Das dicke Ende eines denkwürdigen Tages

Angelique Kerber
© getty

Das Aus von Titelverteidigerin Angelique Kerber war der finale Schlusspunkt eines denkwürdigen Australian-Open-Tages. Somit scheiterten beide Nummer-eins-Spieler innerhalb von wenigen Stunden.

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Es war das dicke Ende dieses denkwürdigen Tennis-Tages von Melbourne. Das Ende eines Tages, der den verfluchten oder auch geliebten Charakter der Australian Open als großes, reichhaltiges Wundertüten-Turnier bestätigte. Und so war es denn nicht genug, dass an diesem 22. Januar 2017 zuerst der Hamburger Jung' Mischa Zverev in der Rod Laver Arena den haushohen Turnierfavoriten Andy Murray in vier Sätzen nach allen Regeln der Kunst abservierte. Dass danach die sentimentale Reise des alten Helden und Comebackers Roger Federer mit einem Fünf-Satz-Sieg über den Weltranglisten-Fünften Kei Nishikori unerwartet in die Verlängerung ging.

Nein, es kam noch der letzte Centre-Court-Kracher, kurz nach Mitternacht, im allerletzten Spiel des Tages. Nicht mit deutschem Happy End, natürlich nicht. Sondern mit einem leichten bis mittelschweren Schockmoment, mit dem Sturz der Titelverteidigerin Angelique Kerber. Fast unspektakulär, jedenfalls ohne große Chance und ohne erkennbar energischen Willen zur massiven Gegenwehr, rauschte die Kielerin mit 2:6 und 3:6 gegen die wuchtige US-Amerikanerin Coco Vandeweghe im Achtelfinale aus den australischen Grand-Slam-Festivitäten. "Es war nicht mein Spiel und nicht mein Tag", sagte Kerber hinterher, "ich hatte einfach nicht das richtige Gefühl für den Ball." Man habe nicht erkennen können, "dass sie an ihre Chance glaubt", wertete der TV-Beobachter Boris Becker nüchtern über den finalen Auftritt der Frontfrau.

Serena kann Kerber mit Titel vom Thron stoßen

Der Noch-Nummer-eins möglicher Weise, denn nach dem Ausrutscher steht Kerbers Führungsposition auf der Kippe. Sollte Serena Williams das Turnier gewinnen, also jene Frau, die Kerber vor zwölf Monaten im Melbourne-Endspiel bezwang und damit ihr persönliches Traumjahr im Wanderzirkus einleitete, dann wäre der Spitzenplatz schon wieder futsch. Little Sister Serena war Kerber im vergangenen Herbst bei den US Open von Kerber überholt worden, dort hatte die 29-Jährige den zweiten Major-Wettbewerb jener Saison gewonnen - und damit Anfang und Ende der Grand-Slam-Spielzeit beeindruckend dominiert.

Doch von der Souveränität und Selbstsicherheit der New Yorker Tage, von dieser Sturm und Drang-Mentalität, die auf den Tennisgipfel geführt hatte, war Kerber meistenteils weit entfernt in Melbourne - es bewahrheitete sich die banale Weisheit, wonach es viel schwerer ist, Platz eins zu bestätigen als Platz eins zu erobern. Das Gefühl, sich bewähren und etwas verteidigen zu müssen, führte irgendwie auch in die Defensive. Kämpferisch, zupackend, leidenschaftlich war Kerber sporadisch, nicht aber ausreichend konstant genug zu erleben. Schon in den ersten beiden Runden gab es viele Zittermomente, viel Bibbern und Bangen für und mit der Spielerin, die vom australischen Boulevard im Vorjahr noch "Amazing Angie" genannt worden war, also die aufregende, erstaunliche Angelique Kerber. Gegen die Ukrainerin Lesia Tsurenko und ihre Landsfrau Carina Witthöft quälte sich Kerber zu umkämpften Drei-Satz-Siegen in den Auftaktpartien, dann machte der klare 6:0, 6:4 gegen die Tschechin Kristyna Pliskova in Runde drei Hoffnung auf mehr und besseres Kerber-Tennis, auf das Tennis des Jahres 2016.

"Kerber, no match for hot Coco"

Doch es gab bei dieser Mission schließlich nur einen größeren Feier-Tag, aber das war der 29. Geburtstag der letztjährigen Himmelsstürmerin - und nicht etwa die Wiederholung des Märchens aus dem vorigen Januar. "Kerber no match for hot Coco", stand später an diesem Sonntag auf der Internetseite der Australian Open zu lesen, also leichtes, einfaches Spiel für die ungewöhnliche Frau Vandeweghe, eine Spielerin, die am wenigsten unter schwach ausgeprägtem Selbstbewusstsein leidet. Bisher aber hatte sie ihren oft großen Worten nicht viele große Taten folgen lassen. 2015 war sie einmal ins Viertelfinale von Wimbledon vorgestoßen, hatte bei den US Open jener Saison für Aufsehen gesorgt, als sie als erste Spielerin überhaupt, männlich oder weiblich, während eines Grand-Slam-Spiels ein TV-Interview gegeben hatte (für den Sportkanal ESPN).

Den zweifelsfrei größten Tag ihrer Karriere erlebte sie aber erst jetzt in Melbourne, mit Schlagzeilen aus besserem Anlass und mit innerer Berechtigung - als kompromisslose Veranlasserin der Heimreise von Kerber. Aus einer Sportfamilie stammt Vandeweghe, ihre Mutter Tauna war eine Olympiaschwimmerin, ihr Onkel Niki war einst NBA-Profi, sie wurde Coco genannt. Und in Melbourne machte sie wenig Chi-Chi beim Powerplay gegen Kerber, bei der ziemlich gnadenlosen Zwei-Satz-Abfuhr der recht matten Deutschen. "Zu viele leichte Fehler" habe sie gemacht, bekannte Kerber später, "ich habe alles versucht und gegeben, aber es passte nicht zusammen." Sie wird nun Zeit haben für die Fehleranalyse, für die Neuprogrammierung. Für die nächsten Wochen und Monate, die keinesfalls leichter werden.

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