In seiner Traumsaison 2017 hatte er sich bei einem speziellen Thema das Träumen nicht erlaubt. Roger Federer schaffte zwar im zurückliegenden Jahr ein wundersames Comeback, mit zwei Grand Slam-Titeln und dem Sprung in die engere Weltspitze, aber eine Rückkehr auf Platz 1 der Weltrangliste schloß er kategorisch aus - ganz Realist und nüchterner Stratege.
Es hatte auch damit zu tun, dass Federer in der Sandplatzsaison wegen selbstgewählter Auszeit nicht punktete und seinen ewigen Rivalen Rafael Nadal an sich vorbeiziehen lassen musste. Der mallorquinische Matador betonierte dann seine Gipfelposition im Herbst mit dem Triumph bei den US Open, beiden hatten somit zwei Majors gewonnen, Nadal aber im Touralltag mehr Zähler eingesammelt.
Wenn Federer an diesem Freitag nun zu seiner Halbfinal-Aufgabe gegen den Südkoreaner Hyeon Chung in die Rod Laver-Arena in Melbourne schreitet, spielt Platz 1 dann doch wieder eine begründetere Rolle. Es schwingt sozusagen im Hinterkopf mit, dieses Ziel, das Federer über den Tag dieses Vorschlußrunden-Matchs hinaus seriös verfolgen darf. Federer will das Turnier gewinnen, mit Erfolgen über Chung und dann gegen den bereits feststehenden ersten Finalisten Marin Cilic (6:2, 7:6, 6:2 gegen Kyle Edmund/GB).
Er will mit dem Triumph bei den Australian Open die magische Marke von 20 Grand Slam-Titeln knacken, aber er will auch und besonders keinen Boden verlieren beim Kampf um die angestrebte Führungsposition - die er im zarten Alter von 36 Jahren erreichen könnte, dann als ältester Profi in der Tennisgeschichte. "Es wäre schon etwas sehr Spezielles, wenn mir das gelingen würde", hat Federer einmal im letzten Jahr gesagt, noch vor den damaligen US Open. Er wurde seinerzeit auch gefragt, was ihm lieber sei, der Sprung auf Platz 1 oder der Titel in New York. Federers Antwort: "Am liebsten beides. Aber vielleicht sogar eher die Nummer eins."
Die Nummer eins in greifbarer Nähe
In Australien kann Federer nun nichts hinzugewinnen, aber gleichwohl den Abstand zu Nadal verringern, und zwar auf nur noch 105 Punkte. Der Spanier war im Viertelfinale gegen Cilic ausgeschieden, er hatte im fünften Satz, bei einem 0:2-Rückstand, wegen Hüftproblemen den Rückzug antreten müssen. Nadal wird nun einen knappen Monat ausfallen, anschließend will er offenbar seinen ursprünglichen Turnierplan auch verfolgen, also in Acapulco, Indian Wells und Miami antreten. Auch die beiden US-Masters hatte Federer 2017 für sich entschieden, dort käme ein Machtwechsel wohl noch nicht in Betracht - auch wenn er nicht ganz ausgeschlossen ist.
Nadal steht freilich im weiteren Verlauf des Jahres unter Druck, wenn er seine vielen herausragenden Sandplatzergebnisse zu bestätigen hat - da stellt sich aus heutiger Sicht auch die Frage, wie der Matador das körperlich stemmen kann und will. Federer übrigens legt auch 2018 wieder längere Auszeiten ein, aber er scheint bereit, jederzeit aktuell auf Ereignisse im Kampf um Platz 1 zu reagieren. Vielleicht dann sogar in der Sandplatzsaison.