander, mit dann einer klaren Lücke zum Quarterback. Aber es ist kaum möglich, sich ein Team wie das der Niners anzuschauen, und nicht zu dem Schluss zu kommen, dass rein individuell vermutlich kein Spieler dieses Team stärker prägt als Nick Bosa.
Bosa war für mich der individuell beste, produktivste Pass-Rusher dieser Saison. In der Niners-Defense, die auf eine aggressive, One-Gapping-Front setzt, ist es essenziell, dass die Edge-Verteidiger einerseits gegen den Run nicht ihre Aufgaben vernachlässigen, und dass sie andererseits im Pass-Rush sehr schnell gewinnen können.
Bosa ist gewissermaßen das Musterbeispiel dafür, wie ein Edge in dieser Art Defense spielen sollte. Kein Edge gewinnt so konstant so schnell und kombiniert seine Explosivität mit einer Physis, die ihn auch gegen den Run wertvoll macht. Er ist für mich dieses Jahr der kompletteste Edge-Verteidiger in der NFL.
Edge-Rusher: Micah Parsons, Dallas Cowboys
Bei den Edge-Rushern ist es ein klares Trio an der Spitze, und Myles Garrett wäre der Spieler, den ich am ehesten als Alternative rein packen würde.
Garrett hat zumindest als Pass-Rusher eine weitere Elite-Saison gespielt, aber er war auch Teil einer über weite Teile der Saison wahnsinnig schwachen Front gegen den Run, und komplett freisprechen kann man Garrett hier nicht.
Das hat letztlich in diesem engen Rennen den Ausschlag gegeben. Parsons ist noch immer eine Naturgewalt als Pass-Rusher, und seine Athletik und Flexibilität erlauben es den Cowboys, ihn auch bedenkenlos in Coverage zu droppen, oder ihn eben tatsächlich als Off-Ball-Linebacker aufzustellen.
Sehr gut möglich, dass Garrett, Bosa und Parsons, gemeinsam mit T.J. Watt, die All-Pro-Edge-Nominierungen auf absehbare Zeit unter sich ausmachen.
Knapp dahinter: Myles Garrett, Browns; Jaelan Phillips, Dolphins; Maxx Crosby, Raiders
Interior Defensive Line: Quinnen Williams, New York Jets
Es war ein wenig auch die Saison der Defensive Tackles!
Ich zumindest kann mich nicht an ein Jahr erinnern, in dem so viele Defensive Tackles auf einem derart hohen Niveau gespielt haben - und das obwohl Aaron Donald aufgrund der Verletzung sogar etwas in den Hintergrund rückte.
Maßgeblich verantwortlich dafür war die 2019er Draft-Klasse. Denn während Tennessees Jeffery Simmons aus dieser Gruppe seinen Breakout bereits hatte - und Simmons könnte hier durchaus auch einen der beiden Top-Spots besetzen -, so waren es die Breakout-Saisons von Quinnen Williams, Dexter Lawrence und Christian Wilkins, welche plötzlich drei junge Defensive Tackles in die Liga-Elite spülten.
Dementsprechend schwer war hier auch die Auswahl. Dexter Lawrence wäre meine erste Alternative gewesen, Lawrence hat ebenfalls auf einem unglaublichen Level gespielt. Williams wurde es für mich letztlich im Duell der beiden, weil er für mich noch eine Spur kompletter, noch eine Spur gefährlicher als Pass-Rusher und noch eine Spur mehr identitätsstiftend für seine Defense war.
Und das heißt ausdrücklich nicht, dass Lawrence diese Kriterien nicht auch erfüllt hat, denn das hat er. Nuancen und natürlich auch persönliche Präferenz haben hier den Ausschlag gegeben.
Interior Defensive Line: Chris Jones, Kansas City Chiefs
Diese Entscheidung zwischen Lawrence und Williams war so schwierig, weil Jones für mich nicht zur Diskussion stand.
Er war in meinen Augen der beste Defensive Tackle in der NFL dieses Jahr, der Spieler, der eine - im Gegensatz zu dem was Williams und Lawrence haben - ansonsten um ihn herum häufig inkonstante Front nach vorne katapultierte, der den Pass-Rush seines Teams trug und der auch in einer weniger aggressiven Version der Chiefs-Defense individuell dominierte.
Vielleicht kann man es so am besten zusammenfassen: Bei keinem anderen Defensive Tackle in der NFL hatte ich in diesem Jahr den Eindruck, dass seine jeweilige Defense um mindestens ein Tier nach unten fallen würde, wenn man diesen einen Tackle rausnehmen würde.
Jones ist für mich so ein Spieler.
Knapp dahinter: Dexter Lawrence, Giants; Aaron Donald, Rams; D.J. Reader, Bengals; Jeffery Simmons, Titans
Linebacker: Fred Warner, San Francisco 49ers
Spätestens mit dem Spiel gegen die Dolphins betrat die Niners-Defense auch in der breiten Öffentlichkeit die ganz große Bühne - und neben Bosa vor allem in Person von Fred Warner.
Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie Warner die Mitte des Feldes für eine Offense neutralisieren kann. Ich denke nicht, dass es einen Linebacker gibt, der mehr Raum abdeckt, der intelligenter in Coverage ist und der gleichzeitig diese Physis mitbringt.
Das erlaubt es den 49ers, Underneath schematisch Räume zu öffnen, die andere Defenses sich schlicht nicht leisten können. Warners Antizipation, sein Trigger sind herausragend, dass er nicht nur nach hinten viel Platz abdeckt, sondern dass er auch nach vorne kurze Pässe oder Runs mit einer Physis weg räumt, die nicht viele Linebacker in dieser Konstanz mitbringen.
Er ist ein besonderer Spieler, der diese Defense prägt, wie ich es seit einer Weile von keinem Linebacker mehr gesehen habe.
Linebacker: Matt Milano, Buffalo Bills
Wenn ich einen Linebacker nennen müsste, der in puncto Coverage und Reichweite zumindest in der Nähe von Fred Warner unterwegs ist, dann wäre es Milano.
Warner ist für mich noch kompletter, weil er noch stärker gegen den Run ist. Aber Milano ist nicht weit dahinter, und wenn er fehlt, macht sich das in der gesamten strukturellen Stabilität der Bills-Defense bemerkbar.
Denn wenn eine Defense aus einer leichten Box und mit zwei tiefen Safeties agieren will, verlangt das viel von den Linebackern - und es gibt nicht viele Linebacker in der NFL, die dieses Profil erfüllen. Warner und Milano fallen in diese Kategorie.
Linebacker: Bobby Wagner, Los Angeles Rams
Wagners Saison ist eine gute Erinnerung daran, dass man manchmal mit einer Prognose auch komplett daneben hauen kann, oder dass eine Meinung, die für einen selbst in Stein gemeißelt scheint, nicht ganz so sattelfest ist, wie man das gedacht und in seinem Kopf schon abgehakt hat.
Ich dachte, dass Bobby Wagner zwar noch nicht "done", aber klar im Karriere-Herbst angekommen ist. Dass die Zeit, in welcher Wagner ein dominanter Linebacker sein kann, vorbei ist.
2022 belehrte uns hier klar eines Besseren. Nach einer wackeligen 2021er Saison, seine letzte in Seattle, in welcher er insbesondere was die Bewegung im Raum angeht, unangenehm häufig hölzern wirkte, konnte er bei den Rams in einer leicht veränderten Rolle nochmals an alte Dominanz anknüpfen.
Wagner wurde auffallend häufig als Blitzer eingesetzt, er arbeitete mehr in klar definierten Räumen und Downhill. Das erlaubte es ihm, zumindest wieder solide in Coverage aufzutreten, während es seine herausragenden Qualitäten als Run-Defender sowie seine Physis als Blitzer in den Vordergrund rückte.
Die Folge war eine Elite-Linebacker-Saison, die ich definitiv nicht erwartet hatte.
Knapp dahinter: Dre Greenlaw, 49ers; T.J. Edwards, Eagles