Eines kann man ohne Weiteres vorwegnehmen: Die Art und Weise, wie die Raiders die Trennung von Derek Carr, ihrem Franchise-Quarterback, gehandhabt haben, hätte nicht tollpatschiger sein können.
Los ging es mit der Vertragsverlängerung im Vorjahr, die im Grunde nur eine Gehaltserhöhung war, ansonsten aber wie eine tickende Zeitbombe funktionierte. Carrs Vertrag wäre ursprünglich ohnehin nach dieser Saison ausgelaufen, die damals unterschriebene Verlängerung änderte daran wenig. Vielmehr war sie nur eine Art Versicherungspolice für das Team, für den Fall, dass Carr unter dem neuen Head Coach Josh McDaniels eine starke Saison spielen und damit die Antwort für die Zukunft sein würde.
Stattdessen kam es anders und die Raiders waren letztlich gezwungen, Carr am Dienstag zu entlassen. Andernfalls wären ihm für die kommenden zwei Jahre rund 40 Millionen Dollar der 120-Millionen-Dollar-Verlängerung garantiert gewesen.
Carrs Vertrag ist vielmehr ein Paradebeispiel dafür, wie viel Schein und wie wenig Sein in solchen NFL-Verträgen eigentlich steckt. Und das ist schon mal ein Hinweis auf die Mitte März startende Free Agency: Bewertet die Verträge erst, wenn Ihr alle Details kennt und lasst Euch nicht von den meist von Agenten geleakten Zahlen blenden!
Derek Carr: Zweimal Playoffs und viele Enttäuschungen
Doch zurück zu Carr. Dem nämlich war schon vor einem Jahr offenbar bewusst, was die Raiders mit diesem Kontrakt bezwecken wollten und handelte entsprechend eine No-Trade-Klausel aus, die ihn zumindest im Fall des Misserfolgs nicht vollends im Regen stehen ließe. Und mit dieser Klausel und nach der offensichtlichen Enttäuschung über seinen essentiellen Rauswurf zwei Wochen vor Saisonende - er wurde freigestellt und durch Backup Jarrett Stidham ersetzt - wurde es Carr dann ermöglicht, etwaige Trades abzublocken, wodurch den Raiders nur noch die Entlassung blieb.
Was lässt sich nun also nach neun Jahren in Oakland und Las Vegas zu Carrs bisherigem Schaffen sagen? Der Zweitrundenpick von 2014 hatte sicherlich keine schlechte Karriere bis hierhin. Er hatte nur zwei Winning Seasons und eine 8-8-Saison. Zudem startete Carr nur ein Playoffspiel nach der Saison 2021. Doch muss man eben erwähnen, dass das nicht nur seine Schuld war.
Die Raiders hatten in seiner Zeit dort sage und schreibe sechs verschiedene Head Coaches, einige fast schon katastrophale Draft-Klassen und selten vorzeigbare Defenses.
Carr selbst präsentierte sich meist auf konstant gutem Niveau. Er kratzte in einigen Jahren an den Top 10 der NFL-Quarterbacks, bewegte sich meist aber eher in den Top 15. Er brachte es unter anderem auf drei Saisons mit 4000 Passing Yards und weniger als 10 Interceptions. Nur drei andere haben das neben ihm so oft geschafft: Aaron Rodgers (9), Tom Brady (7) und Peyton Manning (4).
Carr hätte es noch ein viertes Mal geschafft, wenn er sich in seiner wohl besten Saison 2016 (3937 YDS, 6 INT) nicht im vorletzten Saisonspiel den Knöchel gebrochen hätte. Die Raiders waren zu der Zeit 12-3, erreichten die Playoffs erstmals seit 2002 und unterlagen dann mit Backup-Quarterbacks den Texans im Wildcard Game.
Carr ist damit aber immerhin der erste Quarterback, der die Raiders seit MVP Rich Gannon in die Playoffs geführt hat. Und das sogar zweimal.
Letztlich jedoch sollte man Carrs Zeit in Vegas auch nicht zu sehr romantisieren. Es gab und gibt immer wieder gute Gründe, sein Spiel zu kritisieren. Da wäre etwa seine Risikoaversion. Gerade in den ersten zwei Jahren unter McDaniels' Vorhänger Jon Gruden war er einmal Drittletzter (2018) und einmal Vorletzter (2019) bei den Average Intended Air Yards. Sprich: Er warf überwiegend kurze, sichere Pässe, statt mehr Risiko zu gehen und damit auch mal Big Plays zu erzwingen.
Das wurde im Laufe der Zeit besser, doch erst McDaniels' Ankunft brachte einen drastischen Shift - 2022 warf er Pässe im Schnitt über 9,3 Air Yards, was der fünfthöchste Wert der Liga war.
Derek Carr: Pass-Tiefe der letzten 5 Jahre
Saison | Average Intended Air Yards | Liga-Rang |
2018 | 6,7 | Drittletzter |
2019 | 6,5 | Vorletzter |
2020 | 8,2 | 18. |
2021 | 8 | 12. |
2022 | 9,3 | 5. |
(Zahlen von NFL Next Gen Stats)
Mehr Risiko brachte jedoch nicht nur Vorteile mit sich. Carr spielte im Grunde seine schlechteste Saison seit seinem Rookie-Jahr und egalisierte sein Career High mit 14 Interceptions. Fairerweise muss man erwähnen, dass er allerdings schon 2021 in Sachen Effizienz langsam auf dem absteigenden Ast war, auch wenn er da noch deutlich präziser warf bei im Schnitt nur 1,3 Yards kürzeren Pässen.
Seine Beinarbeit stand häufiger im Fokus der Kritik, ebenso seine Angewohnheit, den Ball zu lange zu halten und damit unnötige Sacks zu schlucken. Letzteres war in diesem Jahr aber besser als noch 2022, was aber auch an einer insgesamt verbesserten Offensive Line lag. Schwache Offensive Lines waren indes auch so ein Problem der letzten paar Jahre der Raiders, was nicht zuletzt an den bereits erwähnten Draftklassen lag.
Doch wie kam es nun eigentlich zur Entscheidung, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen? Hier scheiden sich die Geister. Der McDaniels-nahe Journalist Albert Breer (Sports Illustrated) etwa berichtete davon, dass der Hauptgrund für die Trennung gewesen sei, dass Carr zu wenig Verantwortung für die schwache Saison übernommen habe.
Derek Carr: Effizienz und Präzision der letzten 5 Jahre
Saison | EPA/Dropback (Liga-Rang) | Passer Rating | Catchable Percentage | On Target Percentage |
2018 | 0,01 (25) | 93,9 (18) | 87,8 (3) | 83,7 (3) |
2019 | 0,14 (9) | 100,8 (9) | 87,0 (4) | 81,6 (3) |
2ß2ß | 0,08 (16) | 101,4 (10) | 86,5 (12) | 80,2 (9) |
2021 | 0,06 (14) | 94,0 (14) | 87,1 (11) | 79,7 (3) |
2022 | 0,04 (12) | 86,3 (24) | 82,6 (33) | 73,7 (24) |
(Zahlen von TruMedia und Sports Info Solutions)
Das allerdings steht im Kontrast zum öffentlichen Bild, das Carr seit Jahren abgegeben hat. Denn wenn jemand Verantwortung gerade auch abseits des Platzes übernommen hat bei den Raiders in den schwierigen vergangenen Jahren, dann war dies in der Regel Carr. Nach all den Trainerentlassungen stellte er sich der Öffentlichkeit, er sprach sogar nach der Entlassung von Teamkollege Henry Ruggs nach dessen Autounfall mit Todesfolge, als andere lieber schwiegen.
Und dass er in der Folge seiner plötzlichen Freistellung kein Theater gemacht hat, sondern sich professionell verhielt, darf man ihm auch zugutehalten.
Letztlich war Carr wohl einfach nicht der richtige Quarterback für McDaniels, auch wenn McDaniels selbst von mangelndem Verständnis Carrs für seine Offense nichts wissen will: "Das denke ich überhaupt nicht. Ich denke, dass Derek mit sehr viel Vertrauen in das, was wir machen, gespielt hat. Er hatte einige wirklich gute Spiele in diesem Jahr."
Und auch mit Carr selbst scheint McDaniels kein Problem gehabt zu haben: "Wir hatten ein großartiges Verhältnis. Er hat einige großartige Sachen gemacht und alles, was gegenteilig behauptet wurde, ist inkorrekt."
Was war es also dann? Ein Faktor könnte das liebe Geld gewesen sein. Offensichtlich war man sich nicht sicher, ob Carr im zweiten Jahr wieder an die Leistungen von vor ein bis zwei Jahren anknüpfen könnte. Und Garantien im Wert von 40 Millionen Dollar sind dann eben für ein nicht unbedingt mit unbegrenzten Mitteln gesegnetes Team - Owner Mark Davis zählt nicht zu den reichsten Teameignern der NFL - vielleicht ein zu hohes Risiko.
Gerüchten zufolge hielt man auch hauptsächlich deshalb an McDaniels für ein weiteres Jahr fest, weil man im Falle seiner Entlassung kein doppeltes Head-Coach-Gehalt zahlen wollte. Abgesehen davon stehen McDaniels und sein handverlesener General Manager Dave Ziegler aber ohnehin unter Druck und wollen nun wohl lieber ihren Quarterback nach Vegas holen - wer auch immer das besonders nach Tom Bradys Rücktritt sein mag. Vielleicht ja Aaron Rodgers?
Derek Carr: Nur zwei Trade-Anfragen bei Raiders
Jedenfalls wurde unter die Carr-Ära ein Schlussstrich gezogen und für den Quarterback heißt dies nun, voranzuschreiten. Die Frage ist, wohin die Reise geht. Mehreren Medienberichten zufolge gab es bei den Raiders nur zwei Anfragen für Carr - von den Jets und Saints. Und nur die Saints erhielten die Erlaubnis, mit dem QB zu reden. Er war sogar für einen Besuch in NOLA, auch wenn es dort nicht zum Abschluss kam.
Heißt das nun, dass nur diese beiden Teams Interesse haben? Wahrscheinlich nicht, doch andere Teams werden einfach nicht bereit gewesen sein, Draftpicks nach Vegas zu schicken für einen Spieler, der zum einen diesen für Teams zu riskanten Vertrag mitgebracht hätte und zweitens wahrscheinlich sowieso Mitte Februar auf den Markt gekommen wäre. Entsprechend dürften nun mehr Teams Interesse an einem Deal haben.
Gehandelt werden in diversen Medien die Jets, Colts, Saints, Falcons, Commanders, Panthers und auch die Buccaneers sollte man nicht gänzlich vergessen.
Allesamt brauchen sie einen neuen Quarterback, auch wenn die Not bei diesen Teams unterschiedlich groß scheint. Die Jets fragten bereits an und sind offenbar auch sehr stark an Rodgers interessiert, sollte der mit einem Wechselwunsch aus der Dunkelheit emporsteigen.
Die Saints sprachen bereits mit ihm und im Grunde hat Carr vor ein paar Jahren schon gezeigt, dass sein eigentlicher Spielstil mit eher kurzen, präzisen Pässen durchaus nach New Orleans passen könnte. Drew Brees funktionierte jahrelang auf sehr hohem Niveau in einer solchen Offense, deren Grundlagen auch nach Sean Paytons Abgang immer noch vorhanden sind.
Die Colts sind möglich, doch nach unzähligen Fehlgriffen der letzten paar Jahre seit Andrew Lucks Rücktritt würde ich stark davon ausgehen, dass sie es nun mit einem Rookie versuchen werden - vielleicht sogar per Uptrade im Draft. Die Falcons schielen auf Lamar Jackson, während sie sich anscheinend schon mal Desmond Ridder schön reden und die Commanders tun das Gleiche mit Sam Howell. In beiden Fällen jedoch scheint das nicht in Stein gemeißelt, wobei in DC erstmal die Frage geklärt werden muss, wer der neue Offensive Coordinator wird. Erst dann weiß man, was für einen Quarterback man braucht.
Die Panthers stehen da, wo sie vor einem Jahr schon standen, nur eben mit keiner offensichtlichen Übergangslösung im Kader. Hier könnte Carr hinter einer guten Offensive Line und mit Frank Reich als Coach sicherlich nochmal aufblühen mit seinen bald 32 Jahren. Hier scheint es jedoch auch denkbar, dass ein Rookie die bevorzugte Lösung wird und Carr sicherlich nicht als Übergangslösung unterschreiben wird.
Und dann wären da noch die Bucs, die keinen ersichtlichen Nachfolgeplan für Brady haben. Entsprechend muss erneut extern nachgebessert werden. Carr ist denkbar mit den immer noch guten Waffen im Receiving Corps, die Frage ist aber, ob der neue Offensive Coordinator Dave Canales nicht vielleicht doch einen etwas mobileren QB bevorzugt.
Derek Carr: Beste Umgebung New York?
Geht es nach der Gesamtsituation, wären die Jets vermutlich das beste Szenario für Carr. Dort hätte er eine Top-Defense im Rücken, die in Vegas/Oakland meist fehlte. Und offensiv braucht es eigentlich nur eine bessere Offensive Line, das Talent ansonsten ist beachtlich mit den Youngstern Garrett Wilson und Breece Hall an der Spitze. Und Carr wäre sicherlich eine gute B-Lösung für Gang Green, sollte es mit Rodgers nicht klappen. Mehr Upside als zum Beispiel Jimmy Garoppolo brächte er zudem mit.
Carrs Vorteil bei alledem: Wenn er will, hat er einen Timing-Vorteil. Während der Rest der Free-Agent-Quarterbacks erst ab Mitte März mit Teams sprechen darf, ist Carr sofort verfügbar. Wer ihn will, hat jetzt die Chance, bevor der Markt eventuell chaotisch wird.