Von Ulrike Weinrich aus Melbourne
Angelique Kerber setzt in diesen Tagen auf ein Kontrastprogramm als Erfolgsstrategie. Mal badet sie im Jubel der Fans, mal taucht sie ab, um Kräfte zu tanken für ihre besondere Comeback-Mission. Am Tag vor dem Viertelfinale gegen Madison Keys (USA/Nr. 17) am Mittwoch mied sie den Melbourne Park und absolvierte ihr Vorbereitungsprogramm mit ihrem Team um Trainer Wim Fissette abseits der Anlage.
Kerber will nichts riskieren, um den Fokus zu behalten. Denn die Gefahr der Ablenkung, die ist gerade Down Under für die 30-Jährige nicht gering. Seit ihrem Triumph beim Happy Slam vor zwei Jahren haben die Australier "Angie" ins Herz geschlossen.
"Ich merke das schon. Wenn ich unterwegs bin, erkennen mich viel mehr Leute als noch vor 2016. Und auch beim Training schauen viel mehr Fans zu", berichtete die Linkshänderin, die umgekehrt längst auch ihre Liebe für das andere Ende der Welt entdeckt hat: "Ich schätze so viel an Australien. Es ist eines meiner Lieblingsländer, ich fühle mich hier einfach total wohl." Vor 24 Monaten erlebte sie an der Batman Avenue direkt am Yarra River ihre ganz persönliche Mondlandung und holte sich ihren ersten Major-Titel.
"Angie" als "Titelheldin" - vielleicht ein gutes Omen
Kerber gehört schon vor ihrem ersten Grand-Slam-Viertelfinale seit rund 16 Monaten zu den Gesichtern der Aussie Open 2018. Direkt vor der 15.000 Zuschauer fassenden Rod Laver Arena steht eine große Werbewand, auf der sie zusammen mit dem spanischen Superstar Rafael Nadal für das offizielle Videospiel des Turniers wirbt.
Es passt ins Bild, dass sich Kerber als "Titelheldin" auf dem Cover mit äußerst angriffslustiger Miene zeigt. Den wiedergewonnenen Biss hat sie in ihren bisherigen 13 Matches der Saison an den Tag gelegt, die sie allesamt für sich entschied. Damit ist sie die bislang erfolgreichste Spielerin der Saison - und nicht zuletzt deshalb für viele die Turnier-Topfavoritin. Zumal am Dienstag im Viertelfinale die ebenfalls hoch gehandelte Elina Svitolina (Ukraine/Nr. 4) mit 4:6, 0:6 gegen die ungesetzte Belgierin Elise Mertens unterging.
Mit einem weiteren Sieg zurück in die Top Ten
Ob sie sogar besser sei als 2016, ist Kerber am Montag nach ihrem Sieg der Moral im Achtelfinale gegen die bärenstark aufspielende Taiwanesin Su-Wei Hsieh (4:6, 7:5, 6:2) gefragt worden. "Ich weiß es nicht, die Saison hat ja gerade erst angefangen". Die Zeitungen jedenfalls lobten die Vorstellung der Kielerin, die sie selbst als eine Melange aus Herz, Kopf und Körper beschrieb. "Angie ist bereit zum Flug", schrieb die Herald Sun - und meinte wohl: "Bereit zum Höhenflug".
In Sachen Gefühlsregungen allerdings sieht sie noch Verbesserungsbedarf. "Ich will meine Emotionen noch mehr kontrollieren", verriet die Fed-Cup-Spielerin, die im Duell mit Hsieh ihren zwischenzeitlichen Frust herausbrüllte. Eine Geduldsprobe wie gegen die Taiwaneskin, die Wundertüte mit beidhändiger Vorhand, wird im Match um den Sprung ins Halbfinale am Mittwoch allerdings nicht erwartet.
Halbfinal-Einzug würde Rückkehr in Top Ten garantieren
Gewinnt Kerber die nächste Partie gegen US-Open-Finalistin Keys, wird sie wieder die deutsche Nummer eins und in die Top 10 zurückkehren. Von sieben Duellen gegen die Hardhitterin aus Rock Island, die vom Münchner Dieter Kindlmann und der früheren Nummer eins Lindsay Davenport trainiert wird, hat sie sechs gewonnen.
Die aggressive Spielweise der Weltranglisten-20. liegt der Konterspielerin Kerber, die in diesen Tagen komplett gelassen wirkt. Im australischen TV erzählte sie über ihr Hobby - das Fotografieren von Sonnenuntergängen auf der ganzen Welt.
Auch am St. Kilda Beach hat sie schon das Smartphone gezückt, um ihre "Sunset"-Sammlung an Bildern zu erweitern. Kein Zweifel: Kerber hat ihre innere Ruhe wiedergefunden. Was nicht daran liegt, dass die Verpflichtungen außerhalb des Tennisplatzes weniger geworden sind. Nur hat sie inzwischen gelernt, sukzessive besser und offener damit umzugehen, zu genießen.
Die Orientierungslosigkeit und Leere, die sie im vergangenen Jahr lähmten, sind einer neuen Lust an weiteren Großtaten gewichen. "2017 war ein Lernprozess für mich", bestätigte "Angie". Bereits Anfang 2018 scheint sie die ersten Früchte zu ernten.
Ab Donnerstag droht Melbourne eine neuerliche Hitzewelle
Die beiden Halbfinals werden bereits am Donnerstag gespielt. Gegnerin von Kerber wäre in der Vorschlussrunde im Fall eines Erfolgs gegen Keys entweder die topgesetzte Simona Halep (Rumänien) oder Karolina Pliskova (Nr. 6).
Die Tschechin war von Kerber im US-Open-Finale 2016 besiegt worden. Vielleicht ein gutes Omen! Von Donnerstag bis Sonntag wird in Melbourne dann die zweite Hitzewelle des Turniers mit Temperaturen von bis zu 39 Grad Celsius erwartet.