Sein Pick war kaum verkündet worden, da hat Brandon Coleman in der Videoschalte mit RTL schon eine Commanders-Kappe auf. Eine von 32 vorrätigen, für alle Fälle? "Nein, ich hatte mit ihnen ein Meeting beim Combine, da haben sie mir eine gegeben", verrät der immer noch etwas überwältigt wirkende 23-Jährige. "Das hat sich gelohnt, ich konnte sie gleich aufsetzen."
Irgendwie hatte es wohl sein sollen mit ihm und dem Hauptstadtteam. "Weil mein Vater aus Virginia ist, in der Nähe von Washington, waren hier natürlich alle Commanders", hatte er im Vorfeld bei der Bild erklärt. So habe man schon immer Fanartikel des Teams im Wohnzimmer gehabt. Außerdem wolle er im Draft am liebsten in einer Großstadt landen. All das ist eingetreten, und auch aus sportlicher Sicht erwartet Coleman in D.C. eine vielversprechende Situation.
Die Vorzeichen stehen also günstig: Deutschland könnte schon bald einen zweiten NFL-Star haben.
Brandon Coleman in der NFL: Basketball war seine "erste Liebe"
Dabei hat der Sohn einer deutschen Mutter und eines amerikanischen GIs, in Virginia geboren und in Berlin aufgewachsen, ursprünglich die NBA anvisiert: Basketball sei seine "erste Liebe" gewesen. "Ich bin viel durch Europa gereist und habe bei Turnieren gespielt, ein bisschen was gewonnen. 2015 bin ich dann in die USA mit den Träumen, NBA zu spielen."
Die Basketball-Angebote von High Schools bleiben aus, doch beim Besuch einer Schule fragt ihn der Athletic Director nach einem Blick auf seine kräftige Statur, ob er es denn schon einmal mit Football probiert hat: "Durch meinen Vater hatte ich schon immer Interesse an Football und wollte es immer mal spielen. So hat sich das ergeben."
Der Wechsel zum Pigskin ist für Coleman ein voller Erfolg. Über das Trinity Valley Community College landet er 2020 bei TCU, der Texas Christian University. Nicht ganz Alabama oder Michigan, aber dennoch ein "Powerhouse" des College-Football, mit alljährlichen Ambitionen auf die Playoffs. Dort mausert sich der Football-Spätzünder zum Starter in der Offensive Line, im ersten Jahr als Right Tackle und in den drei folgenden zeitweise als Left Guard und vor allem als Left Tackle, also dem wichtigsten Beschützer des Quarterbacks, der diesem bei Rechtshändern buchstäblich den Rücken freihält.
Coleman besticht dabei durch seine enorme Athletik, sicherlich geschult auch durch das jahrelange Basketballspielen. So fällt er auch den NFL-Scouts ins Auge: In Sachen Technik hat er noch Nachholbedarf, aber das lässt sich durch gutes Coaching eher aufholen als körperliche Defizite. Die gibt es nämlich nicht: Beim Pro Day vor dem Draft, in dem die Talente auf Herz und Nieren getestet werden, läuft der 1,94-Meter-Schrank trotz seiner 142 Kilo die 40 Yards etwa unter 5 Sekunden: "Ich bin schnell gerannt, konnte hoch springen und das wussten manche nicht."
In den diversen Schnelligkeits- und Agilitätstests gehört Coleman zur absoluten Elite: Im "Relative Athletic Score", einer Bewertung aller Talente auf einer Skala von 1-10, bekommt er 9,96 Punkte. Seit 1987 waren hierbei gerade mal sechs Guards besser. Aber weil seine Leistung in der Pass Protection in seiner finalen Saison 2023 etwas nachlässt, auch aufgrund von Verletzungen, ist nicht ganz klar, wo er im Draft landen würde. Von Runde 2 bis 5 erscheint alles möglich.
Brandon Coleman in der NFL: "Washington fühlte sich an wie zuhause"
In der Mitte des zweiten Draft-Tages machen die Commanders Nägel mit Köpfen. Coleman hatte das Team im Vorfeld bereits besucht und sich mit den Coaches ausgetauscht. "Es fühlte sich an wie zuhause, ähnlich wie bei TCU. Die Coaches haben sich wirklich um die Spieler gekümmert", sagt der Deutsch-Amerikaner, der beide Staatsbürgerschaften besitzt. Und im Front Office will man sich das überragende Potenzial Colemans nicht entgehen lassen: In seiner gesamten College-Karriere hat der nämlich in 1.307 Snaps im Pass-Blocking nur drei Sacks zugelassen. Er ist auf mehreren Positionen einsetzbar und war bei TCU sogar Team Captain, kann also auch in Washington zum Anführer reifen.
Unter dem neuen Besitzer Josh Harris, der das Team 2023 übernommen hatte, soll nämlich endlich wieder eine Sieger-Franchise heranreifen. Eine enttäuschende letzte Saison brachte den zweiten Pick ein, das Team wählte wie erwartet Quarterback-Supertalent Jayden Daniels. Ein spektakulärer Spieler, aber für einen QB vergleichsweise schmal. Umso wichtiger ist es, ihn vor den harten Hits der Pass Rusher zu beschützen.
Washington Commanders: Bilanz der letzten Jahre
Jahr | Bilanz | Playoffs? |
2023 | 4-13 | - |
2022 | 8-8-1 | - |
2021 | 7-10 | - |
2020 | 7-9 | Niederlage im Wildcard Game |
Da kommt Coleman ins Spiel. Kein Team hat 2023 laut ProFootballFocus mehr Druck auf den eigenen Quarterback zugelassen als die Commanders, Hauptschuldiger war dabei die O-Line. Also wurde die in der Offseason fast komplett umgebaut: Mit Center Tyler Biadasz und Guard Nick Allegretti holte man zwei Starter aus Dallas und Kansas City in der Free Agency, der bisherige Left Tackle Charles Leno wiederum wurde entlassen. Der Kader böte zwar Alternativen, zudem ist der Deutsche wie erwähnt vielseitig einsetzbar. "Mir ist egal, wo ich eingesetzt werde", sagt er selbst.
Aktuell spricht aber viel dafür, dass das Team mit Coleman als Left Tackle plant, vielleicht sogar schon in seinem ersten Jahr als Starter. "Er bringt alles mit, um in dieser Liga ein Tackle zu sein", betonte General Manager Adam Peters.
Brandon Coleman in der NFL: Keine Lust auf das Rampenlicht
Bis zum Training Camp im Sommer könnte sich im Kader der Commanders auch noch etwas tun, aber lange auf der Bank geparkt werden wird Coleman in Washington nicht. Dafür ist er zu variabel, passt seine bewegliche Spielweise zu gut zum Scheme des neuen Offensive Coordinators Cliff Kingsbury.
Etabliert sich Coleman über die vier Jahre seines Rookie-Vertrags als Leistungsträger, muss er auch den hohen Gehältern in der NBA nicht nachweinen. Etwa sechs Millionen Dollar wird er in dieser Zeit verdienen, doch die Wichtigkeit eines guten Tackles ist in den vergangenen Jahren immer mehr in den Vordergrund gerückt, schließlich ist auch der beste Quarterback ohne entsprechenden Schutz nur die Hälfte wert. In der Folge sind die Gehälter explodiert: Amon-Ra St. Browns Teamkollege Penei Sewell hatte seinen Vertrag erst kurz vor dem Draft für vier Jahre und bis zu 112 Millionen Dollar verlängert.
Für derartige Sphären liegt noch eine Menge Arbeit vor Coleman. Angst davor, dass der frisch verlobte Koloss vorher abheben könnte, muss man derweil eher nicht haben. "Ich bin froh, wenn wir nicht so im Vordergrund stehen", sagte er, angesprochen auf die Berühmtheit eines Travis Kelce und dessen Freundin Taylor Swift. "Ich möchte eigentlich nicht so groß werden wie er."