NHL

Wie aus Draisaitl King Leon wurde

Von Robert Arndt
Leon Draisaitl hat eine grandiose Saison für die Edmonton Oilers gespielt
© getty

Die Edmonton Oilers haben sich nach einer furiosen Saison aus den Stanley-Cup-Playoffs verabschiedet, doch Leon Draisaitl feiert in der Postseason seinen endgültigen Durchbruch. Der deutsche Center glänzte als Anführer und zeigte, dass er nicht nur von Superstar Connor McDavid abhängig ist. Wartet nun die Heim-WM auf den besten deutschen Spieler seiner Generation?

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Es sollte nicht sein, es fehlte die Kraft in den Aktionen der Edmonton Oilers. Bei einem 1:2-Rückstand im entscheidenden Spiel 7 bei den Anaheim Ducks brachten die jungen Kanadier in der Schlussphase keinen anständigen Schuss mehr auf den Kasten von Ducks-Goalie John Gibson.

Die heimischen Fans im Honda Center zu Anaheim rissen die Arme hoch. Die Ducks hatten soeben eine hart umkämpfte Serie mit 4-3 gewonnen. Die in weiß gekleideten Gäste verschwanden so schnell es ging von der Eisfläche. Für die meisten Oilers-Spieler heißt es nun Golfkurs anstatt Conference Finals.

Dies wird nicht für Leon Draisaitl gelten. Der Deutsche wird aller Voraussicht nach in den nächsten Tagen zur Nationalmannschaft stoßen und das Team im Kampf um den Einzug ins Viertelfinale bei der Heim-WM in Köln unterstützen.

"Er hat sich schon gemeldet"

"Er hat sich schon gemeldet, er würde gerne kommen", berichtete Bundestrainer Marco Sturm am Donnerstag nach dem Vormittagstraining und ergänzte schmunzelnd: "Er ist Kölner, es ist seine Stadt." Beim nächsten Vorrundenspiel am Freitag gegen Dänemark muss die deutsche Nationalmannschaft aber noch ohne ihren besten Spieler auskommen. Bevor sich Draisaitl in den Flieger setzt, müssen noch versicherungstechnische Fragen geklärt werden.

Dass Sturm so lange auf seinen besten Spieler warten musste, lag vor allem an diesem selbst. Die Stanley-Cup-Playoffs wurden zur persönlichen Coming-Out-Party des 21-Jährigen. Gegen die Ducks markierte der Center satte 13 Scorerpunkte, darunter auch seine Fünf-Punkte-Gala in Spiel 6, als er Anaheim beim 7:1 fast im Alleingang sezierte. Er wurde zum zweitjüngsten Hattrick-Schützen der Oilers-Playoff-Geschichte. Noch jünger war 1980 nur ein gewisser Wayne Gretzky.

Eine Saison wie gemalt

Es war der absolute Höhepunkt einer grandiosen Saison für Draisaitl. Bereits beim World Cup of Hockey im vergangenen September glänzte der Deutsche mit zwei Toren und hatte großen Anteil daran, dass Team Europa völlig überraschend ins Finale einzog und sich dort letztlich nur den übermächtigen Kanadiern beugen musste.

Und auch im Verein lief es. Im Verbund mit Connor McDavid bildete der Sohn von Ex-Nationalspieler Peter Draisaitl eine der gefürchtetsten Sturmreihen in der NHL. Während sich die Nummer 97 mit 100 Punkten die Art Ross Trophy sicherte, pulverisierte King Leon fleißig deutsche Rekorde. 77 Scorerpunkte innerhalb einer Saison und 29 Tore konnte auch der Bundestrainer und bisherige Rekordhalter Sturm (59 Punkte) in seiner langen Karriere in Übersee nicht auflegen.

Auch der Überholte kam bei den Leistungen ins Schwärmen. "Es ist beeindruckend, wie er die ganze Saison durchgehalten hat. Es macht sehr viel Spaß, ihm zuzusehen", erklärte Sturm gegenüber Sport1.

Im März, als die Oilers den entscheidenden Push vor den Playoffs machten, gelangen Draisaitl gleich sechs Spiele am Stück mit mindestens zwei Punkten. Das schaffte in Edmonton zuletzt Mark Messier, seines Zeichens der drittbeste Scorer der Geschichte (hinter The Great One und Jaromir Jagr) und in der ganzen Liga Henrik Sedin 2009 für die Vancouver Canucks. Große Namen!

Im Schatten von McDavid

Dennoch blieb Draisaitl zunächst im Schatten seines Kapitäns. McDavid gilt als der Superstar der nächsten Generation im Hockey, der legitime Nachfolger von Sidney Crosby. Entsprechend sind alle Augen auf ihn gerichtet. Der Tenor: Leon kann nur dank McD glänzen. Oilers-Coach Todd McLellan stellte den gelernten Center Draisaitl rechts auf den Flügel neben McDavid und der Deutsche hatte so nur eine Nebenrolle.

Ähnliches war Draisaitl bereits aus dem Vorjahr gewohnt, als der Deutsche an der Seite von No.1-Pick Taylor Hall spielte. Dieser wurde aber im Sommer in einem von vielen kritisierten Trade nach New Jersey verschifft. Umso überraschender kam der Erfolg der Franchise aus Alberta, die über Jahre belächelt wurde und zuletzt 2006 in den Playoffs stand. Waren die Oilers im Jahr zuvor noch abgeschlagen Letzter der Western Conference, wurde in dieser Saison die Postseason bereits vorzeitig gesichert.

Die Playoffs meinten es aber zunächst nicht gut mit Draisaitl. Gegen ausgebuffte San Jose Sharks taten sich McDavid und der Deutsche schwer. Es kam Frust auf, was Draisaitl letztlich wegen Stickings eine Spielsperre in der vierten Partie einbrachte, die mit 0:7 verloren ging. Glück für ihn, dass die Liga ihn von weiteren Konsequenzen verschonte. Stattdessen legte er in der Verlängerung von Spiel 5 mustergültig auf, die Oilers machten die Serie im Shark Tank mit 4-2 gegen den letztjährigen Stanley-Cup-Finalisten zu.

Die Explosion - endlich frei!

Interessant war dabei der Winkelzug von McLellan, das Duo McDavid/Draisaitl zu sprengen. Der No.3-Pick von 2014 führte plötzlich seine eigene Reihe an und blühte auf. Dank seines massigen Körpers nahm er es mit Center-Kanten wie Joe "Jumbo Joe" Thornton oder Joe Pavelski auf und auch gegen die Ducks war die Physis des Deutschen gefragt.

Während McDavid weiter nicht seine grandiose Form aus der Regular Season bestätigen konnte und kaum scorte (nur 9 Punkte), wurde die Reihe um Draisaitl zum Parade-Lineup der Oilers. Leon überzeugte mit großer Sicherheit an der Scheibe, Durchsetzungskraft an der Bande und natürlich in der Lieblingsdisziplin Edmontons, dem Powerplay.

Es war alles angerichtet. Die Oilers holten die ersten beiden Spiele in Orange County, ließen Anaheim aber zurück in die Serie kommen. Zum Knackpunkt wurde Spiel 5, als Edmonton im dritten Drittel 3:0 bei den Ducks führte, diese aber in den letzten drei Minuten, auch dank kontroverser Entscheidungen der Referees, eine Overtime erzwangen und das Spiel letztlich für sich entschieden.

Rosige Zukunft und Zahltag

Es fehlte eben doch das letzte Quäntchen Erfahrung, wie auch in Spiel 7, als die Kanadier führten und in Anaheim die Angst umging, dass die Ducks in fünf Jahren das fünfte Spiel 7 auf heimischen Eis in Folge verlieren würden. Es kam anders und doch bleibt eine märchenhafte Saison der Oilers in den Büchern.

"Hätten wir im September gesagt, dass wir in einem siebten Spiel in der zweiten Runde stehen würden, hätte uns das niemand geglaubt. Wir werden wiederkommen", gab sich McDavid kurz nach dem Spiel kämpferisch und auch der sonst so zurückhaltende Draisaitl stimmte seinem Kapitän zu. "Wir wissen, wie gut wir sind. Wir haben eine große Zukunft vor uns und werden sicher noch besser werden."

Widersprechen möchte den beiden Stars sicherlich niemand. Die Oilers sind für die nächsten Jahre gut aufgestellt. Auch Draisaitl wird in der kommenden Saison an Bord sein. Zwar läuft der Vertrag des Deutschen aus, doch als Restricted Free Agent ist die Nummer 29 weiter an Edmonton gebunden. Fest steht, dass ein großer Zahltag wartet. Sein Gehalt von knapp einer Million Dollar wird sich mindestens verfünffachen.

Die entscheidende Frage ist nur, welch einem Vertrag Draisaitl zustimmen wird. Seine überragende Postseason hat ihn in eine glänzende Verhandlungsposition gebracht. Seine 16 Punkte wurden in den Playoffs bislang nur von Penguins-Center Evgeni Malkin übertroffen. Nimmt er einen kürzeren Deal (ähnlich wie der von Nikita Kucherov von Tampa Bay, 3 Jahre, 15 Millionen) und wettet auf sich selbst, um dann richtig abzusahnen, oder unterschreibt er ein Arbeitspapier, was ihn eine knappe Dekade an die Oilers binden würde?

Das nächste Märchen?

Diese Entscheidung fällt wohl erst im Sommer. Zuvor hat Draisaitl die Möglichkeit, weiter an seinem Marktwert zu schrauben, wenn er sich entschließt, zum DEB-Team zu kommen. Nicht zuletzt durch den Ausfall von Tobias Rieder könnte die Sturm-Truppe einen schnellen und physisch starken Stürmer gebrauchen.

Für Draisaitl ist es ärgerlich. Seine Oilers hätten auch gegen die Nashville Predators um P.K. Subban berechtigte Hoffnungen auf den Einzug in die Stanley-Cup-Finals gehabt. So mutiert die Aussicht auf eine Heim-WM doch zu einem schwachen Trost.

Immerhin: Auch in Köln kann Geschichte geschrieben werden und die deutschen Fans bekommen den wohl besten deutschen Eishockey-Spieler hautnah zu Gesicht. Vielleicht verstehen dann mehr Menschen hierzulande, was dieser Junge in letzten Jahren überhaupt geleistet hat. Ein weiteres deutsches Märchen im Mai würde dabei sicher helfen.

Leon Draisaitl im Steckbrief

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