Von Christian Albrecht Barschel
Als Pete Sampras im Jahr 2002 zu den US Open in New York anreiste, schien die große Zeit des US-Amerikaners längst abgelaufen. Der US-Amerikaner wartete seit seinem Wimbledonsieg 2000 auf einen Turniersieg und war nur noch einer von vielen. In den US-Open-Finals 2000 und 2001 wurde Sampras teilweise vorgeführt. Doch der Glaube an die alte Stärke trieb ihn weiter an. "Ich fühlte, dass ich immer noch wenigstens einen großen Schwung in mir hatte. Ich wollte mich aber nicht selbst täuschen", schrieb Sampras später in seine Biografie "A Champion's Mind".
Das Jahr 2002 lief bis zu Beginn der US Open aber ganz und gar nicht nach den Vorstellungen von Sampras. Er fiel aus den Top Ten, verlor im Davis Cup auf seinem geliebten Rasen gegen den Sandplatzspezialisten Alex Corretja und schied bei seinem Vorhaben, endlich die French Open zu gewinnen, in der ersten Runde aus. Der Höhepunkt seines Negativlaufs war die Zweitrunden-Niederlage in Wimbledon gegen den Schweizer Lucky Loser George Bastl. Viele Journalisten legten dem siebenfachen Wimbledonsieger den Rücktritt nahe. Ein Journalist bezeichnete Sampras' Frau Bridgette Wilson sogar als "die Yoko Ono im Tennis" und erklärte, dass sie einen negativen Einfluss ausübe.
Sampras beschäftigt sich mit Rücktritt
Umso größer und lauter die Rücktrittsdiskussionen wurden, umso mehr beschäftige sich auch Sampras damit, aber nur im Innern. "Die Rücktrittsdiskussion läuft wie folgt: Wenn genug Leute überall und ständig fragen, wann du aufhören wirst, vorschlagen, dass du aufhören solltest oder spekulieren, wann du aufhören wirst, dann fängst du an zu glauben, dass du vielleicht aufhören solltest", beschrieb Sampras die damalige Situation in seiner Biografie. Mit seiner Ehefrau Bridgette diskutierte er, ob es noch Sinn hat, seine Karriere fortzusetzen. "Ist es das immer noch wert? Was muss ich im Tennis denn noch erreichen? Warum muss ich uns all das antun", waren Fragen, die er sich stellte. "Du bist mein Ehemann, und ich liebe dich. Es ist mir egal, was du tust, aber versprich mir eine Sache: Wenn du dich entscheidest, aufzuhören, dann versprich mir, dass du es zu deinen eigenen Bedingungen machst", sagte seine schwangere Ehefrau zur damaligen Zeit zu ihm.
Der US-Amerikaner setzte seine Karriere fort, doch gute Ergebnisse blieben auch bei den Vorbereitungsturnieren zu den US Open aus. In den engen Matches zog er stets den Kürzeren. Nach seiner Erstrunden-Niederlage in Long Island erklärte Sampras der Presse, dass er denkt, dass er eine gute Chance bei den US Open habe, dass er sie vielleicht sogar gewinnen könne. Einige Journalisten lachten bei seinen Aussagen, doch Sampras blieb seiner Linie treu und ließ lieber seinen Schläger als Worte sprechen. Als Nummer 17 der Weltrangliste ging der mittlerweile 31-Jährige schließlich in seine 14. US Open. Neben Wimbledon war das Grand-Slam-Turnier in New York stets eine Wohlfühloase für den US-Amerikaner gewesen. Viermal konnte er es gewinnen, drei weitere Mal stand er im Finale.
"Pistol Pete" bringt Kritiker zum Verstummen
Und mit dem Start der US Open schraubte Sampras sein spielerisches Niveau wieder nach oben und nutzte seine Chancen nun eiskalt aus. Nach zwei glatten Erfolgen traf er in der dritten Runde auf Greg Rusedski. Der Brite hatte vor dem Spiel verkündet, dass Sampras nicht mehr der Spieler der Vergangenheit sei und er eine große Chance habe zu gewinnen. Der US-Amerikaner setzte sich in fünf engen Sätzen durch und qualifizierte sich für das Achtelfinale. Dort schlug Sampras den Weltranglisten-Dritten Tommy Haas, gegen den er vier Wochen zuvor noch unterlegen war, in einem spannenden Viersatzmatch. "Pistol Pete" war nun endgültig wieder zurück und brachte seine Kritiker zum Verstummen. Mit glatten Siegen gegen Andy Roddick und Sjeng Schalken spielte sich Sampras in sein achtes Endspiel bei den US Open und traf auf einen alten Bekannten.
"Um 16 Uhr, an einem ruhigen und strahlenden Sonntagnachmittag im frühen September, guckte ich über das Netz und sah die selbe Person, die auch zwölf Jahre zuvor da war, fast auf den Tag genau, als ich mein erstes Grand-Slam-Finale spielte: Andre Agassi", schilderte Sampras die Situation in seiner Biografie. Die US Open hatten aus Sicht der Veranstalter ihr absolutes Traumfinale. Mit Sampras und Agassi stand die Anzahl von 116 Turniersiegen (63:53), 20 Grand-Slam-Titeln (13:7) und sechs US-Open-Titeln (4:2) auf dem Platz im Arthur Ashe Stadium.
Finale gegen den ewigen Rivalen
Bei den US Open 1990 hatten die beiden zum ersten Mal in einem Grand-Slam-Finale gegeneinander gespielt. Der 19-jährige Sampras hatte sich klar in drei Sätzen gegen den ein Jahr älteren Agassi durchgesetzt. Es war der Startschuss seiner Weltkarriere. Zwölf Jahre später schloss sich dann an gleicher Stelle der Kreis. "Der Andre, den ich 2002 sah, war jemand völlig anderes im Vergleich zum Kind, das ich 1990 gesehen hatte. Ich sah einen reifen, selbstbewussten, mehrfachen Grand-Slam-Champion, der in voller Kontrolle seines Spiels war - ein Spiel, das mich verletzen konnte. Das war kein Fremder, das war mein Karriere-Rivale. Das war das Yin zu meinem Yang. Wir waren das älteste Finalistenpaar in der Geschichte der US Open seit 32 Jahren. Ich war 31, Andre war 32", erklärte Sampras.
Das Finale war das 34. Duell zwischen den beiden lebenden Legenden, die sich in- und auswendig kannten. Der formstarke Agassi, zu dieser Zeit auf Platz sechs in der Weltrangliste, ging als leichter Favorit ins Endspiel. Doch immer wenn Sampras auf seinen Landsmann traf, konnte er sein Niveau immer noch anheben und das Beste aus sich herausholen. Und so behielt Sampras in den wichtigen Partien meist die Oberhand. In diesem US-Open-Finale war es genauso. Sampras, der während der Tage in New York seinen starken Aufschlag wiedergefunden hatte, spielte sich wieder in einen kleinen Rausch und nutzte seine Chancen konsequent aus. "Ich hatte immer eine Vorliebe für große Ereignisse, und ich konnte für nicht mehr fragen als das hier. Ich rollte durch die ersten zwei Sätze mit dem besten Tennis, das ich den letzten Jahren gespielt hatte", schilderte "Pistol Pete" die Situation. Mit 6:3, 6:4 erspielte sich Sampras eine 2:0-Satzführung.
"Es wäre schön, jetzt aufzuhören"
Doch Agassi ließ sich nicht so leicht abschütteln wie beim ersten US-Open-Finale 1990. Der dritte Satz ging mit 7:5 an den 32-Jährigen, dessen Ehefrau Steffi Graf mit dem Sohn Jaden Gil auf der Tribüne mitzitterte. Agassi wurde mit zunehmender Spielzeit sicherer und aggressiver, während Sampras müde und erschöpft wirkte. Ein Break konnte Agassi aber trotz guter Chancen nicht realisieren. Bei 4:3-Führung im vierten Satz ließ Agassi einen weiteren Breakball ungenutzt. Stattdessen breakte Sampras zum 5:4 und servierte sicher zu seinen 14. Grand-Slam-Titel aus. "Ich habe es verdammt noch mal getan", schrie der US-Amerikaner nach seinem verwandelten Matchball innerlich und lief in seine Box zu seiner Frau Bridgette. "Ich wollte diesen Moment mit ihr teilen. Und ich wollte, dass die Welt sieht, wie ich das tue."
"Einen Rivalen wie Andre zu besiegen, wäre ein Bilderbuchende. Es wäre schön, jetzt aufzuhören", sagte Sampras nach seinen fünften US-Open-Titel. Tatsächlich entschloss sich Sampras, nicht mehr als Profi auf dem Platz zu stehen. "Ich hatte kein Benzin mehr in meinem Tank, und es schien so, dass die ganze Arbeit die mögliche Belohnung nicht wert war. Ich wusste, dass es an der Zeit war, Schluss zu machen", schilderte der US-Amerikaner die damalige Situation. Und welcher Tennisspieler kann von sich behaupten, seine Karriere mit einem Turniersieg - und das auch noch mit einem Grand-Slam-Titel - zu beenden. 50 Wochen nach seiner letzten großen Reise in New York gab Sampras offiziell sein Karriereende bekannt und wurde im Arthur Ashe Stadium feierlich verabschiedet.